Am 28.10. überreichte der gerade geschiedene Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, Heinrich Detering, dem Lyriker Jan Wagner den Büchnerpreis 2017.
An anderer Stelle war ich gebeten worden, eine paar Sätze zum Büchnerpreis zu schreiben (der Titel ist nicht von mir …), und dort endete mein Text „Selten haben die Reden beim Büchnerpreis kalt gelassen, und das ist ja vielleicht das Beste, was sich von einer Rede sagen lässt: dass sie nämlich Feuer macht unter dem Kessel der Gedanken. Hoffen wir, dass 2017 der Preisträger Jan Wagner, ein junger Lyriker, mit seinem Beitrag Funken schlägt. Der Georg-Büchner-Preis wird am 28. Oktober verliehen.”
Jan Wagner hat mich mit seiner Rede überrascht: abgesehen davon, dass er meint, Georg Büchner habe bis auf die erhaltenen Schülerversuche keine Gedichte geschrieben (wo doch „Rosettas Lied” in Leonce und Lena ganz sicher eines, und kein schlechtes, ist), hat er seinen Büchner gründlich, und, wie er mir in einem kurzen Gespräch nach der Verleihung versicherte, noch einmal ganz und neu, gelesen. Tatsächlich beginnt ja der oft zitierte Eintrag im Stammbuch für den Freund August Stöber „Verse kann ich keine machen”. Wagner ergänzte, einen Reim habe er sich sehr wohl machen können. Und er trug mit Emphase vor, dass Büchner heute gelesen werden muss, dass die Texte dieses Frühvollendeten über zweihundert Jahre frisch und aktuell geblieben sind. In Kürze wird auf der Website der Akademie hier Laudatio und Dankrede verfügbar sein.
Leider hat Jan Wagner wohl niemand auf die schöne Rede aufmerksam gemacht, die Kart Krolow, einer der wenigen Lyriker, die vor ihm Büchnerpreisträger wurden, 1956 hielt.
„Wer Gedichte schreibt, muß zur rechten Zeit Blicke in Zauberspiegel tun von der Art »Leonce und Lena«, auch wer heute moderne Gedichte zu schreiben versucht.” sagte er da, und schildert Büchners „Komödie”, als wäre sie ein einziges, langes Gedicht.
Krolows beginnt: „Nun bin ich Lyriker und habe es nicht leicht, vom Gedicht als Genre her mich in Beziehung zu dem zu setzen, was uns von Georg Büchner überkam. Aber es scheint mir, daß es auch weniger darauf ankomme, sich auf etwas Bestimmtes im Werke des Dichters Büchner einzulassen als vielmehr dem »Phänomen« sich zu nähern, wie es heute sichtbar ist. Ich möchte Ihnen darum nicht zu ausführlich von meinen persönlichen Erfahrungen mit der Dichtung dieses Mannes, nicht von meinen Büchner-Lektüren erzählen. Allerdings kann ich mich nicht entschließen, über den Eindruck zu schweigen, den mir eine Büchnersche Arbeit gemacht hat, ein Eindruck, der sich mir im Laufe der Zeit immer nachhaltiger verfeinerte. Ich meine »Leonce und Lena«, jenes Stück, das man – wenn man sich rasch verständigen möchte – ein Lustspiel zu nennen gewohnt geworden ist. Ich werde diesen Ausdruck vermeiden, weil er mir zu heikel, zu ungenau, zu wenig individuell zutreffend ist.”
und fährt, als wolle er Wagner damals schon gegen die heute erhobenen Vorwürfe verteidigen:
„ … Wer Gedichte schreibt, muß zur rechten Zeit Blicke in Zauberspiegel tun von der Art »Leonce und Lena«, auch wer heute moderne Gedichte zu schreiben versucht. Er muß sich der Verwandlung durch die leicht gewordene Phantasie überlassen, die ihn unmerklich zu weiteren, heiteren Metamorphosen führen wird. Und er mag sich dabei ohne Scheu mit Leonce fragen: »Bin ich ein Müßiggänger?« Er wird in den Stand versetzt sein müssen, der ihn wie Büchners so zärtlich, so spielerisch erfundenen Prinzen wünschen läßt: »Wer sich einmal auf den Kopf sehen könnte«.”
Wagner kokettiert mit dem Verhältnis von Büchners Werk zu seinem eigenen. Es ist ein schönes Bild dieses Dichters der kleinen Dinge, dass sich in der Botanisiertrommel, die Büchner als Behältnis und Tarnung des Landbotenmanuskriptes nutzte, als er es zum Drucker Preller nach Offenbach trug, vielleicht auch ein Zweig von Aegopodium podagraria, des gemeinen Giersch, den Wagner in seinem bekanntesten Gedicht würdigt, und vielleicht ein Borkenkäfer, den er der Bedichtung wohl ebenfalls würdig findet, gefunden hätte. Büchner, der beides sicher hätte erkennen und bestimmen können, wird so dem aufmerksamen modernen Dichter nah, und dass der meist lästige, wenn auch durchaus wohlschmeckende, wuchernde Giersch dem unerreichten, zum Klassiker gewordenen und doch Aktualität behaltenen Landbotentext zur Seite gestellt wird, ist sein trotziges Manifest.
Schön, dass mein Wunsch, „dass die Reflektionen über Georg Büchners Leben und Werk in einer guten Büchnerpreisrede neu zur Auseinandersetzung mit ihm führen können” von Jan Wagner eingelöst wurde.
Ich habe ihn eingeladen, ebenso wie seine Büchnerpreis-Vorgänger*innen in den nächste Monaten zu einer Lesung ins Büchnerhaus zu kommen, und er hat zugesagt. Darüber freue ich mich sehr.
* Karl Krolow 1956 in seiner Dankesrede zum Büchnerpreis
Nachtrag am 31.10.: Der Deutschlandfunk bietet den Mitschnitt der Rede hier zum live anhören und zum download als Podcast.
von Peter Brunner
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