Luise Büchner hatte zum Thema Frauen und Ästhetik eine auf den ersten Blick überraschende Haltung. Sie wehrt sich nämlich – zu Recht – gegen die Abschiebung der Frauen auf das Spielfeld Kunst im Gegensatz zur Teilhabe am Erwerbsleben. Daher schreibt sie in einem Kommentar zur „Conferenz über das mittlere und höhere Mädchenschulwesen“ des preußischen Unterrichtsministeriums von 1873:

 

… Ich meine, dass das „Aesthetische“ bei der Mädchenschule wieder viel zu sehr in den Vordergrund gerückt ist. Wie es mir scheint, muß das Gefühl für das Schöne und das Gute ein Resultat des ganzen Unterrichts sein, es muß aber nicht besonders darauf hingearbeitet werden durch eine vorwiegende Pflege der Literatur, in einem Alter, wo das ernste Erlernen nützlicher Kenntnisse noch sehr am Platze ist.

Diese aesthetische Bildung vor der Zeit treibt Zweige ohne Saft und Kraft; wir machen z.B. bei den Damen-Lyzeen, welche doch die Schulbildung weiter führen und vertiefen sollen, allgemein die Erfahrung, dass sich die jüngeren Mädchen zu den Literaturvorlesungen drängen, dagegen an andern ebenso interessanten Fächern, wie Geschichte, Naturwissenschaft u. s. w., vorübergehen, weil ihnen zu deren Verständniß die gediegene Vorbildung fehlt, das Interesse dafür nicht richtig erweckt ist. Bemerken wir noch dabei, wie viel junge Damen es giebt, welche kaum rasch und gewandt etwas zu Papier zu bringen vermögen, und die später bei der Wahl ihrer Lectüre den schlechtesten Geschmack an den Tag legen, so muss man sich sagen, daß die literarisch-ästhetische Ausbildung, welche nach Ansicht vieler Pädagogen das ethisch entwickelnde Moment in der weiblichen Erziehung sein soll, häufig nicht die richtigen Früchte trägt.“

 Luise Büchner. Die Frau. Hinterlassene Aufsätze, Abhandlungen und Berichte zur Frauenfrage. Halle, Gesenius, 1878. S. 46 „Der höhere weibliche Unterricht… “

 

 

Dennoch und aus vielen guten Gründen zeigen die Luise-Büchner-Gesellschaft und das Darmstädter Kunstarchiv – übrigens ohne jede Spekulation über Provenienz, Datierung, Gegenstand und Authentizität – in den nächsten Monaten eine gemeinsame Ausstellung zum gemeinsamen Interesse:

 

„Der Weibliche Blick“ – Vergessene und verschollene Künstlerinnen in Darmstadt 1880 – 1930

Ist die Sicht der Frauen auf die Welt eine gänzlich andere als die ihrer männlichen Kollegen? Unsere Ausstellung spürt dem  „weiblichen Blick“ anhand von 35 spannenden KünstlerinnenLebensläufen nach. Alle beteiligten Künstlerinnen lebten und arbeiteten mehr oder weniger erfolgreich zwischen 1880 und 1930 in Darmstadt und der Region. Viele von ihnen wurden in Darmstadt geboren, andere zogen für eine kurze Zeit in die Stadt des Jugendstils, und wieder andere ließen sich erst in reiferen Jahren in Darmstadt nieder. Durchweg alle waren beseelt von dem Wunsch, Kunst zu schaffen, studierten in Paris oder anderswo, gründeten Malschulen und Künstlerinnenvereinigungen. Es forderte den Frauen in der damaligen Zeit eine besondere Entschlossenheit und Stehvermögen ab, sich neben ihren männlichen Kollegen zwischen Haushalt und Mutterrolle im Kunstmarkt zu behaupten. Die Qualität der „weiblichen Kunst“ ist der „männlichen“ ebenbürtig, ihr technisches Können souverän und ihre künstlerische Leistung überragend. Ihre Werke aber hängen nicht in den Ausstellungsräumen der Museen, sondern führen ein Schattendasein in den Depots und Archiven. Künstlerinnen sind zu Unrecht Verschollene und Vergessene der Kunstgeschichte. Es ist Zeit, sie nach rund hundert Jahren auszugraben, ihre Werke angemessenen zu würdigen und neu zu sehen mit dem „richtigen“ Blick.

Im Treppenhaus zeigen wir fotografische Blicke in die Ateliers der Künstlerinnen.

Zur Ausstellung, die von der Luise-Büchner-Gesellschaft gemeinsam mit dem Kunst Archiv Darmstadt veranstaltet wird, erscheint ein umfangreiches, reich bebildertes Katalogbuch. 

Hier findet sich der Flyer zu Ausstellung als pdf-Datei mit weiteren Informationen.

 

„Die Schwierigkeiten schuf der Widerstand einer männlich geprägten Welt von Kunstschaffenden und Kunstkritik gegen das aufkeimende Selbstbewusstsein der „unleidigen Zwitterwesen“ oder „Malweiber“, wie die Künstlerinnen in der Presse genannt wurden.“ schreibt Anette Krämer-Alig hier in ihrer Vorabbesprechung im Darmstädter Echo.

 

Besonders herzlich eingeladen wird zur

 

Eröffnung:
Sonntag, 23. Juni 2013, um 11 Uhr

im Darmstädter Literaturhaus, Kasinostraße 3

Es sprechen:
Oberbürgermeister Jochen Partsch, Agnes Schmidt und Claus K. Netuschil

Christiane Lüder spielt auf dem Akkordeon Musik um die Jahrhundertwende.