Zum Internationalen Museumstag am Sonntag, 15. Mai, hat das Büchnerhaus „Schorsch-Town“ zu Gast. Die lokale Initiative „von Gollern für Goller“ („Golle“ ist Dialekt für Goddelau), die sich liebevoll nach „Schorsch“ Georg Büchner benannt hat, richtet an diesem Tag im Hof und in der Büchnerscheune ein Museumscafé ein und wird einen Kaffeeausschank anbieten.
Wie in den vergangenen Jahren auch wird das Geburtshaus von Georg Büchner in der Weidstraße 9 bereits um 11 Uhr öffnen und um 18 Uhr schließen.
Im Museum mit der Dauerausstellung über Leben, Familie und Werk Büchners finden ständig Führungen statt; dazu steht in der Kunstgalerie im ehemaligen Stall zurzeit eine Ausstellung mit Originalen des Comicautors Andreas Eikenroth zu seinem neuesten Werk „Lenz. Eine grafische Novelle nach Georg Büchner“.
Eikenroth bei der Vernissage
„Schorsch-Town“ bietet Merchandising Produkte zum Heimatort an, dazu gehört neben T-Shirts, Pullovern und Kappen mittlerweile auch „Roststück“, ein speziell gerösteter Kaffee. Neben dem Kaffeeausschank gibt es an dem Tag auch seine Textilprodukte und eine sehr besondere Landkarte von den Goller Heimatfreunden.
Das Geburtshaus von Georg Büchner liegt geographisch zwischen Hambach und Frankfurt, zwischen dem Ort des republikanischen Aufbruchs und dem Ort der ersten gewählten Volksversammlung in Deutschland. Tatsächlich beschreibt der geographische Ort auch historisch ziemlich genau die historische „Verortung“ der Republikaner um den Hessischen Landboten.
Am Montag, dem 12. Juli, stellten Bürgermeister Marcus Kretschmann, der Vorsitzende des Neuen Vereins „BüchnerFindetStatt“, Werner Schmidt, und der Leiter des Museums Büchnerhaus, Peter Brunner (v.r.n.l.), die neue Plakette „Ort der Demokratiegeschichte“ am Büchnerhaus vor.
hat zum Ziel, „… die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern und darüber demokratische Teilhabe und Zivilcourage anzuregen“. Das Büchnerhaus ist ebenso wie die Paulskirche und das Hambacher Schloss Mitglied der Arbeitsgemeinschaft und erweitert damit sein Netzwerk bundesweit. Georg Büchner gehört „als einer der wirkmächtigsten politischen Schriftsteller des Vormärz“zu den „Hundert Köpfen der Demokratie“, die die Arbeitsgemeinschaft zusammengestellt hat.
Bundespräsident Steinmeier hat in seinem Beitrag „Deutsch und Frei“ vom 14.3. 2019 in der ZEIT die Pflege „der Stätten, von denen Demokratie ausging“ gefordert. Das Büchnerhaus erwähnt er
„In Berlin und Bonn leisten großartige Museen und der Bundestag wichtige Beiträge zur Erinnerungsarbeit. Aber es gibt weitere herausragende Orte der deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte: Das Hambacher Schloss, der Friedhof der Märzgefallenen und die Festung Rastatt, das Weimarer Nationaltheater, Herrenchiemsee und die Nikolaikirche in Leipzig zählen dazu. Sie alle sollten nicht nur Ereignisorte sein, sondern wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass sie Lernorte der Demokratie werden. Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Orte der Demokratiegeschichte, kleine und große, bekannte und weniger bekannte. Ich denke etwa an das Geburtshaus von Georg Büchner in Riedstadtund das von Matthias Erzberger in Buttenhausen, das Teehaus in Trebbow, wo sich Widerständler des 20. Juli trafen, an Denkmäler wie jenes für die Unterzeichnung der Weimarer Verfassung in Schwarzburg oder für die frühen Großdemonstrationen im Herbst 1989 in Plauen.“
Der Deutsche Bundestag hat in der Folge dieser Überlegungen am 9. Juni 2021 die Errichtung einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ beschlossen.
„Mit dem Gesetz soll eine öffentlich-rechtliche Bundesstiftung zur Förderung national bedeutsamer Orte geschaffen werden, die symbolhaft für die wechselvolle Geschichte der Demokratie in Deutschland stehen. Ziel ist es, mit Projektförderungen, eigenen Veranstaltungen oder Kooperationen bundesweit das Bewusstsein für den Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu schärfen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Die deutsche Geschichte zeigt, wie fragil demokratische Gesellschaften sein können. Die Botschaft daraus ist: Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern müssen täglich gelebt,gestaltet und auch erkämpft werden. An den Orten der Demokratiegeschichte lässt sich konkret veranschaulichen, wie hart errungen unsere demokratischen Freiheitsrechte sind und was es zu verteidigen gilt. Die neue Bundesstiftung wird durch die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit das Bewusstsein für demokratische Werte schärfen und die Zivilgesellschaft stärken. Die breite Unterstützung des Parlaments für den Gesetzesentwurf ist daher auch ein klares Bekenntnis zu unserer Demokratie.“ Der … Gesetzentwurf ist Teil der im Koalitionsvertrag vereinbarten Konzeption zur Förderung der Orte der deutschen Demokratiegeschichte. Die neu zu errichtende Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main soll das Engagement des Bundes koordinieren und bündeln.“ (Pressemitteilung der Bundesregierung vom 10. Juni 2021)
Als Grundlage seiner Arbeit hat der Vorstand des Fördervereins Büchnerhaus formuliert:
„Die Wahrung der Erinnerung an Georg Büchner ist hohl und unergiebig, wenn sie nicht aktuelle Bezüge hat. Kenntnis und Verständnis der Geschichte des 19. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Büchners, ist eine elementare Voraussetzung für das Verständnis deutscher, ja europäischer Geschichte bis heute, und ohne Kenntnis der Geschichte lässt sich die Gegenwart nicht erfolgreich gestalten.
Das Büchnerhaus regt dazu an, sich Büchners Werk und Leben zu nähern. Dazu stellt es neue Erkenntnisse vor, fördert die Debatte, regt zu kritischer Auseinandersetzung an, macht auf parallele Werke und Entwicklungen anderer Länder und Kulturen aufmerksam und stellt sich stets der Frage nach der Aktualität Büchners in Literatur und Politik.“
Unser neuer Verein „BüchnerFindetStatt“ – entstanden aus der Fusion von BüchnerBühne & BüchnerHaus – wird auch in Zukunft nach dieser Maxime arbeiten.
In Büchners Leben und Werk sind der Autor, der Republikaner und der Naturwissenschaftler nicht voneinander zu trennen. Das Büchnerhaus weist sich mit der Plakette als „Ort der Demokratiegeschichte“ aus, es ist und bleibt darüber hinaus auch und mit gleicher Bedeutung der Ort des Autors und des Forschers. Schon bislang war das durch die Plakette „Literaturland Hessen“ ausgewiesen, die das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Hessische Literaturrat und der Hessische Rundfunk dem Büchnerhaus verliehen haben.
Es ist nicht (nur … ) Eitelkeit, dass ich hier auf ein Rundfunkgespräch hinweise, das Thomas Plaul vom Hessischen Rundfunk für die Reihe „Doppelkopf“ mit mir geführt hat.
Ich hatte die Gelegenheit, Büchnerhaus und BüchnerBühne mit ihrer Arbeit und Ambition vorzustellen. Die Reihe wird nach Ausstrahlung als podcast weiter zugänglich, der Büchner-Beitrag findet sich hier – to whom it may concern
Das Museum BüchnerHaus muss leider geschlossen bleiben. Es hat sich immerhin eine Möglichkeit gefunden, trotzdem den zahlreichen, oft spontan vorbeikommenden Besucher*innen der Büchnerstadt, zum Beispiel als Ziel eines Spaziergangs, ein Angebot zu machen. Im Hof des Büchnerhauses, wettergeschützt unter der „Büchnerscheune“, werden ab sofort und bis auf weiteres Bild- und Texttafeln präsentiert, die unter ganz unterschiedlichen Perspektiven auf Leben und Werk von ausgewählter Dichter*innen blickt. Georg Büchner ist Teil von beiden Ausstellungen.
Mehr als Medizin
Für das „Centrum für Blutgerinnungsstörungen und Transfusionsmedizin CBT“ entstand die Präsentation der Biographie von neun dichtenden Ärzt*innen oder heilenden Dichter*innen, von Hildegard von Bingen zu Maria Montessori. Die Ausstellung wurde vom medizinischer Leiter und Eigentümer der CBT Gruppe PD Dr. med. Johannes Kruppenbacher gestiftet.
Für Georg Büchner hat das Büchnerhaus als Ergänzung den Familienstammbaum seiner Arztfamilie seit dem 16. Jahrhundert zusammengestellt; gleichzeitig werden dabei erstmals die zahlreichen Ärzte in unmittelbarer Verwandtschaft gezeigt, die während Georg Büchners Lebenszeit praktizierten.
Was bleibet aber… Literatur im Land
ist eine Wanderausstellung der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V. (ALG), eine Einladung zu einer literarischen Erkundung des Landes. Die Ausstellung stellt die Vielfalt der deutschen Literaturlandschaft dar und versammelt Schriftsteller*innen, die nicht nur ihre Region prägten, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus strahlen.
Beide Ausstellungen sind bis auf weiteres zu den Öffnungszeiten des Kulturbüros montags bis donnerstags von 8:30 Uhr bis 12 Uhr sowie sonntags von 12 bis 16 Uhr zugänglich.
Im neuen Jahr – „in besseren Zeiten“ – können wir hoffentlich eine Vernissage mit den Veranstaltern und ihren Gästen nachholen.
Der 17. Oktober 1813 ist einer der Tage, „die die Welt erschütterten“. Napoleons Truppen unterliegen in der „Schlacht bei Leipzig“, wie die „Völkerschlacht“ zunächst beschrieben wird, den vereinigten Truppen von Russen, Preußen, Österreich und Schweden. Die Geschichte dieses Frontwechsels der anderen deutschen Länder in den folgenden Monaten füllt Bände; das Großherzogtum Hessen von Napoleons Gnaden trat am 23. November aus dem Bündnis aus, nachdem sich am 30. Oktober die Bayern in der Schlacht bei Hanau noch eine blutige Nase geholt hatten – in der letzten Schlacht, die Napoleons Truppen auf deutschem Boden gewannen.
Im hessischen Ried wird es zwei, drei Tage gedauert haben, bis die weltgeschichtlichen Nachrichten die Provinz erreichten, als im Haus des späteren Schultheissen in der Goddelauer Weidstraße dem Kreisschirurgus Ernst Büchner und seiner Frau Caroline das erste Kind geboren wird. Dr. Büchner wird die Nachrichten mit größtem Interesse verfolgt haben – war er doch bis 1810 napoleonischer Soldat und „chirurgien sous aide major“ der holländischen Armee; später Ober-Chirurgus am Spital der kaiserlichen alten Garde (das Jean Larray leitete, Napoleons Leibarzt). Seine Hochachtung des Empereurs, der ihn immerhin einst persönlich ansprach, ist gut dokumentiert; es ist wahrscheinlich, dass er den Ausgang der Leipziger Schlacht für eine Niederlage hielt.
Bei der Taufe seines ersten Sohnes am 26. Oktober, der die Vornamen der beiden Großväter, Carl und Georg, erhielt, wurde als Pate auch ein Bruder der Mutter eingetragen, der abwesende Leutnant Georg Reuß. Spätestens an diesem Tag ist der Krieg für alle Beteiligten präsent gewesen; die folgende Einquartierung von „Kosaken“ während des französischen Rückzuges hat in Südhessen zahlreiche Berichte und Erinnerungen hinterlassen. Als dann Blücher in der Neujahrsnacht 1813/14 bei Kaub den Rhein überquerte, wird das manchen Südhessen an den legendären Übergang Gustav Adolfs im Dezember 1631 am „Hahnensand“ bei Erfelden erinnert haben.
Kaum eine Biographie Georg Büchners verzichtet auf den Hinweis auf diese weltgeschichtlichen Ereignisse. Im hessischen Landboten kommt der Empereur eher schlecht weg: „Aber die Franzosen verkauften selbst ihre junge Freiheit für den Ruhm, den ihnen Napoleon darbot, und erhoben ihn auf den Kaiserthron.“
Büchner wird kaum einen Geburtstag haben feiern können, ohne dass irgendwer an die historischen Umstände während seiner Geburt erinnerte. Später schreibt seine Schwester Luise in ihrer ziemlich national besoffenen, dennoch äußerst lesenswerten „Deutsche Geschichte von 1815 – 1870“ (Leipzig 1875):
„Der Großherzog von Hessen blieb noch hartnäckiger; er hatte sich bei dem Heranrücken der Verbündeten nach Mannheim geflüchtet, fast unter den Schutz der Franzosen, während sein Minister du Thil doch klugerweise bereits mit dem bayerischen General Wrede darüber unterhandelte, auf welche Weise sich der Herzog mit den Verbündeten werde vergleichen können. Die erste Bedingung war natürlich der Austritt aus dem Rheinbunde, aber der Großherzog zögerte solange, dass nun unter dem Drang der Verhältnisse du Thil dem General Wrede auf das Schlachtfeld von Hanau nach reisen musste, wo man eiligst auf einer Trommel eine Militärkonvention zwischen Hessen und den Verbündeten unterzeichnete, die den Bestand des Großherzogtums rettete.“ (S. 16) und weiter „So sah sich nun der größte Teil Deutschlands von der französischen Herrschaft befreit; die Centralverwaltung konnte endlich ihre Tätigkeit beginnen, aber mit der Sprengung des Königreichs Westphalen kehrten jetzt die alten Regierungen, aus deren Landesteile dieses „lustike royaume“ war zusammengewürfelt worden, zurück. Und wie kehrten sie zurück, diese Hannoveraner, Braunschweiger und Hessen-Kassler – einzig und allein von dem Gedanken erfüllt, das Alte, das Ungerechte und Gestürzte, wieder neu aufzurichten, ganz ebenso wie es gleich nach ihnen die Bourbonen auf dem Boden Frankreichs versuchten. … (Napoleon) sollte den Kelch, den er selbst sich zubereitet, bis zur Neige leeren, sollte nun an sich selbst erfahren was es heißt, Treubruch üben und den Freund verraten. Alles fiel von ihm ab und wendete sich den neuen Sternen zu, während Marmont, der Herzog von Ragusa schon lange mit dem Feinde unterhandelt hatte. Ein Regiment nach dem anderen zug von Fontainebleau ab, nur seine Garden umringten noch den gefallenen Mann, und auch von diesen musste er einen letzten, ergreifenden Abschied nehmen, nachdem er am 12. April, durch die eiserne Notwendigkeit dazu gezwungen, seine Abdankung unterzeichnet und mit einem Federzug alles vernichtet hatte, was er in unersättlichen Ehrgeiz, mit Blut und Leichen und Menschenelend zusammen gekittet. Napoleon konnte der Wohltäter der ganzen zivilisierten Menschheit werden und er ward ihre Geissel, er kam im Namen eines neuen Geistes, einer neuen Weltanschauung und er benutzte seine Macht zur Wiederherstellung und Stütze des alten, des Verrotteten und Abgelegten. Darum wurde jetzt auch dem Gewaltigen, der die Fürsten Europeen`s zwar unter seine Füße getreten, sie aber zugleich, damit sie ihm wirksamer dienten, zu Satrapen und Despoten gemacht, ein verhältnismäßig mildes Los zuteil, bei dessen Bestimmungen die Klugheit nicht den Vorsitz führte. … Deutschland aber hatte damit die Aufgabe seiner Befreiung von der Fremdherrschaft gelöst, wieder stand es auf eigenen Füßen, nun galt es darum, sich auch innerlich frei zu machen, die geschlagenen Wunden zu heilen und neue Bahnen des Fortschritts aufzusuchen.“
Einer guten Tradition folgend hat der Förderverein Büchnerhaus auch 2020 an Georg Büchners Geburtstag einen Kranz niederlegen lassen. Unser Freund Daniel Rohr vom nebenan gelegenen, wunderbaren „Theater Rigiblick“ hat Bernhard Schlink gewonnen, ihn dieses Jahr zum Grab zu begleiten. Schlink, der am Abend eine Lesung im Theater hatte, beschrieb seine Verbindung laut dem Zürcher Tagesspiegel so: „Das erste Stück, das er sah, war Dantons Tod … Ich war zwölf und von dieser Sprache total begeistert … und dass er vor einem Jahr Büchners Lenz wiedergelesen habe – dort stehen Sätze, die sind zum Niederknien … warum schreibe ich noch, wenn andere solche Sätze schreiben?“