Für die Geschwister Büchner hat es auch im Rahmen der Büchner-Biennale nur zu einer bescheidenen Präsenz gereicht.
Publikum bei der Vernissage
Luise und Mathilde, Wilhelm, Ludwig und Alexander Büchner sind sowohl als Zeitzeugen für Georg Büchner, als prägende Persönlichkeiten seines jungen Lebens wie als je für sich stehende Figuren bedeutend. Einen kleine Eindruck davon vermittelt die Zusammenstellung von Lebens- und Arbeitszeugnissen der fünf, „die die Welt verändern wollten“, im Foyer des Darmstädter Liebighauses. Schon am 14.12. muss diese Präsentation wieder abgebaut werden.
Für alle, die die Gelegenheit zur Besichtigung noch nicht hatten,
und für alle, denen eine Besichtigung alleine noch nicht genug ist,
und für alle, die Agnes Schmidt und die Fabelhafte Büchner-Bande sehen, hören und erleben wollen,
gibt es dort eine letzte Gelegenheit:
Finissage der Ausstellung am 14. Dezember um 14 Uhr
Liebighaus Darmstadt. Foyer, Bachgasse 2
Eintritt frei!
Wahrhaft multimedial – im lebhaften Vortrag, mit Verweis auf die Ausstellungstafeln und unterstützt von Musik und Gesang – können sich die Gäste ein eindrucksvolles Bild von dieser Darmstädter Familie machen, die Karl Gutzkow „als von demselben göttliche Feuer ergriffen“ nannte.
Claus Netuschil wollte es sich bei der Finissage seiner Ausstellung „Da geht Büchner“ nicht nehmen lassen, einen ärgerlichen Aspekt der Büchner-Feierei zu thematisieren: das ünglückselige Motiv der Gedenkbriefmarke, das ich hier schon bein Erscheinen kommentiert habe.
Die unglückselige Würdigung der Verfolgung Büchners auf einem Staatspapier von 2013
Der Versuch der Würdigung Büchners durch die DDR 1963
Netuschil ist es gelungen, die Künstlerin Dorothea Göbel für den Entwurf einiger Alternativen zu gewinnen. Dabei ist dieses kleine Blatt entstanden, das ich mit ihrer freundlichen Genehmigung hier zeigen kann.
Dorothea Göbel: Fingerübungen für eine Büchner-Briefmarke mit „Festtagsstempel“ für die Galerie Netuschil, Darmstadt
unter Verwendung des Holzschnitts „Georg Büchner“ von Helmut Lortz
Bei aller grundsätzlichen Distanz zur Würdigung Büchners auf einer so banalen Drucksache wie einer Briefmarke wird hier doch deutlich gezeigt, dass sowohl mit dem wunderbaren Büchnerkopf von Helmut Lorz wie mit ganz eigenständiger Motivfindung die Gestaltung einer Drucksache mit prägnanter Wirkung möglich ist. Schade, dass Frau Göbel nicht angefragt worden ist.
Der Bundespost bzw. den von ihr angefragten Künstlern ist jedenfalls nichts auch nur annähernd so Gutes eingefallen, obwohl man sich der Beratung durch die Büchner-Forschungsstelle in Marburg rühmt. Von dort haben wir bisher Kenntnis und Phantasie genug erwartet, auf ein anderes Motiv als ausgerechnet den Steckbrief zu kommen – schade.
Eine ganz besonders sehenswerte Ausstellung im Rahmen der Büchner-Biennale geht schon zu Ende – Klaus Netuschils wunderbare Künstlerpräsentation „Da geht Büchner“.
Noch bis Samstag können die Plastiken, Drucke, Gemälde und Objekte, mit denen sich zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit „ihrem“ Büchner auseinandergesetzt haben, besichtigt und einige wenige auch noch gekauft werden.
Netuschil hat eine ganze Reihe schöner Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung organisiert, Christian Wirmer trug „seinen“ Lenz vor, und auch die Büchnerbande trat vor ausverkauftem Haus auf.
Jetzt findet schon die Finissage statt – viele gute Freunde und selbst meine Wenigkeit dürfen beitragen.
Die Galerie lädt für
Freitag, den 15. November, ab 19:30 Uhr
Darmstadt, Schleiermacherstraße 8, zu einem
Fest für Georg Büchner ein.
Edit:
Hier ein paar Bilder von der wunderschönen Finisage am 15.11.:
Thomas Duttenhöfer vor seinem Büchner-Kopf
Rotraud Pöllmann vom Goddelauer Büchnerhaus mit Pionteks Büchnerpreis-Rede
Iris Welker-Sturm mit einem neuem Märchen
Ruth Wagner mit ihren Erinnerungen an Büchner-Events der Achtziger
Bruno Feger unter seinem „Stahlwort“,
das hoffentlich für einen guten Ort in Darmstadt erworben werden kann
Klaus C. Netuschil mit einem ganz besonderen Kunstwerk
– leider restlos vergriffen
Aart Vedeer mit Büchners letztem Brief an Mina: „Addio, piccola mia!“
Agnes Schmidt mit ihrer Reisebeschreibung der Büchners an Georgs Grab in Zürich
Und dann gab es noch eine schöne Überraschung zum Thema Büchner-Briefmarke. Dazu in Kürze mehr!
Wer bis zu diesem Blog gefunden hat, braucht meist keine Erläuterung mehr über die „anderen“ Büchners, Georg Büchners Geschwister, die hier die Hauptrolle spielen.
Luise Büchners, der wir uns seit zwei Jahren in einer eigenen Gesellschaft widmen, wurde schon vor einigen Jahren in einer kleinen Ausstellung gedacht, die jetzt anlässlich der „Büchner-Biennale“noch einmal gezeigt werden kann. Die Geschwister sollten ja in Darmstadt eigentlich eine zentrale Rolle beim Büchner-Gedenken spielen, Johannes Breckner hat dankenswerterweise heute im Darmstädter Echo darauf hingewiesen, dass dieser Anspruch von der Georg-Büchner-Ausstellung im Darmstadtium nicht eingelöst wird.
Immerhin wird am 12.11. um 16 Uhr durch den Darmstädter Oberbürgermeister Jochen Partsch im Foyer des Liebighauses eine Präsentation von 16 Tafeln über Luise Büchner eröffnet.
Stadtarchiv und Staatsarchiv haben sie um Tafeln zu Mathilde, Wilhelm, Ludwig und Alexander ergänzt. Eingeweihte wird es nicht wundern, dass diese Ergänzungen mehr Fragen aufwerfen als beantworten – denn jedes dieser außerordentlichen Leben ist für sich alleine eine selbständige Ausstellung wert.
Die Ausstellung ist bis zum 14. Dezember bei freien Eintritt geöffnet:
Am Samstag Abend fand vor ausverkauftem Haus mit an die 1.000 Besuchern im großen Haus des Darmstädter Staatstheaters die Vernissage zur Ausstellung „Georg Büchner -Revolutionär mit Feder und Skalpell“ statt. Mit meinen beschränkten technischen Möglichkeiten habe ich Fotos geknipst, die nur der Dokumentation und nicht dem ästhetischen Anspruch dienen (übrigens gab es eigentlich keinen Grund dafür, das Publikum in tiefste Theater-Dunkelheit zu tauchen – „mehr Licht“ hätte nicht geschadet):
Ralf Beil, der Kurator, hatte sich ganz wörtlich in Frack geworfen und präsentierte nach der ersten (von später mehrfach wiederholten) Aufzählungen der immer gleichen Honoratiorinnen, teils mit, teils ohne vollständigem Titel, sich selbst als Zampano, was darin gipfelte, dass ihm am Ende auch noch ein Preis für seine Kuratorentätigkeit für eine vergangene Ausstellung überreicht wurde.
Kluge Regie hatte die unvermeidlichen Ansprachen zwischen gut ausgewählten Darbietungen hervorragender Ausschnitte von Büchner-Interpretationen platziert.
Andreas Manz-Kozár mit der Sain-Just-Rede aus dem „Danton“: Soll eine Idee nicht ebensogut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt?
Leider unkrönbar: der unbestrittene Star des Abend, unser Freund Christian Wirmer, mit der sensationellen Interpretation von Büchners Lenz – wahrhaftig auf dem Kopf stehend. Als einziger wagte Wirmer nicht nur akrobatisch, sondern auch akustisch die Leistung, unverstärkt zu sprechen – obwohl der Kopfstand die Artikulation nicht leichter machte. Er erntete verdient den stärksten Applaus des Abends.
Margit Schulte-Tigges:
Das Märchen aus Woyzeck „ … und da sitzt es noch und ist ganz allein“
Das Orchester unter Martin Lukas Meister mit
dem Orchesterzwischenspiel im 3. Akt von Alban Bergs „Wozzeck“
Aart Veder:
Büchners letzter Brief – „Adio, piccola mia“
Zwei Honoratioren sprengten glücklicherweise den Rahmen veranstaltungstypischer Betulichkeit:
Der Darmstädter Oberbürgermeister Jochen Partsch zitierte den Bericht Carl Vogts über Büchner als Gießener Student, der ihn als schroff und wunderlich charakterisiert, und stellte die Frage, ob denn dieser Büchner heute hier und unter uns besser aufgenommen würde. In der Tat gibt es gute Gründe, sich Georg Büchner als demonstrativ unangepasst im Auftreten vorzustellen. Sein Bruder Wilhelm schreibt in dem Gedicht „Am Grab des Bruders“:
Das blaue Aug, sein lockig Haar, Die kühne Stirn mit den Apollo-Bogen, Ein schlanker, grosser, junger Mann, Geziert mit rother Jakobiner-Mütze Im Polen-Rock, schritt stolz er durch die Strassen Der Residenz, die Augenweide seiner Freunde! Wie Anders ist es heut!
Man vergegenwärtige sich im biedermeierlich-behäbige Darmstadt („so lang und breit die Rheinstraß‘ ist, es wimmelt drin – ein Accessist“ – Alexander Büchner) einen Halbwüchsigen im demonstrativen Dresscode der französischen Revolution! Mir fehlen angemessene Beispiele für eine heute vergleichbare Provokation. Die ersten Hippies auf deutschen Straßen oder vermummte Frauen in orthodoxen Kirchen mögen ähnlich anstößig gewesen sein. Es ist dem Oberbürgermeister und seinem Redenschreiber nicht hoch genug anzurechnen, dieses „deviante“ Verhalten des jungen Studenten zu thematisieren und damit eine Aktualisierung Büchners zu ermöglichen, die leider viel zu selten versucht wird. Diese Frage muss nämlich in der Tat gestellt werden: ist unsere Gesellschaft heute bereiter und fähiger, Provokateure und Kritiker anzunehmen und konstruktiv mit ihnen umzugehen?
In Facebook schrieb er spät nachts:
„Habe darauf hingewiesen , dass bei aller Freude und Feier viele Menschen heute unter uns sind, die auch nicht verstanden werden, sensibel sind, revolutionäre Ideen haben, auch heute draußen stehen, Hmm nicht auf Empfängen … Darmstadt bleibt kritisch, natürlich auch gegenüber dem OB. Und völlig richtig ist Danys Anmerkung: Wenn ich mir das alles betrachte wäre für Büchner der Veggieday peanuts! Soisses.“
Prof. B. Dedner
Auch Burkhard Dedner, der Leiter der Büchner-Forschungsstelle in Marburg, widersetzte sich erfolgreich der üblichen Lobhudelei von Eröffnungsansprachen. Ihm war das Büchner-Zitat aus einem Schulheft als Motto zugeordnet, und er ließ erfreulicherweise keine der naheliegenden frechen Bemerkungen über DARM-stadt, Poponien und die Venus mit den schönen Hintern aus. Ihm ist zu verdanken, dass die Büchnerausstellung mindestens von den Anwesenden ab jetzt nicht nur als Labsal für Ohr und Auge, sondern auch mindestens als Bedürfnis der fühlenden Hand empfunden werden kann.
Der Weisheit der Vielen soll hier dann aber doch eine Bemerkung unterworfen werden, die mich verblüfft hat: Dedner meint nämlich , dieses „lambe me in podice” (für die glücklichen Nicht-Humanisten: „Leck mich am Arsch!“) sei in der gesamten Literatur von Büchner als Erstem aufgeschrieben worden; ihm sei es nicht gelungen, eine frühere Fundstelle zu identifizieren. Ich persönlich hätte bis gestern darauf gewettet, dass sich das schon als Marginalie in einer mittelalterlichen Handschrift finden lässt – weiß wer mehr?
Die Festversammlung löste sich schließlich auf – hoffentlich zahlreiche Gäste nutzten dann noch die Gelegenheit zu einer ersten Besichtigung und dem Vernissagen-Schwoof im naheliegenden Welcome-Hotel. Der Berichterstatter, der ja bereits einen ersten Einblick haben durfte, zog ein Privatissimum vor.