Wie verschiedentlich angekündigt, habe ich auf Hinweis von Jan-Christoph Hauschild heute früh im Godderlauer Büchnerhaus durch das liebenswürdige Entgegenkommen von Rotraud Pöllmann auch den „Goddelauer Büchner“ scannen können.
Laut einem mit Schreibmaschine verfassten Text auf dem Rahmen stammt die Reproduktion ebenfalls aus der Hand von Georg Büchners Neffen Ernst Büchner und wurde auch 1913 angefertigt. In Goddelau ist dieses wertvolle „Original“ schon seit lange sicher verwahrt, gezeigt wird dort heute eine moderne Reproduktion der Reproduktion.
Das Bild ist zwar deutlich besser erhalten als das aus dem Familienbesitz, zeigt aber – oval zugeschnitten – ganz offensichtlich den exakt gleichen Zustand. Auch hiervon habe ich einen hochauflösenden Scan anfertigen können, den ich wie schon anlässlich des ersten Scans hier erwähnt auf Anfrage per E-Mail gerne zur Vertiefung der Erkenntnisse zur Verfügung stelle.
Auf allgemeinen Wunsch und obwohl ich gerne über die Pressekonferenz zu Büchner200 in Darmstadt berichten würde, habe ich mich hingesetzt und als Beitrag zur Diskussion um das neu aufgetauchte Bild noch einmal einen Vergleich mit vorhandenen Bildern gemacht. Auffallend regelmäßig haben mich nämlich Frauen, die offenbar eine andere Herangehensweise an Portraits gelernt haben als ich, auf die Augen der beiden jungen Männer aufmerksam gemacht.
Georg, Mathilde, Alexander, der „Neue“, Wilhelm, Ludwig und Luise Büchner
Hier jetzt mal die Augen aller Geschwister aus zu Lebzeiten entstandenen Portraits; in der Mitte die Augenpartie des neu entdeckten Bildes (erinnert das an „eins passt nicht in diese Reihe“?).
Die Aufregung um das möglicherweise neue Bild von Georg Büchner reißt nicht ab.
Teils öffentlich (R. Pabst in der FAZ, Hermann Kurzke im Gelnhäuser Tageblatt, leider online nicht verfügbar), teils im Briefwechsel (J.-C. Hauschild, Henri Poschmann), haben mittlerweile vier sehr unterschiedliche Forscher Zweifel an der Zuordnung geäußert.
Unter den polemischen Bezeichnungen für den Abgebildeten, die mich amüsiert haben, war „Zampano“ (als Anspielung auf die zitierte Oper) natürlich einer Steilvorlage folgend; Henri Poschmanns „Das Phantom, das aus der Oper kam“ lohnt alleine schon fast die ganze Auseinandersetzung!
Abgesehen von der persönlichen Einschätzung Georg Büchners, zu der aus vielerlei Gründen eine Inszenierung als Pirat mit Liebesbrief einfach nicht passen will, wird als Begründung von Zweifel oder Ablehnung genannt:
– es gibt keinen Beleg dafür, dass der Maler August Hoffmann und Georg Büchner 1833 zur gleichen Zeit in Darmstadt waren;
– das Bild ist signiert und datiert, aber nicht betitelt. Es kann einen beliebigen anderen jungen Mann darstellen.
– die insbesonderen von den Professoren Oesterle und Borgards postulierte Ähnlichkeit, bis hin zu der technischen Überblendung der beiden Bilder, hat objektiv keine Beweiskraft. Dies um so weniger, als Georgs Bruder Wilhelm ihm unbestritten sehr ähnlich sah.
– das überlieferte Bild von Georg Büchner, das August Hoffmann malte und das 1944 in Darmstadt verbrannte, ist nur in mäßigen Kopien bekannt. Die am weitesten verbreitete ist eine Reprografie aus den 30er Jahren. R. Pabst erinnert: „Das Gesicht Büchners wirkt darauf „breit und leichenhaft aufgeschwemmt, weil es die Struktur seiner dem Betrachter zugewendeten Hälfte verloren hat“ (so Thomas Michael Mayer bereits 1987)“. Das mache es kaum möglich, von der Kopie auf ein anderes Original zu schließen.
Ich möchte den Argumenten noch hinzufügen:
– Georg Büchners Werk wimmelt von Textübernahmen. Nicht nur der „Lenz“, auch alle anderen Werke strotzen vor genial konstruierten Zitaten. Und ausgerechnet einen Operntext, den er so schätzte, dass er damit seine Liebste grüßen wollte (das ist Professoer Oesterles Theorie für den merkwürdigen Operntext, den der vorgebliche Georg auf dem neuen Bild in Händen hält), hätte er nirgendwo sonst erwähnt haben sollen? „Wenn ein Mädchen mir gefällt, Da hilft kein Widerstreben, Die mein Herz sich hat erwählt, Die muß sich mir ergeben“ – warum ist das nicht zum Beispiel das Auftrittsmotiv des Tambourmajors im Woyzeck geworden?
– kaum zu erklären scheint mir auch, warum das Bild im Besitz des Malers geblieben sein sollte. Wenn es als Liebesgabe für Minna gedacht war – warum erhielt sie es nicht? Selbst wenn tatsächlich die einsetzende Verfolgung der Landboten-Aktivisten eine Übergabe nicht mehr möglich machte – hätte Hoffmann nicht jahrelange Gelegenheit gehabt, es Minna als „trauernder Witwe“ oder den ebenso trauernden Eltern oder Geschwistern anzubieten?
Ich hatte am Wochenende die Gelegenheit, zwei Bilder, die sich bis heute im Familienbesitz von Nachfahren der Familie befinden, gründlich anzusehen und neue Scans anzufertigen:
– das Portrait Wilhelm Büchners „im Paletot“, ein farbiges Aquarell, gezeichnet „L. Becker 1838″
und
– eine Fotografie des unbestrittenen Georg-Büchner-Portraits von August Hoffmann, gefertigt 1913 von Wilhelm Büchners Sohn Ernst.
Während das Aquarell bestens erhalten ist, hat die Fotografie unter Lichteinfluß leider sehr gelitten. Wer sich also für seine Liebsten verewigen lassen will, wähle ein echtes Malerportrait – das hat deutlich besser Bestand als ein Foto!
Beide Bilder stelle ich hier gerne zur Beflügelung der Diskussion zur Verfügung. Allen, die damit arbeiten wollen, biete ich gerne in direktem Kontakt Scan-Aufnahmen im Tiff-Format, digitalisiert mit 300 dpi, ca 25 MB pro Bild, zur weiteren Recherche an – E-Mail genügt.
EDIT: Nach verschiedene Reaktionen habe ich an zwei Stellen Veränderungen gemacht, die ich mit
markiert und durch Streichung sichtbar gemacht habe.
Nach meinem Vorab-Bericht am Samstag habe ich am 27.5. an der Pressekonferenz zur offiziellen Bekanntgabe des Funde auf der Darmstädter Mathildenhöhe teilgenommen.
Hier findet sich das Pressematerial, das uns zur Verfügung gestellt wurde, mit ausführlichen Stellungnahmen der Herren Borgards, Beil, Dedner und Oesterle.
Die Weltpresse war versammelt und hat zum Teil schon vorab und ausführlicher am 28.5. berichtet.
Zum Beispiel das Darmstädter Echo (Stefan Benz), die Süddeutsche Zeitung (Volker Breidecker), der Hessische Rundfunk (Hessenschau-Video) uvam.
Prof. Dr. Roland Borgards, Ralf Beil, Prof. Dr. Oesterle
(im Hintergrund die Projektion von Borgard’s „Überblendung“ der beiden Hoffmann-Bilder,
die er für ein en schlagendenBeweis der wichtiges Indiz für die Authentizität hält.)
Edit:die oben markierte Änderung machte ich nach einem Mailwechsel mit Prof. Borgard .
Die Animation mit der Bild-Überblendung findet sich jetzt hier auf seiner Site
Staatsmin. a.D. Ruth Wagner bewundert die Darmstadt-Ansichten aus dem Konvolut
Die Hoffmann’sche Signatur: 1833 ?!
Nach den geschilderten Auffindungsumständen und erstem, laienhaften Augenschein halte ich für sehr wahrscheinlich, dass es sich um ein 1833 von August Hoffmannin Darmstadt erstelltes Portrait handelt.
Edit:Reinhard Pabst macht mich zurecht aufmerksam: „ … Deuster 1997 schreibt (vermutlich auf der Basis von biographischen Notizen von Hoffmanns 1933 verstorbener Schwiegertochter), er sei überhaupt erst Ende 1833 nach Darmstadt zurückgekehrt!“
Professor Borgards erwähnte, dass es in dem aufgefundene Konvolut weitere Portraits gebe, die man aber nicht mitgebracht hatte. Ich fände sehr interessant, mir einen Eindruck von der Qualität Hoffmanns als Portraitist machen zu können – sollten wir auf anderen Portraits ebenfalls schiefgelegte Köpfe und angewinkelte Arme finden, könnte das auch einfach seine „Manier“ gewesen sein.
Die Attribute allerdings, die der Maler dem Angebildeten beigibt, sprechen nach meiner Einschätzung eher dagegen, dass hier Georg Büchner abgebildet wird. Der angehende Autor des „Landboten“ soll sich als Pirat kostümiert und dieses Bild seiner Geliebten zugedacht haben? Horribile dictu …
Zum Sonntagsfrühstück im verregneten Zwingenberg kamen weit mehr Gäste als erwartet, und das Cafe musset schnell noch Stühle beischaffen, damit alle Platz fanden.
Zusammen mit Angelika Graf von der Stadtbücherei habe ich ausführlich und mit vielen Zitaten aus Werk und Briefen über Georg Büchners Leben berichtet. Mehr als zwei Stunden später und abgefüllt mit Texten, Bildern, Weißwurst und Kaffee gingen die Gäste zufrieden nach Hause. Spätestens nächstes Jahr wollen wir in Zwingenberg über die vielen Märchen schreibenden Büchners sprechen.
Nachmittags kamen dann wieder unerwartet viele Gäste zum Angucken der Büchner-Originale in der Darmstädter Universitäts- und Landesbibliothek. Frau Dr. Uhlemann hatte auf einem großen Tisch zahlreiche Schätze ausgebreitet, die Agnes Schmidt und Dr. Thomas Lange vorab mit ihr zusammen ausgesucht hatten.
Agnes Schmidt alias Mary Poppins
Es ist angerichtet …
Agnes Schmidt mit Luise Büchners Exzerptbüchlein
Agnes Schmidt und Dr. Thomas Lange mit dem Exemplar von „Dantons Tod“, in das Georg Büchner eigenhändig Korrekturen eintrug
Das berühmte Zitat; Büchner ergänzt das augelassene „hurt“
Thomas Lange hat neben dem schönen Alexander Büchner Briefwechsel mit seinem Freund Elissen auch noch ein unveröffentlichtes Theaterstück aufgetan; Alexander hat sich darin über Ludwig Büchners Experimente mit dem „Od“ lustig gemacht. Darüber habe ich hier schon einmal berichtet.
Im funkelnagelneuen Vortragssaal trugen dann noch unsere Freunde Sigrid Schütrumpf (Darmstadt) und Michael Kaiser (Kassel) von Agnes Schmidt und Thomas Lange ausgewählte Büchner-Texte vor.