Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Theater (Seite 1 von 6)

Ganz gelesen ist halb gespielt

Häufig kommt in Gesprächen mit Schülergruppen im Büchnerhaus die Frage auf, wie es denn eigentlich sein könne, dass Georg Büchner mit 19 Jahren über eine so aussergewöhnliche Kenntnis von Literatur verfügen konnte, insbesondere, woher denn seine Kenntnis der Dramen der Weltliteratur komme.

Tatsächlich darf davon ausgegangen werden, dass Büchners Theatererfahrung überschaubar war; verschiedene Inszenierungen des gleichen Stücks hat er wahrscheinlich nie gesehen. 

Wir dürfen aber sicher annehmen, dass er sich mit Freunden häufig zum Lesen mit verteilten Rollen traf und so seine Kenntnis – und Haltung – bildete. Aus zahlreichen Berichten wissen wir, wie selbstverständlich in Freundeskreisen und Salons gemeinsam laut gelesen wurde. Ich rate jungen Leuten gerne, das selbst einmal auszuprobieren. (Leider müssen sie oft genug erst einmal Distanz zur bis dahin unglücklichen Präsentation von Büchners Dramen im Unterricht finden.) So oft dieser Vorschlag zunächst auf abschätziges Lachen stößt, weiß ich doch inzwischen, dass es einige wirklich und mit echtem Vergnügen gewagt haben. Ich freue mich sehr, wenn diese im neunzehnten Jahrhundert so verbreitete Form der Literaturaneignung nicht gänzlich verloren geht. Mit Leonce und Lena kann so eine heitere Runde zusammenkommen (und dem selten erkannten abgründigen, überbordenden Humor des Stückes gerecht werden); dem Danton mit seinen fast filmscripthaften Szenenwechseln wird die Vorlesetechnik gerade da gerecht, wo moderne Bühnen heute auf Szenenbilder ganz verzichten. Unser Kopf ist allemal schneller als eine Drehbühne für den Weg Salon Gasse Club Gasse Zimmer … *  

Dem Darmstädter Staatstheater muss dieser Vorschlag untergekommen sein – nicht zwangsläufig von mir, ich verzichte da gerne auf jede Verantwortung. In der Inszenierung für sechs Personen nach der Fassung von Christoph Mehler und Christina Zintl fehlen für ein gemütliches Leseszenario eigentlich nur bequeme Stühle, das Manuskript in der Hand der Agierenden und der größere Teil der eigentlich 28 von Büchner Vorgesehenen Personen sowie einige „Männer und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Deputirte, Henker ect“. (Die ausufernde Unsitte, auch an großen Häusern die Personnage von Stücken zusammenzustreichen, ist übrigens nicht nur mangelnder Respekt vor dem Werk, sondern darüber hinaus auch Sparen am falschen Ende. In diesem Falle um so mehr, als ja noch nicht einmal „stattdessen“ Abertausende für das Bühnenbild aufgebracht wurden.) 

Was bleibt: sechs Personen in weißen Strumpfhosen, darüber schwarzen Culottes (! – die SANS-Culottes trugen nicht etwa keine, sondern im Gegenteil gerade lange Hosen, im Unterschied zu den adligen Knickerbockers), stehen vor dem Bühnenvorhang und – tragen Reste von Büchners Text vor. 

Das geschieht im Wesentlichen emotions- und bewegungsarm; das gelegentliche Übereinanderfallen und dramatische Lichtwechsel ändern nichts an diesem Eindruck. Und wenn schließlich Mathias Znidarec zu Saint-Justs großer Rede ansetzt („Es scheint in dießer Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort Blut nicht wohl vertragen können….“) und er dann plötzlich doch in Wort und Gestus zugleich beweglich wird, da verzichtet die Inszenierung gerade dort auf die fürchterliche Nüchternheit, die große Interpret*innen diesem Text kalt und ruhig verleihen können.

Valerie Bolzano hat das für die Büchnerbühne mit unbewegter Mine und schneidender Sprache um Längen eindrücklicher präsentiert. 


Insgesamt ist Suhrs Danton ein Theaterstück mit handelnden Personen, das das Original aus nachvollziehbaren Überlegungen strafft und konzentriert, während das Staatstheater in den besten Szenen gerade noch auf den unverwüstlichen Text setzt.

Suhr strafft das Stück und fragt:

… interessiert uns vor allem das Verhältnis von freiheitlichen Ideen zu deren kulturellen Voraussetzungen. Denn aus diesem resultiert die Wahl der politischen Mittel. Wenn beispielsweise Robespierre vom TERROR (hier vom Staat ausgehend) als einzigem Mittel zur Verteidigung der TUGEND spricht, erreicht der Text  bis heute eine erschreckende Aktualität, die eine direkte Verbindungslinie von der französischen Revolution – der Geburtsstunde des europäischen Freiheitsgedankens – bis hin zum Schrecken beispielsweise des IS deutlich macht … Danton: „Ihr wollt Brot – und sie geben Euch Köpfe!“

Büchnerbühne

Unübersehbar stellt er damit seine Frage an den möglichst alles regulierenden Staat und zeigt die Aktualität des Büchnerschen Textes. Das lässt sich getrost nach Hause tragen. 

Darmstadt will wissen

„Wieviel Demut oder Gemeinsinn braucht ein gutes Regieren? Wie viel Gestaltungsmöglichkeit hat jede*r einzelne bei sich und bei der Veränderung der Gesellschaft? Wie können sich Menschen wahrhaftig begegnen, zuhören, lieben? Wie die Einsamkeit angesichts des Todes überwinden? An etwas glauben, das größer ist als sie?“

Staatstheater Darmstadt


Mag sein, dass hinter dem verschlossenen Vorhang Antworten warteten, zum Vorschein kamen sie nicht.

Beide südhessische Inszenierungen verzichten auf den epikuräischen Danton. Ob sie es damit dem Herausgeber Gutzkow gleichtun, darf zu Bedenken gegeben werden. Zu Büchners größtem Ärger kürzte der die Erstausgabe, aber immerhin wusste er

„Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff, und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt’ ich wohl, wie grade der Abfall des Buches, der unsern Sitten und unsern Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigenthümlichste Theil des Ganzen war.“ 


Auf die Ambivalenz, die uns Büchner mit dem saufenden, hurenden Danton gegenüber dem jakobinisch, ja pietistisch strengem Robespierre zeigt, haben beide verzichtet. Es bleibt uns überlassen, zu entscheiden, ob das den Stoff konzentriert oder simplifiziert.

Jedenfalls dann, wenn wir den ganzen Text kennengelernt haben – und sei es in konzentrierter Runde und mit verteilten Rollen. 

Von Peter Brunner

  • * Glaube keiner, das hier lese niemand. An dieser Stelle hatte ich eine beliebige Folge phantasiert und wurde harsch zur Ordnung gerufen. Jetzt ists die echte Folge der ersten Szenen … Danke, Dr. W. 

Festival in den Zeiten von Corona

Die Neuinszenierung von Georg Büchners „Dantons Tod“ der BüchnerBühne feiert am

 

Samstag, 26. Juni, um 19:00 Uhr Premiere

„Unter den Linden Leeheim“ in der Kirchstraße 1.

 

Die Premiere ist der Auftakt zum 1. BüchnerLand Festival, das ursprünglich in viel größerem Maßstab geplant war und wie so viele Kulturveranstaltungen der Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Erstmals sollten bei dem großen Festival zu Ehren Georg Büchners unter Federführung von BüchnerHaus, -Bühne und –Stadt in genreübergreifenden Veranstaltungen die verschiedenen Büchner-Orte im Land miteinander verbunden werden. Doch so ganz wollen wir nicht lassen von der Idee eines BüchnerLand Festivals und so wird es vom 26. Juni bis 15. Juli im „Corona-Exil“ der BüchnerBühne, dem idyllischen evangelischen Kirchengelände mit seiner beeindruckenden Lindenallee, verschiedene Aufführungen geben.

Zwischen „Dantons Tod“ und dem

Festival-Abschluss am Donnerstag, 15. Juli, um 19:00 Uhr mit Thomas Freitag

wird es an den Wochenenden verschiedenste Veranstaltungen geben. So werden aus Gießen, wo Georg Büchner studiert hatte, Studierende des Instituts für angewandte Theaterwissenschaft erwartet, die verschiedene Projekte ihrer Beschäftigung mit Büchner vorstellen. Das genaue Programm wird jeweils am Montag bekannt gegeben.

 

 

Zum Auftakt also die Neuinszenierung von „Dantons Tod“, die auf dem vielfach beachteten Europa-Projekt der BüchnerBühne „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“ aus den Jahren 2013 bis 2015 basiert. Büchner Geschichtsdrama zeichnet einen zweiwöchigen Ausschnitt aus der entfremdeten Spätphase der Französischen Revolution nach. Die politischen Ziele sind erreicht, im Mittelpunkt steht nun die Verwirklichung der sozialen Revolution. Neben dem auch in späteren Folgerevolutionen gescheiterten Spagat, die Errungenschaften der Emanzipation zu bewahren und in eine demokratische Ordnung zu integrieren, interessiert sich die Inszenierung von Christian Suhr vor allem für den machtpolitisch motivierten Einsatz von Angst. Das einfache Volk wird systematisch in Angst gehalten, um seine hilflose Wut gegen innenpolitische Gegner steuern zu können.

Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Das Gelände öffnet bereits für maximal 100 Personen eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn, um Schlangen am Eingang zu verhindern. Beim Eintritt werden die Kontaktdaten der Besucher erfasst. Bei schlechtem Wetter gibt es die Möglichkeit für bis zu 50 Personen, in die evangelische Kirche umzuziehen. Sie müssen allerdings nachweisen können, dass sie vollständig geimpft, genesen oder aktuell getestet wurden. Die entsprechenden Abstands- und Hygieneregeln müssen eingehalten werden.

 

Von Christian Suhr

Bist du todt? Todt! Todt! (es kommen Leute[,] läuft weg)

Am 21. Juni 1821, heute vor 200 Jahren, hat der Leipziger Perückenmacher und Ex-Soldat Johann Christian Woyzeck seine Geliebte Johanna Christiane Woost erstochen. 

 

Christian Suhr in seiner Ein-Personen-Interpretation des Woyzeck für die BüchnerBühne

2019 hat Anja Schiemann eine Arbeit vorgelegt, die sich dem Fall, der Büchner zu seinem Drama inspirierte, kriminalhistorisch nähert.  Sie kommt zu dem Schluß, dass das Verbrechen bereits am 2. Juni begangen wurde – auch dann bleibt es immerhin dabei, dass es inzwischen 200 Jahre her ist.

Soeben erschien der Roman „W.“ von Steve Sem-Sandberg.  Den Versuch, sich der Figur literarisch zu nähern, hat Rainer Moritz für den Deutschlandfunk besprochen. Er schließt:

„Hofrat Clarus kann, allein schon aus Berufsgründen, mit derartiger Komplexität wenig anfangen. Er will „klaren Bescheid“, er will die „Ereignisse in eindeutig überschaubarer Reihenfolge dargelegt bekommen“. So kommt sein Gutachten zu einem Ergebnis, das Woyzecks Schuldfähigkeit bejaht – eine Eindeutigkeit, mit der gelungene Romane in der Regel nichts anzufangen wissen. Steve Sem-Sandberg hat einen solchen geschrieben und das letztlich Unergründliche des Menschen umkreist. Mit einer Offenheit, die bemerkenswert ist.“

Mit jugendlicher Unbefangenheit nähern sich „Angelina & Lea“ in ihrem Podcast „Bibliomanie“ aus Anlass des Jahrestages dem Thema. „Ich glaube, ich les jetzt mal Woyzeck“ ist allemal ein guter Vorsatz!

 

 

 

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