Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Juli 2013 (Seite 2 von 2)

Besser hangen in der Luft, als verfaulen in der Gruft

In der zweiten Szene von Büchners Danton heißt es:

 

Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.

EINIGE STIMMEN. Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!

ZWEITER BÜRGER. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne!

Eine Laterne wird heruntergelassen.

JUNGER MENSCH. Ach, meine Herren!

ZWEITER BÜRGER. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!

EINIGE singen.

Die da liegen in der Erden,

Von de Würm gefresse werden;

Besser hangen in der Luft,

Als verfaulen in der Gruft!

JUNGER MENSCH. Erbarmen!

DRITTER BÜRGER. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! ’s ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden. – An die Laterne!

JUNGER MENSCH. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.

DIE UMSTEHENDEN. Bravo! Bravo!

EINIGE STIMMEN. Laßt ihn laufen! Er entwischt.

Frau Prof. Dr. Ariane Martin aus Mainz war auf Einladung des Bessunger Buchladens in die Büchner-Box gekommen, um über Lieder in Büchners Werk anhand dieses Beispiels zu sprechen.

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Schlauerweise war dazu Petra Bassus mit Roland Erben eingeladen worden, um auch gleich hörbar zu machen, worum es ging. Hier ein winziger Film- und Ton-Schnipsel. 

Das „Schinderhanneslied“ hat Georg Bücher wohl von August Becker gehört, und der soll es noch von Teilnehmern an dem berühmten Postraub in der  Subach am 19. Mai 1822, Hans Jakob Geiz und seine Familie,  gehört haben. Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorf haben die Geschichte in den wunderbaren Film „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ umgesetzt.

Frau Martin hat nicht nur anschaulich erläutert, welche Überlieferungsgeschichte dieses Lied hat, sondern auch gründlich gezeigt, wie Georg Büchner Lieder in seinem Werk einsetzt. Die „verschluckten Endungen“ bei „Würm“ und „gefresse“ sind gewollt; im Manuskript hat Büchner das zunächst hochdeutsch geschrieben und dann absichtlich verändert. Hier wird Dialekt gleichzeitig Soziolekt, also als Sprache einer Gesellschaftsschicht – es singt das Volk.

Dialekt im Werk Büchners weckt natürlich in Darmstadt den lokalpatriotischen Stolz auf „Schorsch“ Büchner.  Höchstwahrscheinlich haben die Büchners zuhause „dialektal gefärbt“ gesprochen, aber die Dialektfetzen in Büchners Werk, einige davon auch typisch oberhessisch, lassen eine sicheren Schluss auf seine eigene Sprache, die jedenfalls am Gymnasium sicher „elaboriert“ hochdeutsch sein musste, nicht zu.

Frau Dr. Martin kündigte eine Veröffentlichung zu Liedern in Georg Büchners Werk an (die es verblüffenderweise wohl noch nicht gibt?) – wir sind gespannt!

Am 21. Juli spricht sie im Goddelauer Büchnerhaus:

 

„Büchners Goethe"
Ariane Martin ist Professorin für neuere deutsche Literaturgeschichte 
an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit kulturwissenschaftlicher 
Ausrichtung und Forschungsschwerpunkten vom Sturm und Drang bis zur klassischen Moderne.
Referentin: Prof. Dr. Ariane Martin
Um 18:00 Uhr, Kunstgalerie am Büchnerhaus
€ 7,00 zugunsten des Büchnerhauses 
Info und Anmeldung unter: 06158 930 841 oder 842 
oder E-Mail: kultur@kein spamriedstadt.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Schüler Büchner

Gestern Abend in der BüchnerBox trug István Vincze bei einem „HörBar Spezial“ des Darmstädter Staatstheaters mit angemessener Emphase ein paar der frühen Texte Georg Büchners vor.

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Die „Schülerschriften“ sind ja komischerweise das umfangreichste Textkonvolut Büchners, der erhalten ist. Das erklärt sich aus der Überlieferungsgeschichte: als seine Geschwister Luise und Ludwig Büchner 1850 eine erste Werkausgabe ihres Bruders Georg veröffentlichten, sortierten sie die im Haus vorhandenen und die von Minna Jaeglè erhaltenen Materialien. Die, die sie verwerten wollten, verwahrten sie in einem Raum im Haus, die anderen wohl im Keller oder auf dem Dachboden. Die scheinbar „wertvolleren“ sind dann zu einem großen Teil bei einem Brand im Haus in der Darmstädter  Grafenstraße verloren gegangen. Viel später hat Georg Büchners Neffe, der Sohn Georg seines Bruders Ludwig, Material an Anton Kippenberg vom Insel-Verlag gegeben, der das wiederum nach Auswertung und Veröffentlichung durch Fritz Bergemann, der 1922 eine ziemlich gründliche Werkausgabe veröffentlichte, ans Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar gab. Dort liegen sie bis heute, und als die Luise-Büchner-Gesellschaft letztes Jahr kurz vor der Neueröffnung des Archives schon mal gucken durfte, sahen wir ein paar der schönen Handschriften. Georg Büchner hätte es der Forschung sehr viel leichter gemacht, wenn er seine späteren Texte auch nur halb so ordentlich geschrieben hätte wie diese …

 

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Einer der bekanntesten dieser Schülertexte,  „Rede zur Verteidigung des Kato von Utica“ ist Gegenstand in Luise Büchners Fragment „Ein Dichter“, wo nach dem Vortrag eine begeisterte Freundin zu Georgs Mutter sagt: „Sie sind eine glückliche, glückliche Mutter!“ und diese antwortet: „Glücklich ja, aber auch sorgenvoller als viele andere Mütter, der Feuerkopf wird uns noch viel zu schaffen machen!

 

 

 

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