Peter Brunners Buechnerblog

Autor: peter brunner (Seite 61 von 89)

Jan-Christoph Hauschild entstaubt das Bild von Minna Jaeglé

Auf Einladung der Luise-Büchner-Gesellschaft war der Büchner-Biograph und -Forscher Jan-Christoph Hauschild am 8. November zu Besuch in Darmstadt und nutzte die Gelegenheit, mit mir zusammen die Gräber der Büchnerfamilie und das von Friedrich Ludwig Weidig zu besuchen. Trotz natürlich bisher schon zahlreicher Aufenthalte in der ehemaligen Residenz war er da noch nie gewesen, und wir hatten einen wunderbaren Nachmittag zusammen, bei dem uns der Gesprächsstoff nicht ausging.

Dr. Jan-Christoph Hauschild am Grab von Friedrich Weidig,
gestorben 4 Tage nach Georg Büchner, am 23. Februar 1837,
zu Tode gequält von den verbrecherischen Schergen des Darmstädter Großherzogs 

Der abendliche Vortrag „Nur Melancholie und Spinnweben? Über Georg Büchners Braut Wilhelmine Jaeglé“ bot eine kurzweilig präsentierte biographische Skizze der Frau, von der wir fast nichts wissen. Dabei gelang es dem Forscher, die zahlreichen Vorwürfe gegen die Jaeglé, sie sei bigott und einsam gewesen, außerdem die Zerstörerin wichtiger Werke Georg Büchners, zurechtzurücken. Die umfangreichen literarischen Phantasien über das erfüllte Sexualleben des jungen Paares (u.a. bei Edschmid und Hetmann) wollte er nicht unwidersprochen lassen: wie in so vielen anderen Details haben wir auch hier keinen Anlass, uns sicher zu sein. Die Tochter eines durchaus aufgeschlossenen und wohl auch lebenslustigen Pfarrers aus dem Elsaß hatte jedenfalls gute Gründe, ihre Ehrbarkeit zu schützen. Und dass sie 1850 so vollständig mit den Geschwistern ihres toten Geliebten brach, erläuterte Hauschild nachvollziehbar mit eben dieser Frage ihrer Integrität: mit der unerlaubten Veröffentlichung von Briefen, die Georg Büchner an sie geschrieben hatte, wurde sie als die Geliebte eines Staatsfeindes denunziert. Dies gefährdete ihre ohnehin nicht besonders stabile Existenz als Betreiberin eines privaten Kindergartens. Sie hat diesen Vertrauensbruch, den sie besonders Luise Büchner vorwarf, nicht verzeihen können. Als schließlich noch einmal über zwanzig Jahre später Karl Emil Franzos versuchte, sie zur Herausgabe unbekannter und unveröffentlichter Texte zu bewegen, um eine neue Werkausgabe zu veröffentlichen, reagierte sie schroff ablehnend. Vielleicht erst danach sind die von Caroline Schulz erwähnten Tagebuchaufzeichnungen Georg Büchners von ihr vernichtet worden. Hauschild deutete an, dass es Franzos an der nötigen Diplomatie, vielleicht auch an Hartnäckigkeit gefehlt habe, um die Elsässerin umzustimmen. Den schlimmsten Vorwurf schließlich, Minna Jaeglé habe ein unveröffentlichtes Drama ihres Geliebten über Aretino vernichtet, weil sie die sexuellen Anzüglichkeiten darin nicht ertragen könne, wies Hauschild überzeugend zurück. Das Drama hat es nicht gegeben. Es sei nach der Beschreibung der Todesumstände und der sorgfältigen Suche nach jedem Stückchen Papier, das Caroline Schulz und Minna Jaeglé gleich nach Georgs Tod in seiner kleinen Züricher Kammer angestellt hatten, gänzlich ausgeschlossen, das sie dort ein „ganzes Drama“ übersehen hätten; und dass, wie gelegentlich vermutet wird, Georg den Text aus den Händen gegeben habe, sei erst recht unwahrscheinlich – die Züricher Freunde sind bekannt und hätten den Text nicht verschwinden lassen. Einem gänzlich Fremden schließlich hätte Büchner sein letztes Werk gewiss nicht anvertraut.

Dr. Jan-Christoph Hauschild beim Vortrag
über Georg Büchners Verlobte Minna Jaeglé

Zu Recht wies Agnes Schmidt in ihrem Schlusswort darauf hin, wie unglücklich der Bruch besonders mit Luise Büchner gewesen sei, deren Lebenswerk doch gerade dem Auskommen von Frauen wie Minna Jaeglé gewidmet war. Das Leben der Jaeglé zeige, dass allein stehende Frauen unglaubliche Hürden überwinden und stärkste Beschränkungen ertragen mussten, um ihr bescheidenes Leben zu fristen.

Mit freundlichem Beifall dankte das zahlreich erschienene Publikum. Jan-Christoph Hauschild hat bereits einen neuen Termin in Darmstadt zugesagt: am 19. Februar 2013, Georg Büchners 176. Todestag, wird er im Darmstädter Literaturhaus für die Luise-Büchner-Gesellschaft sein neues Buch vorstellen.

„LENZ“ auf der Büchnerbühne – erste öffentliche Probe

Am Freitag, dem 16. November, führt die Büchnerbühne in Riedstadt/Leeheim ihre szenische Interpretation von Büchners großartigem Prosatext erstmals auf.

Christian Suhr

Christian Suhr

Am 20. 10. konnten Interessierte an der Probenarbeit teilnehmen und einen ersten Eindruck bekommen.

Christian Suhr führte zunächst zusammen mit den Akteuren knapp in den Text ein und erläuterte dann die Herangehensweise: im Mittelpunkt soll der Irrende, Suchende, der vergeblich versucht, sich an- und einzupassen, stehen. Dabei liegen die Parallelen zum Heute, zum an der Gesellschaft scheitern und von ihr verkannt werden, auf der Hand. Suhr: „ Ein Mensch, der sich nicht anpassen kann oder will, die Gesellschaft, die ihn nicht verstehen kann oder will – das ist unser aktuelles Lenz-Motiv.“

Buechenrbuehne Lenz TeDeum

Finn Hansen als Lenz – beim Te Deum!

In den nächsten Wochen sollen Videodrehs unter Menschen und in der Natur des hessischen Ried entstehen, die dieses Suchen und Scheitern illustrieren werden. Während der Inszenierung bilden sie dann die Brücke zum Heute.

Büchners Texte beweisen ihre Zeitlosigkeit schon damit, dass sie immer neu betrachtet und interpretiert werden. Eine einfache google-Suche ergibt zu den Stichworten „Büchner Lenz Inzenierung“ fast 600.000 Fundstellen.

Trotzdem hat Christian Wirmer mit seinem wunderbaren Vortrag des Textes  etwas einmaliges und ganz neues aus Büchners Prosa gemacht, und das wird auch Christian Suhr auf seiner Büchnerbühne bieten. Wir sind gespannt.

„ICH HALTE ÜBRIGENS MEIN WERK KEINESWEGS FÜR VOLLKOMMEN…“

2008 wurde unsere Familien-Biografie „Die Büchners oder der Wunsch, die Welt zu verändern“ im historischen Maschinenhaus der Pfungstädter Brauerei vorgestellt.

Auf Vermittlung des Hessischen Rundfunks traten damals drei großartige Künstler mit Büchnertexten auf:

Nina PetriMax von Pufendorf und Volker Risch.

Alle drei waren bemerkenswerte Interpreten der Büchner-Texte, die sie vortrugen, und erhielten verdient rauschenden Beifall. Max von Pufendorf hat sich später in Gespräch für die Chance bedankt, „endlich“ mit Büchner-Texten auftreten zu dürfen. Mit dem eindringlichen Vortrag der Texte von Georg Büchner, die er mit seiner Jugendlichkeit und Emphase glaubwürdig verkörperte, hat er den Saal damals regelrecht in den Bann gezogen.

Zur „Büchner-Biennale“ gibt es jetzt die Gelegenheit, ihn wieder zu hören und zu sehen:

Der Hessische Rundfunk lädt in Kooperation mit dem Literaturhaus Darmstadt  unter dem Titel „ICH HALTE ÜBRIGENS MEIN WERK KEINESWEGS FÜR VOLLKOMMEN…“, Georg Büchners kritischer Selbstbetrachtung, die der Büchner-Forschung heute gelegentlich aus den Augen gerät, zu einem Gespräch von Burkhard Dedner mit Ruthard Stäblein vom hr nach Darmstadt ein, und Max von Pufendorf wird die Originaltexte vortragen:

Literaturhaus Darmstadt

Kasinostraße

Dienstag, 16. Oktober, 19 Uhr

Eintritt 6 / 4 €

 

wozu auch hier herzlich eingeladen werden soll!

Ein Radiotag für Georg Büchner am 3. Oktober

 

 

 Ich habe es im letzten Blogbeitrag über die unbedingt nachhörenswerte Veranstaltung zu Büchner als Naturforscher (am 3.10. um 18:05) bereits erwähnt – der Hessische Rundfunk widmet den Tag der Deutschen Einheit (ausgerechnet!) mit einem „Radiotag“ Georg Büchner.

Hier das vollständige Programm, Hinweise für Menschen, die nicht einen ganzen Tag am Stück Radio hören wollen, folgen unten!

 

 

 

 

 

„Es krassiert ein entsetzlicher Müßiggang“

Mittwoch, 3. Oktober 2012, 9:05 Uhr

Der große Schriftsteller Georg Büchner (Bild: Stadtarchiv Darmstadt)

Der große Schriftsteller Georg Büchner

 

 

 

 

Am „Tag der Deutschen Einheit“ sprechen wir über Büchners Radikalität und Aktualität unter anderem mit dem Büchnerforscher Burghard Dedner, und wir stellen Ihnen Büchner als Hirnforscher vor. Erleben Sie eine Hörspielfassung von „Leonce und Lena“, Alban Bergs Oper „Wozzeck“, das große Büchner-Rätsel – und das Beste aus sechs Jahrzehnten Büchnerpreis-Reden.

 

 

 

Das Programm

 

      • 9:05 Uhr „Von Goddelau zur Weltbühne“
      • Gespräche, Reportagen und Musik zu Georg Büchner / Büchner-Rätsel Folge 1 – 3 / Moderation: Ruth Fühner
      • 11:30 Uhr „Georg Büchner, der Naturforscher“
      • Ein Feature von Regina Oehler
      • 12:05 Uhr „Doppel-Kopf“
      • Am Tisch mit Burghard Dedner, „Büchner-Begeisterter“
      • Gastgeber: Hans Sarkowicz / (Wdh. 23.05 Uhr)
      • 13:05 Uhr „Rondo – Klassik am Mittag“
      • Musik aus der Büchner-Zeit
      • 14:05 Uhr „Leonce und Lena“
      • Hörspiel nach Georg Büchner / Mit Gerd Martienzen,
      • Martha Marbo u.v.a. / Regie: Karlheinz Schilling (hr, 1952)
      • 15:30 Uhr „Der Revolutionär als Nationaldichter“
      • Gespräche, Reportagen und Musik zu Georg Büchner / Büchner-Rätsel Folge 4 – 5 / Moderation: Alf Mentzer
      • 18:05 Uhr „Ich sitze am Tag mit dem Scalpell und die Nacht mit den Büchern“
      • Der Hirnforscher Georg Büchner / Mit Durs Grünbein, Michael Hagner und Wolf Singer / Moderation: Regina Oehler / Aufzeichnung einer öffentlichen Veranstaltung
      • vom 28.09.2012 im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
      • 19:05 Uhr „Notenschlüssel“
      • Alban Bergs „Wozzeck“ / Aufgeschlüsselt von
      • Paul Bartholomäi (Wdh. vom 24.11.2010)
      • 20:05 Uhr „Wozzeck“
      • Von Alban Berg / Oper nach Georg Büchner / Mit Franz Grundheber, Waltraud Meier u.a. / Staatskapelle Berlin, Ltg. Daniel Barenboim
      • 22:00 Uhr „Dank an Büchner – Sechs Jahrzehnte Büchnerpreis-Reden“
      • Moderation: Ulrich Sonnenschein

Wer das alles gerne hören möchte, aber am 3.10. auch noch was anderes vor hat, dem bieten sich verschiedene Zugänge über einen Life-Mitschnitt oder den späteren „Download“ von „Podcasts“, also vom Rundfunk zur Verfügung gestellten Dateien mit den Beiträgen.

Am einfachsten kann man hr2-Beiträge mit dem hier vom Sender selbst zur Verfügung gestellten Programm mitschneiden.

Ich nutze meist  den Phonostar-Player, der mich auch mich einmal wöchentlich per E-Mail über besonders attraktive Hörfunk-Ereignissse informiert, und zwar mit der Möglichkeit, diese mit einem Klick aufzuzeichnen.

Schließlich finden sich hier die Podcast-Angebote von hr2. 

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