Die Schiebetafel zur deutschen Geschichte in Fallersleben
Vorweg: noch ist von Resumee keine Rede, aber tatsächlich haben wir schon fast alles erlebt, womit wir gerechnet haben: von sensationell bestückten Präsentationen über großartig architektonisch gestaltete Häuser, von seelenlos gewerblich zusammengekleisterter Ansammlung stummer Tafeln bis zu spürbar engagiertem und teils sehr privatem Zutun haben wir schon alles gesehen.
Es ging los am Mittwoch in Kassel: Bau und Lage der „Grimmwelt“ sind alleine schon Grund genug für einen Besuch.
In Fallersleben bei Wolfsburg ist die Hoffmann von F. Ausstellung im ehemaligen Schloss. Sein Geburtshaus gegenüber ist heute Hotel und Restauant.
Zugegeben wenig wussten wir von Gleim aus Halberstadt – das hat sich nach dem Besuch im Gleimhaus deutllich geändert. Und natürlich waren wir auch nebenan im Dom.
Volles Programm am Samstag:
von der Fontaneausstellung im „Birnenschloss“ Ribbeck zum Museum im wunderschönen Neuruppin fuhren wir noch nach Rheinsberg zu Tucholsky.
Die Fahrt haben wir ein bisschen umorganisiert und in der Hauptstadt einen Blick auf die innerstädtischen Neuerungen geworfen
Sonntag haben wir das Musenhaus im Oderbruch besichtigt, wo Adalbert von Chamisso seinen „Schlemihl“ schrieb. Abends waren wir dann im „Theater am Rand“ und sahen den Prometeus des Ton und Kirschen Wandertheaters.
Geschlossen, aber beeindruckend genug ist der Gedenkort für das schreckliche Gefecht auf den Seelower Höhen, wo zehntausende russischer Soldaten ihr Leben lassen mussten, um Europa von der Pest des deutschen Faschismus zu befreien.
Das Büchnerhaus macht eine kleine Sommerpause – vom 5. bis zum 22. August bleibt es geschlossen.
Anstelle eines schlichten Urlaubs nutze ich in diesem Jahr die Gelegenheit zu einer Sommerexkursion – und die geplante Dimension macht das nach Anzahl und Entfernung zu einer olympiareifen Übung.
Ich plane binnen 12 Tagen Besuche bei
Grimm
Fallersleben
Gleim
Fontane
Tucholsky
Chamisso
dem Theater am Rand
Kleist
Hauptmann
Ringelnatz
Jahn
der Landesausstellung in Halle und
dem Haus der Weimarer Republik
Die literarischen und/oder historischen Museen und Gedenkstätten bieten alle naheliegende Anknüpfungspunkte zu den Themen des BücherHauses, die freundlichen Reaktionen auf meine Besuchsankündigung machen mich um so gespannter auf den Austausch.
Wenn es meine Zeit, die Umstände und das W-Lan zulassen, möchte ich von unterwegs an dieser Stelle kurze Berichte erstatten – es kann also nichts schaden, zwischen dem 4. und dem 15. August gelegentlich hier vorbeizuschauen.
Die Reise für BüchnerFindetStatt wird freundlicherweise unterstützt mit Projektmitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, das die Reorganisation von Bücherhaus und Büchnerbühne von 2020 bis 2022 fördert.
Das Geburtshaus von Georg Büchner liegt geographisch zwischen Hambach und Frankfurt, zwischen dem Ort des republikanischen Aufbruchs und dem Ort der ersten gewählten Volksversammlung in Deutschland. Tatsächlich beschreibt der geographische Ort auch historisch ziemlich genau die historische „Verortung“ der Republikaner um den Hessischen Landboten.
Am Montag, dem 12. Juli, stellten Bürgermeister Marcus Kretschmann, der Vorsitzende des Neuen Vereins „BüchnerFindetStatt“, Werner Schmidt, und der Leiter des Museums Büchnerhaus, Peter Brunner (v.r.n.l.), die neue Plakette „Ort der Demokratiegeschichte“ am Büchnerhaus vor.
hat zum Ziel, „… die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern und darüber demokratische Teilhabe und Zivilcourage anzuregen“. Das Büchnerhaus ist ebenso wie die Paulskirche und das Hambacher Schloss Mitglied der Arbeitsgemeinschaft und erweitert damit sein Netzwerk bundesweit. Georg Büchner gehört „als einer der wirkmächtigsten politischen Schriftsteller des Vormärz“zu den „Hundert Köpfen der Demokratie“, die die Arbeitsgemeinschaft zusammengestellt hat.
Bundespräsident Steinmeier hat in seinem Beitrag „Deutsch und Frei“ vom 14.3. 2019 in der ZEIT die Pflege „der Stätten, von denen Demokratie ausging“ gefordert. Das Büchnerhaus erwähnt er
„In Berlin und Bonn leisten großartige Museen und der Bundestag wichtige Beiträge zur Erinnerungsarbeit. Aber es gibt weitere herausragende Orte der deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte: Das Hambacher Schloss, der Friedhof der Märzgefallenen und die Festung Rastatt, das Weimarer Nationaltheater, Herrenchiemsee und die Nikolaikirche in Leipzig zählen dazu. Sie alle sollten nicht nur Ereignisorte sein, sondern wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass sie Lernorte der Demokratie werden. Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Orte der Demokratiegeschichte, kleine und große, bekannte und weniger bekannte. Ich denke etwa an das Geburtshaus von Georg Büchner in Riedstadtund das von Matthias Erzberger in Buttenhausen, das Teehaus in Trebbow, wo sich Widerständler des 20. Juli trafen, an Denkmäler wie jenes für die Unterzeichnung der Weimarer Verfassung in Schwarzburg oder für die frühen Großdemonstrationen im Herbst 1989 in Plauen.“
Der Deutsche Bundestag hat in der Folge dieser Überlegungen am 9. Juni 2021 die Errichtung einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ beschlossen.
„Mit dem Gesetz soll eine öffentlich-rechtliche Bundesstiftung zur Förderung national bedeutsamer Orte geschaffen werden, die symbolhaft für die wechselvolle Geschichte der Demokratie in Deutschland stehen. Ziel ist es, mit Projektförderungen, eigenen Veranstaltungen oder Kooperationen bundesweit das Bewusstsein für den Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu schärfen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Die deutsche Geschichte zeigt, wie fragil demokratische Gesellschaften sein können. Die Botschaft daraus ist: Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern müssen täglich gelebt,gestaltet und auch erkämpft werden. An den Orten der Demokratiegeschichte lässt sich konkret veranschaulichen, wie hart errungen unsere demokratischen Freiheitsrechte sind und was es zu verteidigen gilt. Die neue Bundesstiftung wird durch die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit das Bewusstsein für demokratische Werte schärfen und die Zivilgesellschaft stärken. Die breite Unterstützung des Parlaments für den Gesetzesentwurf ist daher auch ein klares Bekenntnis zu unserer Demokratie.“ Der … Gesetzentwurf ist Teil der im Koalitionsvertrag vereinbarten Konzeption zur Förderung der Orte der deutschen Demokratiegeschichte. Die neu zu errichtende Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main soll das Engagement des Bundes koordinieren und bündeln.“ (Pressemitteilung der Bundesregierung vom 10. Juni 2021)
Als Grundlage seiner Arbeit hat der Vorstand des Fördervereins Büchnerhaus formuliert:
„Die Wahrung der Erinnerung an Georg Büchner ist hohl und unergiebig, wenn sie nicht aktuelle Bezüge hat. Kenntnis und Verständnis der Geschichte des 19. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Büchners, ist eine elementare Voraussetzung für das Verständnis deutscher, ja europäischer Geschichte bis heute, und ohne Kenntnis der Geschichte lässt sich die Gegenwart nicht erfolgreich gestalten.
Das Büchnerhaus regt dazu an, sich Büchners Werk und Leben zu nähern. Dazu stellt es neue Erkenntnisse vor, fördert die Debatte, regt zu kritischer Auseinandersetzung an, macht auf parallele Werke und Entwicklungen anderer Länder und Kulturen aufmerksam und stellt sich stets der Frage nach der Aktualität Büchners in Literatur und Politik.“
Unser neuer Verein „BüchnerFindetStatt“ – entstanden aus der Fusion von BüchnerBühne & BüchnerHaus – wird auch in Zukunft nach dieser Maxime arbeiten.
In Büchners Leben und Werk sind der Autor, der Republikaner und der Naturwissenschaftler nicht voneinander zu trennen. Das Büchnerhaus weist sich mit der Plakette als „Ort der Demokratiegeschichte“ aus, es ist und bleibt darüber hinaus auch und mit gleicher Bedeutung der Ort des Autors und des Forschers. Schon bislang war das durch die Plakette „Literaturland Hessen“ ausgewiesen, die das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Hessische Literaturrat und der Hessische Rundfunk dem Büchnerhaus verliehen haben.
Die Neuinszenierung von Georg Büchners „Dantons Tod“ der BüchnerBühne feiert am
Samstag, 26. Juni, um 19:00 Uhr Premiere
„Unter den Linden Leeheim“ in der Kirchstraße 1.
Die Premiere ist der Auftakt zum 1. BüchnerLand Festival, das ursprünglich in viel größerem Maßstab geplant war und wie so viele Kulturveranstaltungen der Corona-Pandemie zum Opfer fiel. Erstmals sollten bei dem großen Festival zu Ehren Georg Büchners unter Federführung von BüchnerHaus, -Bühne und –Stadt in genreübergreifenden Veranstaltungen die verschiedenen Büchner-Orte im Land miteinander verbunden werden. Doch so ganz wollen wir nicht lassen von der Idee eines BüchnerLand Festivals und so wird es vom 26. Juni bis 15. Juli im „Corona-Exil“ der BüchnerBühne, dem idyllischen evangelischen Kirchengelände mit seiner beeindruckenden Lindenallee, verschiedene Aufführungen geben.
Zwischen „Dantons Tod“ und dem
Festival-Abschluss am Donnerstag, 15. Juli, um 19:00 Uhr mit Thomas Freitag
wird es an den Wochenenden verschiedenste Veranstaltungen geben. So werden aus Gießen, wo Georg Büchner studiert hatte, Studierende des Instituts für angewandte Theaterwissenschaft erwartet, die verschiedene Projekte ihrer Beschäftigung mit Büchner vorstellen. Das genaue Programm wird jeweils am Montag bekannt gegeben.
Zum Auftakt also die Neuinszenierung von „Dantons Tod“, die auf dem vielfach beachteten Europa-Projekt der BüchnerBühne „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“ aus den Jahren 2013 bis 2015 basiert. Büchner Geschichtsdrama zeichnet einen zweiwöchigen Ausschnitt aus der entfremdeten Spätphase der Französischen Revolution nach. Die politischen Ziele sind erreicht, im Mittelpunkt steht nun die Verwirklichung der sozialen Revolution. Neben dem auch in späteren Folgerevolutionen gescheiterten Spagat, die Errungenschaften der Emanzipation zu bewahren und in eine demokratische Ordnung zu integrieren, interessiert sich die Inszenierung von Christian Suhr vor allem für den machtpolitisch motivierten Einsatz von Angst. Das einfache Volk wird systematisch in Angst gehalten, um seine hilflose Wut gegen innenpolitische Gegner steuern zu können.
Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Das Gelände öffnet bereits für maximal 100 Personen eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn, um Schlangen am Eingang zu verhindern. Beim Eintritt werden die Kontaktdaten der Besucher erfasst. Bei schlechtem Wetter gibt es die Möglichkeit für bis zu 50 Personen, in die evangelische Kirche umzuziehen. Sie müssen allerdings nachweisen können, dass sie vollständig geimpft, genesen oder aktuell getestet wurden. Die entsprechenden Abstands- und Hygieneregeln müssen eingehalten werden.
Am 21. Juni 1821, heute vor 200 Jahren, hat der Leipziger Perückenmacher und Ex-Soldat Johann Christian Woyzeck seine Geliebte Johanna Christiane Woost erstochen.
Christian Suhr in seiner Ein-Personen-Interpretation des Woyzeck für die BüchnerBühne
2019 hat Anja Schiemann eine Arbeit vorgelegt, die sich dem Fall, der Büchner zu seinem Drama inspirierte, kriminalhistorisch nähert. Sie kommt zu dem Schluß, dass das Verbrechen bereits am 2. Juni begangen wurde – auch dann bleibt es immerhin dabei, dass es inzwischen 200 Jahre her ist.
„Hofrat Clarus kann, allein schon aus Berufsgründen, mit derartiger Komplexität wenig anfangen. Er will „klaren Bescheid“, er will die „Ereignisse in eindeutig überschaubarer Reihenfolge dargelegt bekommen“. So kommt sein Gutachten zu einem Ergebnis, das Woyzecks Schuldfähigkeit bejaht – eine Eindeutigkeit, mit der gelungene Romane in der Regel nichts anzufangen wissen. Steve Sem-Sandberg hat einen solchen geschrieben und das letztlich Unergründliche des Menschen umkreist. Mit einer Offenheit, die bemerkenswert ist.“