Ja, das war mein Beitrag zum 1. April (den „Mathilde-Brief“ gibt’s aber wirklich, Jan-Christoph Hauschild hat ihn gefunden und mich drauf aufmerksam gemacht, auch die Korrespondenz mit Cordelia Scharpf ist echt. In Kürze mehr dazu.): 

 

 

Am 25. März konnte ich bei einem persönlichen Besuch im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin endlich bestätigen, was sich in den letzten Wochen für mich als wahrscheinlich herauskristallisiert hat:

 

Georg Büchners verschollenes Aretino-Drama ist wieder aufgetaucht!

 

Unter der unscheinbaren Signatur VI. HA Nl Lenz, M., Nr. 32 findet sich dort ein Brief von Mathilde Büchner verzeichnet. Diesen Brief habe ich kürzlich in Kopie erhalten und konnte jetzt bei Einsicht in das gesamte Konvolut eine Anlage finden, die das Findbuch nicht verzeichnet. Mathilde Büchner, das ist ja schon Sensation genug, hat also tatsächlich Korrespondenz unterhalten, und zwar immerhin so regelmäßig, dass sie über eine Prägezange mit ihren Initialen verfügte und mit der sie Ihre Briefe kennzeichnete. Hier die ersten Zeilen mit der Absender-Prägung:

Mathilde_Briefkopf

Sie schreibt am 16. März 1876 an eine „Liebe, verehrte Frau Doctor“ in Berlin und schildert das Schicksal einer Sendung, die sie wohl zunächst an die Schwester Luise Büchner, die sich vorübergehend in Berlin aufhielt, geschickt hatte. Das Päckchen kam aber zurück, weil Luise bereits abgereist war, und dann hat es Mathilde Büchner direkt an die Empfängerin gesandt. Offenbar handelt es sich um eine Anlage von einiger Bedeutung.

Es findet sich in der Akte ein Schriftstück von 96 durchgehend nummerierten Seiten in Mathilde Büchners Handschrift, 24 etwa DIN A 4 große Blätter, als Stapel mittig gefaltet und vierseitig fortlaufend beschrieben. Offenbar hat Mathilde Büchner eine Reinschrift von einem Drama ihres Bruders angefertigt; allerdings hat das Schriftstück weder einen Titel noch trägt es einen Verfassernamen.

Der Text beginnt so:

Ein Marktplatz. Buden, Verkäufer, Volk. 

WANDERPREDIGER: Mensch, was bist Du? Du bist gemacht aus Dreck und spazierst eine Weile im Dreck herum und machst selbst Dreck und wirst schließlich wieder zu Dreck, bis du zuletzt an den Sohlen eines Deiner Urenkel klebst als Dreck.

 

Bei der Empfängerfamilie Lenz/Rohde handelt es sich um die Familie des Berliner Historikers Max Lenz. Eine Verbindung der Büchers konnte ich noch nicht im Detail recherchieren, allerdings schreibt mir dazu Cordelia Scharpf, die Biographin Luise Büchners (zum Zeitpunkt dieser Korrespondenz wusste ich noch nichts von der jetzt gefundenen sensationellen Anlage) :

 

–Datierung: Der Zeitpunkt des Briefes fällt mit Luise Büchners Besuch in Berlin im Mai 1876 zusammen, nachdem sie als eine der drei Delegierten der Alice-Vereine aus Darmstadt an der Konferenz des Lette-Verbands (auch: Verband Deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine) im April in Hamburg teilgenommen hatte. Wie sie an Karl Gutzkow am 31. Mai 1876 schrieb (s. Aufsatz von Gerhard K. Friesen in Hausberg/Schmidt: „Feder und Wort sind euch gegeben so gut wie dem Manne!“), verbrachte sie nach der Konferenz einige Zeit in Berlin, um dort u.a. Bildungseinrichtungen und berufsfördernde Schulen für Mädchen und Frauen zu besuchen und einige Freunde aufzusuchen. Danach verbrachte sie zehn Tage bei Marie Calm, einem Mitglied im Ausschuss des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (Leipzig) in Kassel, die dort ähnliche schulische Einrichtungen wie in Darmstadt initiierte und leitete.

–Adressatin: Die Familien Lenz und Rohde sind bisher nicht in Luise Büchners Briefen erwähnt worden. Wie Sie vielleicht schon aus dem Artikel in Wikipedia herausgefunden haben, handelt es sich bei Dr. Max Lenz (1850-1932) um einen Historiker, der 1874 seinen Doktorgrad erworben hatte und in Marburg a.L. am Geheimen Staatsarchiv wirkte, bevor er nach erlangter Habilitation ordentlicher Professor u.a. an der heutigen Humboldt-Universität in Berlin wurde. Da er die Pianistin Emma Rohde erst 1879 heiratete, ist zu vermuten, dass Mathilde Büchner an seine Mutter geschrieben haben könnte – sie erwähnt das verminderte Augenlicht der Adressatin – Max Lenz‘ Vater Gustav Lenz war Jurist und könnte promoviert haben, daher „Frau Doctor“. Wie und wo die Schwestern Büchner die Eltern Lenz kennen lernten, entzieht sich meiner Kenntnis.“

 

Offenbar wollten sich die Büchner-Schwestern den Rat eines Historikers über den unveröffentlichten Text ihres Bruders einholen. Dass Mathilde das im Brief dann nicht erwähnt, erklärt sich leicht aus dem unmittelbar vorhergegangenen Besuch Luises in Berlin: offenbar hatte sie die Adressatin bereits auf die bevorstehende Sendung aufmerksam gemacht, so dass sie sich in ihrem Begleitbrief alleine auf die technischen Umstände beschränkt.

Ich bin mir halbwegs der Tragweite dieses Fundes bewusst und verzichte daher aus zahlreichen guten Gründen auf ausführlichere Zitate. Allerdings mache ich bereits jetzt Urheberrechtsschutz gemäß § 71 UrhG auf die Erstveröffentlichung von Georg Büchners „Pietro Aretino“ geltend. Ich will alles daran setzen, dass der Text der Forschung so schnell wie möglich zur Verfügung steht und hoffe, dass es noch im Jahr von Georg Büchners 200. Geburtstag zu einer Aufführung dieses lange gesuchten Werkes kommt.