Im Mai 2012 habe ich hier Peter Schanz‘ Theaterstück „Luise und Mathilde“ besprochen und geendet: „Als erfrischender Kommentar zum gelegentlich überintellektualisierten Georg Büchner-Gedenken ist dieser schönen Aufführung als Denkmal der Büchnerschwestern und als Memento der noch lange nicht am Ziel angekommenen Frauenbewegung viel Erfolg und eine lange Spielzeit zu wünschen!”
Mathilde Büchner (1815 – 1888)
Luise Büchner (1821- 1887)
Leider ist das Stück nicht mehr auf dem Programm des Darmstädter Staatstheaters, aber inzwischen hat sich die Junge Bühne Schlangenbad unter der Regie von Michael Tarnowski seiner angenommen.
Zu den gesicherten Überlieferungen der Büchners in Darmstadt und Pfungstadt gehört, dass Festlichkeiten aller Art mit literarischen und musikalischen Aufführungen zu begangen wurden (zu Wilhelm und Elisabeths silberner Hochzeit 1870 in Pfungstadt musste die ganze Familie in die Rolle antiker Götter schlüpfen …), und so bietet es sich ja an, zu Luise Büchners Todestag am 28. November an diese Tradition anzuknüpfen.
Im Darmstädter Literaturhaus bietet die Luise Büchner-Gesellschaft jetzt die Gelegenheit, Hildrud Hauschke und Rita Rosen mit der szenischen Lesung des Stückes zu sehen, was ich nur empfehlen kann:
Freitag, 28. November um 19 Uhr Literaturhaus (Kennedy-Haus), Kasinostr. 3 Luise und Mathilde – szenische Lesung mit Rita Rosen und Hiltrud Hauschke
„Ohne die Veröffentlichung der ersten Werkausgabe durch seine Geschwister Luise und Ludwig wäre Georg Büchner heute vergessen“, „Gerhard Hauptmann hat Büchner nach der Veröffentlichung der zweiten Werkausgabe durch Franzos kennengelernt und nachhaltig dazu beigetragen, dass der Dichter der Vergessenheit entrissen wurde”, „Wedekind stellt sich, angeregt durch Hauptmann, bewusst in die Tradition Büchners” – mal sehen, ob diese verbreiteten Allgemeinplätze noch lange Bestand haben.
Ariane Martin hat kürzlich eine grundlegende Veröffentlichung zur frühen Rezeption Georg Büchners vorgelegt („Georg Büchner 1835 bis 1845. Dokumente zur frühen Wirkungsgeschichte”), die hier in Kürze ausführlicher vorgestellt wird. Damit hat sie mit der These vom „vergessenen Dichter” aufgeräumt.
Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft hat im Jahr von Wedekinds 150. Geburtstag zusammen mit der Frank Wedekind-Gesellschaft kürzlich eine szenisch-musikalische Lesung seiner Texte (mit der Schauspielerin Cornelia Bernoulli und dem Sänger und Schauspieler Bruno Hetzendorfer) im Darmstädter Literaturhaus organisiert.
Am 7. November wird Frau Martin den Büchner/Wedekind-Thesen auf den Zahn fühlen.
Prof. Dr. Ariane Martin im Sommer 2013 in der BüchnerBox
Freitag 7. November um 19.30 Uhr Literaturhaus (Kennedyhaus), Kasinostr. 3 Frank Wedekind und Georg Büchner
Vortrag von Dr. Ariane Martin (Universität Mainz)
Wie kommt es, dass wie selbstverständlich gesagt wird, Wedekind stehe in der Nachfolge Büchners? Der Vortrag sichtet die wenigen Rezeptionszeugnisse, die von Wedekind selbst stammen, sowie die Zuschreibungen einer angeblich ausgeprägten Büchner-Rezeption aus seinem unmittelbaren Umfeld, auf die das verbreitete Bild von Büchner als Vorläufer Wedekinds zurückzuführen sein dürfte.
Gemeinsame Veranstaltung der Luise Büchner-Gesellschaft mit der Wedekind-Gesellschaft
Eintritt frei
Am 25. Oktober 1827 wurde Alexander Büchner in der Darmstädter Grafenstraße geboren.
Das einzig bekannte Foto des Büchner’schen Hauses in der Darmstädter Grafenstraße, wo Alexander Büchner 1827 geboren wurde
Ich habe hier schon einmal über seine Sympathie mit den Kämpfen der Polen um ihre Unabhängigkeit berichtet. Das hier folgende „5. Polenlied” aus seiner allerersten Buchveröffentlichung passt, finde ich, sehr gut auf die Verzweiflung und daraus folgende Allmachtsphantasie, die viele angesichts der Ungerechtigkeit auf der Welt gelegentlich packt. Dann ist es ein naheliegender Wunsch, das Ganze mal schnell zurechtzurücken – allerdings spricht das ein 19-jähriger halt leichter aus als ein älter und bedächtig Gewordener …
Alexander Büchner (1827 – 1904) Ausschnitt aus einer Fotografie
Polenlieder aus dem Februar 1846
5.
Höret, horcht und lasst euch fragen,
Ist kein Teufel zu erjagen?
Ist die Hölle wirklich kalt?
Ist kein Satan aufzutreiben,
Gern möcht‘ ich mich ihm verschreiben
Für ein Stündchen Allgewalt
Für ein Stündchen Macht in Händen,
Da Gerechtigkeit zu spenden,
Wo das Unrecht Recht sein muß,
Hier vor Hungertod zu wahren,
Dort mit Blitzen d’rein zu fahren
In des Reichen Überfluß
Patrioten zu erretten
Von des Henkers Strang und Ketten
Und des Kerkers Einerlei,
Um Despotenmacht zu brechen,
Um zum Volke laut zu sprechen:
Stehe Volk!, sei frei, sei frei!
Zu Georg Büchners diesjährigem 201. Geburtstag am 17. Oktober haben wir bereits zur Uraufführung des Aretino in Riedstadt auf der Büchnerbühne eingeladen.
Bereits zum Sonntag vorher, dem 12. Oktober, lädt die Luise Büchner-Gesellschaft zu einem Stadtspaziergang auf den Spuren der Büchners und anschließend zu einem literarisch-musikalischen Treffen nach Darmstadt ein. Der Keller des „Pädagog” gehört zu den baulichen Überbleibseln aus Georg Büchners Darmstädter Zeit.
Die Büchnerbande – ohne Thomas Heldmann – im April 2013 vor der Erinnerungsplakette an Georg Büchners Schulzeit am Pädagog
Kinder- und Jugendzeit der Büchners in Darmstadt
Ein Spaziergang auf Schulwegen anlässlich Georg Büchners 201. Geburtstag Sonntag, 12. Oktober 2014, 16 Uhr Ecke Grafenstraße/Elisabethenstrasse, Darmstadt
Mit Agnes Schmidt und Peter Brunner. Mitwirkende: Sigrid Schütrumpf (Lesung), Hans-Willi Ohl und Edgar Illert (Musik)
Ende im Theaterkeller des Alten Pädagog, Pädagogstraße, gegen 19 Uhr
Teilnahmegebühr für beide Veranstaltungen 10 Euro, für Mitglieder 5 Euro
In Darmstadt ist nach den Zerstörungen von 1944 wenig Authentisches aus der Zeit der Büchners übrig geblieben – aber immerhin genug, um eine Vorstellung vom Tagesablauf, den Lebensumständen der Familie und ihrem gesellschaftliches Umfeld zu gewinnen. Kurz vor Georg Büchners 201. Geburtstag lädt die Luise Büchner-Gesellschaft auf die Büchner-Spuren in Darmstadt ein: es scheint, als hätte Caroline Büchner geb. Reuß jedes ihrer Kinder in einer anderen Wohnung auf die Welt gebracht – von 1813 bis 1827 ist die Familie sieben Mal umgezogen! Diesmal wollen wir uns bei einem kleinen Spaziergang besonders über die Schulen und die Schulwege unterhalten. Georg und die Brüder besuchten das einzige Darmstädter Gymnasium, das Pädagog, aber hatten sie auch eine „Grundschule“?
Die Büchnerbande – ohne Thomas Heldmann – im April 2013 vor dem Pädagog
Und wo wurden die beiden Mädchen beschult? Und welche Schulen besuchten die „einfachen Leute“ in Darmstadt zu dieser Zeit?
Am wieder aufgebauten Alten Pädagog, wo Georg Büchner und seine Brüder zur Schule gingen, angekommen, hören Sie im Theaterkeller Musik von Hans-Willi Ohl und Originaltexte der Büchners über ihr Darmstadt.
Mit unterschiedlichem Ernst habe ich hier bereits mehrfach Aretino erwähnt; immer im Zusammenhang mit einem Zitat Ludwig Büchners aus der Einleitung zur von ihm herausgegebenen ersten Werkausgabe des Bruders:
„Außerdem muß er in derselben Zeit noch ein zweites Drama vollendet haben, das nicht mehr vorhanden ist. Wenigstens schreibt er im September 1836, nachdem er von zwei fertigen Dramen schon in früheren Briefen gesprochen: „ich habe meine zwei Dramen noch nicht aus den Händen gegeben, ich bin noch mit Manchem unzufrieden und will nicht, daß es mir geht, wie das erste Mal. Das sind Arbeiten, mit denen man nicht zu einer bestimmten Zeit fertig werden kann, wie der Schneider mit seinem Kleid.” (Nachgelassene Schriften von Georg Büchner. Frankfurt, Sauerländer, 1850, S: 37) und „ … das dritte Drama, dessen Büchner Erwähnung thut, kann nur dasselbe sein, das schon in dem angeführten Straßburger Briefe vorkommt und von dem keine Spur aufgefunden werden konnte. Es handelte, wie aus mündlichen Mittheilungen des Dichters an seine Braut hervorzugehen scheint, von dem Florentiner Pietro Aretino. – Es ist bemerkenswerth, daß Büchner während der Fieberdelirien seiner Krankheit sich vergebend anstrengte, von etwas Mittheilung zu machen, das ihm Sorge zu machen schien. Der Tod schloß seine Zunge.” (a.a. O., S. 40)
Tizian: Pietro Aretino (Palazzo Pitti, Florenz)
Der Büchnerbiograph Jan-Christoph Hauschild schreibt:
Daß Büchner ein solches Drama bereits vollendet, wie Wilhelmine Jaeglé glaubte, oder auch nur angefangen hatte, ist nicht zu belegen – es sei denn, man wolle seine briefliche Bemerkung vom 20. Januar 1837, er »komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir’s heller«, historisch großzügig auf den Renaissanceschriftsteller Aretino beziehen. Es könnte sich lediglich um Mißverständnisse und Fehlinterpretationen handeln.
Nicht von der Hand zu weisen scheint aber die Annahme, daß Büchner sich mit Aretinos Leben und Werk beschäftigte. Der Schriftsteller war eine bekannte, weil vielgeschmähte Gestalt der Literaturgeschichte. Wahrscheinlich hat Büchner in Darmstadt oder später in Straßburg den langen Artikel von Philarète Chasles über Pietro Aretino, »sa vie et ses œuvres«, gelesen, der Ende 1834 in der »Revue des Deux Mondes« erschienen war, denn im selben Jahrgang, im Heft vom 30. Juni, war Alfred de Mussets Komödie »On ne badine pas avec l’Amour« abgedruckt, die als eines der Vorbilder für Büchners Lustspiel gilt, und in der folgenden Lieferung vom 15. Juli 1834 hatte Büchner in George Sands »Lettres d’un voyageur«, einem Bericht über ihre Italienreise, zwei Sätze entdeckt, die er später als Motto für »Leonce und Lena« verwendete.
Der drastische, prärealistische und volksnahe Ton von Aretinos Komödien sowie seiner »Kurtisanengespräche« (»Ragionamenti«) wird Büchner ebenso fasziniert haben wie dessen programmatisches Bekenntnis zur Naturwahrheit der Kunst, sein politischer Anspruch ebenso wie seine korrupte Ehrlichkeit.
Wenn man bei aller gebotenen Zurückhaltung an der Existenz eines abgeschlossenen »Aretino«, eines »Gangsterstücks«, wie Peter Hacks mutmaßte, festhalten möchte, würde das voraussetzen, daß Büchner sein Manuskript kurz vor dem Tod in die Hand eines Verlegers, eines Journalisten oder eines vielleicht selbst schriftstellernden Freundes gab und sämtliche Vorarbeiten vernichtete und daß sich ferner auch in seinem Nachlaß keinerlei Spuren fanden, die auf einen entsprechenden Kontakt schließen ließen. Es müßte sich dabei um eine Zürcher Persönlichkeit handeln, die dem Kreis von Büchners hessischen Landsleuten so fern stand, daß man bei ihr keine Handschriften des Verstorbenen vermutete.
Dabei käme wie vielleicht kein anderer sonst der englische Schriftsteller Thomas Lovell Beddoes (1803-1849) in Frage. Den Schönleinschüler und -freund, der 1836/37 in der Nachbarschaft wohnte, verband vieles mit Büchner: die Herkunft aus einer Arztfamilie, das absolvierte Medizinstudium, die Spezialisierung auf Vergleichende Anatomie, ein gleichzeitiger Aufenthalt in Straßburg 1832/33, die Begeisterung für Tieck und Shakespeare, ein eminentes politisches Interesse und schließlich die schriftstellerischen Ambitionen (Versdrama »Death’s Jest-Book«, postum veröffentlicht 1850).
Daß Büchner Beddoes tatsächlich kennengelernt hat, ist jedoch nicht nachzuweisen, und so bleibt Büchners „Aretino“ weiterhin eine Legende von andauernder Faszination. (J.-C. Hauschild: Büchners »PIETRO ARETINO« – Eine Fiktion?, Begleittext zum Manuskript beim Drei Masken Verlag)
Aretino, Italiänischer Huren=Spiegel. dt. ca. 1655
Aretino, Italiänischer Huren=Spiegel. dt. ca. 1655
J.-C. Hauschild hat bereits in den achtziger Jahren die Imagination dieses Stückes gewagt und ein Stück erfunden, wie es Georg Büchner vielleicht geschrieben hätte. Nach zwei szenischen Lesungen (am 29. Oktober 1983 im Marburger Schauspiel und am 28. Juni 1984 im Tübinger Zimmertheater) wird es nun an Georg Büchners 201. Geburtstag, am 17. Oktober 2014, in seiner Heimat durch die Büchnerbühne uraufgeführt.
Ich durfte Gast einer Probe der Büchnerbühne sein. Christian Suhr versteht das Zitat aus dem 10. Akt („Bei einem Spaziergang durch Mantua werden Pietro Aretino und Niccolo Zeuge einer Festnahme und machen Bekanntschaft mit einer Menschenmenge. Die neugierige Liebe des Künstlers zum einfachen Volk wird von diesem nicht erwidert.”) –
„Von Despoten wollt Ihr uns sprechen – Und wollt Eure eigenen Ketten nicht brechen!”
als Dreh- und Angelpunkt des Dramas; in dem Zitat erkennt er das Büchner’sche Hadern mit den Umständen seines Lebens.
Probenszene
Er inszeniert vor einem „Brechtvorhang” als Tür zu zwei Szenerien rechts und links der Hauptbühne, der auch als Projektionsfläche dient, mit wie gewohnt zurückhaltendem Bühnenbild. Hauschilds sorgfältig in klassischem Versmaß verfasstes Stück bringt er fast 1:1 auf die Bühne; „ … sowohl aus Respekt vor dem Autor bei einer Uraufführung”, aber auch, weil die Geschichte des Aretiners, der aus Rom vor der Verfolgung des neuen Pabstes nach Mantua an den Hof der Isabella d’Este flieht, aber schließlich von dessen Schergen dort ermordet wird, „keiner Verbesserung durch die Regie bedarf” (Suhr).
Probenszene
Eine ausführliche Besprechung der unbedingt sehenswerten Inszenierung und des Stückes folgt hier nach der Uraufführung.
Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft bietet ihren Mitgliedern und weiteren Interessentinnen Eintrittskarten und die Organisation von Fahrgemeinschaften für den 17. Oktober an:
Freitag, 17. Oktober Theaterbesuch in Riedstadt/ Leeheim.
Georg Büchners 201. Geburtstag feiert die Leeheimer Büchnerbühne mit der Uraufführung des Stückes Aretino – eine Fiktion von Büchnerbiograph Jan-Christoph Hauschild. Für unsere Mitglieder werden wir 30 Eintrittskarten reservieren lassen. Bitte melden, wenn Sie mitkommen möchten. Die Karten kosten 15 Euro. Gern organisieren wir Fahrgemeinschaften. Uhrzeit wird noch bekannt gegeben!
Anmeldung bis 30. September bei Frau Ilse Kuchemüller, Tel.: 06151/44400;
Email: ilse.kuchemueller@t-online.de
Wer das nicht mehr abwarten kann und/oder Einblick in die Arbeit des Ensembles nehmen möchte, kann am Sonntag, dem 28. September um 18 Uhr zur öffentlichen Probe ins Theater kommen.