Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Geschichte (Seite 2 von 29)

Das Büchnerhaus – ein Ort der Demokratiegeschichte

 

Das Geburtshaus von Georg Büchner liegt geographisch zwischen Hambach und Frankfurt, zwischen dem Ort des republikanischen Aufbruchs und dem Ort der ersten gewählten Volksversammlung in Deutschland. Tatsächlich beschreibt der geographische Ort auch historisch ziemlich genau die historische „Verortung“ der Republikaner um den Hessischen Landboten.   

Am Montag, dem 12. Juli, stellten 
Bürgermeister Marcus Kretschmann, der Vorsitzende des Neuen Vereins „BüchnerFindetStatt“, Werner Schmidt, und der Leiter des Museums Büchnerhaus, Peter Brunner (v.r.n.l.), die neue Plakette „Ort der Demokratiegeschichte“ am Büchnerhaus vor.

 

Die „Ar­beitsgemeinschaft Orte der Demokratiegeschichte“

hat zum Ziel, „… die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern und darüber demokratische Teilhabe und Zivilcourage an­zuregen“. Das Büchnerhaus ist ebenso wie die Paulskirche und das Hambacher Schloss Mitglied der Arbeitsgemeinschaft und erweitert damit sein Netzwerk bundesweit. Georg Büchner gehört „als einer der wirkmächtigsten politischen Schriftsteller des Vormärzzu den „Hundert Köpfen der Demokratie“, die die Arbeitsgemeinschaft zusammengestellt hat.

Bundespräsident Steinmeier hat in seinem Beitrag „Deutsch und Frei“ vom 14.3. 2019 in der ZEIT die Pflege „der Stätten, von denen Demokratie ausging“ gefordert. Das Büchnerhaus erwähnt er

In Berlin und Bonn leisten großartige Museen und der Bundestag wichtige Beiträge zur Erinnerungsarbeit. Aber es gibt weitere herausragende Orte der deutschen Frei­heits- und Demokratiegeschichte: Das Hambacher Schloss, der Friedhof der März­gefallenen und die Festung Rastatt, das Weimarer Nationaltheater, Herrenchiem­see und die Nikolaikirche in Leipzig zählen dazu. Sie alle sollten nicht nur Ereignis­orte sein, sondern wir sollten gemein­sam dafür sorgen, dass sie Lernorte der De­mokratie werden. Darüber hinaus gibt es unzäh­lige weitere Orte der Demokratiege­schichte, kleine und große, bekannte und weniger be­kannte. Ich denke etwa an das Geburtshaus von Georg Büchner in Riedstadt und das von Matthias Erzberger in Buttenhausen, das Teehaus in Trebbow, wo sich Widerständler des 20. Juli trafen, an Denkmäler wie jenes für die Unterzeichnung der Weimarer Verfassung in Schwarzburg oder für die frühen Großdemonstrationen im Herbst 1989 in Plauen.“

Der Deutsche Bundestag hat in der Folge dieser Überlegungen am 9. Juni 2021 die Er­richtung einer „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ beschlossen.

Mit dem Gesetz soll eine öffentlich-rechtliche Bundesstiftung zur Förderung natio­nal be­deutsamer Orte geschaffen werden, die symbolhaft für die wechselvolle Ge­schichte der De­mokratie in Deutschland stehen. Ziel ist es, mit Projektförderungen, eigenen Veranstaltun­gen oder Kooperationen bundesweit das Bewusstsein für den Wert der freiheitlichen demo­kratischen Grundordnung zu schärfen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters: „Die deutsche Geschichte zeigt, wie fragil demo­kratische Gesellschaften sein können. Die Botschaft daraus ist: Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern müssen täglich gelebt, ge­staltet und auch er­kämpft werden. An den Orten der Demokratiegeschichte lässt sich konkret veranschauli­chen, wie hart errungen unsere demokratischen Freiheits­rechte sind und was es zu verteidi­gen gilt. Die neue Bundesstiftung wird durch die Auseinandersetzung mit unserer Vergan­genheit das Bewusstsein für de­mokratische Werte schärfen und die Zivilgesellschaft stärken. Die breite Unterstüt­zung des Parlaments für den Gesetzesentwurf ist daher auch ein klares Bekenntnis zu unserer Demokratie.“
Der … Gesetzentwurf ist Teil der im Koalitionsvertrag vereinbarten Konzeption zur Förderung der Orte der deutschen Demokratiegeschichte. Die neu zu errichtende Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main soll das Enga­gement des Bundes koordinieren und bündeln.“ (Pressemitteilung der Bundesre­gierung vom 10. Juni 2021)

Als Grundlage seiner Arbeit hat der Vorstand des Fördervereins Büchnerhaus formuliert:

Die Wahrung der Erinnerung an Georg Büchner ist hohl und unergiebig, wenn sie nicht aktuelle Bezüge hat. Kenntnis und Verständnis der Geschichte des 19. Jahr­hunderts, des Jahrhunderts der Büchners, ist eine elementare Voraussetzung für das Verständnis deut­scher, ja europäischer Geschichte bis heute, und ohne Kennt­nis der Geschichte lässt sich die Gegenwart nicht erfolgreich gestalten.

Das Büchnerhaus regt dazu an, sich Büchners Werk und Leben zu nähern. Dazu stellt es neue Erkenntnisse vor, fördert die Debatte, regt zu kritischer Auseinander­setzung an, macht auf parallele Werke und Entwicklungen anderer Länder und Kul­turen aufmerksam und stellt sich stets der Frage nach der Aktualität Büchners in Li­teratur und Politik.“

Unser neuer Verein „BüchnerFindetStatt“ – entstanden aus der Fusion von BüchnerBühne & BüchnerHaus – wird auch in Zukunft nach dieser Maxime arbeiten.

In Büchners Leben und Werk sind der Autor, der Republikaner und der Naturwissenschaft­ler nicht voneinander zu trennen. Das Büchnerhaus weist sich mit der Plakette als „Ort der Demokratiege­schichte“ aus, es ist und bleibt darüber hinaus auch und mit gleicher Bedeu­tung der Ort des Autors und des Forschers. Schon bislang war das durch die Plakette „Li­teraturland Hessen“ ausgewiesen, die das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, der Hessische Literaturrat und der Hes­sische Rundfunk dem Büchnerhaus verlie­hen haben.

Von Peter Brunner

Bist du todt? Todt! Todt! (es kommen Leute[,] läuft weg)

Am 21. Juni 1821, heute vor 200 Jahren, hat der Leipziger Perückenmacher und Ex-Soldat Johann Christian Woyzeck seine Geliebte Johanna Christiane Woost erstochen. 

 

Christian Suhr in seiner Ein-Personen-Interpretation des Woyzeck für die BüchnerBühne

2019 hat Anja Schiemann eine Arbeit vorgelegt, die sich dem Fall, der Büchner zu seinem Drama inspirierte, kriminalhistorisch nähert.  Sie kommt zu dem Schluß, dass das Verbrechen bereits am 2. Juni begangen wurde – auch dann bleibt es immerhin dabei, dass es inzwischen 200 Jahre her ist.

Soeben erschien der Roman „W.“ von Steve Sem-Sandberg.  Den Versuch, sich der Figur literarisch zu nähern, hat Rainer Moritz für den Deutschlandfunk besprochen. Er schließt:

„Hofrat Clarus kann, allein schon aus Berufsgründen, mit derartiger Komplexität wenig anfangen. Er will „klaren Bescheid“, er will die „Ereignisse in eindeutig überschaubarer Reihenfolge dargelegt bekommen“. So kommt sein Gutachten zu einem Ergebnis, das Woyzecks Schuldfähigkeit bejaht – eine Eindeutigkeit, mit der gelungene Romane in der Regel nichts anzufangen wissen. Steve Sem-Sandberg hat einen solchen geschrieben und das letztlich Unergründliche des Menschen umkreist. Mit einer Offenheit, die bemerkenswert ist.“

Mit jugendlicher Unbefangenheit nähern sich „Angelina & Lea“ in ihrem Podcast „Bibliomanie“ aus Anlass des Jahrestages dem Thema. „Ich glaube, ich les jetzt mal Woyzeck“ ist allemal ein guter Vorsatz!

 

 

 

„Für Büchners Werk gilt: es ist absolut zeitlos“

Es ist nicht (nur … ) Eitelkeit, dass ich hier auf ein Rundfunkgespräch hinweise, das Thomas Plaul vom Hessischen Rundfunk für die Reihe „Doppelkopf“ mit mir geführt hat.

Ich hatte die Gelegenheit, Büchnerhaus und BüchnerBühne mit ihrer Arbeit und Ambition vorzustellen. Die Reihe wird nach Ausstrahlung als podcast weiter zugänglich, der Büchner-Beitrag findet sich hier – to whom it may concern 

 

 

Im Beitrag zu Literaturland Hessen am Sonntag, dem 30. Mai, spricht auch der Impresario der BüchnerBühne, mein Freund Christian Suhr.

Und für Freitag, den 11. 6, einen Tag vor Luise Büchners 200. Geburtstag, ist ein „Doppelkopf“ mit der Vorsitzenden der Luise Büchner-Gesellschaft, meiner Freundin Agnes Schmidt, angekündigt,

 

 

Von Peter Brunner

„Er sieht so drein, wie er meistens dreinsieht und auch mit Vornamen heißt: Ernst.“

 

Ella Thiess verwickelt die Familie Büchner in einen historischen Kriminalfall

Georg Büchners Vater Ernst begegnet uns bei jeder Lebensschilderung des bedeutenden Sohnes. Je nach Haltung der/des Biograph*in werden dabei je bestimmte Züge als prägend beschrieben. Das kann die strikte Nüchternheit sein, der bedingungslose Realismus, der unterstellte Atheismus und die abweisende Strenge, denen meist zugleich jeweils die dagegen als positiv geschilderten Haltungen der liebevollen, weichen, religiösen Mutter Caroline gegenübergestellt werden.

So schreibt Dieter Zissler[1]: „Wenn man den biographischen Überlieferungen durch Karl Emil Franzos folgt und hört, die Mutter Georgs sei musisch, großzügig und einfühlsam gewesen, habe die Selbständigkeit und Urteilsfähigkeit ihrer Kinder gefördert; der Vater dagegen naturwissenschaftlich-exakt, illiberal-streng und auf das zielstrebige und praxisbezogene Fortkommen seiner Kinder bedacht, dann denkt man unwillkürlich an Goethes ‚Vom Vater die Statur, des Lebens ernstes Führen, vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren‘.“ (S. 143) und weiter „Wie bedenklich realistisch der Vater seine Kinder erzog, zeigt auch die Tatsache, daß er mit Georgs damals gerade zwölf Jahre altem Bruder Ludwig, dem späteren Autor von „Kraft und Stoff“, der — so die Vorstellung des Vaters — ja einmal Arzt werden sollte, zu einer öffentlichen Hinrichtung gegangen ist.“ (S. 144)

Ernst Büchner war mit seinem damals 12-jährigen Sohn Augenzeuge der Hinrichtung des angeblichen Mörders Jacob Trumpfheller am 16. Oktober 1836 „auf der Bessunger Viehweide“ „in Gegenwart vieler tausende von Zuschauern“ (Großherzoglich-Hessische Zeitung, Juli-Dec. 1836,. S. 1584). Ähnlich wie seine „kalten und empathielosen“ Berichte über „medizinische Phänomene“ wird ihm auch dieser Besuch regelmäßig als Zeichen von erschreckender, scheinbar unmenschlicher Nüchternheit angelastet. Tatsächlich war die Erkenntnis von der Widerwärtigkeit der Todesstrafe und insbesondere ihrer öffentlichen Ausführung nicht besonders verbreitet, wir kennen ja ganz ähnliche Berichte auch von der Hinrichtung des Leipziger Soldaten Woyzeck 1824 in Leipzig. Immerhin gehören diese beiden Tötungen zu den jeweils letzten vor Ort, die in solcher Öffentlichkeit stattfanden[2].

Dass Ernst Büchner ein außergewöhnlich langmütiger, offenbar liebender und zugeneigter Familienvater war, der für buchstäblich jedes seiner Kinder um Zukunft und Auskommen bangen musste, weil alle sechs durchaus nicht regelkonform erwachsen werden wollten, wird dabei ebenso übersehen wie seine politische Sympathie für die griechische Befreiungsbewegung und seine Napoleonverehrung in Zeiten des um sich greifenden Nationalismus. Bis heute kaum gewürdigt wird auch, dass er jahrelang Mieter im Haus des Darmstädter Republikaners Ernst Emil Hoffmann war, einem der führenden Darmstädter Oppositionellen.

Elke Achtner-Theiss hat unter ihrem Pseudonym Ella Theiss einen Roman aus dem Darmstadt des 19. Jahrhunderts geschrieben, in dem die     Familie des Obermedizinalrats Büchner eine wichtige Rolle spielt. Ihr flott lesbarer Text stellt sich dem Anspruch, Geschichte zu erzählen, ohne sie zu verfälschen und darf mit Fug und Recht ein „historischer Roman“ genannt werden. Wer die Literatur über Georg Büchners Leben und Werk kennt, wird an diesem Punkt allerdings kurz den Atem anhalten: wo und mit welchem Recht wird wohl diesmal „imaginiert“ und mehr die Haltung der Schreibenden als des Beschriebenen berichtet? Wir können beruhigen: Ella Theiss meistert die Aufgabe souverän.

Detailreich und tadellos erzählt sie, wie Anna, das von ihr erfundene Dienstmädchen der Büchners, einen wichtigen Abschnitt im Leben der Darmstädter Geniefamilie miterlebt. Neben Georg mit einem Packen seines Landboten-Flugblatts haben auch die „Rokoko-Großmutter“ und die Geschwister ihren Auftritt, wobei die Vorliebe der Autorin, ganz passend zum bevorstehenden 200. Geburtstag, unzweifelhaft der kleinen Luise gilt. Anna steht zwischen zwei Männern – dem Taugenichts Rodrich und dem angehenden Journalisten Oscar Weiß, der sich weigert, Spitzeldienste zu leisten und darüber seinen Beruf verlieren wird. Sie alle sind verwickelt in den Fall des Jacob Trumpfheller, den Theiss zum Anlass ihrer Geschichte nennt und mit historischen Zitaten schildert und belegt: „Er wurde für den Mord an dem Waldförster Philipp Lust verurteilt, der am 17. Dezember 1833 verschwand und zwei Tage später tot aufgefunden wurde. Trumpfheller wurde als Täter überführt, nachdem bei ihm blutbefleckte Handschuhe gefunden worden waren und sich das Alibi, das ihm seine Mutter und seine Geliebte gegeben hatten, durch die widersprüchliche Aussagen aller Beteiligten als haltlos erwies. Im darauf folgenden Jahr, das Trumpfheller in Haft verbrachte, legte er ein Geständnis ab. Lust hatte ihn mit einer illegal geschlagenen Buche im Wald erwischt. Um einer Strafe zu entgehen, begann Trumpfheller einen Kampf, der mit dem Tod des Opfers Philipp Lust endete. Im April 1836 fiel das Urteil des Großherzoglichen Hofgerichts, das am 16. Oktober 1836 öffentlich durch den Scharfrichter Rettich aus Ettlingen vollstreckt wurde.“ (Rebekka Friedrich im Blog des Stadtarchiv Darmstadt)

Indem Theiss den Holzdieb Trumpfheller – wohl zu Recht – als fälschlich beschuldigt und seine Hinrichtung als Justizmord schildert, entwickelt sie um die handelnden Figuren einen stimmigen historischen Kriminalroman, der treffendes Zeit- und Lokalkolorit bietet und mit gekonnt geführtem Spannungsbogen zu überzeugen weiß. Wer einen Eindruck vom Darmstadt der 1830er Jahre gewinnen will, ohne sich gleich in Geschichtsstudien zu vertiefen, ist mit diesem Buch gut bedient – es steht als „True Crime-Roman“ für sich und kann gleichzeitig einen hervorragenden Einstieg in weitere Lektüre bieten.

In einem informativen und offenen Nachwort (disclaimer: der Autor dieses wird dort über Gebühr freundlich behandelt) schildert sie ihre Methode, Realität und Fiktion zu verweben, mit sympathischer Offenheit.

 

Ella Theiss: Darmstädter Nachtgesänge,

Historischer Roman, Edition Oberkassel 2021
Covergestaltung: Tilla Theiss
Paperback: 13 €, ISBN 978-3958132320, E-Book: 8,99 €

 

[1] „Von ‚Danton’s Tod‘ bis zum Nervensystem der Barben Naturforscher: Georg Büchner (1813-1837). Berichte der Naturforschenden Gesellschaft Freiburg i.Br., 79, Freiburg 1991 (

[2] Ella Theiss hat dazu übrigens ein bezeichnendes Zitat von Ludwig Büchner gefunden (Vorort zu Fried,H.: Tagebuch eines zum Tode Verurteilten. Berlin 1898): „Ich halte die Todesstrafe für einen Barbarismus früherer Zeiten…“

 

Dieser Text ist gekürzt am 30. April im Darmstädter Echo erschienen

Von Peter Brunner

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