Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Veranstaltung (Seite 29 von 35)

Zwei Schwestern und ein Todesfall – oder: Es ist nicht leicht, eine Darmstädterin zu sein

Zur Uraufführung von  „Luise & Mathilde”, Kammerspiel von Peter Schanz 

Samstag, 12. Mai 2012, Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele

Hier die Besprechungen von Johannes Breckner im DARMSTÄDTER ECHO und von Leopold Schuwerak im Hessischen Rundfunk

 

Der Theaterautor und Dramaturg Peter Schanz hat zur „Büchnerbiennale“, dem unermüdlichen Feiern von wahlweise Georg Büchners Geburtstag oder Todestag, ein Theaterstück geschrieben und inszeniert. Für die Dramaturgie ist Caroline Zacheiß verantwortlich. Es ist den beiden Schwestern des großen Dichters gewidmet. Die Premiere fand am Samstag im Kammerspiel des Darmstädter Staatstheaters statt, das den Charme eines Lofts mit dem Chaos eines Kulissenlagers verbindet und übernormgroße Zuschauer auf Folterstühlen quält. Folgerichtig hat Schauspieldirektor Martin Apelt auch kein Bühnenbild eingerichtet, sondern in der Mitte der Bühne eine Art Umzugsdepot aus Küche, Tisch und Bank aufstapeln lassen, das zu Beginn der Aufführung von den beiden Schwestern erst einmal zur Theaterkulisse auseinandergezogen und als Wohnungseinrichtung platziert wird.

 

Schauspieldirektor Martin Apelt bei der öffentlichen Probe vor dem zukünftigen Bühnenbild  

 

Margit Schulte-Tigges und Sonja Mustoff kommen als Frauen von heute auf die Bühne, und nach 90 Minuten werden sie die Verwandlung zu den zwei Büchnerschwestern vor dem Publikum rückgängig machen und sich zurück ins Heute begeben.

Zunächst verpuppen sich die beiden zu dem Duo, das Mitte des neunzehnten Jahrhunderts jahrzehntelang miteinander in Darmstadt lebte. Die schwesterliche Eintracht der äußerlich ganz verschiedenen Frauen zeigt sich schon beim gegenseitigen Ankleiden der zeitgemäßen schwarzen Kostüme voller Haken und Ösen, die ironische Distanz zur Rolle in der Bemerkung „jetzt könnte mal jemand den Reissverschluss erfinden“. Brav nimmt Mathilde ihren Part in der Küche an, während Luise sich mit Papier und Feder am Tisch niederlässt. Wie eine Imagination des toten Bruders Georg hat der Autor seinen Akteurinnen einen Spielmann erfunden, den sich Mathilde „von dem da oben“ wünscht. Finn Henrik Hanssen, der auf der Riedstädter Büchnerbühne in „Wenn es Rosen sind werden sie blühen“, der Adaption von Kasimir Edschmidts Büchner-Roman, gerade einen großartigen Ludwig Weidig spielt, gibt mit frischer Jugendlichkeit einen Cicisbeo mit der Gitarre. Die Tagträume der Schwestern darf er mit den geliebten Volksliedern untermalen. Nicht als Geschichtsstunde, als biographischer Essay faltet sich im Trialog das Leben der beiden Frauen auf. Schanz lässt Luise ihren Raum als bedeutender Frauenrechtlerin, ohne die Schwester Mathilde als Hausmütterchen zu denunzieren. Im Gegenteil ist der ältesten Büchnerschwester, von der außer ihrem Namenszug kaum ein Stück schriftlicher Hinterlassenschaft übrig geblieben ist, selten so sehr Recht geschehen wie hier auf der Darmstädter Bühne. Mathilde kennt und kommentiert Luises Werk und präsentiert sich glaubwürdig als die Hüterin der Familienschätze, die unglücklicherweise dem Darmstädter Feuersturm vom 11. September 1944 zum Opfer gefallen seien. Schanz hat seine Hausaufgaben gemacht – er zitiert damit eine sehr berechtigte Vermutung von Agnes Schmidt, der Vorsitzenden der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft. Darüber hinaus schafft er es, Luise Büchners Denken und Arbeit mit gut gewählten Zitaten anschaulich zu machen. Auch Anspielungen auf Darmstädter Lokalkolorit in Sprache und Erzählung gelingen zur hörbaren Freude des Auditoriums, das darin übereinstimmt, dass Pralinen keinesfalls in der Vorort-Provinz Griesheim gekauft werden dürfen. Die Rückverwandlung der beiden in Frauen von heute geht einher mit Dialogen, die uns ganz die Aktualität auch dieser Büchners vermitteln; sei es in der RAF-Hysterie der siebziger Jahre oder in der für Darmstadt noch immer denkwürdigen Frauenaktion gegen einen Sexshop.

 

Zum Ende der unterhaltsamen Aufführung findet das glücklicherweise lange nicht mehr im Theater erlebte Einbeziehen des Publikums, allerdings erfreulich unaufdringlich und durchaus der Stringenz des Stückes folgend, mittels Einladung zum Abendimbiss statt. Mathilde hat Fischsuppe für alle gekocht – aus Barben natürlich.

 

Mit reichlichem Beifall bedankte sich das Publikum bei dem glänzend aufgelegten Ensemble mit Autor und Schauspieldirektor.

 

Als erfrischender Kommentar zum gelegentlich überintellektualisierten Georg Büchner-Gedenken ist dieser schönen Aufführung als Denkmal der Büchnerschwestern und als Memento der noch lange nicht am Ziel angekommenen Frauenbewegung viel Erfolg und eine lange Spielzeit zu wünschen!  

Über den (Platten-…)Tellerrand hinaus

Am Freitag konnten wir endlich Manfred Pennings freundliche Einladung annehmen, die spannende Schellack-Ausstellung auf der Mainzer Zitadelle anzusehen.

An die zwanzig Besucher aus dem Umkreis der Luise Büchner-Gesellschaft und des Pfungstädter Heimatvereins waren der Einladung zur geführten Besichtigung in das stadthistorische Museum auf der Mainzer Zitadelle gefolgt.

Erst auf den zweiten Blick erklärt sich die Verbindung zum Gegenstand dieses Blogs:  vom 15. 9. bis zum 15.10. 1842 fand in Mainz die erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung statt. Zu den Ausstellern gehörte der Darmstädter Unternehmer Wilhelm Büchner, der hier aber noch kein Ultramarin, sondern „gebleichten Schellack“ ausstellte und dafür prämiert wurde.

Manfred Penning vor der Schautafel zu Wilhelm Büchner; in der Vitrine der Bericht über Ausstellung und über ausgezeichnete Produkte 

Büchner hatte ein Verfahren entwickelt, mit dem sich der eigentlich gelb bis rötlich gefärbte Lack farblos  machen ließ – damit stiegen die Verwendungsmöglichkeiten natürlich erheblich. In Mainz traf er auf den Unternehmer Carl Ludwig Marx, der 1832 eine „Materialwaarenhandlung” gegründet hatte; 1834 begann er mit der Herstellung von Lack, Firnissen und Möbelpolitur.

Manfred Penning schreibt im Katalog:

„Der Kontakt zwischen Marx und Büchner führte zu einer technischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Bleichens von Schellack und der Herstellung von Schellackpolituren. … Mit den von Büchner übernommenen Kenntnissen begann Ludwig Marx in seiner Fabrik in Mainz um 1845 mit dem Bleichen von Schellack in industriellem Maßstab.”

Welche Form diese Zusammenarbeit und die Übergabe von Büchners Technik, den Schellack mit Chlor zu bleichen,  im Einzelnen hatte, ist leider nicht bekannt. Fest steht, dass Marx damit einen bedeutenden Mainzer Industriezweig begründete; so viel wir wissen, arbeitete Wilhelm Büchner seit seiner Niederlassung in Pfungstadt (1845) nicht mehr mit Schellack.

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Manfred Penning vor einem Grammophon mit Schellack-Platte, im Hintergrund Heide Hildebrandt aus dem Vorstand der Luise Büchner-Gesellschaft

In der Mainzer Ausstellung ist das naturgemäß nur eine Bemerkung wert; ein Besuch lohnt sich aber grundsätzlich für alle Interessierten an Industriegeschichte. Mit zahlreichen Schautafeln, Bildern und in Vitrinen präsentierten Produkten erschließt sich die Geschichte einer Warengruppe, die über 100 Jahre lang prägender Faktor der Mainzer Wirtschaft war.

Dass das bis auf die Jahre nach 1945 auch eine hessische Geschichte ist, sei nur am Rande vermerkt.

Die Ausstellung kann noch bis zum 15. April besichtigt werden.

Der schöne Katalog „Schellack in Mainz. Die 150-jährige Ära der Schellack-Produktion in Mainz” von Manfred Penning ist 2011 im Bodenheimer Verlag Bonewitz  unter der ISBN 978-3-9813999-7-4 erschienen.

Einladung zum Ausstellungsbesuch in Mainz

Die Luise Büchner-Gesellschaft e.V. Darmstadt  und der Heimatverein Pfungstadt 1948 e. V. laden zu einer außergewöhnlichen Präsentation in Mainz ein:

Nach einer Apothekerlehre und dem Chemiestudium in Heidelberg und Gießen ließ sich Georg Büchners Bruder in Darmstadt als Unternehmer nieder. Wilhelm Büchners frühe unternehmerische Tätigkeit in Darmstadt ist verbunden mit Schellack, einem Naturharz aus Indien, für das er ein besonderes Bleich-Verfahren entwickelte: Schon 1842 auf der „Ersten Allgemeinen Deutschen Industrieausstellung“ des Gewerbevereins für das Großherzogtum Hessen im Mainzer „Deutschhaus“ präsentierte er erfolgreich seinen „gebleichten Schellack“. Der Mainzer Manfred Penning hat das ausführlich recheriert und dokumentiert, und hier im „Geschwisterblog“   gab es dazu bereits einiges zu lesen. Das Bleichen von Schellack wurde, wie Manfred Penning erläutert, zur Grundlage der höchst erfolgreichen Mainzer Lack- und Farbenindustrie, und auch als Rohstoff für die frühen Schallplatten spielte Mainzer Schellack eine wichtige Rolle.

Jetzt gibt es kurz vor Abschluss der erfolgreichen Sonderausstellung „Schellack in Mainz“ für alle „Büchner-Interessierten“ die Gelegenheit, an einer persönlichen Führung mit Herrn Penning in Mainz teilzunehmen, und zwar

am Freitag, dem 30. März,

nachmittags um 15 Uhr auf der Mainzer Zitadelle

im dortigen Stadthistorischen Museum 

(der Eintritt kostet 2 €)

Die Vereine verzichten auf die Organisation einer Busfahrt und empfehlen private Anreise. Hier findet sich eine gute Anfahrtbeschreibung.  Am Ziel stehen Parkplätze zur Verfügung. Im Navigationsprogramm ist das richtige Ziel Eisgrubweg 15; dort ist die Auffahrt zur Zitadelle.

Es wird dringend Anmeldung via E-Mail (Post@EntwicklungUndKultur.De) oder telefonisch (06157 / 9111595) bei Peter Brunner erbeten, damit Herr  Penning sich auf die zu erwartende Besucherzahl vorbereiten kann. Auf Wunsch ist Peter Brunner bereit, Fahrgemeinschaften zu organisieren; dazu muss er erfahren, ob selbst mit einem Auto (und mit wie vielen freien Sitzplätzen) ab wann und wo gefahren werden bzw. von wo aus Mitnahme erbeten wird.

Anreise mit öffentlichen Verkehrsmittteln. Unter diesem 

link kann die gewünschte Verbindung 

gesucht werden, vom „Römischen Theater“ in Mainz führt ein kurzer Fußweg auf die Zitadelle.

Welturaufführung von „Wenn es Rosen sind werden sie blühen“

Am Freitagabend hat Christian Suhrs wunderbare Büchnerbühne sein neues Stück über Georg Büchner nach Kasimir Edschmids Roman uraufgeführt.

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v.l.n.r.: Beate Krist (Minna Jaeglé), Ursula Stampfli (Caroline Schulz), Daniel Krasusky (August Becker), Harald Preis (Georg Büchner), Finn Hansen (Friedrich Ludwig Weidig), Autor und Regisseur Christian Suhr,  Melanie Linzer (Tante Jules), Erich Schaffner (Großherzog Ludwig I. , Richter Georgi).

Ich hatte ja die Gelegenheit, schon die öffentliche Probe zu besuchen (daher stammt auch das Foto), und meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt: dies ist das erste Ereignis der Büchnerjubiläen, das wirklich einen neuen Aspekt präsentiert. Das wunderbare Ensemble agiert mit größtem Engagement, so dass die Betonung einer einzelnen Leistung den anderen nicht gerecht würde. Nur wegen der brillant beherrschten Doppelrolle von Großherzog und Richter Georgi will ich Erich Schaffner  gesondert loben; das absolut authentische Großbürger-Hessisch, das er dem sadistischen Richter verpasst, ist  die Sahnehaube für die Verkörperung der vielleicht schwierigsten Rolle im Stück. Und Daniel Krasusky spielt einen August Becker, dem man von Pferde stehlen bis Fürsten aufhängen alles zutrauen und alles verzeihen muss.

Christian Suhr hat aus dem verstaubten Büchnerroman ein Werk geschaffen, das mich fast milde werden lässt: man kann das Leben Georg Büchners auf der Bühne zeigen, ohne sich wie Gaston Salvatore in „Büchners Tod“ in Spekulationen über Beweggründe und Verrat zu verlieren. Auch auf kurzlebiges Zeitkolorit kann man verzichten.

Johannes Breckner, der Feuilletonchef des Darmstädter Echo, hat kürzlich über die drohende Büchner-Inflation gesagt: „Büchner hält das aus”.  Bei Suhr muss nichts ausgehalten werden, Suhr hat ein Stück geschaffen, dem man Bestand und Verbreitung herzlich wünschen kann.

Mehr Informationen zum Stück und die nächsten Termine finden sich hier.

EDIT am 27.2.2012:

Hier ist jetzt auch die Besprechung von Stefan Benz im DARMSTÄDTER ECHO online.

Die Büchnerbühne und die Luise Büchner-Gesellschaft an Georg Büchners Todestag

Neben dem feierlichen Auftakt zu den Jubiläen in Hessen im Darmstädter Staatstheater mit der Vorstellung der Wanderausstellung zu Georg Büchners Leben gab es an Georgs Todestag weitere Veranstaltungen:

In Riedstadt-Leeheim hat Christian Suhrs Büchnerbühne bei einer öffentlichen Probe das neue Stück „Wenn es Rosen sind, werden sie blühen“ nach  Motiven von Kasimir Edschmid vorgestellt.

Das Stück hat die Chance, weit stärker als das sehr in seiner Entstehungszeit, den 68er Jahren des letzten Jahrhunderts, verhafteten „Büchners Tod“ von Gaston Salvatore (zur Zeit in einer szenischen Präsentation am Darmstädter Staatstheater, hier mein Bericht und links zu Presseberichten) als moderne Präsentation über Büchners letzte Lebensjahre vom Landboten bis zum Tod in Zürich angenommen zu werden. Auch hier ist eine der Kernfragen, ob Georg sich zu Lasten seiner Genossen „in Sicherheit gebracht” hat, aber die Antwort mir scheint differenzierter und daher bedenkenswerter als bei Salvatore. Nach der Premiere am Freitag wird man das genauer wissen.

Die gezeigten Szenen machen neugierig auf das ganze Stück. Weidig (Finn Hanssen)  im Gespräch mit dem Großherzog (Erich Schaffner, auch sehr gut in einer zweiten Rolle als Richter Georgi), Minna (Beate Krist) und Georg (Harald Preis) im Gespräch mit „Tante Jules“ (Mélanie Linzer) und Wilhelm Schulz (Oliver Kai Müller) mit seiner Frau Caroline (Ursula Stampfli) holen mit von Suhr sicher geführtem Spiel  das ganze Panorama von Georg Büchners gehetztem Leben auf die kleine Riedstädter Bühne.

                                            

Autor und Regisseur Christian Suhr                                                                     Weidig vor dem Großherzog

Georg Büchner und  Wilhelm Schulz

Nachmittags fand im Darmstädter Literaturhaus eine musikalisch-literarische Reminiszenz der Luise Büchner-Gesellschaft an Georgs Leben und Sterben statt.

Vor gut besuchtem Haus (bisher waren alle Büchner-Veranstaltungen, von denen wir hörten, überdurchschnittlich besucht; auch die Woyzeck-Vorstellungen im Darmstädter Staatstheater sind zu mehreren Terminen fast ausverkauft) erinnerte die Luise Büchner-Gesellschaft an Georgs Todestag. Die dem Verein eng verbundene Darmstädter Schauspielerin Sigrid Schütrumpf und der Kasseler Schauspieler Michael Kaiser trugen Caroline Schulz´ Erinnerungen an Georgs Todesstunde, den Brief der Mutter an Georg in Zürich und eine Auswahl von Briefen Georgs an die Familie vor. Eindrücklich auch die musikalischen Intermezzi von Cello und Klavier.

Am Violoncello: Raffi Geliboluoglu, am Klavier: Lynn Steiner

 

Sigrid Schütrumpf und Michael Kaiser

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