Neues aus Buechnerland

Peter Brunners Buechnerblog

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Heraus zum 1. Mai!

Das Riedstadt-Goddelauer Büchner-Haus bietet sich in diesem Jahr ganz besonders als Ausflugsziel zum 1. Mai an:

 

Die fabelhafte Büchner-Bande tritt auf! 

 

Verpassen Sie nicht die Gelegenheit, am Geburtsort Georg Büchners beschwingt und mit Musik mehr über ihn und seine und seine unglaubliche Familie zu erfahren!

 

 

 

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Wir planen zur Zeit, im Freien aufzutreten und die gerade fertig gewordene „Scheune“ im Hof zu nutzen. Falls das Wetter das aber nicht zulässt, müssen wir in den kleinen Veranstaltungsraum und dort gibt es natürlich viel weniger Platz. Bitte nutzen Sie bei Interesse daher dringend die Möglichkeit des Vorverkaufs beim Riedstädter Kulturamt:

 

Matinee – „Die fabelhafte Büchner-Bande“

Eine musikalische Revue über sechs Geschwister, die die Welt verändern wollten. Papa Legba´s Blues Lounge mit Petra Bassus, Peter Brunner, Heinrich Dieckmann

Eintritt: € 12,00

11:00 Uhr Kunstgalerie Büchnerhaus, bei schönem Wetter im Hof des Büchnerhauses

Info und Anmeldung unter: 06158 930 841 oder 842 oder E-Mail: kultur@riedstadt.de  

 

 

Blogger schenken Lesefreude

Der schönen Aktion schließe ich mich gerne an.

 

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Ich freue mich immer und über (fast) jeden Kommentar; und diesmal kann, wer hier kommentiert, auch noch Jan-Christoph Hauschilds funkelnagelneue Büchner-Biographie gewinnen.

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Vielleicht ist das eine Gelegenheit für einen kleinen Hinweis der LeserInnen, wie ihr erstes „Büchner-Erleben“ aussah oder ob es einen Büchner-Text gibt, der ihr Leben begleitet?  Am 29. April schließe ich hier die Kommentarfunktion und werde dann per Zufallsgenerator aus den Kommentaren einen auswählen, der dann mit dem Buch prämiert wird. 

 

Dr. Hauschild  hat das Buch ja kürzlich bei der Luise-Büchner-Gesellschaft in Darmstadt vorgestellt, und Christian Wirmer hat daraus gelesen.

 

Hier noch einmal ein kleiner Ausschnitt zum Zuhören:

 

 

Georg Büchners verschollenes Aretino-Drama ist – natürlich nicht! – wieder aufgetaucht!

 Ja, das war mein Beitrag zum 1. April (den „Mathilde-Brief“ gibt’s aber wirklich, Jan-Christoph Hauschild hat ihn gefunden und mich drauf aufmerksam gemacht, auch die Korrespondenz mit Cordelia Scharpf ist echt. In Kürze mehr dazu.): 

 

 

Am 25. März konnte ich bei einem persönlichen Besuch im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin endlich bestätigen, was sich in den letzten Wochen für mich als wahrscheinlich herauskristallisiert hat:

 

Georg Büchners verschollenes Aretino-Drama ist wieder aufgetaucht!

 

Unter der unscheinbaren Signatur VI. HA Nl Lenz, M., Nr. 32 findet sich dort ein Brief von Mathilde Büchner verzeichnet. Diesen Brief habe ich kürzlich in Kopie erhalten und konnte jetzt bei Einsicht in das gesamte Konvolut eine Anlage finden, die das Findbuch nicht verzeichnet. Mathilde Büchner, das ist ja schon Sensation genug, hat also tatsächlich Korrespondenz unterhalten, und zwar immerhin so regelmäßig, dass sie über eine Prägezange mit ihren Initialen verfügte und mit der sie Ihre Briefe kennzeichnete. Hier die ersten Zeilen mit der Absender-Prägung:

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Sie schreibt am 16. März 1876 an eine „Liebe, verehrte Frau Doctor“ in Berlin und schildert das Schicksal einer Sendung, die sie wohl zunächst an die Schwester Luise Büchner, die sich vorübergehend in Berlin aufhielt, geschickt hatte. Das Päckchen kam aber zurück, weil Luise bereits abgereist war, und dann hat es Mathilde Büchner direkt an die Empfängerin gesandt. Offenbar handelt es sich um eine Anlage von einiger Bedeutung.

Es findet sich in der Akte ein Schriftstück von 96 durchgehend nummerierten Seiten in Mathilde Büchners Handschrift, 24 etwa DIN A 4 große Blätter, als Stapel mittig gefaltet und vierseitig fortlaufend beschrieben. Offenbar hat Mathilde Büchner eine Reinschrift von einem Drama ihres Bruders angefertigt; allerdings hat das Schriftstück weder einen Titel noch trägt es einen Verfassernamen.

Der Text beginnt so:

Ein Marktplatz. Buden, Verkäufer, Volk. 

WANDERPREDIGER: Mensch, was bist Du? Du bist gemacht aus Dreck und spazierst eine Weile im Dreck herum und machst selbst Dreck und wirst schließlich wieder zu Dreck, bis du zuletzt an den Sohlen eines Deiner Urenkel klebst als Dreck.

 

Bei der Empfängerfamilie Lenz/Rohde handelt es sich um die Familie des Berliner Historikers Max Lenz. Eine Verbindung der Büchers konnte ich noch nicht im Detail recherchieren, allerdings schreibt mir dazu Cordelia Scharpf, die Biographin Luise Büchners (zum Zeitpunkt dieser Korrespondenz wusste ich noch nichts von der jetzt gefundenen sensationellen Anlage) :

 

–Datierung: Der Zeitpunkt des Briefes fällt mit Luise Büchners Besuch in Berlin im Mai 1876 zusammen, nachdem sie als eine der drei Delegierten der Alice-Vereine aus Darmstadt an der Konferenz des Lette-Verbands (auch: Verband Deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine) im April in Hamburg teilgenommen hatte. Wie sie an Karl Gutzkow am 31. Mai 1876 schrieb (s. Aufsatz von Gerhard K. Friesen in Hausberg/Schmidt: „Feder und Wort sind euch gegeben so gut wie dem Manne!“), verbrachte sie nach der Konferenz einige Zeit in Berlin, um dort u.a. Bildungseinrichtungen und berufsfördernde Schulen für Mädchen und Frauen zu besuchen und einige Freunde aufzusuchen. Danach verbrachte sie zehn Tage bei Marie Calm, einem Mitglied im Ausschuss des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (Leipzig) in Kassel, die dort ähnliche schulische Einrichtungen wie in Darmstadt initiierte und leitete.

–Adressatin: Die Familien Lenz und Rohde sind bisher nicht in Luise Büchners Briefen erwähnt worden. Wie Sie vielleicht schon aus dem Artikel in Wikipedia herausgefunden haben, handelt es sich bei Dr. Max Lenz (1850-1932) um einen Historiker, der 1874 seinen Doktorgrad erworben hatte und in Marburg a.L. am Geheimen Staatsarchiv wirkte, bevor er nach erlangter Habilitation ordentlicher Professor u.a. an der heutigen Humboldt-Universität in Berlin wurde. Da er die Pianistin Emma Rohde erst 1879 heiratete, ist zu vermuten, dass Mathilde Büchner an seine Mutter geschrieben haben könnte – sie erwähnt das verminderte Augenlicht der Adressatin – Max Lenz‘ Vater Gustav Lenz war Jurist und könnte promoviert haben, daher „Frau Doctor“. Wie und wo die Schwestern Büchner die Eltern Lenz kennen lernten, entzieht sich meiner Kenntnis.“

 

Offenbar wollten sich die Büchner-Schwestern den Rat eines Historikers über den unveröffentlichten Text ihres Bruders einholen. Dass Mathilde das im Brief dann nicht erwähnt, erklärt sich leicht aus dem unmittelbar vorhergegangenen Besuch Luises in Berlin: offenbar hatte sie die Adressatin bereits auf die bevorstehende Sendung aufmerksam gemacht, so dass sie sich in ihrem Begleitbrief alleine auf die technischen Umstände beschränkt.

Ich bin mir halbwegs der Tragweite dieses Fundes bewusst und verzichte daher aus zahlreichen guten Gründen auf ausführlichere Zitate. Allerdings mache ich bereits jetzt Urheberrechtsschutz gemäß § 71 UrhG auf die Erstveröffentlichung von Georg Büchners „Pietro Aretino“ geltend. Ich will alles daran setzen, dass der Text der Forschung so schnell wie möglich zur Verfügung steht und hoffe, dass es noch im Jahr von Georg Büchners 200. Geburtstag zu einer Aufführung dieses lange gesuchten Werkes kommt.

 

 

 

 

 

 

 

Ernst Büchner – der Obermedizinalrat bei der Arbeit

Anlässlich des allfälligen Georg-Büchner-Gedenkens ergeben sich schöne Gelegenheiten, auch an seine verdienstvolle Familie zu erinnern. Kürzlich wurde in Darmstadt am Standort der früheren Gebäude des Kranken-, Armen-, Waisen- und Pfründnerhauses, Grafenstraße 9, am dort neu errichteten Fachärztezentrum durch die Investorengruppe Biskupek-Scheinert eine Gedenkplakette zur Erinnerung an Ernst Büchner angebracht. Der Vater der berühmten Geschwister lebte hier seit 1816 bis mit seiner Frau Caroline und den Kindern Georg, Mathilde und Wilhelm.

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Das Bild zeigt die Damen Rettig und Kaumeier, Ur-Ur-Ur-Enkelinnen (die Tochter natürlich noch eine Generation und ein Ur- weiter) von Ernst Büchner, Nachfahren seines Sohnes Wilhelm Büchner, und die Herren Fritz und Peter Soeder, Ur-Ur-Enkel Ernst Büchners und Nachfahren seines Sohnes Ludwig Büchner.

 

Fast gleichzeitig erscheint soeben das Inselbändchen meiner Freunde Boehncke und Sarkowicz „Versuchter Selbstmord mit Stecknadeln“. (Insel Bücherei 1372, Gebunden, 135 Seiten, ISBN: 978-3-458-19372-2, 14,95 €) . Die beiden haben die in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichten Texte Ernst Büchners zusammengestellt, herausgegeben und in einem klugen Nachwort kommentiert.

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Die Texte wären auch ohne die Verbindung zu Georg Büchner bemerkenswerte Zeugnisse der Entstehung einer kühl-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, wie sie Anfang des 19. Jahrhunderts unter anderem von Medizinern entwickelt wurde. Ernst Büchners erster Bericht, der dem Büchlein den Titel gab, lässt sich als eiskaltes  Zeugnis von Menschen- und Tierversuchen ohne jede Emotion des Berichtenden lesen:
Eine junge Frau verschluckt aus Liebeskummer Näh- und Stecknadeln und bittet dann Dr. Büchner, sie aufzuschneiden und davon zu befreien. Stattdessen behandelt der sie mit Brech- und Abführmitteln und notiert ihre Mitteilungen, wann sie wie viele der Nadeln auf natürlichem Weg wieder ausgeschieden hat. Um die organischen Vorgänge hierbei möglichst präzise zu analysieren, schafft Büchner später einen Hund an, der über Tage mit verschiedenen Nadeln gefüttert wird; nachdem eine erste Portion tatsächlich ausgeschieden wird, ohne dass der Hund wahrnehmbar litt, wird er dann ein zweites Mal mit Nadeln gefüttert, erschlagen und seziert, „… und die Eröffnung der Bauchhöhle geschah so schnell, … daß man die peristaltischen Bewegungen des ganzen Darmkanals noch mehrer Minuten lang recht stark vor sich gehen sah“. Unsere Autoren bemerken im Nachwort: „Die lapidar mitgeteilte Tötung des Versuchs-Hundes, die Georg als zehnjähriger sehr wahrscheinlich miterlebt hatte, wird als Erinnerungsposten einer kindlichen Empörung lebendig geblieben sein“. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass sich die Geschichte im Jahre 1823 ereignete, zu einer Zeit, zu der unsere heutige Sentimentalität gegenüber allem Lebenden (solange es nicht zerteilt in der Kühltheke liegt) noch nicht an der Tagesordnung war. Georg Büchner hat sicher Hausschlachtungen erlebt, zum Beispiel bei den Großeltern in Reinheim oder beim Onkel in Goddelau, und nicht erst seit Hermann Nitsch wissen wir, dass Schlachtfeste vergnügliche Angelegenheit sein können. Ob ihn das Töten von Tieren also eher abgestoßen oder fasziniert oder überhaupt nicht berührt hat, möchte ich lieber offen lassen: wie so oft, bietet sich auch hier zu leicht die Gelegenheit, unsere Interpretationen als Folie über Georg Büchners Leben zu legen.

Ernst Bücher jedenfalls hat die Patientin, die ihm später erneut von verschluckten Nadeln erzählt, dann noch einmal mehrer Tage lang eingesperrt und unter Kontrolle Nadeln aufnehmen und ausscheiden lassen. Im Laufe dieses Experimentes scheint sie 95 Näh-, 32 Steck- und 1 Stopfnadel(n) ausgeschieden zu haben. Bedauernd schließt er seinen Bericht mit der Mitteilung, dass es „die Patientin schließlich für besser befunden hat, sich einem anderen Arzte anzuvertrauen …“.

War Ernst Büchner ein ignorantes Monster, das sich seinem Gegenstand ohne jede Emotion näherte? Das ebenfalls abgedruckte „Gutachten über den Gemütszustand eines Soldaten im Augenblick seines Vergehens im Dienste, durch tätliches Vergreifen am Vorgesetzten„, mit dem er dessen Freispruch erwirkte, lässt sich anders lesen. Er kommt zu dem Ergebnis, „ … dieser Zustand, welcher von den Schriftstellern vorübergehender Wahnsinn genannt wird, ist unseres Erachtens … nach wissenschaftlichen Grundlehren … möglich und erklärbar…“, und später, dass es  „nach wissenschaftlichen Grundlehren … in den Grenzen der Möglichkeit liege, daß derselbe … in einem Anfall von vorübergehendem Wahnsinn, in sein Vergehen geraten sein könne…“.

Das Grundthema seiner Söhne Georg und Ludwig allerdings,

Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt ?

scheint ihn nicht zu interessieren – er beschränkt sich auf nüchternsten Augenschein. Vermutlich war der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis ohne Empiriker wie Ernst Büchner nicht möglich; die Abkehr von vorwissenschaftlichen Erklärungen bedurfte wohl des scharfen Schnittes. Immerhin musste Büchner sich ja im Fall der „verbrannten Gräfin“, über den hier bereits berichtet wurde, noch 1850 mit der Behauptung herumschlagen, dass sich TrinkerInnen gelegentlich selbst entzünden und so ums Leben kommen könnten. Aus heutiger Sicht steht außer Frage, dass Ernst Büchner Empathie für seine PatientInnen bestenfalls anders als Ärzte heute, vielleicht auch gar nicht, empfand. Dass er aber, wie es Boehncke und Sarkowicz für wahrscheinlich halten („wahrlich verwandt“) und es Hubert Spiegel in seiner Rezension für die FAZ dann schon für sicher nimmt, “ .. nicht ohne Einfluss auf eine der zentralen Szenen im „Woyzeck“ geblieben sein dürfte: Gemeint ist das berühmte Erbsen-Experiment, das der Regimentsarzt an Woyzeck durchführt“, ist dann doch eine sehr starke Behauptung. Georg Büchner war umgeben von „Ärzten“ und „Wissenschaftlern“, die skrupellos experimentierten. Corinna Nauheimer hat 2008 in ihrer Magisterarbeit  (bei Heiner Bohencke) „Georg Büchner als Rebell – Revolutionäre Ideen während der Studienzeit in Gießen 1833/34″ wieder einmal erläutert, mit welchen Schraten von Universitätslehrern er sich dort herumschlagen musste. Johann Bernhard Wilbrand wird ja schon lange als Vorbild des Doktor im Woyzeck beschrieben. Vorbilder für unmenschliche Wissenschaftler gab es sicher reichlich.

Boehncke und Sarkowicz fragen nach der „Schreibsozialisation“ Georg Büchners und stimmen Jan-Christoph Hauschilds Urteil zu, dass „die phrasenlose Präzision in der Sprache“ väterliches Erbteil sei und schließen zu Recht: „Ernst Büchner hat über Fälle berichtet, Georg beschrieb auf der Basis von Fallgeschichten das seelische und körperliche Leiden anhand von literarischen Figuren. Georg Büchner hat gerichtsmedizinische Gutachten im Woyzeck, den Bericht des Pfarrers Oberlin im Novellenfragment Lenz aus ihren moralisch-juristischen Kontexten gerissen, um sie in die Fallgeschichten zu verwandeln, an denen ihm gelegen war – in literarische Fälle…. Das ist in der Tat das schönste Ergebnis dieser lehrreichen Lektüre: hier liegen wichtige Dokumente der Medizingeschichte vor, die uns gleichzeitig wertvolle Hinweise auf die Schreibwerkstatt Georg Büchners bieten.

Der abschließende Hinweis auf weitere Materialien im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt, nämlich gedruckte und ungedruckte Hinterlassenschaften Ernst Büchners in Gutachten des Darmstädter Medizinalkollegs, darf als Aufforderung zu weiterer Recherche verstanden werden.

 

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