Die Debatten in meinem Mailpostfach über das aufgetauchte Georg-Büchner-Bild schlagen immer noch Wellen. Wir bleiben gespannt auf die Mitteilungen, die morgen bei der Pressekonferenz gemacht werden. Ich werde berichten.
Mit einer Frage habe ich mich besonders gerne beschäftigt: Reinhard Pabst, der wunderbarer Weise offenbar auch schon das Lied identifiziert hat, das das Notenblatt zeigt, fragt, ob nicht vielleicht Wilhelm Büchner, der jüngere Bruder, auf dem neuen Bild gezeigt wird.
Ich habe hier schon darüber geschrieben, dass das schöne Bild von Becker, das ich für mich gerne „Wilhelm im Paletot“ nenne, große Ähnlichkeit mit seinem Bruder aufweist; oft hält man es für ein Jugendbildnis Georgs. Vielleicht wird die Frage, wen der Maler (August Hoffmann?) tatsächlich abbildete (nachdem die Frage der historischen Authentizität geklärt ist) offen bleiben müssen. Allerdings könnten die Attribute auf dem Bild, das erwähnte Notenblatt und das merkwürdige Band, das der Abgebildete trägt, zur Identifizierung beitragen.
Hier jedenfalls mal zwei unumstrittene Bilder als Rahmen für das neue:
Mit einiger Geheimhaltung hat das Institut Mathildenhöhe, deren Leiter Ralf Beil die bevorstehende Büchner-Ausstellung in Darmstadt kuratiert, für Montag, den 27.5., zu einer Pressekonferenz eingeladen, bei der ein „Professor Dr. X“ und „Georg Büchner in effigie“ dem staunenden Publikum Bedeutendes mitteilen werden:
zur Pressekonferenz GEORG BÜCHNER EIN JAHRHUNDERTFUND am Montag, den 27. Mai 2013 um 11 Uhr im Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe Darmstadt Olbrichweg 13, 64287 Darmstadt
laden wir Sie herzlich ein. Es erwarten Sie: Dr. Ralf Beil | Direktor Institut Mathildenhöhe Darmstadt Prof. Dr. X | Büchner-Forscher Georg Büchner | in effigie Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung und auf Ihr Kommen. Mit besten Grüßen Daniel Grinsted M. A. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Institut Mathildenhöhe Darmstadt
Nach einigem Rumoren in meinem E-Mail-Fach, bei dem wir nebenbei auch einem dilettantischen Fälscher auf die Spur kamen, hat nun offenbar der Gießener Anzeiger vorab den Schleier gelüftet:
„ … passend im Büchnerjahr: ein Porträt von Georg Büchner aus Gießener Privatbesitz.“
Lautet die zusammen mit diesem Bild online hier verkündete Nachricht mit Hinweis auf einen Artikel des renommierten Prof. Dr. Oesterle in der heutigen Ausgabe.
„Sensationell“ wäre noch ein zurückhaltendes Attribut für den Fall, dass hier in der Tat ein weiteres Portrait Georg Büchners aufgetaucht sein sollte.
An dieser Stelle wird naheliegenderweise vorrangig für Veranstaltungen mit persönlich geschätzten und verbundenen AkteurInnen Reklame gemacht – wer sich also für eine vollständige Auflistung interessiert, wird hier bedient.
Für den Vormittag empfehlen wir daher:
Mit tatkräftiger Unterstützung des Pfungstädters Peter Brunner ist es dem Verein zur Förderung von Kunst und Kultur in Zwingenberg in den letzten Jahren gelungen, die zahlreichen Verbindungen der kleinen Stadt zu vielen Angehörigen der Büchner-Familie zu dokumentieren und in Veranstaltungen zu präsentieren. Ausgerechnet der größte der Büchners, der Revolutionär, Dichter und Naturwissenschaftler Georg Büchner, ist dabei fast zu kurz gekommen, obwohl die ehemalige Hofapotheke ja ein ganz realer „Georg-Büchner-Ort“ ist – hier war er nachweislich zu Besuch bei seinem Bruder Wilhelm. In seinem Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag soll ihm jetzt die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden. In der ehemaligen Hofapotheke, dem heutigen Café Schoko und Wein, stellen die Leiterin der Stadtbücherei, Angelika Graf, zusammen mit Peter Brunner Leben und Werk des Dichters in einer sonntäglichen Matinee vor. Brunner stützt sich neben eigenen Recherchen auf das umfangreiche Schrifttum zu Georg Büchner, so auch auf gleich drei jüngst erschienene Biografien des jung verstorbenen Ausnahmedichters. Begleitet von Originaltexten aus Büchners Werken und Briefen soll den Gästen ein vergnüglich-informativer Sonntagvormittag geboten werden, der von Fürstenmord bis Schädelnerv ein Leben ausbreitet, das kaum 24 Jahre dauerte und doch ganze Bibliotheken voller Lesestoff füllt. Immerhin ist Georg Büchner seit Jahren trotz seines kleinen Werkes der am häufigsten aufgeführte Dichter deutscher Sprache weltweit. Die Veranstaltung wird von Literaturland Hessen freundlich unterstützt und versteht sich auch als Einführung und Vorbereitung zu den geplanten Darmstädter Aktivitäten „Büchner200“ im Sommer und der großen Landesausstellung über Georg Büchner im Darmstadtium (ab Oktober 2013).
Und dann am Nachmittag nach Darmstadt:
Die Handschriften der Familie Büchner
Besuch in der neuen Universitäts- und Landesbibliothek
Wann
26.05.2013
von 15:00 bis 17:00
Wo
Darmstadt
Name
Agnes Schmidt
Am Tag der Literatur in Hessen laden wir Sie zu einem Besuch in der neuen Universitäts- und Landesbibliothek ein. Wir wollen dort
die Handschriften der Familie Büchner anschauen.
Treffpunkt: Eingangshalle der neuen Universitäts- und Landesbibliothek,
Magdalenenstr. 8 , Zeit: 15 Uhr
Programm:
Dr. SylviaUhlemann: Vorstellung der Handschriftenabteilung,
Dr. Thomas Lange: Der Briefwechsel zwischen Alexander Büchner und Otto Adolph Ellissen,
Agnes Schmidt: Luise Büchners Exzerptbüchlein
Sigrid Schütrumpf (Darmstadt) und Michael Kaiser (Kassel) lesen Briefe und andere Texte der Büchners.
Vortragssaal im Literaturhaus (Kennedy-Haus), Kasinostraße 3
Die Orte von Georg Büchner und seinen Geschwistern
Buchvorstellung und Filmpremiere
Die Broschüre „Büchnerland – Orte von Georg Büchner und seinen Geschwistern in Hessen“ entstand durch die Zusammenarbeit des Stadtarchivs Darmstadt und der Luise Büchner-Gesellschaft mit Büchnerexperten aus Pfungstadt und Gießen. Die Broschüre, die ein reiches Karten- und Bildmaterial enthält, wird vom Darmstädter Stadtarchivar Peter Engels und von der Vorsitzenden der Luise Büchner-Gesellschaft, Agnes Schmidt, vorgestellt.
Büchnerland: Orte von Georg Büchner und seinen Geschwistern in Hessen.
Herausgegeben von der Luise-Büchner-Gesellschaft e.V., mit freundlicher Unterstützung des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Darmstadt 2013. 12 €.
Der Erstverkauf beginnt im Anschluss an die Veranstaltung, ab diesem Termin ist die Broschüre dann im Handel für 12 € erhältlich. Selbstverständlich ab sofort auch in der Luise-Büchner-Bibliothek und bei allen Veranstaltungen der Luise-Büchner-Gesellschaft.
Parallel zur Arbeit an der Broschüre hat der Darmstädter Medienproduzent Gerhard Zimmermann einen Film über Georg Büchners Orte gedreht, der hier seit kurzem ebenfalls lieferbar ist. Den Film
Auf den Spuren von Georg Büchner
von Gerhard Zimmermann
zeigen wir im Anschluss an die Buchvorstellung.
Der Film stellt die Schauplätze vor, die für den Dichter, Revolutionär und Wissenschaftler eine herausragende Bedeutung hatten. Vor Ort geben Interview- und Gesprächspartner (Rotraut Pöllmann, Büchner-Haus Riedstadt; Peter Brunner, Autor, Berater, Entwicklung und Kultur, Pfungstadt; Matthias Gröbel, Vorsitzender der Georg Büchner Gesellschaft, Pädagoge, Darmstadt; Peter Schlagetter-Bayertz, Freier Kulturwissenschaftler Gießen; Dr. Dieter Wolf, Leiter des Museums und Stadtarchivs Butzbach) Auskunft zu Büchners Leben und Wirken.
Bereits letztes Jahr habe ich auf Alexander Büchners abenteuerlichen Pfingstausflug erinnert, und diesmal soll hier sein eigener Bericht darüber ausführlich zitiert werden. Die zu Beginn erwähnte „Novelle“ betrifft natürlich den Tod von Pfarrer Fritz Weidig im Darmstädter Gefängnis, und Alexander Büchner hatte sich damit in der Tat „sehr weit hervorgewagt“. Er tut nämlich nichts weniger, als dem Richter Georgi kaltblütigen Mord am Kopf der Giessen-Butzbacher Revolutionäre zu unterstellen. Die veränderten politischen Verhältnisse kamen Alexander Büchner zugute: in einem der ersten öffentlichen Geschworenenprozesse in Hessen-Darmstadt wurde er später freigesprochen.
Nach den wilden Rose kam eine von mir verfasste Novelle hätte betitelt: „eine Kriminalgeschichte von früher.“ Dieses unschuldige Opus trug mir aber einen gefährlichen Pressprozess ein. Es wurde nämlich darin erzählt, wie ein politischer Gefangener Biedermann von einem jeder bösartigen Untersuchungsrichter, welche da, wo nicht herauszuuntersuchen ist, etwas hineinuntersuchen, aufs grausamste gequält, mit Stockschlägen traktiert und zuletzt mit Beihülfe des Gefängniswärters ermordet wird. Diese Schauergeschichte passte nun wieder Fingerhut auf den Finger auf eine wirkliche Begebenheit, die sich einige Jahre vorher im Aresthause zu Darmstadt zugetragen hatte. Alle Welt nannte sogleich die betreffenden Beinamen. Der Hohe Gerichtshof aber, welchem jener Richter angehört, fühlte sich in seiner und Ehre gekränkt und verlangte Genugtuung von dem Darmstädter Hof gerecht, da ich mich unklugerweise mit meinem Namen unterzeichnet hatte. Es wurde sofortige Inhaftnahme des Schuldigen verfügt. Nun traf es sich aber, dass ich damals Accessist an demselben Hofgericht geworden war. Der Gerichtsrat, dem ich zugeteilt war, hatte natürlich meine Personalakten in seinem Referat,und da ich seine Akten vorbereitungsweise durchzusehen hatte,viel mir jene mich betreffende Verfügung brühwarm in die Hände. „mein gewohntes Schwein!“ dachte ich, schnürte das Bündel wieder zu und begab mich ganz sachte hinweg, um mit Freunden Kriegsrat zu halten. Da auch Letzteren Gerüchte von meiner bevorstehenden Verhaftung zugekommen waren, verbarg ich mich zunächst bei meinem Bruder Wilhelm, welcher in Pfungstadt, nah bei Darmstadt, eine große Ultramarinfabrik aufgetan hatte.“in meinen weitläufigen Gebäude“, sagte der selbe „wird dich sobald kein Polizist finden.“ Dort saß ich also zunächst in Sicherheit, vergaß aber zu meinem Schaden, dass die „Fürsicht der Tapferkeit besseres Teil“ ist. Das schöne Pfingstfest war nämlich mit herrlichem Wetter herbeigekommen,und da gab es zahlreiche Ausflüge in den Höhenzug, die Bergstraße genannt, welcher sich als östliche Begrenzung des weiten Rheintals gegen Heidelberg hin erstreckt. Da strömte denn Jung und Alt in die reizenden Täler und auf die mit vortrefflichen Wirtshäusern gekrönten Hügeln. Meines Bruders Familie tat desgleichen, und auch ich lies mich bewegen mit ihnen den berühmten Felsberg zu besteigen. Der ganze Landstrich wimmelte bereits von hessischen Soldaten, welche den Fortschritten der badischen Bewegung Einhalt tun sollten. Als wir gegen Abend die wundervollen Parkanlagen des Jugenheimer Schlösschens durchschritten, fielen mir mehrere von Darmstadt hier bekannte Offiziere auf, welche mich eifrig fixierten. So gelangten wir bis zur Station Bickenbach,wo eine große Anzahl von Fahrgästen versammelt war, welche sich mit der Eisenbahn nach Darmstadt oder Frankfurt zurückzugeben beabsichtigten. Plötzlich durchlief die Menge das Gerücht, die ganze Bergstraße sei im Belagerungszustand erklärt. Ich fühlte mich nicht sehr wohl in meiner Haut, besonders da ich mich im Besitz eines von dem Gesinnungsgenossen Dr. med. Zimmermann entworfenen Planes eines Aufstandes im Odenwald sowie eines großen Dolchmessers befand. Es verstrich kaum einige Minuten, als ein Gendarm in voller Uniform von einem Piquet Soldaten begleitet an mich herantrat und für verhaftet erklärte. „Wo haben Sie Ihren schriftlichen Verhaftungsbefehl, ohne welchen ich Ihnen nicht folgen werde?“ „Das geht mich nichts an,“ erwiderte der Gendarm, „ich habe Befehl, sie vor den hier kommandierenden Major zu bringen.“ Nun trat mein gerade gegenwärtiger Freund F. Dazwischen. “Bedenken Sie,“ sagte er zu dem Gendarm, „dass der Herr hier Beamter des Großherzoglichen Hofgerichts in Darmstadt ist und morgen früh um 9 Uhr auf seiner Amtsstube zu erscheinen hat. Wenn sie denselben an der Erfüllung seiner Pflicht hindern, so sind sie dafür verantwortlich!“ Der Gendarm zauderte, was man in jenen unsicheren Zeiten nur natürlich finden konnte, da er sicher war, dass sich bei einem Missgriff seinerseits die Sache wegen übertriebenen Amtseifers wahrscheinlich gegen ihn wenden würde. “Ich werde Ordre einholen“ Damit ging er zu dem Major zurück. Wir dagegen schritten weiter in dem schon dunkel werdenden Wald hinein, wo ich unbemerkt meiner Schwester Mathilde die erwähnte Mordwaffe und die gefährliche Papiere zusteckte. In diesem Augenblick kam der Gendarm zurück, und in der nun entstehenden Verwirrung schlüpften meine stets besonnene Schwester, die sich hier wie oft als mein Schutzgeist bewies, weiter ins Gebüsch hinein und schleuderte die kompromittierenden Gegenstände ins tiefste Gestrüpp. Vor dem Major angelangt, protestierte ich laut vor der hier versammelten, immer anwachsenden Menge gegen das ungesetzliche Verfahren, welches man sich gegen mich erlaube. Der Major erwiderte kurz, hier sei Kriegszustand und ich habe zu schweigen, worauf er mich eine kleine Räumlichkeit des Bahnhofs einsperren und bewachen ließ. Dort sollte ich indes nicht lange ohne Gesellschaft bleiben. In der Darmstädter Bürgerwehr hatte sich kürzlich eine freiwillige Kompanie gebildet, welche wegen ihrer Bewaffnung wie Uniform kurzweg die „schwarzen Schützen“ genannt wurde. Einer der selben, namens Stumpf, ein „eiserner Warenhändler“, hatte in Gesellschaft seiner Büchse einen Ausflug in die Berge gemacht und kam nun zum Bahnhofe um nach Darmstadt zurückzukehren. Stumpf hatte in jungen Jahren in der algerischen Fremdenlegion gedient und galt somit für eine militärische Autorität. Als er die brühwarme Nachricht von meiner Verhaftung erfuhr, äußerte er sich mit soldatischen Freimut über die Ungesetzlichkeit eines solchen Gewaltstreiches. Dies wurde sogleich die Major hinterbracht, und derselbe verordnete die Verhaftung des „schwarzen Schützen“ wegen Aufheizung zur Rebellion. Stumpf wurde zu mir gesperrt, wir erkannten uns als Schicksalsgenossen und machten uns weidlich über das ganze Abenteuer lustig, wobei der ehemalige Legionär es an den in Algier erlernten französischen Kraftausdrücken wie Sacre bleu!, Tonnere de Brest mille millions! und dergleichen nicht fehlen ließ. Der letzte Abendzug nach Darmstadt war mittlerweile abgegangen, und wir wurden nun unter Bedeckung eines Piquet Füsiliere auf der Bahnstrecke hin nach dem noch etwa drei Stündchen entfernten Hauptquartiere Heppenheim abgeführt. Von der Gerechtigkeit unserer Sache fest überzeugt, zeigten wir unserer aufgedruckten Umgebung die herablassende Geringschätzung eines Caesars unter den Seeräubern. Nach 1 h Marsch gelangten wir nach dem Städtchen Zwingenberg. Daselbst erklärte ich dem Brigadier, welcher den Zug kommandierte, ich sei zu müde und zu hungrig, um ohne Rast die noch fehlenden zwei Wegstunden zu machen. Derselbe ließ sich erweichen und brachte uns zum „Zeitgeist“, was der Spitzname eines der Zwingenberger Hotelbesitzer war, die jetzt mehrere Offiziere beherbergte. Wir ließen uns ein herzhaftes Nachtessen vorsetzen, beträufelten dasselbe reichlich mit dem feurigen Bergsträsser und unterhielten uns sehr laut und fidel unter Gläserklange. Unter den dort ab-und zu gehenden Offizieren gewahrte ich einen Hauptmann L., der in Darmstadt mit unserer Familie sehr befreundet war. Derselbe kam, als wir eben aufbrechen sollten, auf mich zu, nahm mich bei Seite und sagte mir in der freundschaftlichsten Weise, ich solle die Sache nicht so leicht nehmen; es seien schon blutige Zusammenstöße vorgekommen, und bei der Gereiztheit der Offiziere könnten wir uns durch unser herausforderndes Benehmen der größten Gefahr aussetzen. Ich dankte dem wackeren Mann für seine Warnung, versprach dieselbe zu beherzigen, und unser Zug ging weiter.
Zum halben Mond, Heppenheim, Stahlstich von Grünewald/Lampert 1840
Als wir todmüde in Heppenheim anlangten, war Mitternacht vorüber, und als Schlafgemach fanden wir einen leeren Gepäcksaal, in den man uns ein Bündel Stroh hinein legte. Die Algierer Stumpf erklärte sich mit diesem Nachtlager sehr zufrieden und behauptete,er habe schon ungleich schlechtere kennen gelernt, streckte sich auf dem Stroh aus und schnarchte alsbald wie ein Nürnberger Brummkreisel. Ich selbst war zu stolz, um mich mit diesem plebejischen Lager zu befreunden,sondern legte mich, als Turnerleutnant, der ich war, auf die nackte Diele und hätte mich mit der Stubentür zugedeckt, wenn dieselbe nicht verschlossen gewesen wäre. So aber bediente ich mich als Kopfkissen eines Paktes Stricke, welche in der Ecke lag, um die mutmaßlichen Gefangenen, welche man machen würde, zu fesseln. Als wir am Morgen erwachten, sahen wir, dass wir uns im vollsten Kriegszustand befanden. Der ganze Bahnhof starrte von Bajonetten und Kanonen, und vor unserer Tür wie vor den Fenstern standen Posten im einzelnen mit geladenen Gewehren, welchen, uns zum Gehör, bedeutet wurde, uns beim geringsten Fluchtversuch niederzuschießen. Aus der Ferne ertönten Kanonenschüsse, Pferdegetrappel und sonstiges kriegerisches Geräusch. Die uns bewachenden Soldaten waren übrigens keine vertierten Söldlinge, wie wir sie damals nannten, sondern betrugen sich sehr gebildet mit einer Art von ehrerbietigem Mitleid, besorgten uns Waschwasser, und gingen, da wir gerade viel Geld bei uns hatten, in das nahe gelegene hoch berühmte „Gasthaus zum halben Mond“, um uns Speise und Trank zu verschaffen, an deren Resten sie bereitwillig und erfreut teilnahmen. In dieser Not der Zeiten verfasste ich ein kleines Gedicht, welches ich hierher setze, um den naiven Enthusiasmus oder vielmehr Fanatismus zu kennzeichnen, der uns damals beseelte.
Im Gefängnis. 1849
Ich weiß ne Stunde, da herab
Zum Bart manche Träne floss.
Doch Wehmut nicht noch Schande gab
Die Tropfen, die mein Aug vergoss.
Und als die Zähre blutig heiß
Die trockene Wange lief entlang,
Da sprach ich in dem Herzen leisten
Wohl einen Fluch, der Blutig klang:
Für jede Träne, die da fällt,
fällt nieder ein Tyrannenhaupt;
hinrollt es in das blutge Feld,
dem seinen Pflanzer es geraubt
Für jeden Tropfen, der dann quillt,
zahlt eines Schergen Haupt und Hand,
…
Alexander Büchner: Das tolle Jahr. Von einem, der nicht mehr toll ist. Gießen, Roth, 1900. S. 184 ff