Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Veranstaltung (Seite 25 von 35)

28. November 2012 – Luise Büchners 135. Todestag

Am 135. Todestag Luise Büchners hatte die Luise-Büchner-Gesellschaft zu einer kleinen Feierstunde ins Darmstädter  Literaturhaus eingeladen.

Frau Rosemarie Wrede-Grischka las Texte aus den in dem Sammelband „Die Frau“ erschienenen Nachrufen auf Luise Büchner, Gabriele Emde-Hauffe ergänzte mit klug ausgewählter Harfenmusik den Abend.

Agnes Schmidt, Gabriele Emde-Hauffe

 

Hier mit ihrer freundlichen Erlaubnis: Händels Arpeggio

 

 

Meine Wenigkeit durfte neben einem kleinen Nachruf aus der Pfungstädter Zeitung :

 undefined

 

 

das Gedicht vortragen, das die Brüder Ludwig und Wilhelm auf ihre tote Schwester verfasst haben. Vor einiger Zeit trug ich bereits Wilhelm Büchners Gedicht auf den toten Bruder Georg vor, dass er 1877 am neuen Grab in Zürich zum besten gab, und musste es mit der Bemerkung kommentieren, dass das vermutlich das schlechteste Gedicht ist, dass von den Büchers jemals verfasst wurde. Insofern war das Gedicht auf Luise also schlimmstenfalls das zweitschlechteste.

 Die von Agnes Schmidt klug ausgwählten Texte belegten überzeugend, welch großen Einfluss Luise Büchner in ihrer Zeit hatte und welche Wertschätzung ihre Arbeit genoss. Zu ihrer Beerdigung auf dem Darmstädter (Alten) Friedhof am erhaltenen Grab kamen weit über 1.000 Trauernde!

 

 

In Büchners Speisesaal speisen wie Büchners

„ … (Es) kann doch kein Zweifel darüber sein, dass Unmäßigkeit in Essen und Trinken sowie in den Lebensgenüssen überhaupt, zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine Hauptursache für Krankheit und Lebensverkürzung gebildet hat, und das umgekehrte Mäßigkeit im Genießen eines der ersten und wichtigsten Erfordernisse gesunden und langen Lebens bildet. Freilich wusste schon Hippokrates so gut wie wir, dass es ebenso nachteilig ist, wenn man in den entgegengesetzten Fehler verfällt und seinen Körper unnatürlichen Kasteiungen unterwirft. Denn er schließt Nummer fünf der ersten Abteilung seiner unsterblichen Aphorismen, nachdem er sich wegwerfend über allzu große Enthaltsamkeit geäußert, mit den Worten: „aus diesem Grunde kann eine allzu magere und ausgesuchte Diät gefährlichere Folgen haben, als eine etwas reichlichere.“ (Ludwig Büchner: Kaleidoskop. Skizzen und Aufsätze aus Natur und Menschenleben. 1901)

 

 

Ein Text, der sich gut als Motto für den schönen Abend geeignet hat, den die Luise-Büchner-Gesellschaft am Samstag in der Pfungstädter Villa Büchner veranstaltete.

 undefined

Die Tischgesellschaft in der Villa – rechts vorn Hans-Willi Ohl, der die Musik beitrug

 

 

Nach Recherchen von Ute-Meißner-Ohl hat das Team des Strud’l Stub’n in der Villa ein viergängiges Menü serviert, das exakt in dieser Form auch vor 150 Jahren bei einer Büchnerschen Familienfeier hätte auf den Tisch kommen können.

 

Es gab:

 

  1. Fischsuppe aus der Normandie

  2. Böflamott
    Pommes Duchesse
    Häuptersalat mit Radieschen

  3. Holländische Käsespezialitäten und Feigensenf

  4. Hessische Apfelweincreme

     

     

     

    Apfelweincreme – unmittelbar vor dem Ende des Menus mit letzter Kraft  fotografiert



 Die Fischsuppe war als Reminiszenz an Georgs Forschung über die Barben und an Alexanders langjährigen Aufenthalt in der Normandie gewählt worden, das Böflamot (eingedeutscht für Boeuf a la mode) ist ein geschmorter Rinderbraten, zu dem als Anklang an fürstlichen Speisen Pommes Duchesse, also Kartoffelplätzchen und ein Kopfsalat, der als Häuptersalat manche Gäste an die rollenden Köpfe der Revolutionen erinnern wollte, gereicht wurde. Der holländische Käse rief die Erinnerung an die vielen Büchner-Verbindungen in die Niederlande wach: Wilhelm Büchners Frau Elisabeth, seine Kusine aus Gouda, war berühmt für ihre „holländischen Frühstücke“, und dass gelegentlich ein Rad Goudaer Käse in Pfungstadt angeliefert wurde, können wir uns gut vorstellen. Schließlich bot das Dessert die nötige Bodenhaftung: der südhessische Apfelwein gab dem Nachtisch eine angenehme, fruchtige Säure.

 

Hans-Willi Ohl sang und spielte die schönen Lieder aus der Zeit, und es ist kein Zufall, dass seine Auswahl mit „Die Gedanken sind frei“, „In dem Turme saßen“ und dem „Bürgerlied“ aus dem gleichen Schatz schöpfte, der auch die „Büchner-Revue“ bereichert.

 

Hier erstmals im Blog eine kleine Audio-Datei:

Der Verfasser dieses Textes über Georg Büchner, die Barben und Fischsuppe:

 121124_tafeln_pb_georgbarben.mp3

 

 

Agnes Schmidt und Peter Brunner hatten eine bunte Mischung von Geschichten und Zitaten der Büchner-Geschwister zusammengestellt, die an dem Abend ganz präsent und gegenwärtig wurden: Georg Büchner, der die Reste der Barben, die er für seine Doktorarbeit in Straßburg sezierte, sicher aufgegessen hat; Alexander, der an der Kanalküste in Frankreich mit der Küche seiner neuen Heimat vertraut wurde; Luise Büchner, die über die Soldatenverpflegung im Lazarett schrieb (jedenfalls 1870 in Darmstadt war die offenbar reichlich und wohlschmeckend – gelegentlich spendete der Großherzog ein Reh), Elisabeth Büchner, die als Hausherrin der Villa stets für gefüllte Teller sorgte und nicht zuletzt Dr. Ludwig Büchner, dessen publizistische Tätigkeit immer wieder auf Fragen der Ernährung, des Nährstoffgehaltes von Nahrung, scharlatanische Ernährungsempfehlungen und die von ihm abgelehnte „Naturheilkunde“ zu sprechen kommt.

 

Der Grauburgunder und der St. Laurent von der Bergsträsser Winzergenossenschaft, die das Essen begleiteten, waren ebenfalls mit Sorgfalt ausgewählt und wurden auch Mitte des 19. Jahrhunderts getrunken – der Grauburgunder schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts, der St. Laurent war ausgerechnet von einem Elsässer Vinologen namens Oberlin als eigene Sorte des Elsass beschrieben und kurz darauf in Deutschland angebaut worden. Im Darmstädter „Weinberg“ der Familie Büchner allerdings, der sich hinter dem Büchnerschen Haus in der Grafenstrasse befand, stand wahrscheinlich kein sortenreiner Wein – man pflanzte und kelterte meist sogenannten „gemischten Satz“ aus verschiedenen Sorten, die zusammen im Weinberg standen. Das hatte den Vorteil, dass Ausfälle einer Sorte nicht zum Totalverlust der Ernte führte.

 

Nach einer großen Tafel in bürgerlichen Gesellschaften war es früher üblich, dass man sich vom Speisesaal in den Salon begab, um am Kamin zu einem guten Cognac eine Zigarre zu rauchen. Auf diese gelebte Authentizität mussten die Gäste leider verzichten, natürlich herrscht in der Villa heute strengstes Rauchverbot. Glücklichweise musste aber auch der andere Teil bürgerlicher Realität nicht nacherlebt werden: Abräumen und Spülen hat diesmals das freundliche Restaurant-Personal übernommen. 

 

Nachtrag vom 26.11.: Frau Bergstedt hat es auch gefallen, schreibt sie heute im DARMSTÄDTER ECHO 

Jan-Christoph Hauschild entstaubt das Bild von Minna Jaeglé

Auf Einladung der Luise-Büchner-Gesellschaft war der Büchner-Biograph und -Forscher Jan-Christoph Hauschild am 8. November zu Besuch in Darmstadt und nutzte die Gelegenheit, mit mir zusammen die Gräber der Büchnerfamilie und das von Friedrich Ludwig Weidig zu besuchen. Trotz natürlich bisher schon zahlreicher Aufenthalte in der ehemaligen Residenz war er da noch nie gewesen, und wir hatten einen wunderbaren Nachmittag zusammen, bei dem uns der Gesprächsstoff nicht ausging.

Dr. Jan-Christoph Hauschild am Grab von Friedrich Weidig,
gestorben 4 Tage nach Georg Büchner, am 23. Februar 1837,
zu Tode gequält von den verbrecherischen Schergen des Darmstädter Großherzogs 

Der abendliche Vortrag „Nur Melancholie und Spinnweben? Über Georg Büchners Braut Wilhelmine Jaeglé“ bot eine kurzweilig präsentierte biographische Skizze der Frau, von der wir fast nichts wissen. Dabei gelang es dem Forscher, die zahlreichen Vorwürfe gegen die Jaeglé, sie sei bigott und einsam gewesen, außerdem die Zerstörerin wichtiger Werke Georg Büchners, zurechtzurücken. Die umfangreichen literarischen Phantasien über das erfüllte Sexualleben des jungen Paares (u.a. bei Edschmid und Hetmann) wollte er nicht unwidersprochen lassen: wie in so vielen anderen Details haben wir auch hier keinen Anlass, uns sicher zu sein. Die Tochter eines durchaus aufgeschlossenen und wohl auch lebenslustigen Pfarrers aus dem Elsaß hatte jedenfalls gute Gründe, ihre Ehrbarkeit zu schützen. Und dass sie 1850 so vollständig mit den Geschwistern ihres toten Geliebten brach, erläuterte Hauschild nachvollziehbar mit eben dieser Frage ihrer Integrität: mit der unerlaubten Veröffentlichung von Briefen, die Georg Büchner an sie geschrieben hatte, wurde sie als die Geliebte eines Staatsfeindes denunziert. Dies gefährdete ihre ohnehin nicht besonders stabile Existenz als Betreiberin eines privaten Kindergartens. Sie hat diesen Vertrauensbruch, den sie besonders Luise Büchner vorwarf, nicht verzeihen können. Als schließlich noch einmal über zwanzig Jahre später Karl Emil Franzos versuchte, sie zur Herausgabe unbekannter und unveröffentlichter Texte zu bewegen, um eine neue Werkausgabe zu veröffentlichen, reagierte sie schroff ablehnend. Vielleicht erst danach sind die von Caroline Schulz erwähnten Tagebuchaufzeichnungen Georg Büchners von ihr vernichtet worden. Hauschild deutete an, dass es Franzos an der nötigen Diplomatie, vielleicht auch an Hartnäckigkeit gefehlt habe, um die Elsässerin umzustimmen. Den schlimmsten Vorwurf schließlich, Minna Jaeglé habe ein unveröffentlichtes Drama ihres Geliebten über Aretino vernichtet, weil sie die sexuellen Anzüglichkeiten darin nicht ertragen könne, wies Hauschild überzeugend zurück. Das Drama hat es nicht gegeben. Es sei nach der Beschreibung der Todesumstände und der sorgfältigen Suche nach jedem Stückchen Papier, das Caroline Schulz und Minna Jaeglé gleich nach Georgs Tod in seiner kleinen Züricher Kammer angestellt hatten, gänzlich ausgeschlossen, das sie dort ein „ganzes Drama“ übersehen hätten; und dass, wie gelegentlich vermutet wird, Georg den Text aus den Händen gegeben habe, sei erst recht unwahrscheinlich – die Züricher Freunde sind bekannt und hätten den Text nicht verschwinden lassen. Einem gänzlich Fremden schließlich hätte Büchner sein letztes Werk gewiss nicht anvertraut.

Dr. Jan-Christoph Hauschild beim Vortrag
über Georg Büchners Verlobte Minna Jaeglé

Zu Recht wies Agnes Schmidt in ihrem Schlusswort darauf hin, wie unglücklich der Bruch besonders mit Luise Büchner gewesen sei, deren Lebenswerk doch gerade dem Auskommen von Frauen wie Minna Jaeglé gewidmet war. Das Leben der Jaeglé zeige, dass allein stehende Frauen unglaubliche Hürden überwinden und stärkste Beschränkungen ertragen mussten, um ihr bescheidenes Leben zu fristen.

Mit freundlichem Beifall dankte das zahlreich erschienene Publikum. Jan-Christoph Hauschild hat bereits einen neuen Termin in Darmstadt zugesagt: am 19. Februar 2013, Georg Büchners 176. Todestag, wird er im Darmstädter Literaturhaus für die Luise-Büchner-Gesellschaft sein neues Buch vorstellen.

„LENZ“ auf der Büchnerbühne – erste öffentliche Probe

Am Freitag, dem 16. November, führt die Büchnerbühne in Riedstadt/Leeheim ihre szenische Interpretation von Büchners großartigem Prosatext erstmals auf.

Christian Suhr

Christian Suhr

Am 20. 10. konnten Interessierte an der Probenarbeit teilnehmen und einen ersten Eindruck bekommen.

Christian Suhr führte zunächst zusammen mit den Akteuren knapp in den Text ein und erläuterte dann die Herangehensweise: im Mittelpunkt soll der Irrende, Suchende, der vergeblich versucht, sich an- und einzupassen, stehen. Dabei liegen die Parallelen zum Heute, zum an der Gesellschaft scheitern und von ihr verkannt werden, auf der Hand. Suhr: „ Ein Mensch, der sich nicht anpassen kann oder will, die Gesellschaft, die ihn nicht verstehen kann oder will – das ist unser aktuelles Lenz-Motiv.“

Buechenrbuehne Lenz TeDeum

Finn Hansen als Lenz – beim Te Deum!

In den nächsten Wochen sollen Videodrehs unter Menschen und in der Natur des hessischen Ried entstehen, die dieses Suchen und Scheitern illustrieren werden. Während der Inszenierung bilden sie dann die Brücke zum Heute.

Büchners Texte beweisen ihre Zeitlosigkeit schon damit, dass sie immer neu betrachtet und interpretiert werden. Eine einfache google-Suche ergibt zu den Stichworten „Büchner Lenz Inzenierung“ fast 600.000 Fundstellen.

Trotzdem hat Christian Wirmer mit seinem wunderbaren Vortrag des Textes  etwas einmaliges und ganz neues aus Büchners Prosa gemacht, und das wird auch Christian Suhr auf seiner Büchnerbühne bieten. Wir sind gespannt.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »