Peter Brunners Buechnerblog

Autor: peter brunner (Seite 2 von 89)

Uns allen ein Löwinnenherz!

Im festlichen Rahmen der Darmstädter Orangerie erhielt heute die Autorin, Publizistin und Frauenrechtlerin Florence Hervé den Luise Büchner-Preis für Publizistik. Ihre Laudatorin  Elisabeth Klaus beschrieb Ihr Leben und Werk als eine Parabel auf MUT – von AnMUTung bis VerMUTung:

AnMUTungen

ZuMUTungen

ArMUT/ReichTUM („in Reichtum allerdings nur verkehrt herum…“)

UnMUT

ErMUTigung

MUTmacherin

WageMUT

ÜberMUT

WUT

VerMUTung

 

Herve beendete Ihre Dankesrede: „Frauenbildungsarbeit bleibt eine ständige Herausforderung … Luise Büchner wird mich bei  allen meinen Aktivitäten weiterbegleiten …  Die Anerkennung verstehe ich als Ermutigung, weiter für Frauenrecht, Freiheit und Frieden zu schreiben und zu streiten und die Jüngeren dabei mit einzubeziehen. In diesem Sinn wünsche ich uns allen ein Löwinnenherz.“

 

Florence Hervé. Elisabeth Klaus

Grußworte sprachen der Darmstädter Oberbürgermeisters Jochen Partsch, die Darmstädter Vorsitzenden des Lions Club Louise Büchner, Stefanie Lechner, und Johannes Breckner als Mitglied der Jury. 

Von Peter Brunner

Ganz gelesen ist halb gespielt

Häufig kommt in Gesprächen mit Schülergruppen im Büchnerhaus die Frage auf, wie es denn eigentlich sein könne, dass Georg Büchner mit 19 Jahren über eine so aussergewöhnliche Kenntnis von Literatur verfügen konnte, insbesondere, woher denn seine Kenntnis der Dramen der Weltliteratur komme.

Tatsächlich darf davon ausgegangen werden, dass Büchners Theatererfahrung überschaubar war; verschiedene Inszenierungen des gleichen Stücks hat er wahrscheinlich nie gesehen. 

Wir dürfen aber sicher annehmen, dass er sich mit Freunden häufig zum Lesen mit verteilten Rollen traf und so seine Kenntnis – und Haltung – bildete. Aus zahlreichen Berichten wissen wir, wie selbstverständlich in Freundeskreisen und Salons gemeinsam laut gelesen wurde. Ich rate jungen Leuten gerne, das selbst einmal auszuprobieren. (Leider müssen sie oft genug erst einmal Distanz zur bis dahin unglücklichen Präsentation von Büchners Dramen im Unterricht finden.) So oft dieser Vorschlag zunächst auf abschätziges Lachen stößt, weiß ich doch inzwischen, dass es einige wirklich und mit echtem Vergnügen gewagt haben. Ich freue mich sehr, wenn diese im neunzehnten Jahrhundert so verbreitete Form der Literaturaneignung nicht gänzlich verloren geht. Mit Leonce und Lena kann so eine heitere Runde zusammenkommen (und dem selten erkannten abgründigen, überbordenden Humor des Stückes gerecht werden); dem Danton mit seinen fast filmscripthaften Szenenwechseln wird die Vorlesetechnik gerade da gerecht, wo moderne Bühnen heute auf Szenenbilder ganz verzichten. Unser Kopf ist allemal schneller als eine Drehbühne für den Weg Salon Gasse Club Gasse Zimmer … *  

Dem Darmstädter Staatstheater muss dieser Vorschlag untergekommen sein – nicht zwangsläufig von mir, ich verzichte da gerne auf jede Verantwortung. In der Inszenierung für sechs Personen nach der Fassung von Christoph Mehler und Christina Zintl fehlen für ein gemütliches Leseszenario eigentlich nur bequeme Stühle, das Manuskript in der Hand der Agierenden und der größere Teil der eigentlich 28 von Büchner Vorgesehenen Personen sowie einige „Männer und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Deputirte, Henker ect“. (Die ausufernde Unsitte, auch an großen Häusern die Personnage von Stücken zusammenzustreichen, ist übrigens nicht nur mangelnder Respekt vor dem Werk, sondern darüber hinaus auch Sparen am falschen Ende. In diesem Falle um so mehr, als ja noch nicht einmal „stattdessen“ Abertausende für das Bühnenbild aufgebracht wurden.) 

Was bleibt: sechs Personen in weißen Strumpfhosen, darüber schwarzen Culottes (! – die SANS-Culottes trugen nicht etwa keine, sondern im Gegenteil gerade lange Hosen, im Unterschied zu den adligen Knickerbockers), stehen vor dem Bühnenvorhang und – tragen Reste von Büchners Text vor. 

Das geschieht im Wesentlichen emotions- und bewegungsarm; das gelegentliche Übereinanderfallen und dramatische Lichtwechsel ändern nichts an diesem Eindruck. Und wenn schließlich Mathias Znidarec zu Saint-Justs großer Rede ansetzt („Es scheint in dießer Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort Blut nicht wohl vertragen können….“) und er dann plötzlich doch in Wort und Gestus zugleich beweglich wird, da verzichtet die Inszenierung gerade dort auf die fürchterliche Nüchternheit, die große Interpret*innen diesem Text kalt und ruhig verleihen können.

Valerie Bolzano hat das für die Büchnerbühne mit unbewegter Mine und schneidender Sprache um Längen eindrücklicher präsentiert. 


Insgesamt ist Suhrs Danton ein Theaterstück mit handelnden Personen, das das Original aus nachvollziehbaren Überlegungen strafft und konzentriert, während das Staatstheater in den besten Szenen gerade noch auf den unverwüstlichen Text setzt.

Suhr strafft das Stück und fragt:

… interessiert uns vor allem das Verhältnis von freiheitlichen Ideen zu deren kulturellen Voraussetzungen. Denn aus diesem resultiert die Wahl der politischen Mittel. Wenn beispielsweise Robespierre vom TERROR (hier vom Staat ausgehend) als einzigem Mittel zur Verteidigung der TUGEND spricht, erreicht der Text  bis heute eine erschreckende Aktualität, die eine direkte Verbindungslinie von der französischen Revolution – der Geburtsstunde des europäischen Freiheitsgedankens – bis hin zum Schrecken beispielsweise des IS deutlich macht … Danton: „Ihr wollt Brot – und sie geben Euch Köpfe!“

Büchnerbühne

Unübersehbar stellt er damit seine Frage an den möglichst alles regulierenden Staat und zeigt die Aktualität des Büchnerschen Textes. Das lässt sich getrost nach Hause tragen. 

Darmstadt will wissen

„Wieviel Demut oder Gemeinsinn braucht ein gutes Regieren? Wie viel Gestaltungsmöglichkeit hat jede*r einzelne bei sich und bei der Veränderung der Gesellschaft? Wie können sich Menschen wahrhaftig begegnen, zuhören, lieben? Wie die Einsamkeit angesichts des Todes überwinden? An etwas glauben, das größer ist als sie?“

Staatstheater Darmstadt


Mag sein, dass hinter dem verschlossenen Vorhang Antworten warteten, zum Vorschein kamen sie nicht.

Beide südhessische Inszenierungen verzichten auf den epikuräischen Danton. Ob sie es damit dem Herausgeber Gutzkow gleichtun, darf zu Bedenken gegeben werden. Zu Büchners größtem Ärger kürzte der die Erstausgabe, aber immerhin wusste er

„Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff, und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt’ ich wohl, wie grade der Abfall des Buches, der unsern Sitten und unsern Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigenthümlichste Theil des Ganzen war.“ 


Auf die Ambivalenz, die uns Büchner mit dem saufenden, hurenden Danton gegenüber dem jakobinisch, ja pietistisch strengem Robespierre zeigt, haben beide verzichtet. Es bleibt uns überlassen, zu entscheiden, ob das den Stoff konzentriert oder simplifiziert.

Jedenfalls dann, wenn wir den ganzen Text kennengelernt haben – und sei es in konzentrierter Runde und mit verteilten Rollen. 

Von Peter Brunner

  • * Glaube keiner, das hier lese niemand. An dieser Stelle hatte ich eine beliebige Folge phantasiert und wurde harsch zur Ordnung gerufen. Jetzt ists die echte Folge der ersten Szenen … Danke, Dr. W. 

… kannst du getrost nach Hause tragen

Die Museumsreise ist vorbei und wir haben noch mehr besucht als ursprünglich geplant. Was wir sehen konnten war unglaublich vielfältig, überraschend, aufschlussreich und anregend. Wir werden davon lange zehren und hoffentlich auch die geknüpften Kontakte pflegen – natürlich haben wir alle Besuchte ins Büchnerhaus eingeladen! 

 

Aus Seelow fuhren wir zu Kleist in Frankfurt an der Oder

 

In Erkner besuchten wir das Gerhart Hauptmann Haus

im Wurzener Museum die Ringelnatz-Abteilung

In Halle die Landesausstellung

und nebenan die Müntzerpräsentation in Burg UND (!) Schloss Allstedt

Wie viele andere Orte unserer Reise hätte auch Freyburg an der Unstrut sehr viel mehr als unsere paar Stunden Zeit verdient – wir widmeten die jedenfalls dem alten Turnvater. (Ja, diese Reihenfolge der vier F ist die authentische!)

Nur einen Seitenblick erntete diesmal in Weimar das Goethe- und Schiller-Archiv, wo der Großteil der Büchner-Manuskripte liegt. 

 

Was ist das republikanische Analogon zu „krönender Abschluss“? Das jedenfalls war der Besuch der Ausstellung im Haus der Weimarer Republik mit einem langen, guten, perspektivenreichen Gespräch mit den Akteuren von Orte der Demokratiegeschichte

   

 

„Was uns das alles lernt“ werden wir in den nächsten Wochen diskutieren – und sicherlich mehr als eine Schlussfolgerung wird sich in unserer Museumsarbeit wiederfinden. 

Von Peter Brunner

Reisen ohne Museumsbesuch ist möglich, aber sinnlos!


Hier also ein erster Eindruck von unserer Reise auf den Spuren literarischer und historischer Museen und Gedenkstätten. Es ist Montag, museumsfreier Tag und gleichzeitig Gelegenheit, mit ordentlichem WLAN und auf funktionablem Hotelschreibtisch zu arbeiten.

Die Schiebetafel zur deutschen Geschichte in Fallersleben

Vorweg: noch ist von Resumee keine Rede, aber tatsächlich haben wir schon fast alles erlebt, womit wir gerechnet haben: von sensationell bestückten Präsentationen über großartig architektonisch gestaltete Häuser, von seelenlos gewerblich zusammengekleisterter Ansammlung stummer Tafeln bis zu spürbar engagiertem und teils sehr privatem Zutun haben wir schon alles gesehen. 

Es ging los am Mittwoch in Kassel: Bau und Lage der „Grimmwelt“ sind alleine schon Grund genug für einen Besuch.

In Fallersleben bei Wolfsburg ist die Hoffmann von F. Ausstellung im ehemaligen Schloss. Sein Geburtshaus gegenüber ist heute Hotel und Restauant.

Zugegeben wenig wussten wir von Gleim aus Halberstadt – das hat sich nach dem Besuch im Gleimhaus deutllich geändert. Und natürlich waren wir auch nebenan im Dom.

Volles Programm am Samstag:

von der Fontaneausstellung im „Birnenschloss“ Ribbeck zum Museum im wunderschönen Neuruppin fuhren wir noch nach Rheinsberg zu Tucholsky.

Die Fahrt haben wir ein bisschen umorganisiert und in der Hauptstadt einen Blick auf die innerstädtischen Neuerungen geworfen

Sonntag haben wir das Musenhaus im Oderbruch besichtigt, wo Adalbert von Chamisso seinen „Schlemihl“ schrieb. Abends waren wir dann im „Theater am Rand“ und sahen den Prometeus des Ton und Kirschen Wandertheaters. 

Geschlossen, aber beeindruckend genug ist der Gedenkort für das schreckliche Gefecht auf den Seelower Höhen, wo zehntausende russischer Soldaten ihr Leben lassen mussten, um Europa von der Pest des deutschen Faschismus zu befreien. 

Von Peter Brunner

Mehr in Kürze

Selbstversuch in 13 Stationen an 12 Tagen

Das Büchnerhaus macht eine kleine Sommerpause – vom 5. bis zum 22. August bleibt es geschlossen.

 

Anstelle eines schlichten Urlaubs nutze ich in diesem Jahr die Gelegenheit zu einer Sommerexkursion – und die geplante Dimension macht das nach Anzahl und Entfernung zu einer olympiareifen Übung.

Ich plane binnen 12 Tagen Besuche bei

Grimm

Fallersleben

Gleim

Fontane

Tucholsky

Chamisso

dem Theater am Rand

Kleist

Hauptmann

Ringelnatz

Jahn

der Landesausstellung in Halle und

dem Haus der Weimarer Republik

Die literarischen und/oder historischen Museen und Gedenkstätten bieten alle naheliegende Anknüpfungspunkte zu den Themen des BücherHauses, die freundlichen Reaktionen auf meine Besuchsankündigung machen mich um so gespannter auf den Austausch.

Wenn es meine Zeit, die Umstände und das W-Lan zulassen, möchte ich von unterwegs an dieser Stelle kurze Berichte erstatten – es kann also nichts schaden, zwischen dem 4. und dem 15. August gelegentlich hier vorbeizuschauen.

Die Reise für BüchnerFindetStatt wird freundlicherweise unterstützt mit Projektmitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, das die Reorganisation von Bücherhaus und Büchnerbühne von 2020 bis 2022 fördert.

Von Peter Brunner

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