Es wird in den Sternen bleiben, ob die Verantwortlichen wirklich die Jahreszeit zum Anlass genommen haben, oder ob doch die allfälligen Büchnerjubiläen ihren Beitrag dazu geleistet haben: im Rhein-Main-Gebiet konnte ich in den letzten Wochen vier höchst unterschiedliche Interpretationen von Büchners Lenz sehen, zuletzt gestern Abend in Willy Pramls Theater in Frankfurt.

Christian Wirmer reist mit seinem (jetzt im Vergleich) fast spröden Vortrag des Textes, der mir erstmals die Augen darüber öffnete, wie sehr er sich wirklich zum Hören eignet,

 Christian Suhr hat in Erfelden „seinen“ Lenz so auf die Bühne gebracht, dass er von den hier erwähnten am ehesten zu einem Schauspiel wurde (er hat mir kürzlich gesagt, dass er die heutigen Aufführungen gegenüber der Premiere, die ich sehen konnte, verknappt hat und selbst als reifer empfindet),

das Darmstädter Staatstheater führt Wolfgang Riehms Kammeroper Lenz von 1979 auf, und eben

das Frankfurter Theater Willy Praml präsentiert Bücher.Lenz & Schubert.Schöne Müllerin  fast wie die Brücke zwischen Wirmer und Suhr – mehr Schauspiel als Wirmer, weniger Bühne als Suhr. 

Arbeitsstätte 

Praml stellt neben den „Lenz“ (Michael Weber)  eine „Tänzer“ genannte Figur (Andreas Bach), der stumm, aber in sprechenden Gesten Lenzens Widerpart gibt und so die Gespaltenheit der Figur repräsentiert. Vassily Dück (Akkordeon) und Gregor Praml (Bass+ Gesang) übernehmen den Schubert-Part der Vorstellung. Gregor Pramls wunderbare Stimme, die sich jeder Melodiosität standhaft verweigert, macht das zu einem wirklichen Erlebnis. So einleuchtend Willy Pramls Begründung für die Parallelität der Lebensdaten von Büchner, Schubert und Müller (dem Verfasser der vertonten Gedichte)  ist, so sehr bewegt mich dabei die Frage, ob Schuberts „Kunstlieder“ nicht auf scharfe Ablehnung des volksliedliebenden Büchner gestoßen wären.

Weber, Bach im ebenfalls von Michael Weber gestaltetem Bühnenbild 

Auch Michael Weber beherrscht und präsentiert den Text: wo bei Wirmer die erzählende Distanz des Büchnertextes eingehalten wird und wo Suhr dies durch freies Spiel und zusätzlichen Text erweitert, steht Willy Pramls Aufführung zwischen Vortrag und Spiel.  

Verdienter Beifall am 2.3.: Dück, G. Praml, Weber, Bach  (v.l.n.r.)
(Freundlicherweise hat mir Willy Praml ausnahmsweise das Aufnehmen erlaubt, vielen Dank dafür!)

Ich werde nun als „Büchnerblogger“ den Teufel tun und mich hier tiefschürfend über Interpretationsansätze und Zugänglichkeiten der Stücke zu äußern; schon, weil ich viel zu gerne hätte, dass möglichst viele Interessenten ebenfalls alle vier Stücke sehen. Mich hat die Oper wirklich herausgefordert, aber das will ich gerne meinem musikalischen Kretinismus anlasten. 

Soviel aber schon:  alle haben mir etwas Neues gegeben, und ich bedaure keine Minute. Und: ich habe mich sehr gefreut, als mir Willy Praml gestern erzählte, dass er plant, eine Aufführung von Christian Wirmer zu sehen.

Ich wünsche mir jetzt eine Einladung an alle Beteiligten zu einem öffentlichen Gespräch!  Gerade nachdem wir erste Berichte über gründlich misslungene Auseinandersetzungen mit Büchners Werk zur Kenntnis nehmen (und erleiden) mussten, könnte hier eine ganz neue und fruchtbare Perspektive auch für den künstlerischen Austausch eröffnet werden.