Bereits letztes Jahr habe ich auf Alexander Büchners abenteuerlichen Pfingstausflug erinnert, und diesmal soll hier sein eigener Bericht darüber ausführlich zitiert werden. Die zu Beginn erwähnte „Novelle“ betrifft natürlich den Tod von Pfarrer Fritz Weidig im Darmstädter Gefängnis, und Alexander Büchner hatte sich damit in der Tat „sehr weit hervorgewagt“. Er tut nämlich nichts weniger, als dem Richter Georgi kaltblütigen Mord am Kopf der Giessen-Butzbacher Revolutionäre zu unterstellen. Die veränderten politischen Verhältnisse kamen Alexander Büchner zugute: in einem der ersten öffentlichen Geschworenenprozesse in Hessen-Darmstadt wurde er später freigesprochen.

Gasthaus_zum_Löwen_in_Zwingenberg_1868

 

Zum Bunten Löwen, Zwingenberg

 

Alexander Büchner: das tolle Jahr.

Von einem, der nicht mehr toll ist.

 

Der Pfingstausflug.

 

Nach den wilden Rose kam eine von mir verfasste Novelle hätte betitelt: „eine Kriminalgeschichte von früher.“ Dieses unschuldige Opus trug mir aber einen gefährlichen Pressprozess ein. Es wurde nämlich darin erzählt, wie ein politischer Gefangener Biedermann von einem jeder bösartigen Untersuchungsrichter, welche da, wo nicht herauszuuntersuchen ist, etwas hineinuntersuchen, aufs grausamste gequält, mit Stockschlägen traktiert und zuletzt mit Beihülfe des Gefängniswärters ermordet wird. Diese Schauergeschichte passte nun wieder Fingerhut auf den Finger auf eine wirkliche Begebenheit, die sich einige Jahre vorher im Aresthause zu Darmstadt zugetragen hatte. Alle Welt nannte sogleich die betreffenden Beinamen. Der Hohe Gerichtshof aber, welchem jener Richter angehört, fühlte sich in seiner und Ehre gekränkt und verlangte Genugtuung von dem Darmstädter Hof gerecht, da ich mich unklugerweise mit meinem Namen unterzeichnet hatte. Es wurde sofortige Inhaftnahme des Schuldigen verfügt. Nun traf es sich aber, dass ich damals Accessist an demselben Hofgericht geworden war. Der Gerichtsrat, dem ich zugeteilt war, hatte natürlich meine Personalakten in seinem Referat,und da ich seine Akten vorbereitungsweise durchzusehen hatte,viel mir jene mich betreffende Verfügung brühwarm in die Hände. „mein gewohntes Schwein!“ dachte ich, schnürte das Bündel wieder zu und begab mich ganz sachte hinweg, um mit Freunden Kriegsrat zu halten. Da auch Letzteren Gerüchte von meiner bevorstehenden Verhaftung zugekommen waren, verbarg ich mich zunächst bei meinem Bruder Wilhelm, welcher in Pfungstadt, nah bei Darmstadt, eine große Ultramarinfabrik aufgetan hatte.“in meinen weitläufigen Gebäude“, sagte der selbe „wird dich sobald kein Polizist finden.“ Dort saß ich also zunächst in Sicherheit, vergaß aber zu meinem Schaden, dass die „Fürsicht der Tapferkeit besseres Teil“ ist. Das schöne Pfingstfest war nämlich mit herrlichem Wetter herbeigekommen,und da gab es zahlreiche Ausflüge in den Höhenzug, die Bergstraße genannt, welcher sich als östliche Begrenzung des weiten Rheintals gegen Heidelberg hin erstreckt. Da strömte denn Jung und Alt in die reizenden Täler und auf die mit vortrefflichen Wirtshäusern gekrönten Hügeln. Meines Bruders Familie tat desgleichen, und auch ich lies mich bewegen mit ihnen den berühmten Felsberg zu besteigen. Der ganze Landstrich wimmelte bereits von hessischen Soldaten, welche den Fortschritten der badischen Bewegung Einhalt tun sollten. Als wir gegen Abend die wundervollen Parkanlagen des Jugenheimer Schlösschens durchschritten, fielen mir mehrere von Darmstadt hier bekannte Offiziere auf, welche mich eifrig fixierten. So gelangten wir bis zur Station Bickenbach,wo eine große Anzahl von Fahrgästen versammelt war, welche sich mit der Eisenbahn nach Darmstadt oder Frankfurt zurückzugeben beabsichtigten. Plötzlich durchlief die Menge das Gerücht, die ganze Bergstraße sei im Belagerungszustand erklärt. Ich fühlte mich nicht sehr wohl in meiner Haut, besonders da ich mich im Besitz eines von dem Gesinnungsgenossen Dr. med. Zimmermann entworfenen Planes eines Aufstandes im Odenwald sowie eines großen Dolchmessers befand. Es verstrich kaum einige Minuten, als ein Gendarm in voller Uniform von einem Piquet Soldaten begleitet an mich herantrat und für verhaftet erklärte. „Wo haben Sie Ihren schriftlichen Verhaftungsbefehl, ohne welchen ich Ihnen nicht folgen werde?“ „Das geht mich nichts an,“ erwiderte der Gendarm, „ich habe Befehl, sie vor den hier kommandierenden Major zu bringen.“ Nun trat mein gerade gegenwärtiger Freund F. Dazwischen. “Bedenken Sie,“ sagte er zu dem Gendarm, „dass der Herr hier Beamter des Großherzoglichen Hofgerichts in Darmstadt ist und morgen früh um 9 Uhr auf seiner Amtsstube zu erscheinen hat. Wenn sie denselben an der Erfüllung seiner Pflicht hindern, so sind sie dafür verantwortlich!“ Der Gendarm zauderte, was man in jenen unsicheren Zeiten nur natürlich finden konnte, da er sicher war, dass sich bei einem Missgriff seinerseits die Sache wegen übertriebenen Amtseifers wahrscheinlich gegen ihn wenden würde. “Ich werde Ordre einholen“ Damit ging er zu dem Major zurück. Wir dagegen schritten weiter in dem schon dunkel werdenden Wald hinein, wo ich unbemerkt meiner Schwester Mathilde die erwähnte Mordwaffe und die gefährliche Papiere zusteckte. In diesem Augenblick kam der Gendarm zurück, und in der nun entstehenden Verwirrung schlüpften meine stets besonnene Schwester, die sich hier wie oft als mein Schutzgeist bewies, weiter ins Gebüsch hinein und schleuderte die kompromittierenden Gegenstände ins tiefste Gestrüpp. Vor dem Major angelangt, protestierte ich laut vor der hier versammelten, immer anwachsenden Menge gegen das ungesetzliche Verfahren, welches man sich gegen mich erlaube. Der Major erwiderte kurz, hier sei Kriegszustand und ich habe zu schweigen, worauf er mich eine kleine Räumlichkeit des Bahnhofs einsperren und bewachen ließ. Dort sollte ich indes nicht lange ohne Gesellschaft bleiben. In der Darmstädter Bürgerwehr hatte sich kürzlich eine freiwillige Kompanie gebildet, welche wegen ihrer Bewaffnung wie Uniform kurzweg die „schwarzen Schützen“ genannt wurde. Einer der selben, namens Stumpf, ein „eiserner Warenhändler“, hatte in Gesellschaft seiner Büchse einen Ausflug in die Berge gemacht und kam nun zum Bahnhofe um nach Darmstadt zurückzukehren. Stumpf hatte in jungen Jahren in der algerischen Fremdenlegion gedient und galt somit für eine militärische Autorität. Als er die brühwarme Nachricht von meiner Verhaftung erfuhr, äußerte er sich mit soldatischen Freimut über die Ungesetzlichkeit eines solchen Gewaltstreiches. Dies wurde sogleich die Major hinterbracht, und derselbe verordnete die Verhaftung des „schwarzen Schützen“ wegen Aufheizung zur Rebellion. Stumpf wurde zu mir gesperrt, wir erkannten uns als Schicksalsgenossen und machten uns weidlich über das ganze Abenteuer lustig, wobei der ehemalige Legionär es an den in Algier erlernten französischen Kraftausdrücken wie Sacre bleu!, Tonnere de Brest mille millions! und dergleichen nicht fehlen ließ. Der letzte Abendzug nach Darmstadt war mittlerweile abgegangen, und wir wurden nun unter Bedeckung eines Piquet Füsiliere auf der Bahnstrecke hin nach dem noch etwa drei Stündchen entfernten Hauptquartiere Heppenheim abgeführt. Von der Gerechtigkeit unserer Sache fest überzeugt, zeigten wir unserer aufgedruckten Umgebung die herablassende Geringschätzung eines Caesars unter den Seeräubern. Nach 1 h Marsch gelangten wir nach dem Städtchen Zwingenberg. Daselbst erklärte ich dem Brigadier, welcher den Zug kommandierte, ich sei zu müde und zu hungrig, um ohne Rast die noch fehlenden zwei Wegstunden zu machen. Derselbe ließ sich erweichen und brachte uns zum „Zeitgeist“, was der Spitzname eines der Zwingenberger Hotelbesitzer war, die jetzt mehrere Offiziere beherbergte. Wir ließen uns ein herzhaftes Nachtessen vorsetzen, beträufelten dasselbe reichlich mit dem feurigen Bergsträsser und unterhielten uns sehr laut und fidel unter Gläserklange. Unter den dort ab-und zu gehenden Offizieren gewahrte ich einen Hauptmann L., der in Darmstadt mit unserer Familie sehr befreundet war. Derselbe kam, als wir eben aufbrechen sollten, auf mich zu, nahm mich bei Seite und sagte mir in der freundschaftlichsten Weise, ich solle die Sache nicht so leicht nehmen; es seien schon blutige Zusammenstöße vorgekommen, und bei der Gereiztheit der Offiziere könnten wir uns durch unser herausforderndes Benehmen der größten Gefahr aussetzen. Ich dankte dem wackeren Mann für seine Warnung, versprach dieselbe zu beherzigen, und unser Zug ging weiter.

HalberMond_Heppenheim1840

Zum halben Mond, Heppenheim, Stahlstich von Grünewald/Lampert 1840 

Der „Halbe Mond“ war 1847 Ort der bedeutenden „Heppenheimer Versammlung“ 

 

Als wir todmüde in Heppenheim anlangten, war Mitternacht vorüber, und als Schlafgemach fanden wir einen leeren Gepäcksaal, in den man uns ein Bündel Stroh hinein legte. Die Algierer Stumpf erklärte sich mit diesem Nachtlager sehr zufrieden und behauptete,er habe schon ungleich schlechtere kennen gelernt, streckte sich auf dem Stroh aus und schnarchte alsbald wie ein Nürnberger Brummkreisel. Ich selbst war zu stolz, um mich mit diesem plebejischen Lager zu befreunden,sondern legte mich, als Turnerleutnant, der ich war, auf die nackte Diele und hätte mich mit der Stubentür zugedeckt, wenn dieselbe nicht verschlossen gewesen wäre. So aber bediente ich mich als Kopfkissen eines Paktes Stricke, welche in der Ecke lag, um die mutmaßlichen Gefangenen, welche man machen würde, zu fesseln. Als wir am Morgen erwachten, sahen wir, dass wir uns im vollsten Kriegszustand befanden. Der ganze Bahnhof starrte von Bajonetten und Kanonen, und vor unserer Tür wie vor den Fenstern standen Posten im einzelnen mit geladenen Gewehren, welchen, uns zum Gehör, bedeutet wurde, uns beim geringsten Fluchtversuch niederzuschießen. Aus der Ferne ertönten Kanonenschüsse, Pferdegetrappel und sonstiges kriegerisches Geräusch. Die uns bewachenden Soldaten waren übrigens keine vertierten Söldlinge, wie wir sie damals nannten, sondern betrugen sich sehr gebildet mit einer Art von ehrerbietigem Mitleid, besorgten uns Waschwasser, und gingen, da wir gerade viel Geld bei uns hatten, in das nahe gelegene hoch berühmte „Gasthaus zum halben Mond“, um uns Speise und Trank zu verschaffen, an deren Resten sie bereitwillig und erfreut teilnahmen. In dieser Not der Zeiten verfasste ich ein kleines Gedicht, welches ich hierher setze, um den naiven Enthusiasmus oder vielmehr Fanatismus zu kennzeichnen, der uns damals beseelte.

 

Im Gefängnis. 1849

Ich weiß ne Stunde, da herab

Zum Bart manche Träne floss.

Doch Wehmut nicht noch Schande gab

Die Tropfen, die mein Aug vergoss.

 

Und als die Zähre blutig heiß

Die trockene Wange lief entlang,

Da sprach ich in dem Herzen leisten

Wohl einen Fluch, der Blutig klang:

 

Für jede Träne, die da fällt,

fällt nieder ein Tyrannenhaupt;

hinrollt es in das blutge Feld,

dem seinen Pflanzer es geraubt

 

Für jeden Tropfen, der dann quillt,

zahlt eines Schergen Haupt und Hand,

 

 

Alexander Büchner: Das tolle Jahr. Von einem, der nicht mehr toll ist. Gießen, Roth, 1900. S. 184 ff