Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Rezension (Seite 4 von 5)

Blogger schenken Lesefreude

Der schönen Aktion schließe ich mich gerne an.

 

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Ich freue mich immer und über (fast) jeden Kommentar; und diesmal kann, wer hier kommentiert, auch noch Jan-Christoph Hauschilds funkelnagelneue Büchner-Biographie gewinnen.

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Vielleicht ist das eine Gelegenheit für einen kleinen Hinweis der LeserInnen, wie ihr erstes „Büchner-Erleben“ aussah oder ob es einen Büchner-Text gibt, der ihr Leben begleitet?  Am 29. April schließe ich hier die Kommentarfunktion und werde dann per Zufallsgenerator aus den Kommentaren einen auswählen, der dann mit dem Buch prämiert wird. 

 

Dr. Hauschild  hat das Buch ja kürzlich bei der Luise-Büchner-Gesellschaft in Darmstadt vorgestellt, und Christian Wirmer hat daraus gelesen.

 

Hier noch einmal ein kleiner Ausschnitt zum Zuhören:

 

 

Ernst Büchner – der Obermedizinalrat bei der Arbeit

Anlässlich des allfälligen Georg-Büchner-Gedenkens ergeben sich schöne Gelegenheiten, auch an seine verdienstvolle Familie zu erinnern. Kürzlich wurde in Darmstadt am Standort der früheren Gebäude des Kranken-, Armen-, Waisen- und Pfründnerhauses, Grafenstraße 9, am dort neu errichteten Fachärztezentrum durch die Investorengruppe Biskupek-Scheinert eine Gedenkplakette zur Erinnerung an Ernst Büchner angebracht. Der Vater der berühmten Geschwister lebte hier seit 1816 bis mit seiner Frau Caroline und den Kindern Georg, Mathilde und Wilhelm.

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Das Bild zeigt die Damen Rettig und Kaumeier, Ur-Ur-Ur-Enkelinnen (die Tochter natürlich noch eine Generation und ein Ur- weiter) von Ernst Büchner, Nachfahren seines Sohnes Wilhelm Büchner, und die Herren Fritz und Peter Soeder, Ur-Ur-Enkel Ernst Büchners und Nachfahren seines Sohnes Ludwig Büchner.

 

Fast gleichzeitig erscheint soeben das Inselbändchen meiner Freunde Boehncke und Sarkowicz „Versuchter Selbstmord mit Stecknadeln“. (Insel Bücherei 1372, Gebunden, 135 Seiten, ISBN: 978-3-458-19372-2, 14,95 €) . Die beiden haben die in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichten Texte Ernst Büchners zusammengestellt, herausgegeben und in einem klugen Nachwort kommentiert.

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Die Texte wären auch ohne die Verbindung zu Georg Büchner bemerkenswerte Zeugnisse der Entstehung einer kühl-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, wie sie Anfang des 19. Jahrhunderts unter anderem von Medizinern entwickelt wurde. Ernst Büchners erster Bericht, der dem Büchlein den Titel gab, lässt sich als eiskaltes  Zeugnis von Menschen- und Tierversuchen ohne jede Emotion des Berichtenden lesen:
Eine junge Frau verschluckt aus Liebeskummer Näh- und Stecknadeln und bittet dann Dr. Büchner, sie aufzuschneiden und davon zu befreien. Stattdessen behandelt der sie mit Brech- und Abführmitteln und notiert ihre Mitteilungen, wann sie wie viele der Nadeln auf natürlichem Weg wieder ausgeschieden hat. Um die organischen Vorgänge hierbei möglichst präzise zu analysieren, schafft Büchner später einen Hund an, der über Tage mit verschiedenen Nadeln gefüttert wird; nachdem eine erste Portion tatsächlich ausgeschieden wird, ohne dass der Hund wahrnehmbar litt, wird er dann ein zweites Mal mit Nadeln gefüttert, erschlagen und seziert, „… und die Eröffnung der Bauchhöhle geschah so schnell, … daß man die peristaltischen Bewegungen des ganzen Darmkanals noch mehrer Minuten lang recht stark vor sich gehen sah“. Unsere Autoren bemerken im Nachwort: „Die lapidar mitgeteilte Tötung des Versuchs-Hundes, die Georg als zehnjähriger sehr wahrscheinlich miterlebt hatte, wird als Erinnerungsposten einer kindlichen Empörung lebendig geblieben sein“. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass sich die Geschichte im Jahre 1823 ereignete, zu einer Zeit, zu der unsere heutige Sentimentalität gegenüber allem Lebenden (solange es nicht zerteilt in der Kühltheke liegt) noch nicht an der Tagesordnung war. Georg Büchner hat sicher Hausschlachtungen erlebt, zum Beispiel bei den Großeltern in Reinheim oder beim Onkel in Goddelau, und nicht erst seit Hermann Nitsch wissen wir, dass Schlachtfeste vergnügliche Angelegenheit sein können. Ob ihn das Töten von Tieren also eher abgestoßen oder fasziniert oder überhaupt nicht berührt hat, möchte ich lieber offen lassen: wie so oft, bietet sich auch hier zu leicht die Gelegenheit, unsere Interpretationen als Folie über Georg Büchners Leben zu legen.

Ernst Bücher jedenfalls hat die Patientin, die ihm später erneut von verschluckten Nadeln erzählt, dann noch einmal mehrer Tage lang eingesperrt und unter Kontrolle Nadeln aufnehmen und ausscheiden lassen. Im Laufe dieses Experimentes scheint sie 95 Näh-, 32 Steck- und 1 Stopfnadel(n) ausgeschieden zu haben. Bedauernd schließt er seinen Bericht mit der Mitteilung, dass es „die Patientin schließlich für besser befunden hat, sich einem anderen Arzte anzuvertrauen …“.

War Ernst Büchner ein ignorantes Monster, das sich seinem Gegenstand ohne jede Emotion näherte? Das ebenfalls abgedruckte „Gutachten über den Gemütszustand eines Soldaten im Augenblick seines Vergehens im Dienste, durch tätliches Vergreifen am Vorgesetzten„, mit dem er dessen Freispruch erwirkte, lässt sich anders lesen. Er kommt zu dem Ergebnis, „ … dieser Zustand, welcher von den Schriftstellern vorübergehender Wahnsinn genannt wird, ist unseres Erachtens … nach wissenschaftlichen Grundlehren … möglich und erklärbar…“, und später, dass es  „nach wissenschaftlichen Grundlehren … in den Grenzen der Möglichkeit liege, daß derselbe … in einem Anfall von vorübergehendem Wahnsinn, in sein Vergehen geraten sein könne…“.

Das Grundthema seiner Söhne Georg und Ludwig allerdings,

Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt ?

scheint ihn nicht zu interessieren – er beschränkt sich auf nüchternsten Augenschein. Vermutlich war der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis ohne Empiriker wie Ernst Büchner nicht möglich; die Abkehr von vorwissenschaftlichen Erklärungen bedurfte wohl des scharfen Schnittes. Immerhin musste Büchner sich ja im Fall der „verbrannten Gräfin“, über den hier bereits berichtet wurde, noch 1850 mit der Behauptung herumschlagen, dass sich TrinkerInnen gelegentlich selbst entzünden und so ums Leben kommen könnten. Aus heutiger Sicht steht außer Frage, dass Ernst Büchner Empathie für seine PatientInnen bestenfalls anders als Ärzte heute, vielleicht auch gar nicht, empfand. Dass er aber, wie es Boehncke und Sarkowicz für wahrscheinlich halten („wahrlich verwandt“) und es Hubert Spiegel in seiner Rezension für die FAZ dann schon für sicher nimmt, “ .. nicht ohne Einfluss auf eine der zentralen Szenen im „Woyzeck“ geblieben sein dürfte: Gemeint ist das berühmte Erbsen-Experiment, das der Regimentsarzt an Woyzeck durchführt“, ist dann doch eine sehr starke Behauptung. Georg Büchner war umgeben von „Ärzten“ und „Wissenschaftlern“, die skrupellos experimentierten. Corinna Nauheimer hat 2008 in ihrer Magisterarbeit  (bei Heiner Bohencke) „Georg Büchner als Rebell – Revolutionäre Ideen während der Studienzeit in Gießen 1833/34″ wieder einmal erläutert, mit welchen Schraten von Universitätslehrern er sich dort herumschlagen musste. Johann Bernhard Wilbrand wird ja schon lange als Vorbild des Doktor im Woyzeck beschrieben. Vorbilder für unmenschliche Wissenschaftler gab es sicher reichlich.

Boehncke und Sarkowicz fragen nach der „Schreibsozialisation“ Georg Büchners und stimmen Jan-Christoph Hauschilds Urteil zu, dass „die phrasenlose Präzision in der Sprache“ väterliches Erbteil sei und schließen zu Recht: „Ernst Büchner hat über Fälle berichtet, Georg beschrieb auf der Basis von Fallgeschichten das seelische und körperliche Leiden anhand von literarischen Figuren. Georg Büchner hat gerichtsmedizinische Gutachten im Woyzeck, den Bericht des Pfarrers Oberlin im Novellenfragment Lenz aus ihren moralisch-juristischen Kontexten gerissen, um sie in die Fallgeschichten zu verwandeln, an denen ihm gelegen war – in literarische Fälle…. Das ist in der Tat das schönste Ergebnis dieser lehrreichen Lektüre: hier liegen wichtige Dokumente der Medizingeschichte vor, die uns gleichzeitig wertvolle Hinweise auf die Schreibwerkstatt Georg Büchners bieten.

Der abschließende Hinweis auf weitere Materialien im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt, nämlich gedruckte und ungedruckte Hinterlassenschaften Ernst Büchners in Gutachten des Darmstädter Medizinalkollegs, darf als Aufforderung zu weiterer Recherche verstanden werden.

 

Kehrseite: negativer Aspekt der Sache

Seit Jahren vagabundiert ein Bild durch die Welt, das einen blondgelockten Jüngling „mit Logenbijou“ zeigt und für Georg Büchner ausgegeben wird.

 

Offenbar war es aus unerfindlichen Gründen in Walter Killy Literaturlexikon abgedruckt worden und hat von da aus seinen Eroberungszug angetreten. Bereits im Januar 2012 ist auch die Frankfurter Rundschau in einem online leider nicht mehr verfügbaren Artikel auf diese Fälschung reingefallen und hat sie anderntags korrigiert.

Bei einem kürzlichen Treffen der Büchner-Initiativen zur Jubiläums-Biennale Büchner 12/13 hat der Leiter der Büchner-Forschungsstelle in Marburg, Professor Burghard Dedner, so darauf hingewiesen:

„ … weist darauf hin, dass es nur zwei zu Lebzeiten entstandene Porträts Büchners gibt: Die Bleistiftskizze von Alexis Muston, die Büchner bei einer Wanderung durch das „Felsenmeer“ im Odenwald zeigt (eine weitere Federzeichnung Mustons von Georg Büchner entstand vermutlich später aus der Erinnerung) und das Porträt Heinrich Adolf Valentin Hoffmanns. Es existiert in etlichen, aber immer schwarz-weißen Abwandlungen. Ein – farbiges – Bild, das außerdem als Büchner-Porträt kursiert, zeigt einen jungen Mann im grünen Wams mit dem Abzeichen eines niederländischen Freimaurer-Ordens. Hierbei handelt es sich NICHT um Georg Büchner: Das Bild ist in der Überlieferungsgeschichte nicht verzeichnet und tauchte erst nach dem zweiten Weltkrieg auf. An die Runde ergeht die Bitte, das „falsche“ Porträt in Publikationen, Programmhinweisen u.ä. nicht zu verwenden!

 

          

 

Das alles konnte nicht verhindern, dass die geschäftstüchtigen Verantwortlichen des BTN Versandhandels GmbH eine Medaille anbieten, bei der sich allen Kennern buchstäblich die Haare zu Berge stellen. Nicht genug damit, dass anlässlich 200. Geburtstages 2013 (ja, sie sind die Ersten!) das schreckliche Lockenkopfbild verwendet wurde, die Randprägung lautet „Einigkeit und Recht und Freiheit“ und auf der Rückseite sind unter den Schwingen eines Adlers die Wappen der aktuellen Bundesländer versemmelt versammelt.

 

                                                  

Den erläuternd beigegebenen Text stelle ich hier im Original und vollständig zur gefl. Kenntnisnahme:

                                          

 „Einigkeit und Recht und Freiheit“ hat bekanntlich August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 für sein „Lied der Deutschen“ gedichtet, da war Georg Büchner leider schon seit 4 Jahren tot. Es ist auch mehr als fraglich, ob er diese Parole getragen hätte – sie ihm auf diese Art und Weise unterzuschieben ist jedenfalls kaum anders denn als Blödsinn zu bezeichnen. Über Bundesadler und Landeswappen auf der Rückseite möchte ich den Mantel christlicher Nächstenliebe decken, statt sie zu kommentieren.

Wir haben also zu vermelden: es erschien eine Medaille, die Georg Büchners 200. Geburtstag zum Anlass nimmt, aber überhaupt nichts mit ihm und seinem Gedenken zu tun hat.  Mal seh‘ n, was da noch alles auf uns zu kommt … 

Villa Büchner in „Monumente“

Carola Nathan, die Chefredakteurin von Monumente, der Zeitschrift der Deutschen Stiftung Denkmalsschutz, hat auf einer Recherchereise kürzlich die Pfungstädter Villa Büchner besucht. Die Stiftung hatte die Sanierungsarbeiten großzügig unterstützt.

Soeben ist die neueste Ausgabe erschienen, die hier online gelesen und auch per Post bezogen werden kann. In der Strud´l Stub´n der Villa liegt sie auch für Interessenten zur Mitnahme aus.

Frau Nathan hat anlässlich des Schwerpunktthemas zum Tag des offenen Denkmals  „Holz“ geschrieben; Türen, Wandverkleidungen, insbesondere aber die wunderschöne „falsche“ Holzdecke im Speisezimmer der Büchners sind ihr Thema.

„Die Architekten nahmen Bezug auf historische Strömungen – für die äußere Gestaltung genauso wie für die innere. Manchmal mischten sie die Stile, und es ist noch gar nicht so lange her, dass der Historismus aufgrund seiner Kopien und seines Stilpluralismus bei den Kunsthistorikern keine Gnade fand“ schreibt sie zum „gründerzeitlichen Historismus“ der Villa.

Der Festsaal der Villa mit (rekonstruiertem) Eichenparkett. Fenster und Türen sind unter Verwendung der Originale wiederhergestellt; die „Bierlasur“ gaukelt die Maserung wertvollerer Holzarten vor.

Christian Wirmer erzählt Lenz als einen neuen Text

Kurt Drawerts Darmstädter Lesebühne hatte gestern Abend zu einem Büchner-Abend eingeladen, und an die fünfzig höchst interessierte und aufmerksame Gäste kamen.

 

Im Vordergrund stand Christian Wirmers Interpretation von Büchners Lenz. Ganz frei, wie erzählt, wie gerade erlebt trug er den großartigen Text vor. Das bewies erneut, wie „aus der Zeit” Büchners Texte, die ja eigentlich inhaltlich ganz konkret angesiedelt und zuordenbar sind, dennoch wirken. In allen Wendungen der „Novelle” verzichtet Wirmer darauf, „dem Affen Zucker zu geben”. Weder er als Interpret noch der Text selbst haben es nötig, dass wir mit der Nase auf die richtige „Stelle” gestoßen werden. Lenz´ Sprung in den Brunnen, die Beschwörung am Bett des toten Kindes, der erste und der letzte Satz, alles bleibt im Duktus der Erzählung, und Wirmer füllt den Begriff Erzählung auf, wie es dem Publikum noch nie begegnet war. Da steht ein Mann und spricht, e r z ä h l t , und wir hören einen altbekannten Text plötzlich wie zum ersten Mal.

 

 (Christian Wirmer)

 

Büchners Lenz ist wirklich zum Erzählen geschrieben (neben dem „Landboten” ist es ja auch sein einziger Prosatext), und das führt Christian Wirmer unpathetisch vor. Es gibt ja in der Büchner-Familie die belegte Tradition des Erzählens, Luise Büchner schildert das im „Dichter”, Georg spielt gerne mit erzählenden Figuren, Luise Büchner selbst hat ihre Märchen zuerst Ludwig Büchners Kindern vorgelesen. Vielleicht müssen wir uns ab jetzt den Lenz als eine (wörtlich) E r z ä h l u n g Georg Büchners denken, als einen Text, von einem Dramatiker als Sprechtext geschrieben.

 

Der Verdienst, diesen wichtigen Gedanken angeregt zu haben, gehört Christian Wirmer. Nach über einer Stunde konzentriertester Aufmerksamkeit lobte das Publikum mit anhaltendem Beifall.

 

 

(Drawert, Breckner, Apelt, Benz)

 

Drawert hatte den ehemaligen Darmstädter OB Peter Benz, den Darmstädter Schauspieldirektor Martin Apelt und den Feuilletonchef des Darmstädter ECHO, Johannes Breckner, gebeten, im zweiten Teil der überlangen Veranstaltung Anmerkungen zur Aktualität Büchners zu machen. Dies geschah in der erwartbaren Art und Weise. Am bemerkenswertesten daraus vielleicht Breckners Bemerkung, vor den bevorstehenden Büchneriana der beiden Jubiläumsjahre müsse man keine Bange haben – „Büchner hält das aus”.

 

 

 

 

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