Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Politik (Seite 2 von 2)

Büchnerstadt Riedstadt statt Riedstadt die Büchnerstadt

„Und das ist der Grund, warum Sie heute hier sind“

oft enden die Einführungsworte für Besucher in Georg Büchners Geburtshaus mit diesen Worten. In dem Fachwerkhaus in der Weidstraße wurde der Republikaner, Dichter und Naturforscher am 17. Oktober 1813 geboren.

Das Geburtszimmer Georg Büchners

Die Gäste haben dann schon ein erstes Rätsel gelöst und Goddelau in Riedstadt gefunden – das ehemals kleine Bauerndorf im hessischen Ried ist Teil der Stadt Riedstadt, einer aufstrebenden Gemeinde im dynamischen Rhein-Main-Neckar-Gebiet.

Heute ist Büchners Geburtshaus in Riedstadt-Goddelau mit der weltweit ersten und bisher einzigen Dauerausstellung zu seinem Leben und Wirken und den Veranstaltungsmöglichkeiten in Galerie und Büchnerscheune zentraler Veranstaltungsort und kultureller Mittelpunkt für Riedstadt, die Region und darüber hinaus.

Die BüchnerBühne als professionelles Autorentheater mit eigenem Ensemble in Riedstadt-Leeheim hat sich mit ihrem Konzept Leben, Werk und Menschenbild ihres Namensgebers verpflichtet.

Reisegruppen und Schulklassen, Büchnerforschende und Republikaner*innen, Theaterenthusiast*innen, Autor*innen und Leser*innen besuchen Riedstadt, die Büchnerstadt.

Das „Büchnergedenken“ ist durchaus nicht unproblematisch oder eindeutig. In § 4.2 der Satzung der Georg Büchner Gesellschaft heißt es z.B.: „Die Georg Büchner Gesellschaft e. V. enthält sich dagegen jeglichen weihevollen Vereinslebens sowie aller Fest- und Feierveranstaltungen zu ihrem Gegenstand ebenso wie zu ihren eigenen Aktivitäten oder verdienten Mitgliedern.“.

Die Geschichte von Büchners Geburtshaus, höchst kontroverse Beiträge zum Büchnerpreis, die versuchte Kanonisierung ausgerechnet durch den Abdruck seines Steckbriefs auf der Gedenkbriefmarke durch die Bundesregierung, die Auseinandersetzungen um Gedenkausstellungen und Werkausgaben belegen, dass es dabei immer um kritische und strittige Aktualität geht.

Büchnerstadt Riedstadt – Georg Büchners Geburtshaus mit Museum, Kunstgalerie und „Büchnerscheune”

2006 war seitens der Stadt Riedstadt erstmals der Versuch unternommen worden, vom hessischen Innenministerium die Erlaubnis zu erhalten, „Büchnerstadt“ als offiziellen Bestandteil des Namens führen zu dürfen. Geregelt ist dieses Verfahren im § 13.2 der Hessischen Gemeindeordnung: „Die Gemeinden können auch andere Bezeichnungen, die auf der geschichtlichen Vergangenheit, der Eigenart oder der Bedeutung der Gemeinde beruhen, weiterführen. Der Minister des Innern kann nach Anhörung der Gemeinde derartige Bezeichnungen verleihen oder ändern.“ Schon damals geschah das mit der berechtigten Begründung, dass die Präsenz Georg Büchners in der Stadt und das ehrenamtliche und politische Engagement dies mehr als rechtfertigten. Das wurde mit der spaßigen Antwort abgelehnt, Riedstadt sei ja nicht Georg Büchners Geburtsort. Mit anderen Worten: „Hessen“ könnte eigentlich weder das Stammland Goethes noch der Grimms sein – die lebten ja in der freien Stadt Frankfurt bzw. in Hessen-Kassel …

Im Rahmen der Positionierung von Büchnerhaus und Büchnerbühne in Riedstadt wurden in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche Besuche aus Politik und Kulturwesen organisiert. Ein Ergebnis der Bemühungen, das außergewöhnliche Engagement der Stadt zu würdigen und langfristig zu unterstützen, ist die jetzt erfolgte Namensgebung. Dabei gibt es Anlass zur Hoffnung, dass hiermit kein Grabstein gesetzt wird, unter dem ein für alle Mal alles Strittige zugunsten gelangweilter oder „weihevoller” Gedenkroutine versinkt, sondern

ein Wegweiser zu Makkaroni, Melonen und Feigen, musikalischen Kehlen, klassischen Leibern und einer kommoden Religion

für all die, die wissen, dass dieses Ziel in der Unendlichkeit liegt und wir gerade deshalb stets danach streben müssen.

Am

Dienstag, dem 13. August 2019, ab 9 Uhr

veranstaltet die Stadt Riedstadt auf dem Gelände des Bücherhauses in Kooperation mit den beiden Büchervereinen Haus und Bühne ein

„Büchnerfrühstück“,

zu dem alle herzlich eingeladen sind.

Museum und Bühne werden dabei (und in Zukunft) dafür sorgen, dass Georg Büchners Geschichte und seiner Aktualität in Riedstadt ohne jedes Weihevolle gedacht wird.

Gegen 10:30 Uhr erfolgt dabei die offizielle Übergabe der Landesurkunde an den Bürgermeister und Vorsitzenden des Fördervereins Büchnerhaus, Marcus Kretschmann, durch den hessischen Innenminister Peter Beuth.

Und dann setzen Haus und Bühne in der Büchnerstadt Riedstadt fort, was Büchner angemessen ist: Vermitteln und Recherchieren, Suchen und Finden, Fragen und Antworten, Lachen und Weinen, Hoffen und Fürchten –

„Und dann umstellen wir das Ländchen mit Brennspiegeln, daß es keinen Winter mehr giebt und die uns im Sommer bis Ischia und Capri hinaufdestilliren, und wir das ganze Jahr zwischen Rosen und Veilchen, zwischen Orangen und Lorbeern stecken.“

Peter Brunner

 

von Peter Brunner

„Causa Menasse“ – Inwiefern kann, was die fiktionalen Texte betrifft, Menasse mit Büchner verglichen werden?

Zur Causa Menasse hat die Autorin Petra Morsbach in der FAZ in einem Leserbrief Stellung bezogen. „Können die Inbegriffe des historischen Wissens und des öffentlichen moralischen Bewusstseins für die literarische Fiktion verbindlich sein?“ fragt sie und bezieht das auf die „herrlich erfundenen Reden“ bei Shakespeare, Brecht und – Büchner.

Ich habe eine Reihe von Freund*innen gefragt, ob sie das hier kommentieren wollen, und neben Schweigen und spöttischer Ablehnung („net amol ignoriert“, „Vollmeise, alle beide“) die folgende Antwort von Herbert Wender erhalten.

Es hat ja immer wieder literarische Debatten gegeben, bei denen Büchner auf die eine oder andere Art als Zeuge herhalten musste, ich erinnere mich an die große Auseinandersetzung um Peter Schneiders „Vati“. Auch wenn Frau Morsbach unglücklich mit einem indirekten Zitat Büchners endet („Der geniale Büchner, auf den wir alle stolz sind, empfahl, Paläste anzuzünden“) meint Wender, es lohne sich, ihrer Überlegung nachzugehen. Er schreibt:

Lieber Herr Brunner,

ich danke Ihnen für den Hinweis auf die Büchner-Erwähnung(en) in einem Leserbrief der Schriftstellerin Petra Morsbach, der in der FAZ erschienen ist. Sie sucht den Kollegen Robert Menasse gegen die Kritik des Feuilletons in Schutz zu nehmen, indem sie Shakespeare, Büchner und Brecht als Parallelfälle nennt. In der öffentlichen Diskussion (soweit ich sie im Internet übersehe) wird dagegen die Causa Menasse eher mit den Fällen Relotius und Würger, zuweilen auch mit der älteren ‚Causa zu Guttenberg‘ verglichen. Offenkundig wollte Frau Morsbach den Leumund des Buchpreis-gekrönten Autors retten, indem sie Menasse den großen Text-Entleihern an die Seite stellt.

Die Befindlichkeiten der Leserbrief-Autorin interessieren mich nicht, ebensowenig ihr vielleicht doch etwas schlichtes Bild von Georg Büchner. (Es wäre allemal besser gewesen, die in den Quellen dokumentierten Gewalt-Vorstellungen Büchners zu zitieren als im Menasse-Stil ein Zitat zu phantasieren, das auf die Parole „Krieg den Palästen!“ anspielt.) Auch interessiert mich im folgenden nicht das eigentliche Skandalon, das insofern ein doppeltes ist, als es nicht nur Menasse, sondern auch das Feuilleton bloßstellt: Bereits 2013, also weit vor der Veröffentlichung seines Romans „Die Hauptstadt“, hat Menasse in einem nicht-fiktionalen Text (seinerzeit abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung) in Form einer Tatsachenbehauptung aus einer angeblich historischen europapolitischen Rede des CDU-Politikers Walter Hallstein zitiert, die dieser Ende der 1950er Jahre, mitten im Kalten Krieg, in Auschwitz gehalten hätte. Wer die Geschichte der Hallstein-Doktrin kennt (man vergleiche etwa die einschlägigen außenpolitischen Meldungen der 1960er Jahre im Internet-Archiv der ehemaligen SED-Zeitung „Neues Deutschland“), müßte Menasse schon für tollkühn halten, wollte er ihm eine bewußte Fälschungsabsicht unterstellen. Ich vermute, daß es ihm ging wie einst dem Herrn zu Guttenberg: Wie dieser fest daran glaubte, daß die entlehnten Sätze seinem eigenen Hirn entsprungen wären, so erlag auch Menasse der selbstverliebten Vorstellung, die starken Sätze, die er geschrieben hatte, wären tatsächlich von Hallstein in Polen gesagt worden.

Nach diesen Klarstellungen komme ich nun endlich zum eigentlichen Thema: Inwiefern kann man, was die fiktionalen Texte betrifft, Menasse mit Büchner vergleichen?

Shakespeare, Büchner, Brecht

Im Unterschied zu Martin Mosebachs schnurgerader Überblendung „Saint-Just, Büchner, Himmler“ (FAZ-Titel der Büchnerpreis-Rede von 2007), die auf ideologische Engführung historischer und fiktiver Reden zielt, scheint Petra Morsbachs Zusammenstellung dreier großer Namen nur den poetologischen Aspekt in den Blick nehmen zu wollen. Die mittlerweile zusammengebrochene Autosuggestion Menasses, der für historisch wahr hielt, was er erfunden hatte, wird im Leserbrief gar nicht angesprochen, argumentiert wird offenkundig rein handwerklich. Daß die Grenzen zwischen dem historisch Überlieferten und dem vom Autor Hinzugedichteten bei der literarischen Gestaltung historischer Stoffe fließend sind, ist in der Tat nichts Besonderes.

Wer sich in solchem Zusammenhang auf Georg Büchner beruft, hat recht: In den drei Büchner-Texten, die einen historischen Stoff verarbeiten, also im Revolutionsdrama, in der Künstlernovelle und im Sozialdrama, fingiert Büchner Reden von Figuren, die historische Namen tragen, und verzichtet gleichzeitig nicht darauf, auch historisch bezeugten Wortlaut in seine Texte zu integrieren. Im „Woyzeck“ zum Beispiel sind die tragenden Säulen einer Argumentation, die den Täter als Opfer sehen, frei erfunden; der historische Woyzeck hatte zum Zeitpunkt der Tat weder eine militärische Beschäftigung noch den Nebenjob im medizinischen Experiment. Und der historische Täter war von der ermordeten Witwe ausgehalten worden, während die literarische Figur rührend bemüht ist, für Frau und Kind zu sorgen. Man müßte Büchner für tollkühn halten, wollte man ihm unterstellen, er hätte mit offensichtlichen Fakes zu einem realen Geschichtsverfahren kritisch Stellung nehmen wollen.

Hinzu kommt ein weiteres Problem, wenn wir die literarischen Handwerker vergleichen wollen, nämlich daß wir das Verhältnis der Dichter zu den ermittelten Quellen in der Regel nur indirekt erschließen können, aus dem Ergebnis ihrer Arbeit, aus dem Werk. Man kann sich durchaus fragen, warum Büchner die Titelfigur des Revolutionsdramas und zwei weitere Dantonisten im Bordell auftreten läßt. Glaubte er einfach entsprechenden historischen Quellen oder wollte er uns die ‚Liederlichkeit‘ dieser historischen Akteure nur glauben machen, um den dramatischen Konflikt zu steigern?

Ich verweise an dieser Stelle auf meine Dissertation (Wender 1988, insbesondere das Kapitel “ ‚Huren‘ oder ‚Hoden‘ ?“). Ohnehin würde es zu weit führen, die verschiedenen Techniken der Quellenverarbeitung in Büchner-Texten näher zu erläutern. Ich schließe also etwas abrupt, will aber nicht ausschließen, die Diskussion fortzusetzen. Anregungen dazu sind immer willkommen!

Herzliche Grüße,
Ihr Herbert Wender

Ich stelle das hier zur Diskussion und freue mich zusammen mit Herbert Wender über jeden Kommentar.

Peter Brunner

Peter Brunner

Wie so oft wird die Debatte lieber in privaten Mails als hier geführt; ich darf das aber mit „anonym” zitieren:


„Die Causa Menasse ist – für mich – aus einem anderen Grunde bemerkenswert: Was man so hört und liest, ist es ein Roman von eher mittelmäßiger Qualität. Gleichwohl hat er gegen bessere Werke den Buchpreis bekommen. Also merke: Du mußt mit dem „Narrativ“  der Mächtigen denken, um zu reüssieren. Da schaden auch Fakes nicht. Und schon  das macht M. mit Büchner unvergleichbar. Ihn  mit Shakespeare und Büchner in einem Atemzug zu nennen, heißt alle im eigentlichen Sinne literarischen Maßstäbe hintanstellen.”

2019 – es gibt viel zu tun

Auf 20 von 8518 Zeilen kommt im soeben besiegelten hessischen Koalitionsvertrag Literatur vor:

Literatur
Hessen ist ein starkes Literaturland. Wir werden die Literaturförderung weiter ausbauen, weiterhin den hessischen Verlagspreis verleihen und mit einem Gemeinschaftsstand auf der Frankfurter Buchmesse präsent sein. Die Literaturbüros, -zentren und -häuser, die in der Fläche des Landes arbeiten, sollen weiterhin unterstützt werden.
Wir werden prüfen, ob wir z.B. zu den Themen „Brüder Grimm“, „Bettine von Brentano“, „Johann Wolfgang von Goethe“ und „Georg und Luise Büchner“ die verschiedenen Einrichtungen in unserem Land vernetzen und diese hessischen Autoren damit stärker in den Fokus rücken können.
Als Reaktion auf die zunehmende Verfolgung von Menschrechtsaktivisten, Künstlern, Autoren und Journalisten wollen wir einen Fonds „sicherer Hafen“ auflegen, aus dem Stipendien für 20 Verfolgte über einen Zeitraum von 3 Jahren finanziert werden können. Wir werden sie in dieser Zeit dabei unterstützen, sich ein Netzwerk aufzubauen und ihre Arbeit fortzusetzen. Wir wollen damit als Hessen einen Beitrag im Sinne der demokratischen Werte unserer Europäischen Union leisten. Wir werden dabei prüfen, ob wir dabei mit dem europäischen Projekt ProtectDefenders.eu kooperieren können”

Im vergangenen Jahr haben die kulturpolitischen Sprecher*innen der Grünen (Martina Feldmayer), der CDU (Karin Wolff) und der SPD (Gernot Grumbach) das Büchnerhaus besucht. Auch dem Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft und Kunst, Patrick Burghardt, konnten wir vor Ort und im Ministerium erläutern, wie der Bedeutung Georg Büchners in Zukunft besser Rechnung getragen werden könnte.

Gerd Duttenhöfer: Georg Büchner

Der Förderverein Büchnerhaus, die BüchnerBühne und die Luise Büchner-Gesellschaft haben sich in den vergangenen Jahren mit großem, häufig ehrenamtlichem, Einsatz und einigem Erfolg um dieses „in den Fokus rücken” bemüht. Es freut uns, dass diese Bemühungen jetzt ihren Niederschlag unter anderem in dieser Formulierung  gefunden haben. Uns war und bleibt wichtig, dass die Büchner-Geschwister eben gerade nicht nur bedeutende historische Persönlichkeiten waren, sondern dass sich aktuelle Lehren aus ihrem Leben und Werk  ziehen lassen. Das gilt für Luises Engagement für „Mädchenbildung” ebenso wie für Georgs radikale Opposition gegen diktatorische Regierung. Sprachgewalt und Zeitlosigkeit von Georgs literarischem Werk heben es weit über die Texte seiner Zeitgenossen hinaus; wenige Dichter deutscher Sprache haben über Jahrhunderte Einfluss auf aktuelle Literatur genommen wie er.

Barbara Dieckmann: Luise Büchner

Die künftige hessische Landesregierung formuliert einen Vorsatz, der das als bedeutendes Erbe all derer beschreibt, die

„Hess*in sind, weil sie Hess*in sein wollen”.

Das ist ein guter Anfang. Und wir haben keinen Zweifel daran, dass mit Angela Dorn eine Ministerin das Amt übernimmt, die dem gerecht werden wird.

von Peter Brunner

Peter Brunner Peter Brunner

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