Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Zeitgen (Seite 2 von 5)

Leben, Kochen, Putzen, Historisches

„God’s word on horse’s back“- vor 143 Jahren starb August Becker

Am 26. März 1871, vor 143 Jahren, starb in Cincinnati, Ohio, der deutsche Revolutionär August Becker.

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Der Markierungsstein des Friedhofsbereiches zu Beckers Grab
(Foto: M. Breidenbaugh)

Beckers unglaubliches Leben steht im Schatten Georg Büchners, dessen Freund und Mitverschworener er 1833 in Gießen war. Von 1835 bis 1839 saß er für die Mitarbeit am „Hessischen Landboten“ im Gefängnis. Seine Aussagen im Umfeld der Demagogenverfolgung zeigen ihn als klug. umsichtig und loyal. Erst nach deren Tod sagt er über die Genossen Weidig und Büchner aus, und die Aufzeichnungen dazu lesen sich wie Solidaritätserklärungen. Es ist Becker, auf dessen Aussagen sich bis heute die meisten Analysen über die Urheberschaft des Landboten beziehen; von ihm wissen wir, dass Weidig Büchners Begriff „die Reichen“ durch „die Vornehmen“ ersetzen ließ.

1839 wandert er nach Zürich aus, gründet einen deutschen Handwerkerbildungsverein und kommt in Verbindung mit einem „Propheten“ des Arbeiterkommunismus, Wilhelm Weitling.Der Glockenklang der Revolution ruft ihn zurück nach Deutschland, am Tag der Aufhebung der Pressezensur, am 6. März 1848, erscheint in Gießen sein „Jüngster Tag“ – Georgs Brüder Alexander und Ludwig sind eifrige Textlieferanten.

Nach dem Scheitern der Revolution ist er von 1849 bis 1853 gewählter Angeordneter im Darmstädter Landtag – im 50. und 51. Landtag 1849/50 sitzt er neben dem nächsten Büchner – Wilhelm Büchner ist ebenfalls Abgeordneter in den „Revolutionslandtagen“.

 

1853 droht ihm eine Anklage wegen Gotteslästerung; er soll gesagt haben, eine weitere Haft in Hessen könne er nicht ertragen. Er wandert in die USA aus, ist von 1861 – 65  unter Steuben Feldprediger (!) mit dem schönen Beinamen „God’s word on horses back“. Bis zu seinem Tod arbeitet er als Zeitungsmann; in Baltimore, New York, Washington und schließlich Cincinnati ist er Herausgeber deutschsprachiger Zeitschriften.

Nach langen Bemühungen ist es mir gelungen, Bilder von seinem Grab zu beschaffen, und ich bin Margaret Breidenbaugh aus Cincinnati sehr dankbar für ihre großartige Unterstützung dabei.

 

 

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Grabstein August Beckers (17. August 1812 – 26. März 1871)
(Foto: M. Breidenbaugh)

August Becker wird im neuen Programm der Büchnerbande eine Rolle spielen. Gerade eben las ich einen Brief von Fritz Hecker, einer anderen deutschen Revolutionsikone, an ihn, in dem die Gründung des Deutschen Reiches in Versailles am 18. Januar 1871 sehr viel kritischer beschrieben wird als in den meisten zeitgenössischen Quellen.

Eduard Leyh, selbst Amerika-Auswanderer und Publizist, nennt Becker in der Gartenlaube (12/1875) seinen „alten Freund und Mentor“ und zitiert ihn mit einer spannenden These zur amerikanischen Nationalhymne:

„ … er meinte, eine so herrliche Melodie könne gar kein Amerikaner erfinden, dieselbe sei entschieden deutsch. Als Beweis führte er den Endreim eines hessischen Soldatenliedes an, welcher lautet:

 

„Unser Landgraf, der soll leben, und die Landgräfin daneben!
Hesse-Darmstädter sein mir, ja Hesse-Darmstädter sein mir.“

Becker argumentirte nun, daß die damals von ihren sauberen Fürsten an die Engländer verschacherten Hessen dieses Lied auf amerikanischem Boden häufig gesungen hätten und die Melodie hier von den Amerikanern aufgegriffen worden sei. Thatsächlich herrscht zwischen dem Liede der Darmstädter Patrioten und dem Endreime unserer Nationalhymne große Aehnlichkeit und ich war immer geneigt, Herrn Becker in diesem Punkte Recht zu geben;

 

 

von Peter Brunner

Was du gewollt, wofür du hast gelitten, hat Deutschlands Volk sich muthig jetzt erstritten

… das hofften die Demokraten der 1848-Revolution im September 1848 – es hat dann noch bis 1918 gedauert, bis endlich der Monarchismus beseitigt und freie, gleiche und geheime Wahlen in Deutschland durchgesetzt waren.

Wenige Tage nach Georg Büchner starb in Darmstädter Haft am 23. Februar 1837 der Butzbacher Pfarrrer Friedrich Ludwig Weidig, den seine Freunde Fritz nannten.

 

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Hier habe ich darüber schon im letzten Jahr berichtet. 

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Weidigs Grab auf dem Darmstädter Alten Friedhof (Februar 2013) 

Weidig gehört zu den wichtigsten frühen Demokraten Hessens, die Bedeutung seines unermüdlichen, tapferen  und konsequenten Einsatzes für Gleichheit und Gerechtigkeit kann kaum überschätzt werden. Lange vor der Verschwörung zum Hessischen Landboten hat Weidig schon 1814 einen Turnplatz eingerichtet und dort Turn- und Exerzierübungen organisiert – im Butzbacher Museum zeigt man bis heute hölzerne Gewehr und Säbel der ersten hessischen Turner. Die „Weidig-Stadt” Butzbach hat auf ihrer Homepage hier Weidigs „Predigt vom gemeinen Nutzen” von 1819 veröffentlicht. Er gehörte zu den Vorbereitern des Hambacher Festes von 1832, nahm aber selbst aus Angst vor Verfolgung nicht an dem Treffen teil. Auch in die Planungen des Frankfurter Wachensturms vom 3. April 1833 war Weidig eng eingebunden. Sein „Leuchter und Beleuchter für Hessen”, der als illegales Flugblatt 1834 in insgesamt vier Ausgaben erschien, ist ein wichtiges Dokument der Überlegungen und Planungen der frühen Demokraten. Ihre Unzufriedenheit kulminiert im Wunsch nach der Wiederherstellung alter, vorgeblich besserer Verhältnisse. Wahlkönigtum, Einheit der Nation und Gerechtigkeit sind die zentralen Stichworte. Georg Büchners dagegen aufsässige Forderungen nach radikaler Veränderung und Umsturz hat Weidig sicher nicht gänzlich geteilt, aber geduldet – der Hessische Landbote und das bis heute andauernde Rätsel, welche Textteile von welchem Autor sind und welchen gesellschaftlichen Intentionen entstammen, sind ein beredtes Zeugnis für die strategische Uneinheitlichkeit der Aufrührer. 

Wie Georg Büchner macht sich auch Weidig nach dem Verrat der Landboten-Aktion auf den Weg ins Exil, entscheidet sich aber zur Umkehr und verzichtet auf die prekäre Sicherheit in Frankreich oder der Schweiz. Gut möglich, dass er auf die Wirksamkeit eines öffentlichen Prozesses und die Möglichkeit, dort offen für seine Überzeugungen einzutreten, gesetzt hat. Das unmenschliche und autokratische System gab ihm diese Chance nicht – stattdessen wurde er in Darmstadt mit  skandalösen Verhörmethoden ohne Rechtsbeistand und unter Folter gequält.  Am 23. Februar 1837 wurde er in seiner Zelle schwer verletzt aufgefunden; der verbrecherische Richter Georgi ließ Stunden verstreichen, bis endlich ärztliche Hilfe gerufen wurde. In Deutschland und im Ausland kam es zu zahlreichen Veröffentlichungen, in denen der Darmstädter Justiz die alleinige Verantwortung für Weidigs Tod zugeschrieben wurde. Georgs Bruder Alexander Büchner hat 1848 eine Novelle veröffentlicht, in der er Georgi als Mörder Weidigs bezeichnet, im darauf folgenden Verleumdungsprozeß wurde er in einem der ersten hessischen Geschworenenprozesse freigesprochen. 

An der Zellenwand fand sich mit Weidigs Blut geschrieben der Satz:

Da mir der Feind jede Vertheidigung versagt, so wähle ich einen schimpfl. Tod aus freien Stücken 

 

Im September 1848 wurde in Darmstadt „Zur Inauguration seines Denkmals”, nachdem endlich auch der vorgesehene Text gezeigt werden durfte,  der folgende Text vorgetragen:

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Die beiden Plaketten auf der Vorder- und Rückseite des Grabkreuzes

 

An Dr. Friedrich Weidig,

am Tage

der Inauguration seines Denkmals.

 

Darmstadt, 17. Sept. 1848.

 

 

Verklärter Geist! Blick‘ Du aus Himmelshallen

Herab zu uns ins laute Erdenthal,

Sieh, wie hier freie deutsche Männer wallen

In Eintracht, in der Freiheit goldnem Strahl,

Vernimm der Freiheit Worte, die wir spenden,

die wir hinauf zu deinem Strahlensitze senden.

 

Dein Blut zu sühnen sind wir heut gekommen

Zu deines Grabes blutig düst’rem Rand;

Der Fluch ist nun vom Vaterland genommen,

Uns all‘ umschlingt der Einheit starkes Band.

Drum, hoher Geist, blick‘ segnend auf uns nieder,

Erkenne Deutschlands freie Söhne in uns wieder.

 

Du wolltest brechen Deutschlands Sklavenketten,

Du wolltest brechen Deutschlands tiefster Schmach,

Du wolltest uns von schwerem Druck erretten,

der, einem Alb gleich, rings auf Deutschland lag;

doch für der Freiheit heiligste Verfechtung

Traf dich des Polizeistaats allertiefste Knechtung.

 

Im Kerkernacht als argen Hochverräter

hat dich der Dunkelmänner Brut geführt,

und Dich verdammt als Mietern Missetäter,

weil Du der Wahrheit heiliges Schwert geführt,

weil du gekämpft für unsere höchsten Güter

D’rum würgte dich des Polizeistaats gift’ge Hyder

 

Aus dunkler Kerkernacht, von martervollen Qualen,

Hob sich dein Geist empor zum ew’gen Licht,

um dort in reiner Glorie zu strahlen,

bis einst ein neuer Morgen Bahn sich bricht.

Doch wie Dein heil’ger Streiter Leib gefallen?

Ist noch ein dunkel unauflösbar Räthsel Allen.

 

Dein Blut zu sühnen, sind wir heut gekommen,

die Eulenbrut ist nun durch’s Licht verjagt;

die Schmach ist nun vom Vaterland genommen,

der Freiheit sonnenheller Morgen tagt.

Und überall sieht man in deutschen Gauen

das Volk auf seine eigne Kraft vertrauen.

 

Der Freiheitshauch um schwebt die heil’ge Stätte,

wo deiner Seele ird’sche Hülle ruht;

so schlummre sanft im kühlen Erdenbette,

gesühnt ist jetzt dein heilig Märtyr’blut:

was du gewollt, wofür du hast gelitten,

hat Deutschlands Volk sich muthig jetzt erstritten.

 

Ph. Blüttel.

 

von Peter Brunner

Geredet wird zwar in diesen Parlamenten unendlich viel, aber gethan oder erreicht um so weniger.

Ludwig Büchners letzte Veröffentlichung ist eine Art politisches Testament. „Am Sterbelager des Jahrhunderts. Blicke eines freien Denkers aus der Zeit in die Zeit” hat er 1898, ein Jahr vor seinem Tod, bei Emil Roth in Gießen veröffentlicht.

 

Anlässlich der Tagesereignisse hier ein kleiner Auszug aus dem Kapitel „Politik”

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„Man bedenke ferner, dass der Parlamentarismus keine wirkliche Volksherrschaft bedeutet (namentlich dort nicht, wo er, wie in Deutschland seine Herrschaft mit derjenigen der Krone teilen muss), sondern eine Tyrannei zufälliger Majoritäten in den parlamentarischen Körperschaften. Ja diese Tyrannei kann unter Umständen zu derjenigen eines Einzelnen oder weniger werden, wenn die Stimmenzahl auf beiden Seiten sich so sehr ausgleicht, das eine oder einige Stimmen den Ausschlag geben.

… 

Oder die parlamentarische Mehrheit kann in Wirklichkeit die Minderheit des Volkes, die parlamentarische Minderheit die Mehrheit desselben ausdrücken. … Selbst die allgemeine Hebung der Bildung, welche man als Korrektiv des allgemeinen Stimmrechtes anzusehen oder anzupreisen pflegt, würde schwerlich etwas nützen. Wären z. B. alle französischen Wähler so intelligent, wie die Mitglieder des Senats und der Deputiertenkammer, so würde das allgemeine Stimmrecht nichtsdestoweniger die Herrschaft der Gewalt durch die Zahl sein. Nicht selten hat, wenn sich die Regierungspartei und die Opposition in einigermaßen gleicher Stärke gegenüberstehen, eine verhältnismäßig kleine Fraktion es in der Hand, den Ausschlag nach dieser oder jener Seite zu geben, und beherrscht somit trotz ihrer Minderzahl das Land und seine Interessen. Dazu kommt der erbärmliche, unwürdige Schacher, der zwischen den einzelnen Fraktionen um die heiligsten Volksinteressen nach dem Prinzip „Eine Hand wäscht die andere“ getrieben zu werden pflegt. Überhaupt ist die ehedem nicht gekannte Zerspaltung der gesetzgebenden Körperschaften in eine Anzahl politischer Fraktionen und Fraktiönchen ein Krebsschaden des modernen Parlamentarismus. Früher kannte man das nicht, und der Gegensatz zwischen rechts und links, zwischen Regierungspartei und Opposition war in der Regel der einzige, welcher diese Körperschaften spaltete, während die Zentrumspartei das ausgleichende und vermittelnde Moment darstellte. Heutzutage aber geht jede Fraktion ihre eigenen, mit den Wegen anderer Parteien in der Regel unvereinbaren Wege. Ein ewiges Gezänke oder gegenseitiges unwürdiges Feilschen ist die notwendige Folge, und man muss von Glück sagen, wenn diese Gezänke nicht, wie leider so oft, in gemeine und die Würde der Volksvertretung auf das Schwerste kompromittierende Handgreiflichkeiten ausartet. Fragt man nach der Ursache dieser wenig erfreulichen Erscheinung, so wird sie wohl hauptsächlich darin zu suchen sein, dass nach und nach infolge der großartigen Entwickelung aller materiellen Verhältnisse an die Stelle der ehemaligen Ideal-Politik die jetzt herrschende Interessen-Politik getreten ist, vermittelst welcher jeder Einzelne oder jede einzelne Gesellschaftsklasse bei der allgemeinen Güterteilung soviel Vorteile wie möglich für sich selbst herauszuschlagen sucht. Diese Interessenpolitik ist aber die geschworene Feindin derjenigen Politik, welche Vernunft und Wissenschaft vorschreiben. Wenn z.B. Schutzzölle im Interesse gewisser Gesellschaftsklassen liegen, so werden ihre Vertreter dafür stimmen, einerlei was Wissenschaft und Gerechtigkeit dazu sagen. Oder wenn die Verfechter dieser letzteren im Interesse einer vernünftigen Sozialpolitik Maßregeln zu größeren Ausgleichung des Besitzes vorschlagen, so werden sich die Vertreter der besitzenden Klassen dadurch schwerlich ihre Zustimmung abnötigen lassen. Zwei der hervorragendsten und wohlbegründetsten Forderungen, welch der vernünftige und wissenschaftliche Sozialismus aufstellt, sind bekanntlich einmal die Zurückführung des Grundes und Bodens in den Besitz der Allgemeinheit und zum zweiten die Einschränkung der Erbrechte. Aber wie gering ist die Zahl derjenigen, welche diesen Forderungen zustimmen oder welche überhaupt nur Kenntnis davon genommen haben; und wie noch weit geringer würde die Zahl der Volksvertreter sein, welche es den persönlichen Interessen der Wähler und ihrer selbst gegenüber wagen würden, solchen Vorschlägen auch nur ein Ohr zu leihen! Auch unser, an anderer Stelle dieser Schrift genauer begründeter Vorschlag einer Umwandlung der menschlichen Gesellschaft und des Staates in eine große, auf Gegenseitigkeit beruhende Versicherungsgesellschaft gegen Krankheit, Unfall, Alter, Invalidität und Tod, dessen Ausführung allein schon den größten und drückendsten Teil des sozialen Elends aus der Welt schaffen würde, dürfte in unseren gegenwärtigen Parlamenten schwerlich auf Unterstützung zu rechnen haben, so sehr auch Vernunft und Wissenschaft dafür sprechen. Geredet wird zwar in diesen Parlamenten unendlich viel, aber gethan oder erreicht um so weniger.

Übrigens wird die Politik der Zukunft und damit auch der künftige Parlamentarismus ganz anderen und schwierigeren Aufgaben gegenüberstehen, als den bloß politischen der Gegenwart; denn sie steht, wie in einem späteren Kapitel noch eingehender nachzuweisen werden wird, unter dem Zeichen des Sozialismus oder der Gesellschaftsverbesserung, im Vergleich mit welcher das Streben nach politischer Einheit und Freiheit, so berechtigt dasselbe an sich sein mag, doch nur eine untergeordnete oder zweite Rolle zu spielen vermag. Denn nur der gesellschaftlich und wirtschaftlich Freie kann in Wahrheit auch politisch frei sein!

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(Ludwig Büchner: Am Sterbelager des Jahrhunderts. Gießen, Roth, 2. Aufl., 1900, S. 249 ff)

Sehet, es kroch so nackt und weich in die Welt wie ihr

Der Verfasser ist royalistischer Sympathien ähnlich unverdächtig wie die Familie, die Gegenstand dieses Blogs ist.

 „ … der Mensch … heißt: unverletzlich, heilig, souverän, königliche Hoheit. Aber tretet zu dem Menschenkinde und blickt durch seinen Fürstenmantel. Es ißt, wenn es hungert, und schläft, wenn sein Auge dunkel wird. Sehet, es kroch so nackt und weich in die Welt wie ihr und wird so hart und steif hinausgetragen wie ihr…” (Der Hessische Landbote) 

Dennoch konnte ich nicht vermeiden, die minütlich aktuellen Niederkunfts-Meldungen der britischen Battenberg-Nachfahren wahrzunehmen. Berufenere als ich haben geschildert, wie Alexander von Hessen und seine „unstandesgemäße“ Gattin von Hauke zu dem damals längst ausgestorbenen Titel derer von Battenberg kamen – hier die Details in wikipedia.

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Anton Büchner (1887 – 1985) um 1910

Der schließlich hervorgebrachte Sprössling teilt allerdings ein Schicksal mit einem wesentlich unbekannteren Büchner-Nachfahren: Anton Büchner, Wilhelm Büchners Enkel, Georg Büchners Großneffe, der erste Biograph der Familie Büchner, war vom Büchner-Fieber so unheilbar befallen, dass sein 1920 geborener Sohn die Vornamen Georg Alexander Wilhelm Ludwig, also sämtliche Vornamen seiner Urgroßonkel, trug.

 

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Georg Alexander Wilhelm Ludwig Büchner
mit seiner Stiefmutter Maria, geb. Hoesch, 1948 

 

Der jüngste Windsor-Battenberg heißt immerhin George Alexander Louis, und den fehlende Vornamen Wilhelm trägt sein Vater William – das klingt doch verdächtig nach republikanischen Sympathien im britischen Königshaus?!

Ernst Büchner – der Obermedizinalrat bei der Arbeit

Anlässlich des allfälligen Georg-Büchner-Gedenkens ergeben sich schöne Gelegenheiten, auch an seine verdienstvolle Familie zu erinnern. Kürzlich wurde in Darmstadt am Standort der früheren Gebäude des Kranken-, Armen-, Waisen- und Pfründnerhauses, Grafenstraße 9, am dort neu errichteten Fachärztezentrum durch die Investorengruppe Biskupek-Scheinert eine Gedenkplakette zur Erinnerung an Ernst Büchner angebracht. Der Vater der berühmten Geschwister lebte hier seit 1816 bis mit seiner Frau Caroline und den Kindern Georg, Mathilde und Wilhelm.

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Das Bild zeigt die Damen Rettig und Kaumeier, Ur-Ur-Ur-Enkelinnen (die Tochter natürlich noch eine Generation und ein Ur- weiter) von Ernst Büchner, Nachfahren seines Sohnes Wilhelm Büchner, und die Herren Fritz und Peter Soeder, Ur-Ur-Enkel Ernst Büchners und Nachfahren seines Sohnes Ludwig Büchner.

 

Fast gleichzeitig erscheint soeben das Inselbändchen meiner Freunde Boehncke und Sarkowicz „Versuchter Selbstmord mit Stecknadeln“. (Insel Bücherei 1372, Gebunden, 135 Seiten, ISBN: 978-3-458-19372-2, 14,95 €) . Die beiden haben die in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichten Texte Ernst Büchners zusammengestellt, herausgegeben und in einem klugen Nachwort kommentiert.

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Die Texte wären auch ohne die Verbindung zu Georg Büchner bemerkenswerte Zeugnisse der Entstehung einer kühl-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, wie sie Anfang des 19. Jahrhunderts unter anderem von Medizinern entwickelt wurde. Ernst Büchners erster Bericht, der dem Büchlein den Titel gab, lässt sich als eiskaltes  Zeugnis von Menschen- und Tierversuchen ohne jede Emotion des Berichtenden lesen:
Eine junge Frau verschluckt aus Liebeskummer Näh- und Stecknadeln und bittet dann Dr. Büchner, sie aufzuschneiden und davon zu befreien. Stattdessen behandelt der sie mit Brech- und Abführmitteln und notiert ihre Mitteilungen, wann sie wie viele der Nadeln auf natürlichem Weg wieder ausgeschieden hat. Um die organischen Vorgänge hierbei möglichst präzise zu analysieren, schafft Büchner später einen Hund an, der über Tage mit verschiedenen Nadeln gefüttert wird; nachdem eine erste Portion tatsächlich ausgeschieden wird, ohne dass der Hund wahrnehmbar litt, wird er dann ein zweites Mal mit Nadeln gefüttert, erschlagen und seziert, „… und die Eröffnung der Bauchhöhle geschah so schnell, … daß man die peristaltischen Bewegungen des ganzen Darmkanals noch mehrer Minuten lang recht stark vor sich gehen sah“. Unsere Autoren bemerken im Nachwort: „Die lapidar mitgeteilte Tötung des Versuchs-Hundes, die Georg als zehnjähriger sehr wahrscheinlich miterlebt hatte, wird als Erinnerungsposten einer kindlichen Empörung lebendig geblieben sein“. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass sich die Geschichte im Jahre 1823 ereignete, zu einer Zeit, zu der unsere heutige Sentimentalität gegenüber allem Lebenden (solange es nicht zerteilt in der Kühltheke liegt) noch nicht an der Tagesordnung war. Georg Büchner hat sicher Hausschlachtungen erlebt, zum Beispiel bei den Großeltern in Reinheim oder beim Onkel in Goddelau, und nicht erst seit Hermann Nitsch wissen wir, dass Schlachtfeste vergnügliche Angelegenheit sein können. Ob ihn das Töten von Tieren also eher abgestoßen oder fasziniert oder überhaupt nicht berührt hat, möchte ich lieber offen lassen: wie so oft, bietet sich auch hier zu leicht die Gelegenheit, unsere Interpretationen als Folie über Georg Büchners Leben zu legen.

Ernst Bücher jedenfalls hat die Patientin, die ihm später erneut von verschluckten Nadeln erzählt, dann noch einmal mehrer Tage lang eingesperrt und unter Kontrolle Nadeln aufnehmen und ausscheiden lassen. Im Laufe dieses Experimentes scheint sie 95 Näh-, 32 Steck- und 1 Stopfnadel(n) ausgeschieden zu haben. Bedauernd schließt er seinen Bericht mit der Mitteilung, dass es „die Patientin schließlich für besser befunden hat, sich einem anderen Arzte anzuvertrauen …“.

War Ernst Büchner ein ignorantes Monster, das sich seinem Gegenstand ohne jede Emotion näherte? Das ebenfalls abgedruckte „Gutachten über den Gemütszustand eines Soldaten im Augenblick seines Vergehens im Dienste, durch tätliches Vergreifen am Vorgesetzten„, mit dem er dessen Freispruch erwirkte, lässt sich anders lesen. Er kommt zu dem Ergebnis, „ … dieser Zustand, welcher von den Schriftstellern vorübergehender Wahnsinn genannt wird, ist unseres Erachtens … nach wissenschaftlichen Grundlehren … möglich und erklärbar…“, und später, dass es  „nach wissenschaftlichen Grundlehren … in den Grenzen der Möglichkeit liege, daß derselbe … in einem Anfall von vorübergehendem Wahnsinn, in sein Vergehen geraten sein könne…“.

Das Grundthema seiner Söhne Georg und Ludwig allerdings,

Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt ?

scheint ihn nicht zu interessieren – er beschränkt sich auf nüchternsten Augenschein. Vermutlich war der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis ohne Empiriker wie Ernst Büchner nicht möglich; die Abkehr von vorwissenschaftlichen Erklärungen bedurfte wohl des scharfen Schnittes. Immerhin musste Büchner sich ja im Fall der „verbrannten Gräfin“, über den hier bereits berichtet wurde, noch 1850 mit der Behauptung herumschlagen, dass sich TrinkerInnen gelegentlich selbst entzünden und so ums Leben kommen könnten. Aus heutiger Sicht steht außer Frage, dass Ernst Büchner Empathie für seine PatientInnen bestenfalls anders als Ärzte heute, vielleicht auch gar nicht, empfand. Dass er aber, wie es Boehncke und Sarkowicz für wahrscheinlich halten („wahrlich verwandt“) und es Hubert Spiegel in seiner Rezension für die FAZ dann schon für sicher nimmt, “ .. nicht ohne Einfluss auf eine der zentralen Szenen im „Woyzeck“ geblieben sein dürfte: Gemeint ist das berühmte Erbsen-Experiment, das der Regimentsarzt an Woyzeck durchführt“, ist dann doch eine sehr starke Behauptung. Georg Büchner war umgeben von „Ärzten“ und „Wissenschaftlern“, die skrupellos experimentierten. Corinna Nauheimer hat 2008 in ihrer Magisterarbeit  (bei Heiner Bohencke) „Georg Büchner als Rebell – Revolutionäre Ideen während der Studienzeit in Gießen 1833/34″ wieder einmal erläutert, mit welchen Schraten von Universitätslehrern er sich dort herumschlagen musste. Johann Bernhard Wilbrand wird ja schon lange als Vorbild des Doktor im Woyzeck beschrieben. Vorbilder für unmenschliche Wissenschaftler gab es sicher reichlich.

Boehncke und Sarkowicz fragen nach der „Schreibsozialisation“ Georg Büchners und stimmen Jan-Christoph Hauschilds Urteil zu, dass „die phrasenlose Präzision in der Sprache“ väterliches Erbteil sei und schließen zu Recht: „Ernst Büchner hat über Fälle berichtet, Georg beschrieb auf der Basis von Fallgeschichten das seelische und körperliche Leiden anhand von literarischen Figuren. Georg Büchner hat gerichtsmedizinische Gutachten im Woyzeck, den Bericht des Pfarrers Oberlin im Novellenfragment Lenz aus ihren moralisch-juristischen Kontexten gerissen, um sie in die Fallgeschichten zu verwandeln, an denen ihm gelegen war – in literarische Fälle…. Das ist in der Tat das schönste Ergebnis dieser lehrreichen Lektüre: hier liegen wichtige Dokumente der Medizingeschichte vor, die uns gleichzeitig wertvolle Hinweise auf die Schreibwerkstatt Georg Büchners bieten.

Der abschließende Hinweis auf weitere Materialien im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt, nämlich gedruckte und ungedruckte Hinterlassenschaften Ernst Büchners in Gutachten des Darmstädter Medizinalkollegs, darf als Aufforderung zu weiterer Recherche verstanden werden.

 

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