1825 erschien in Giessen eine kleine Schrift des Criminalgerichtssekretärs Carl Franz, in der dieser mit Auszügen aus den Gerichtsakten und in freier Erzählung Hergang, Aufklärung und Ende eines Raubes im ärmsten und rückständigsten Teil des Großherzogtums berichtet: eine Gruppe von Bauern überfiel am 19. Mai 1822 das sogenannte „Geldkärrnchen” und machte große Beute. Bis auf einen Beteiligten, der – wohl nach Amerika – fliehen konnte, wurden alle verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt.
Sodann mit der drückendsten Armuth und Dürftigkeit kämpfend, nimmt er (der Wilddieb – pb), schon gewöhnt an Verbrechen und vertraut mit den Gefahren, die sie begleiten, zu den verzweifelten Mitteln, zu Diebstahl und Raub, seine Zuflucht, die ihn immer tiefer in den Pfuhl alles Verderbens ziehen und endlich an einen entsetzlichen Abgrund führen. (aus der Einleitung)
Das kleine Heft hat Karriere gemacht – hundert Jahre später, 1933, erschien ein Reprint in Marburg, 1971 machten es Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff zur Grundlage ihres Films „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“, 1978 wurde es, illustriert von Johannes Nawrath, zum ersten Titel des aufstrebenden Marburger Jonas Verlags, der den Text 1986, jetzt illustriert von Wilhelm M. Busch, ein erstes Mal und, gerade eben, als schlichte Textedition ein zweites Mal wieder auflegte.
Für den Herbst 2015 schließlich wurde der Text die Grundlage eines Freilicht-Musicals bei den diesjährigen Schlossfestspielen in Biedenkopf, dem kleinen Residenzstädtchen, das bei wikipedia unter wenig Anderem eine ausführliche Erwähnung des Kartoffelbratens verdient hat. Für das Musical, das am 21.8. vor bereits ausverkauftem „Haus” uraufgeführt werden soll, schrieb Birgit Simmler das Libretto, die Musik ist von Paul Graham Brown ( „Eine Hetzjagd aus Verrat, Bestechung und Bedrohung bringt Liebe und Freundschaft ins Wanken. Wer gefasst wird, dem droht der Tod.” Quelle: website ).
Was soll das im Büchner-Blog?
Spätestens seit Trotta/Schlöndorffs Verfilmung ist klar, dass der schlichte Text des Gerichtssekretärs eine ganz hervorragende Schilderung der Verhältnisse unter den armen Bauern des hessischen „Hinterlandes“ bietet. Lebensverhältnisse, wie sie Friedrich Weidig und seinen Genossen tagtäglich als das geplagte Leben der potentiellen Leser des Hessischen Landboten (und damit auch der Protagonisten des ersehnten Aufstandes) vor Augen standen. Der oben verlinkte wikipedia-Artikel erwähnt den Postraub leider ebensowenig wie den Mann, der später jahrelang Landtagsvertreter der Bauern in Darmstadt war: kein geringerer als der Büchner-Freund August Becker vertrat in der Hessen-Darmstädtischen Hauptstadt das Hinterland von 1849 bis zu seiner Auswanderung in die USA 1853 (12. – 14. Wahlperiode). Anders als Wilhelm Büchner, dessen Polit-Engagement mit der widerrechtlichen Auflösung des zweiten „Revolutions-Landtages“ von 1849 vorläufig endete, ist Becker auch für die beiden folgenden Landtage von „seinen” Bauern gewählt worden.
Wer also aus erster Hand wissen will, wie elend und unterdrückt die Hinterländer Bauern in den 1820er Jahren leben mussten, der schaffe sich dieses Büchlein an. Und besorge sich dann den Film. Und gehe schließlich, ausreichend vorbereitet, zu den Festspielen nach Biedenkopf.
von Peter Brunner
Schreibe einen Kommentar