Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Feminismus (Seite 4 von 6)

Nicht still, als bis der Tod dich bricht!

Am 12. Juni 1821, vor 194 Jahren, wurde in Darmstadt, im Haus der Familie, Obere Baustraße, heute Elisabethenstraße, Luise Büchner geboren.

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Nach dem großen Erfolg ihrer Schrift „Die Frauen und ihr Beruf“ (hier ist die von ihr umfangreich überarbeitete und erweiterte Ausgabe  letzter Hand, die 4. von 1872, verlinkt) veröffentlichte sie zahlreiche Aufsätze und Erzählungen. 1862 erschien in Berlin ihr Gedichtband „Frauenherz“.

Luise Büchners bleibende Qualität liegt nicht in ihrer lyrisch-belletristischen Begabung, vieles davon ist heute nur noch als Reminiszenz an sie zu lesen. Bedeutend bleibt sie als Frauenrechtlerin. Aber immer wieder finden sich Texte, in denen  die persönliche Betroffenheit der Autorin unübersehbar ist. Dies gilt ganz besonders für Texte, die als guter Rat für das Leben einer Frau verfasst sind – so wie hier, wo wir buchstäblich das schwere Los einer mutigen, ledigen, konsequenten Frau des 19. Jahrhunderts nachlesen können:

 

 

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Guter Rath

Still mußt du werden, pochend Herz,
Still wie der Stern am Himmelszelt,
Wie er, mußt unberührt du steh’n
Vom nicht’gen Treiben dieser Welt.

Still mußt du werden wie der Fels,
An dem sich wild die Brandung bricht;
Ob auch ein Schifflein jach zerschellt
An seinem Fuß, er fühlt es nicht.

Still mußt du werden wie der Schwan,
Der lautlos schwimmt den See dahin,
Wie einsam er die Fluth zertheilt,
Mußt du des Lebens Kreise zieh’n.

So stolz mußt steh’n du, so allein,
Dann wirst du froh und glücklich sein.
Doch ach! du seufzest leise: nein,
Nicht froh, nicht glücklich werd‘ ich sein!

O, ich versteh‘ dich, glühend Herz,
Zu heiß liebst du das Leben noch,
Trotz seinen Schmerzen, seiner Qual,
Trotz seiner Noth liebst du es doch.

So schlag‘ in Menschenleid und Lust,
So dulde denn und klage nicht,
Sei einsam eher nicht und kalt,
Nicht still, als bis der Tod dich bricht!

 

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von Peter Brunner

Das Frühjahrsprogramm 2015 der Luise Büchner-Gesellschaft

Donnerstag, 12. Februar um 19 Uhr
Literaturhaus (Kennedy-Haus, Kasinostr. 3), Vortragssaal

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Victoria Woodhull (1838-1927) – die erste Frau, die Präsidentin von Amerika werden wollte

Vortrag von Antje Schrupp (Frankfurt)

Sie war ein Mädchen aus der Unterschicht, das einen ungewöhnlichen Aufstieg schaffte: Victoria Woodhull, Zeitungsmacherin, Frauenrechtlerin und Sozialistin. Sie versammelte Teile der Frauenbewegung und der Arbeiterbewegung hinter sich und kandidierte 1872 in einer Aufsehen erregenden Kampagne bei den Präsidentschaftswahlen in den USA – fast 50 Jahre vor Einführung des Frauenwahlrechts. Ihre Aktivitäten waren ein Dorn im Auge auch von vielen fortschrittlichen Frauen und Männern: Der USA-Korrespondent der Gartenlaube, Otto von Corvin, ein alter 48er überschrieb seinen Bericht über die Kandidatur: Victoria Woodhull, der größte Humbug Amerika’s.

Antje Schrupp ist Philosophin, Publizistin und Bloggerin. 2007 gründete sie das Internetforum für Philosophie und Politik mit dem Titel „Beziehungsweise weiterdenken.“

Eintritt: 6 Euro, für Mitglieder der Luise Büchner-Gesellschaft frei

 

 

Donnerstag, 19. Februar 18-20 Uhr
Luise-Büchner-Bibliothek, Literaturhaus (Kennedy-Haus), 2. Stock
(Nebeneingang, bitte klingeln!)

Bibliotheksgespräch: Luise Büchners Berichte über die ersten Ärztinnen in Amerika

In gemütlicher Runde bei Tee und Gebäck wollen wir einen Blick in Luise Büchners Schriften mit Thema Amerika werfen.

Eintritt frei, Spenden willkommen

 

 

Sonntag, 8. März Internationaler Frauentag
Von der Marktfrau zur Studentin
Treffpunkt 14 Uhr am Marktbrunnen

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Stadtrundgang auf Frauenspuren mit anschließendem Besuch der neuen Universitäts- und Landesbibliothek, wo wir im Sonderlesesaal alte Modezeitschriften und – bücher anschauen werden.

Anmeldung:

Email: luisebuechner@aol.com

Post: Luise-Büchner-Bibliothek, Kasinostr. 3, 64293 Darmstadt

Eintritt frei

 

 

Mittwoch, 29. April 19 Uhr
Barbara Sichtermann (Berlin): Ich rauche Zigarren und glaube nicht an Gott – Ein Hommage an Louise Aston
Literaturhaus (Kennedy-Haus, Kasinostr. 3), Vortragssaal

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Sie war die deutsche George Sand, nicht nur wegen Zigarren und Hosen. Louise Aston ging mit Männern in Gastwirtschaften, mischte sich in die Politik ein, veröffentlichte unter eigenen Namen und wählte ihre Liebhaber selbst.

Barbara Sichtermann gehört zu den führenden Intellektuellen Deutschlands. Sie ist Autorin zahlreicher erfolgreicher Bücher. Ihre „Kurze Geschichte der Frauenemanzipation“, erschienen 2009, ist eines der besten Bücher über den langen Weg der Frauen zur Gleichstellung der Lebenschancen.

Eintritt: 6 Euro, für Mitglieder der Luise Büchner-Gesellschaft frei

 

Samstag, 25. April
Tagesausflug nach Gießen mit dem Busunternehmer Brückmann.
Abfahrt um 8 Uhr auf dem Parkplatz des Jugendstilbads (Merckplatz)

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Das Museum in Butzbach

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Gedenkstein für Friedrich Weidig auf dem von ihm errichteten ersten Sportplatz in Hessen

Führungen auf den Spuren der Büchnergeschwister und anderer Frauen und Männer in Gießen und Butzbach.

Teilnahmegebühr (Busfahrt+ Führungen): 32 Euro

Anmeldung bei Ilse Kuchemüller.

Email: ilse.kuchemueller@t-online.de

Tel.: 06151/44400

 

 

Donnerstag, 21. Mai um 19.30 Uhr

„Ich, die Verworfenste der Welt“
Vortrag von Dr. Jutta Schütz mit Bildern und musikalischer Begleitung durch den Gitarristen David Beyer
Literaturhaus (Kennedy-Haus), Kasinostr. 3


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Als „Zehnte Muse“, als „Phönix von Amerika“, wurde die mexikanische Nonne Sor Juana Inés de la Cruz im 17. Jahrhundert gefeiert. Für eine Frau des Kolonialreiches Neu-Spanien hat sie einen beispiellosen Ruhm erlangt – und das mit überwiegend weltlicher Lyrik. Sie stand im Briefwechsel mit herausragenden Gelehrten und stritt um das Recht der Frau, sich zu bilden. Im 20. Jahrhundert wurde Sor Juana wiederentdeckt. Octavio Paz, Mexikos Nobelpreisträger für Literatur, hat ihr einen Essay gewidmet. Maria Bemberg drehte einen Film über ihr Leben, ihre Hauptwerke wurden erneut ins Deutsche übersetzt.

Eintritt: 6 Euro, für Mitglieder der Luise Büchner-Gesellschaft frei

 

Sonntag, 31. Mai: Tag für die Literatur in Hessen

Der Schwerpunkt des 5. hessischen Literaturtags liegt auf „Naturerlebnissen“, also auf Veranstaltungen, die entweder open air stattfinden, oder die Landschaftsbeschreibungen und Naturerlebnisse thematisch in den Mittelpunkt stellen. Unsere Veranstaltung erfüllt beide Kriterien: In dem wunderschönen Barockgarten des Prinzen Georg und seiner Gemahlin, Prinzessin Marie Luise Albertine wollen wir die Geschichte des Gärtnerinnenberufs anhand literarischer Texte kennenlernen und anschließend im ehemaligen Gartenhaus des Kavalleriegenerals Pretlack Gedichte und Texte von Luise Büchner zur Natur und Landschaft hören.

15 Uhr: Gärtnerin als Beruf – Rundgang mit Agnes Schmidt
Treffpunkt im Herrengarten am Eingangstor zum Prinz-Georg-Garten

Luise Büchner: Auf dem Lande, namentlich in der Nähe größerer Städte würde sich auch am schönsten ein Berufszweig entwickeln, den wir nicht gerade neu nennen können, weil er in Frauenklöstern schon im Mittelalter mit großem Geschick gepflegt wird, wir meinen die Gärtnerei, die Obst-, Gemüse- und Blumenkultur.

16 Uhr: „Wie bist du schön, o Rose!“ – Musikalische Lesung im Pretlackschen Gartenhaus
Lesung: Dr. Jutta Schütz und Sigrid Schütrumpf Musikbegleitung: Marcella Hagenauer

Luise Büchner (1821-1877) ist vor allem als Autorin von Schriften zur Frauenfrage bekannt. Die hochbegabte Tochter des Medizinalrats Ernst Büchner und seiner Frau Caroline schrieb jedoch auch Gedichte im Stil der romantischen Dichtung jener Zeit sowie Erzählungen und Reiseberichte. Die Luise-Büchner-Gesellschaft stellt eine Auswahl aus Luise Büchners Gedichtband „Frauenherz“ und Auszüge aus ihren Reiseberichten vor.

 

Eintritt frei, Spenden willkommen!

 

SPeterBrunner

von Peter Brunner

Der Luise Büchner-Preis für Publizistik an Lisa Ortgies ist verliehen

Die fettgesetzten Texte sind Tweets, die ich mit dem Hashtag #LuBuGe von der Preisverleihung aus geschrieben habe

Lisa Ortgies und Agnes Schmidt beim Darmstadt-Stadtplan an der Stadtmauer

Lisa Ortgies und Agnes Schmidt beim Darmstadt-Stadtplan an der Stadtmauer

Essen mit Vorstand und Jury am Vorabend

Essen mit Vorstand und Jury am Vorabend

 

 

J Breckner von @Echo_Online dramatischer Strukturwandel braucht journalistische Kompetenz und Qualität

Johannesbreckner, Feuilletonchef beim Darmstädter Echo, bei seinem Grußwort

Johannes Breckner, Feuilletonchef beim Darmstädter Echo, bei seinem Grußwort

 

Marie-Christine Förster für Lionsclub LouiseBüchner gratuliert. Eigenes Motto ist „Aus dem Leben“ von LB

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Publikum. Erste Reihe v.l.: Stadträtin und Jurymitglies Iris Bachmann, M.-C. Förster, Vors. d. Lions-Club Louise Büchner, Agnes Schmidt, Lisa Ortgies, OB J. Partsch,  B. Mika, J. Breckner

Publikum. Erste Reihe v.l.: Stadträtin und Jurymitglies Iris Bachmann, M.-C. Förster, Vors. d. Lions-Club Louise Büchner, Agnes Schmidt, Lisa Ortgies, OB J. Partsch, B. Mika, J. Breckner. Zweite Reihe Mitte Jurymitglied Hans Sarkowicz, „Büchnerbandit“ Thomas Heldmann, Stadträtin H. Förster-Heldmann

OB Partsch: nächste Darmstädter Schule wird nach Luise Büchner heißen. Dafür ist es höchste Zeit!

Oberbürgermeister Jochen Partsch beim Grußwort zum Luise Büchner-Preis 2014

Oberbürgermeister Jochen Partsch beim Grußwort zum Luise Büchner-Preis 2014

 

Bascha Mika Weibliche Berufstätigkeit ist Lebenserfüllung wusste schon LB. Es geht um Befreiung aus Unmündigkeit

Bascha Mika

Bascha Mika

B Mika zitiert Ortgies: Feminismus hat viele Stärken, aber bisschen wenig Humor und Sexapeal

B Mika lobt Preisjury: Kein vernagelter Emma-Feminismus

B Mika über Ortgies‘ Weggang von Emma: Du hast Alice herausgefordert, sie ist an Dir gescheitert

B. Mika, L. Ortgies

B. Mika, L. Ortgies

B Mika nur in D werden aus Peanuts wie Frauenquote Kokosnüsse, die Männern auf den Kopf fallen und Sinne vernebeln

 

Der Luise Büchner Preis für Publizistik ist verliehen!

Vereinsvorsitzende Agnes Schmidt überreicht den Preis an Lisa Ortgies

Vereinsvorsitzende Agnes Schmidt überreicht den Preis an Lisa Ortgies

Preis hat besondere Aura insbesondere durch Bezug auf Vorkämpferinnen und Kontinuität

Lisa Ortgies bei ihrer Dankesrede

Lisa Ortgies bei ihrer Dankesrede

Socialfreezing ist übergriffig, gleichzeitig nur 6% Männer in Teilzeitarbeit

Einfluss des Weiblichen noch nicht an dem Punkt, an dem LB applaudieren würde

Lisa Ortgies

Lisa Ortgies

Erhebungen, Statistiken, Förderprogramme wg Frauenrolle überholt. Jetzt tun! Prämien an Abteilungen für gute Quote!

Nur 18% aller Leitartikel schreiben Frauen – und dies nur dank taz und FR

unter den Netzaktivistinnen und Bloggerinnen von heute ist die eine oder andere künftige Chefredakteurin!

Lisa Ortgies

Lisa Ortgies

nimmt Preis auch für Redaktion, pro quote und Heroes Köln. Geht jetzt hochmotiviert wieder an den Start

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Vorstand mit Preisträgerin und Laudatorin – v.l.n.r. Dr. C. v. Prümmer, P. Brunner, A. Schmidt, L. Ortgies, H. Dieckmann, B. Mika, Dr. J. Schütz, I. Kuchemüller

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Luise Büchner zum 193. Todestag: „Die concrete Erscheinung hat ohne Zweifel das Recht, auch concret beurtheilt zu werden“

Am 28. November 1821, vor 193 Jahren, starb Luise Büchner in Darmstadt.

Ludwigsplatz, Haus Böttinger um 1935

Das Haus in der Oberen Baustraße, heute Elisabethenstraße, am Darmstädter Ludwigsplatz, in dem Luise Büchner geboren wurde (ca. 1935, Foto Stadtarchiv Darmstadt – links der heute noch stehende Brunnen, den es 1821 ebensowenig wie die Fahrräder gab)

 

In ihrem meist zitierten Werk, Die Frauen und ihr Beruf, in der Ausgabe letzter Hand, der 4. von 1872, ist der Anfang des Kapitels  „Die Pflicht der Selbsterziehung“ ein gutes Beispiel dafür, wie Luise Büchner weit über die damals üblichen Erziehungsratgeber hinaus erkennt und beschreibt.

 

Die Pflicht der Selbsterziehung

Vor die Trefflichkeit setzten den Schweiß die

unsterblichen Götter.

Hesiod.

 

Der ist gut vor Allen, der selbst jedwedes erkennet,

Sinnend im Geist, was künftig ihm Besserung schaffe zum End‘ aus!

Hesiod.

 

Es denkt gewiß heutigen Tages kein Gebildeter mehr daran, die Behauptung zu verneinen, daß die ganze Fortentwicklung der Menschheit lediglich auf deren Erziehung und Bildung beruht. Dies ist keine neue Wahrheit, aber in ihrer ganzen Bedeutung ist sie wohl noch zu keiner Zeit so tief aufgefaßt und begriffen worden und so wird gewiß auch das Wie, welches dem höheren Ziele entgegenführt, von allen Seiten stets deutlicher erkannt und entwickelt werden.

Auf den Lykurgischen Standpunkt, der ein ganzes Volk nach der Schablone erziehen will, werden wir wohl hoffentlich nie mehr zurückkommen und sicherlich ist nur jene Ansicht unserer Zeit und der fortgeschrittenen, sittlichen Entwicklung würdig, welche stets bei der Erziehung die Individualität des Einzelnen im Auge behält.

Darum muß aber auch sowohl die öffentliche, als die häusliche Erziehung zuerst darauf hinwirken, daß der Einzelne sich selbst als Individuum schätzen lerne und daß der Trieb in ihm lebendig wird, an seiner Entwicklung thätig mitzuwirken. –

 

Sehen wir uns in der Geschichte der alten und neuen Zeit um, wo finden wir ein schöneres Vorbild der Volkserziehung, als in der Atheniensischen, die jedem Einzelnen die Möglichkeit einer freien, geistigen Entwicklung darbot? Wenn sich dort auf einem kleinen Fleck Erde Alles vereinigt fand, was die griechische Kunst Großes leistete, wo die Philosophie in offenen Schulen gelehrt wurde und das Spiel der Bühne ohne Unterschied allen Bürgern zu Theil wurde – wenn sich dort also eine Bildung geltend machte, von der wir heute kein Beispiel mehr haben und nach deren Ideal Dichter und Gelehrte aller folgenden Zeiten die Hände verlangend ausstreckten, so ist doch nicht zu verkennen, daß unsere Zeit so viele Bildungsmittel fast aller Orten aufgehäuft hat, um den Meisten, wenn sie ernstlich wollen, die Möglichkeit der Selbstbildung zu gewährleisten. Daß wir als deren schönste Frucht wiederum nur die höhere, moralische Empfänglichkeit, die reinste Humanität begrüßen können, versteht sich von selbst. –

So wie also jeder Einsichtsvolle den Fortschritt der Menschheit in der Entwicklung des Menschen sieht, kann er wohl nicht anders, als auch umgekehrt, die Verbrechen, die Laster und Fehler, welche die Menschheit beflecken, nicht in deren ursprünglicher Verderbtheit, in einer angeborenen Sucht zum Bösen zu erblicken, sondern er wird sie lediglich in individuellen Anlagen und was noch mehr ist, in den Verhältnissen suchen, unter deren Einfluß sich entweder der Einzelne, oder ganze Schichten einer Bevölkerung entwickelt haben.

Verdammung des Fehlers, aber objective Beurtheilung des Fehlenden, nach Maßgabe der Umstände und Verhältnisse, unter denen seine Individualität sich entwickelte, dieses muß nach unserer bescheidenen Ansicht, heute das Programm jedes ächten Anhängers der Humanität sein. Daß man diesen Grundsatz häufig mißdeutet und verkennt, daß man eine Verherrlichung des Schlechten überhaupt darin erkennen will, ja, daß auch andererseits Manche und nicht selten die Poesie in ihren Werken das Verbrechen mit dem Verbrecher zu adeln sucht, selbst diese Abirrung kann ihm von seiner inneren Wahrheit und Trefflichkeit nichts rauben. Die concrete Erscheinung hat ohne Zweifel das Recht, auch concret beurtheilt zu werden, ehe man ein Verdammungsurtheil über sie ausspricht. Es muß sich natürlicherweise dieser Grundsatz auf alle Verhältnisse und Beziehungen des Lebens anwenden lassen; es gilt eben so wohl für die kleinsten Fehler als die gröbsten Vergehungen, und die Ersteren sind es eigentlich, von welchen wir hier zu reden haben.

Wir schreiben für und über die Familie und es ist hier unsere Aufgabe zu zeigen, wie neben der nothwendigen Toleranz der Einzelnen unter einander, sich der sittliche Ernst des Individuums, der Trieb nach seiner eigenen, höheren Fortentwicklung geltend machen muß. Denn es gibt kleinere Vergehen, kleinere Fehler, die in ihrer täglichen Wiederholung oft grausamere und abscheulichere Folgen nach sich ziehen, als ein einfacher Todtschlag, und wir haben die größten Verbrecher und Verbrecherinnen nicht immer auf dem Schaffot oder in den Jahrbüchern der Criminalisten zu suchen. –

Sei uns aber das Innere eines Menschen und seine Handlungsweise noch so unklar und dunkel, wir werden beide verstehen lernen, sobald wir erfahren, unter welchen Verhältnissen und Beziehungen es sich entwickelte. Tout savoir, c’est tout comprendre, sagt ein geistreicher Franzose, und gewiß, könnten wir genau den Gang verfolgen, welchen die Erziehung von tausenden sogenannt »Wohlerzogenen« genommen, wir würden uns weit öfter in dem Fall sehen, beweinen und beklagen zu müssen, als daß wir verdammen dürfen.

Aber ist damit der Tugend und der Sittlichkeit Genüge geleistet? Sind beide damit zufrieden gestellt, wenn wir uns fast täglich genöthigt sehen, die alte Entschuldigung zu wiederholen: »Was konnte aus dem Menschen Besseres werden bei dieser Erziehung, diesem Beispiel, bei so vieler Vernachlässigung, das Gute zu wecken und zu pflegen?« Das aber ist die wahre Erbsünde, welche sich fortpflanzt von Geschlecht zu Geschlecht, daß es noch zu häufig mißkannt wird, was man der heranwachsenden Generation schuldig ist. Man glaubt gewöhnlich, es sei genug, die Kinder von dem Anblick grober Laster entfernt zu halten; als ob es genügen könnte, sie allein vor Diebstahl, Raub und Mord sicher zu stellen. Der tägliche Anblick des Leichtsinns, des Zorns, der Koketterie, der Unordnung, der Vergnügungssucht und der Oberflächlichkeit, wirken sie nicht gleichfalls demoralisirend auf das jugendliche Gemüth? Was nützen die schönsten moralischen Reden und Lehren der Eltern und Erzieher, wenn nicht das Beispiel des Guten und Schönen hinzutritt!

Diese Ersten sind es also vornehmlich, denen die Pflicht, an der eigenen Fortentwicklung unermüdlich zu arbeiten, nicht dringend genug an das Herz gelegt werden kann; Eltern, welche sich mit ihren Kindern nicht noch einmal miterziehen, sind sich selten klar über den ganzen Umfang ihrer Pflichten. Wer nur einige Erfahrung in der Welt gemacht, hat es gewiß schon hundertmal gesehen, wie systematisch in Kindern durch die Gedankenlosigkeit und Oberflächlichkeit ihrer Erzieher, die fehlerhaften Anlagen auf Kosten der Besseren recht geflissentlich entwickelt und gesteigert werden.

Der vollständige Text findet sich z.B. hier bei Zeno.org

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von Peter Brunner

Theater an Luises Todestag

Im Mai 2012 habe ich hier Peter Schanz‘ Theaterstück „Luise und Mathilde“ besprochen und geendet:  „Als erfrischender Kommentar zum gelegentlich überintellektualisierten Georg Büchner-Gedenken ist dieser schönen Aufführung als Denkmal der Büchnerschwestern und als Memento der noch lange nicht am Ziel angekommenen Frauenbewegung viel Erfolg und eine lange Spielzeit zu wünschen!”

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Mathilde Büchner (1815 – 1888)

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Luise Büchner (1821- 1887)

Leider ist das Stück nicht mehr auf dem Programm des Darmstädter Staatstheaters, aber inzwischen hat sich die Junge Bühne Schlangenbad unter der Regie von Michael Tarnowski seiner angenommen.

Zu den gesicherten Überlieferungen der Büchners in Darmstadt und Pfungstadt gehört, dass Festlichkeiten aller Art mit literarischen und musikalischen Aufführungen zu begangen wurden (zu Wilhelm und Elisabeths silberner Hochzeit 1870 in Pfungstadt musste die ganze Familie in die Rolle antiker Götter schlüpfen …), und so bietet es sich ja an, zu Luise Büchners Todestag am 28. November an diese Tradition anzuknüpfen.

Im Darmstädter Literaturhaus bietet die Luise Büchner-Gesellschaft jetzt die Gelegenheit, Hildrud Hauschke und Rita Rosen mit der szenischen Lesung des Stückes zu sehen, was ich nur empfehlen kann:

Freitag, 28. November um 19 Uhr
Literaturhaus (Kennedy-Haus), Kasinostr. 3
Luise und Mathilde – szenische Lesung mit Rita Rosen und Hiltrud Hauschke

Eintritt: 6 € 

 

SPeterBrunner

von Peter Brunner

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