Ludwig Büchner hat regelmäßig in der Gartenlaube veröffentlicht – ein besonders guter Beleg für seine volkspädagogischen Absichten.  1894 erscheint ein Aufsatz zu Sonnenlicht und Sonnenkraft, den die geneigte Leserin wahlweise als Beitrag zum hoffentlich andauernden Sommer oder zur allfälligen Energiedebatte nehmen darf. Fast unglaublich auch hier wieder die Volte, diesmal im allerletzten Satz, doch noch eine Möglichkeit zu finden, die Familie zu erwähnen.

Aus den Provider-Daten weiß ich, dass die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hier auf den Geschwister-Büchner-Sites etwa 40 Sekunden (mit leicht steigender Tendenz) beträgt – daher also nur ein uns Heutigen überschaubarer Auszug des Textes aus einer Zeit, als man statt zu surfen oder fernzusehen stundenlang die Gartenlaube las;  hier findet er sich für alle Interessierten in voller Länge.

 

Die Gartenlaube (1894)

 

Sonnenlicht und Sonnenkraft.

von Professor Dr. Ludwig Büchner.

 

(S. 699) Wenn wir heute lesen, dass so viele Völker des Altertums …die Sonne als einen Gott angesehen und ihr göttlicher Verehrung erwiesen haben, und dass dieses ganz oder teilweise bei manchen wilden oder halb wilden Völkern … bis auf den heutigen Tag der Fall ist, so lächeln wir wohl über solche Einfalt, da wir wissen, dass die Sonne kein Gott, sondern nichts anderes ist als dasjenige, als welche sie bereits der griechische Philosoph Anaxagoras im fünften Jahrhundert v. Chr. mit einer für seine Zeit bewunderungswerten Voraussicht bezeichnete, d.h. ein „feuriger Klumpen“.

Mag es nun Instinkt, Ahnung oder Zufall gewesen sein, was die Ursache für die so weit verbreitete Anbetung der Sonne als einer Gottheit geworden ist, man kann nicht leugnen, dass unter den verschiedenen religiösen Naturdiensten des Altertums keine eine so große innere Berechtigung gehabt hat wie gerade der Sonnendienst. Ist es doch heute keinem wissenschaftlichen Zweifel mehr unterworfen, dass nach Maßgabe des großen Gesetzes von der Haltung oder Unsterblichkeit der Kraft die Strahlen der Sonne in der That jenen unerschöpflichen Behälter bilden, aus welchem der gesamte Kraftvorrat der Erde sein Dasein herleitet. Wollte heute die Sonne aufhören zu leuchten, so würde – auch ganz abgesehen davon, dass Leben ohne Licht überhaupt unmöglich ist – sehr bald ein jeder Art von Leben unverträglicher Stillstand aller Kraftwirkungen oder Kraftumwandlungen eintreten. … Schwindet die Kraft in einer Form, so erscheint sie dafür sicher in einer anderen; und wo sie in neuer Form erscheint, da sind wir auch sicher, dass eine ihrer anderen Erscheinungsformen verbraucht ist.

Wenn auch die Erde nicht alle ihr auf diese Weise von der Sonne zuströmende Kraft zu ihren Zwecken verbraucht, sondern eine große Menge davon wieder als Wärme in den kalten Weltraum zurück strahlt, so findet doch der größte Teil eine sehr praktische Verwendung auf Speicherung, welche sich schon in den Vorbedingungen des Lebens in einer Weise geltend macht, dass ohne sie Leben überhaupt eine Unmöglichkeit wäre. …

 

Wenn somit schon Leben überhaupt ohne diese von der Sonne abhängigen Vorbedingungen auf die Erdoberfläche undenkbar ist, so wird diese Abhängigkeit von ihrer mächtigen Herrschaft noch viel deutlicher, wenn wir das Leben selbst ins Auge fassen. Wir sind, gerade so wie die Quellen, Bäche und Flüsse, von denen die Rede war, Sonnenkinder oder lichtgeborene Wesen, und zwar nicht bloß in bildlichen, sondern in ganz wörtlichem oder mechanischem Sinne. Wenn wir hungrig sind, ist es die Sonne, welche uns speist. Wenn wir durstig sind, ist es die Sonne, welche uns tränkt. Wenn wir Arbeit verrichten, einerlei, ob körperlich oder geistig, ist es wiederum dieselbe Sonne, welche die dafür erforderliche Kraft liefert oder leiht.

 

Denn Licht und Wärme sind die Nahrung der Pflanze. Unter dem Einfluss dieser zwei mächtigen Naturkräfte, welche aber nur eine einzige Kraft bilden, da Licht nur eine besondere Form der Wärme darstellt, zersetzt die Pflanze bekanntlich die Kohlensäure der atmosphärischen Luft derart, dass der Sauerstoff frei und der Kohlenstoff in dem Gewebe der Pflanze, deren Hauptbestandteil er bildet, festgelegt wird. Oder – mit anderen Worten – die lebendigen Kraft der Sonnenstrahlen wird in die ruhende oder Spannkraft der von der Pflanze erzeugten Stoffe umgewandelt. Diese Stoffe nähren nun das Tier. Tier und Pflanze nähren den Menschen – abgesehen davon, dass der durch den geschilderten Prozess des Pflanzenwachstum freigemachter Sauerstoff das unentbehrliche Lebenselement aller luftatmenden Wesen bildet.

 

…Titelbild Gartenlaube 1894

Das Titelbild des Jahrgangsbandes der Gartenlaube von 1894

 

Also genießen wir in der Pflanze oder im Tier, das von ihr gelebt hat, ein Stück Sonnenwärme oder Sonnenlicht oder Sonnenkraft und erzeugen damit alle Kraft unseres Leibes und Lebens. Wir können daher mit vollem Recht sagen, dass die Sonne, in dem Sie unsere Speisen erzeugt, auch die einzige und letzte Quelle aller von unserem Körper entwickelten Kräfte, Bewegungen und Tätigkeiten ist. Wir sind – um es zu wiederholen – im wahren und vollen Sinne des Wortes Sonnenkinder.

…

Die Kraft, welche die Dampfmaschine treibt oder die schnaubende Lokomotive mit ihrer angehängten Last spielend über die Schienen dahin jagt, ist nichts anderes als ein Tropfen Sonnenwärme oder Sonnenlicht, der ehemals in eine Pflanze umgewandelt, alsdann in die Erde eingesammelt, mit Schutt, Steinen und Lehm bedeckt und heute wieder durch die Hand des Menschen dem dunkeln Schoß der Erde entrissen wurde, um von neuem in Licht und Wärme umgewandelt zu werden. Daher die Lokomotiven von den Gelehrten mit Recht den poetischen Namen der „Sonnenrosse“ erhalten haben.

…

Ja, alles dieses stammt aus der nämlichen Quelle ebenso wie alle Erzeugnisse menschlicher Zivilisation. Sonnenkraft ist die Kraft, welche mir gestattet, mich zu bewegen und zu empfinden, ebenso wie die Bewegung des Blutes in meinen Adern oder die Bewegung meines Armes, welcher in diesem Augenblick meine Feder führt, oder der Gedanke, welchen ich wiederzugeben versuche, oder das Vergnügen, welches empfinde, indem ich diese Arbeit mit den Worten meines Vaters schließe: „Überall Wandlung – nirgendwo Vernichtung. In der organischen wie in der physischen Welt, in den lebendigen wie in den toten Körpern ist ununterbrochene Bewegung. Vollkommene Ruhe gibt es nicht. Alles verwandelt sich, und aus dem Schoß des Staubes erblüht ununterbrochen neues Leben.“