Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Theater (Seite 5 von 6)

„Der Künstler und die Macht – vom Biß in die fütternde Hand“

 

„Büchners Aretino – Eine Fiktion“ am 21. 2. auf der BüchnerBühne

22. 2. Podiumsdiskussion mit dem Autor

 

Jan-Christoph Hauschildt hat über ein angeblich verschollenes Manuskript Georg Büchners geforscht und ein Theaterstück verfasst. Er geht der Frage nach, was Büchner an dem Renaissance-Dichter Pietro Aretino interessiert haben könnte. Hier wurde schon mit einigen Beiträgen über das Aretino-Gerücht berichtet.
Das Stück wurde am 17. Oktober 2014 auf der BüchnerBühne in Riedstadt-Leeheim uraufgeführt und erzielte bei Publikum und Kritik starke Beachtung. Nun kommt es am Samstag, 21. Februar um 19:30 Uhr zum vorläufig letzten Mal auf den Spielplan.

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Tizian: Aretino

Die Handlung führt ins Rom des Jahres 1522 und behandelt Aretinos Ringen um künstlerische Unabhängigkeit und geistige Freiheit in einer unfreien Welt. Der tägliche Kampf um die Grundbedürfnisse gebiert ein allgemeines Sündenbewusstsein. Die Menschen leben in Furcht und Schrecken vor den Strafen, die sie im Jenseits erwarten. Geschäftstüchtige Politiker und religiöse Fanatiker wissen dies in einträgliche Bahnen zu lenken, das Ablasswesen blüht. Die spitze Feder des Satirikers macht Aretino beim Volk und bis in die höchsten Kreise berühmt. Doch ein System, das davon lebt, den einzelnen in wirtschaftlicher, politischer und geistiger Abhängigkeit zu halten, kann dies nicht lange dulden.

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Hauschild und Suhr nach der Premiere

 

Der Autor wird sowohl an dem Theaterabend anwesend sein wie am darauffolgenden Sonntag, dem 22. Februar 2015, um 16 Uhr an gleicher Stelle zu einer Podiumsdiskussion:

 

 

 

 

 

Auf Einladung der Büchnerbühne und der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft findet am Sonntag, dem 22. Februar, 16 Uhr im Theater eine Publikumsdiskussion statt unter der Überschrift:

„Der Künstler und die Macht – vom Biß in die fütternde Hand“

Jan-Christoph Hauschild wird die Arbeit an seinem Text und seine Überlegungen, sich Büchners Schreiben und Denken anzunähern, erläutern.

Im Gespräch mit Theaterchef und Regisseur Christian Suhr und meiner Wenigkeit (dem Publizisten und Berater Peter Brunner, Autor des weblogs geschwisterbuechner.de und Mitglied im Vorstand der Luise Büchner-Gesellschaft), soll eine der Fragen im Mittelpunkt stehen, die das Drama thematisiert:

 

wie der Konflikt zwischen Fressen und Moral Künstler und Publikum trennt.

 

Eintrittskarten gibt es entweder direkt im Theaterbüro (montags bis mittwochs von 12:00 bis 15:00 Uhr) oder im Online-Ticketshop auf der Internetseite . Neben der Buchhandlung Bornhofen in Gernsheim (Magdalenenstraße 55) sind Karten auch bei der Musikschule Tolkien in Riedstadt (Bahnhofsallee 6), Groß-Gerau (Darmstädter Straße 62) oder Weiterstadt (Kreisstraße 99) erhältlich. Außerdem hält der Darmstadt-Shop im Luisencenter Vorverkaufskarten bereit. Theaterkarten kosten einheitlich 18 Euro, ermäßigt 15 Euro. Der Eintritt zur Diskussion kostet an der Abendkasse sieben, im Vorverkauf fünf Euro. Ermäßigungen erhalten Mitglieder des Theatervereins, Schüler, Studenten, Sozialleistungsempfänger und Schwerbehinderte.

Das Theatercafé öffnet bereits ab 18:30 Uhr am Samstag und um 15:00 Uhr am Sonntag.

von Peter Brunner

 

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Theater an Luises Todestag

Im Mai 2012 habe ich hier Peter Schanz‘ Theaterstück „Luise und Mathilde“ besprochen und geendet:  „Als erfrischender Kommentar zum gelegentlich überintellektualisierten Georg Büchner-Gedenken ist dieser schönen Aufführung als Denkmal der Büchnerschwestern und als Memento der noch lange nicht am Ziel angekommenen Frauenbewegung viel Erfolg und eine lange Spielzeit zu wünschen!”

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Mathilde Büchner (1815 – 1888)

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Luise Büchner (1821- 1887)

Leider ist das Stück nicht mehr auf dem Programm des Darmstädter Staatstheaters, aber inzwischen hat sich die Junge Bühne Schlangenbad unter der Regie von Michael Tarnowski seiner angenommen.

Zu den gesicherten Überlieferungen der Büchners in Darmstadt und Pfungstadt gehört, dass Festlichkeiten aller Art mit literarischen und musikalischen Aufführungen zu begangen wurden (zu Wilhelm und Elisabeths silberner Hochzeit 1870 in Pfungstadt musste die ganze Familie in die Rolle antiker Götter schlüpfen …), und so bietet es sich ja an, zu Luise Büchners Todestag am 28. November an diese Tradition anzuknüpfen.

Im Darmstädter Literaturhaus bietet die Luise Büchner-Gesellschaft jetzt die Gelegenheit, Hildrud Hauschke und Rita Rosen mit der szenischen Lesung des Stückes zu sehen, was ich nur empfehlen kann:

Freitag, 28. November um 19 Uhr
Literaturhaus (Kennedy-Haus), Kasinostr. 3
Luise und Mathilde – szenische Lesung mit Rita Rosen und Hiltrud Hauschke

Eintritt: 6 € 

 

SPeterBrunner

von Peter Brunner

Der größte Dichter? Als Hurenbock ist er uns wohlbekannt!

Georg Büchner hat wahrscheinlich kein Drama über den Renaissance-Dichter Pietro Aretino geschrieben.

Hier war das gelegentlich Thema, Büchner-Biographien kommen selten ohne den Hinweis auf das angeblich verlorene Stück aus. Jan-Christoph Hauschild hat über Georg Büchner promoviert, wichtige Beiträge zur ersten großen Georg-Büchner-Ausstellung 1986 in Darmstadt geleistet, die bis heute verbindliche Büchner-Biographie geschrieben (bis heute hier lieferbar!)  und mit zahlreichen Forschungen und Publikationen bedeutende Erkenntnisse zu Leben und Werk des Dichters beigetragen.

An Georg Büchners 201. Geburtstag, dem 17. Oktober 2014, brachte die Goddelauer Büchner-Bühne erstmals sein Drama „Aretino – eine Fiktion” auf die Bretter.

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Spannung vor Beginn: Regisseur Suhr, Autor Hauschild und Verleger Guido Huller

Worum geht es?

Pietro Aretino (1492 – 1556) hat ein wahres Renaissance-Leben geführt, aus dem sich Hauschild – durchaus in Büchnerscher Manier – ungeniert bedient, ohne allzu große Rücksicht auf historisch Verbürgtes zu nehmen. Es ist auch nicht sein Ziel, die Lebensstationen des göttlichen Aretiners eins zu eins auf die Bühne zu bringen. Hauschild hat sich mehr vorgenommen.

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Das Ensemble: Melanie Suhr, Tanja Marcotte, Finn Hanssen, Walter Ullrich, Oliver Kai Mueller, Verena Specht-Ro, Ursula Stampfli und Alexander M. Valerius. (Foto Büchnerbühne )

Um reale Personen und verbürgte Ereignisse schreibt er eine Parabel über Intellektuelle und Macht, Korruption und Korrumpierbarkeit und über Not und Überfluß. Dieser Aretino, Liebling des gerade verstorbenen Papstes Leo, fällt beim neuen Papst Hadrian, den man in Rom seiner holländischen Herkunft wegen „den Deutschen” nannte, in Ungnade. Kein Wunder, denn der Neue hat das vatikanische Personal geschrumpft, mit nicht mehr als vier Bediensteten ist er eingetroffen, und sein Kardinal Enkevoirt versichert ihm, dass selbst größte Dichtung zu verwerfen ist, wenn sie den Prinzipien der heiligen Kirche spottet. (Die Parallele zu aktuellen vatikanischen Ereignissen ist frappierend, aber Zufall oder prophetischer Gabe zu verdanken.) Die vatikanische Kamarilla schmiedet eine Intrige: wer Schmutz schreibt, ist auch für den realen Schmutz verantwortlich. Die Pest ist über die Stadt gekommen, weil in ihren Mauern gesündigt wurde, und der Protagonist der Sünde ist ihr Dichter, der sterben soll. Aretino flieht in den sicheren Schutz der Herzogin von Mantua, Isabella d’Este, die sich an ihrem Hof mit dem Großen schmücken möchte. Kein Zufall ist die Anspielung Hauschilds auf den amerikanischen Atomwissenschaftler Edward Teller in Person Leonardo da Vincis in Aretinos Bericht vom päpstlichen Hof. Der habe einen Sprengstoff erfunden, der Menschen tötet und Häuser unverletzt lässt, und da darf Neutronenbombe assoziiert werden. Ursula Stampfli als Marchesa hat unverkennbar alles genossen, was das Leben einer Renaissancefürstin bieten kann, aber ihre Unzufriedenheit wäre nur durch die Gewissheit auf bedeutenden Nachruhm einzudämmen. Aretino wird in Mantua weder an den Fleischtöpfen des Hofes noch  unter dem gemeinen Volk heimisch: „Vor euch steht Messer Pietro Aretino. Der größte Dichter unsres Landes ist er.  – Als solchen kennen wir ihn leider nicht, Als Hurenbock ist er uns wohlbekannt.”  Er macht sich auf den Weg zurück nach Rom, wo ihn, kaum angekommen, die Häscher des Papstes meucheln.

Dass die Goddelauer Bühne mit bescheidener Ausstattung spielt, ist nicht nur der künstlerischen Ausrichtung geschuldet, aber diesem Stück ist das schlichte Bühnenbild und der von den Akteuren bediente Szenenvorhang mehr als zuträglich. Das großartige Ensemble lässt Drehbühne, Hängekulissen und Bühnenmöblierung keinen Augenblick vermissen. Die Entscheidung, den früheren Dorfpfarrer Walter Ullrich als Papst auf die Bühne zu bringen, ist ebenso folgerichtig wie Oliver Kai Mueller und Alexander M. Valerius erst wunderbare Aretino-Freunde und später großartige Mordgesellen abgeben. Ullrichs unleugnbar  südhessische Aussprache macht ihn im Lauf des Stückes immer glaubwürdiger, er personifiziert damit das zögerliche Abwägen zwischen Kunst und Sünde, das ihm Melanie Suhr als Kardinal schneidend verwehrt. Finn Hansen gibt einen Aretino, der büchnersche Melancholie zeigt und bei aller Lobpreisung der körperlichen Befriedigung stets auf der Suche nach der Einheit von Haltung und Leben, vom Richtigen im Falschen, zu sein scheint. Und wo Hauschild den Anschlag am Ende in aller Stille begehen lässt, hat sich Suhr für einen wilden Tanz aller Akteure zur Tarantella Napolitana (übrigens auch der Titelmelodie von Coppolas „Der Pate“… ) entschlossen, bei dem der Sterbende erst wahrgenommen wird, als die Bühne wieder frei ist.

Jan-Christoph Hauschild ist ein Drama gelungen, das mit büchnerschen Methoden einen büchnerschen Stoff auf die Bühne bringt, und der Büchnerbühne ist eine Inszenierung gelungen, die dem mehr als gerecht wird.

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Verdienter Beifall nach der Uraufführung am 17.10. – Ensemble mit Autor Hauschild und Regisseur Suhr (beide hinter Blumen).

Weitere Aufführungen der Büchner-Bühne: 31.10., 8.11., 23.11.

 

 

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von Peter Brunner

Frank Wedekind – Enfant terrible auf Büchners Spuren?

Die Luise Büchner-Gesellschaft veranstaltet im diesem Herbst zwei Abende zu Frank Wedekind

zu denen hier herzlich eingeladen wird:

 

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Am Dienstag, dem 30. September um 19 Uhr, im Literaturhaus (Kennedy-Haus), Kasinostr. 3

Lulu und die anderen – Frank Wedekinds Frauen und die Bohème

mit Cornelia Bernoulli und Bruno Hetzendorfer (München)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts provozierte Frank Wedekind den Literatur- und Bühnenbetrieb mit seinem neuen Stil. Seine drastischen und freizügigen Texte wurden oft von der Zensur verboten. Die szenisch-musikalische Lesung anlässlich des 150. Geburtstags von Frank Wedekind schlägt einen rasanten Bogen mit Szenenausschnitten, Liedern, Tagebuchnotizen und Briefen des Autors, Kabarettisten und Schauspielers. Dem gegenüber stehen Zeugnisse und Zitate verschiedener Zeitgenossen; insbesondere von Frauen aus seinem Leben.

Gemeinsame Veranstaltung mit der Wedekind-Gesellschaft und der Leitung des Literaturhauses.

Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 4 Euro

und

am Freitag , dem 7. November um 19.30 Uhr, Literaturhaus (Kennedyhaus), Kasinostr. 3

Frank Wedekind und Georg Büchner

Vortrag von Dr. Ariane Martin (Universität Mainz)

Wie kommt es, dass wie selbstverständlich gesagt wird, Wedekind stehe in der Nachfolge Büchners? Der Vortrag sichtet die wenigen Rezeptionszeugnisse, die von Wedekind selbst stammen, sowie die Zuschreibungen einer angeblich ausgeprägten Büchner-Rezeption aus seinem unmittelbaren Umfeld, auf die das verbreitete Bild von Büchner als Vorläufer Wedekinds zurückzuführen sein dürfte.

Gemeinsame Veranstaltung mit der Wedekind-Gesellschaft

Eintritt frei

Die Abfolge der beiden Veranstaltungen bietet auch derjenigen, die mit Wedekinds Leben und Werk weniger vertraut ist, die gute Gelegenheit, den Vortrag am 30. 9. als Einführung zu verstehen und dann am 7. 11. Frau Professor Dr. Ariane Martin, die gerade einen wichtigen Band zur frühen Rezeptionsgeschichte Georg Büchners* vorgelegt hat, zu hören.

* Ariane Martin (Hg.): Georg Büchner 1835 bis 1845. Dokumente zur frühen Wirkungsgeschichte. Vormärz-Studien Band XXXIV. 2014, Bielefeld, Aisthesis, ISBN 978-3-8498-1027-6, 386 Seiten, geb. EUR 39,80

 

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von Peter Brunner

… das dritte Drama, dessen Büchner Erwähnung thut

Mit unterschiedlichem Ernst habe ich hier bereits mehrfach Aretino erwähnt; immer im Zusammenhang mit einem Zitat Ludwig Büchners aus der Einleitung zur von ihm herausgegebenen ersten Werkausgabe des Bruders:

„Außerdem muß er in derselben Zeit noch ein zweites Drama vollendet haben, das nicht mehr vorhanden ist. Wenigstens schreibt er im September 1836, nachdem er von zwei fertigen Dramen schon in früheren Briefen gesprochen: „ich habe meine zwei Dramen noch nicht aus den Händen gegeben, ich bin noch mit Manchem unzufrieden und will nicht, daß es mir geht, wie das erste Mal. Das sind Arbeiten, mit denen man nicht zu einer bestimmten Zeit fertig werden kann, wie der Schneider mit seinem Kleid.” (Nachgelassene Schriften von Georg Büchner. Frankfurt, Sauerländer, 1850, S: 37) und „ … das dritte Drama, dessen Büchner Erwähnung thut, kann nur dasselbe sein, das schon in dem angeführten Straßburger Briefe vorkommt und von dem keine Spur aufgefunden werden konnte. Es handelte, wie aus mündlichen Mittheilungen des Dichters an seine Braut hervorzugehen scheint, von dem Florentiner Pietro Aretino. – Es ist bemerkenswerth, daß Büchner während der Fieberdelirien seiner Krankheit sich vergebend anstrengte, von etwas Mittheilung zu machen, das ihm Sorge zu machen schien. Der Tod schloß seine Zunge.” (a.a. O., S. 40) 

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Tizian: Pietro Aretino (Palazzo Pitti, Florenz)

Der Büchnerbiograph Jan-Christoph Hauschild schreibt:

Daß Büchner ein solches Drama bereits vollendet, wie Wilhelmine Jaeglé glaubte, oder auch nur angefangen hatte, ist nicht zu belegen – es sei denn, man wolle seine briefliche Bemerkung vom 20. Januar 1837, er »komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir’s heller«, historisch großzügig auf den Renaissanceschriftsteller Aretino beziehen. Es könnte sich lediglich um Mißverständnisse und Fehlinterpretationen handeln.

Nicht von der Hand zu weisen scheint aber die Annahme, daß Büchner sich mit Aretinos Leben und Werk beschäftigte. Der Schriftsteller war eine bekannte, weil vielgeschmähte Gestalt der Literaturgeschichte. Wahrscheinlich hat Büchner in Darmstadt oder später in Straßburg den langen Artikel von Philarète Chasles über Pietro Aretino, »sa vie et ses œuvres«, gelesen, der Ende 1834 in der »Revue des Deux Mondes« erschienen war, denn im selben Jahrgang, im Heft vom 30. Juni, war Alfred de Mussets Komödie »On ne badine pas avec l’Amour« abgedruckt, die als eines der Vorbilder für Büchners Lustspiel gilt, und in der folgenden Lieferung vom 15. Juli 1834 hatte Büchner in George Sands »Lettres d’un voyageur«, einem Bericht über ihre Italienreise, zwei Sätze entdeckt, die er später als Motto für »Leonce und Lena« verwendete.

Der drastische, prärealistische und volksnahe Ton von Aretinos Komödien sowie seiner »Kurtisanengespräche« (»Ragionamenti«) wird Büchner ebenso fasziniert haben wie dessen programmatisches Bekenntnis zur Naturwahrheit der Kunst, sein politischer Anspruch ebenso wie seine korrupte Ehrlichkeit. 

Wenn man bei aller gebotenen Zurückhaltung an der Existenz eines abgeschlossenen »Aretino«, eines »Gangsterstücks«, wie Peter Hacks mutmaßte, festhalten möchte, würde das voraussetzen, daß Büchner sein Manuskript kurz vor dem Tod in die Hand eines Verlegers, eines Journalisten oder eines vielleicht selbst schriftstellernden Freundes gab und sämtliche Vorarbeiten vernichtete und daß sich ferner auch in seinem Nachlaß keinerlei Spuren fanden, die auf einen entsprechenden Kontakt schließen ließen. Es müßte sich dabei um eine Zürcher Persönlichkeit handeln, die dem Kreis von Büchners hessischen Landsleuten so fern stand, daß man bei ihr keine Handschriften des Verstorbenen vermutete.

Dabei käme wie vielleicht kein anderer sonst der englische Schriftsteller Thomas Lovell Beddoes (1803-1849) in Frage. Den Schönleinschüler und -freund, der 1836/37 in der Nachbarschaft wohnte, verband vieles mit Büchner: die Herkunft aus einer Arztfamilie, das absolvierte Medizinstudium, die Spezialisierung auf Vergleichende Anatomie, ein gleichzeitiger Aufenthalt in Straßburg 1832/33, die Begeisterung für Tieck und Shakespeare, ein eminentes politisches Interesse und schließlich die schriftstellerischen Ambitionen (Versdrama »Death’s Jest-Book«, postum veröffentlicht 1850).

Daß Büchner Beddoes tatsächlich kennengelernt hat, ist jedoch nicht nachzuweisen, und so bleibt Büchners „Aretino“ weiterhin eine Legende von andauernder Faszination. (J.-C. Hauschild: Büchners »PIETRO ARETINO« – Eine Fiktion?, Begleittext zum Manuskript beim Drei Masken Verlag

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Aretino, Italiänischer Huren=Spiegel. dt. ca. 1655

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Aretino, Italiänischer Huren=Spiegel. dt. ca. 1655

 

J.-C. Hauschild hat bereits in den achtziger Jahren die Imagination dieses Stückes gewagt und ein Stück erfunden, wie es Georg Büchner vielleicht geschrieben hätte. Nach zwei szenischen Lesungen (am 29. Oktober 1983 im Marburger Schauspiel und am 28. Juni 1984 im Tübinger Zimmertheater) wird es nun an Georg Büchners 201. Geburtstag, am 17. Oktober 2014, in seiner Heimat durch die Büchnerbühne uraufgeführt.

Ich durfte Gast einer Probe der Büchnerbühne sein. Christian Suhr versteht das Zitat aus dem 10. Akt („Bei einem Spaziergang durch Mantua werden Pietro Aretino und Niccolo Zeuge einer Festnahme und machen Bekanntschaft mit einer Menschenmenge. Die neugierige Liebe des Künstlers zum einfachen Volk wird von diesem nicht erwidert.”) –

„Von Despoten wollt Ihr uns sprechen – Und wollt Eure eigenen Ketten nicht brechen!”

als Dreh- und Angelpunkt des Dramas; in dem Zitat erkennt er das Büchner’sche Hadern mit den Umständen seines Lebens.


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Probenszene

 

Er inszeniert vor einem „Brechtvorhang” als Tür zu zwei Szenerien rechts und links der Hauptbühne, der auch als Projektionsfläche dient, mit wie gewohnt zurückhaltendem Bühnenbild. Hauschilds sorgfältig in klassischem Versmaß verfasstes Stück bringt er fast 1:1 auf die Bühne; „ … sowohl aus Respekt vor dem Autor bei einer Uraufführung”, aber auch, weil die Geschichte des Aretiners, der aus Rom vor der Verfolgung des neuen Pabstes nach Mantua an den Hof der Isabella d’Este flieht, aber schließlich von dessen Schergen dort ermordet wird, „keiner Verbesserung durch die Regie bedarf” (Suhr).

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Probenszene

 

Eine ausführliche Besprechung der unbedingt sehenswerten Inszenierung und des Stückes folgt hier nach der Uraufführung.

 

Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft bietet ihren Mitgliedern und weiteren Interessentinnen Eintrittskarten und die Organisation von Fahrgemeinschaften für den 17. Oktober an:

 

Freitag, 17. Oktober
Theaterbesuch in Riedstadt/ Leeheim.
Georg Büchners  201. Geburtstag feiert die Leeheimer  Büchnerbühne mit der Uraufführung des Stückes Aretino – eine Fiktion von Büchnerbiograph Jan-Christoph Hauschild. Für unsere Mitglieder werden wir  30 Eintrittskarten reservieren lassen.  Bitte melden, wenn Sie mitkommen möchten. Die Karten kosten 15 Euro. Gern organisieren wir Fahrgemeinschaften. Uhrzeit  wird noch bekannt gegeben!
Anmeldung bis 30. September bei Frau Ilse Kuchemüller, Tel.: 06151/44400;
Email: ilse.kuchemueller@t-online.de

Der Vorverkauf des Theaters mit Informationen über weitere Aufführungstermine ist hier zu erreichen.

Wer das nicht mehr abwarten kann und/oder Einblick in die Arbeit des Ensembles nehmen möchte, kann am Sonntag, dem 28. September um 18 Uhr zur öffentlichen Probe ins Theater kommen.

 

Nachtrag: Inzwischen habe ich in meinem „Alltagsblog” SaubereSchweine berichtet, wie ich mich mit Literatur zum Thema versorgt habe

 

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von Peter Brunner

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