Neues aus Buechnerland

Peter Brunners Buechnerblog

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… das dritte Drama, dessen Büchner Erwähnung thut

Mit unterschiedlichem Ernst habe ich hier bereits mehrfach Aretino erwähnt; immer im Zusammenhang mit einem Zitat Ludwig Büchners aus der Einleitung zur von ihm herausgegebenen ersten Werkausgabe des Bruders:

„Außerdem muß er in derselben Zeit noch ein zweites Drama vollendet haben, das nicht mehr vorhanden ist. Wenigstens schreibt er im September 1836, nachdem er von zwei fertigen Dramen schon in früheren Briefen gesprochen: „ich habe meine zwei Dramen noch nicht aus den Händen gegeben, ich bin noch mit Manchem unzufrieden und will nicht, daß es mir geht, wie das erste Mal. Das sind Arbeiten, mit denen man nicht zu einer bestimmten Zeit fertig werden kann, wie der Schneider mit seinem Kleid.” (Nachgelassene Schriften von Georg Büchner. Frankfurt, Sauerländer, 1850, S: 37) und „ … das dritte Drama, dessen Büchner Erwähnung thut, kann nur dasselbe sein, das schon in dem angeführten Straßburger Briefe vorkommt und von dem keine Spur aufgefunden werden konnte. Es handelte, wie aus mündlichen Mittheilungen des Dichters an seine Braut hervorzugehen scheint, von dem Florentiner Pietro Aretino. – Es ist bemerkenswerth, daß Büchner während der Fieberdelirien seiner Krankheit sich vergebend anstrengte, von etwas Mittheilung zu machen, das ihm Sorge zu machen schien. Der Tod schloß seine Zunge.” (a.a. O., S. 40) 

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Tizian: Pietro Aretino (Palazzo Pitti, Florenz)

Der Büchnerbiograph Jan-Christoph Hauschild schreibt:

Daß Büchner ein solches Drama bereits vollendet, wie Wilhelmine Jaeglé glaubte, oder auch nur angefangen hatte, ist nicht zu belegen – es sei denn, man wolle seine briefliche Bemerkung vom 20. Januar 1837, er »komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir’s heller«, historisch großzügig auf den Renaissanceschriftsteller Aretino beziehen. Es könnte sich lediglich um Mißverständnisse und Fehlinterpretationen handeln.

Nicht von der Hand zu weisen scheint aber die Annahme, daß Büchner sich mit Aretinos Leben und Werk beschäftigte. Der Schriftsteller war eine bekannte, weil vielgeschmähte Gestalt der Literaturgeschichte. Wahrscheinlich hat Büchner in Darmstadt oder später in Straßburg den langen Artikel von Philarète Chasles über Pietro Aretino, »sa vie et ses œuvres«, gelesen, der Ende 1834 in der »Revue des Deux Mondes« erschienen war, denn im selben Jahrgang, im Heft vom 30. Juni, war Alfred de Mussets Komödie »On ne badine pas avec l’Amour« abgedruckt, die als eines der Vorbilder für Büchners Lustspiel gilt, und in der folgenden Lieferung vom 15. Juli 1834 hatte Büchner in George Sands »Lettres d’un voyageur«, einem Bericht über ihre Italienreise, zwei Sätze entdeckt, die er später als Motto für »Leonce und Lena« verwendete.

Der drastische, prärealistische und volksnahe Ton von Aretinos Komödien sowie seiner »Kurtisanengespräche« (»Ragionamenti«) wird Büchner ebenso fasziniert haben wie dessen programmatisches Bekenntnis zur Naturwahrheit der Kunst, sein politischer Anspruch ebenso wie seine korrupte Ehrlichkeit. 

Wenn man bei aller gebotenen Zurückhaltung an der Existenz eines abgeschlossenen »Aretino«, eines »Gangsterstücks«, wie Peter Hacks mutmaßte, festhalten möchte, würde das voraussetzen, daß Büchner sein Manuskript kurz vor dem Tod in die Hand eines Verlegers, eines Journalisten oder eines vielleicht selbst schriftstellernden Freundes gab und sämtliche Vorarbeiten vernichtete und daß sich ferner auch in seinem Nachlaß keinerlei Spuren fanden, die auf einen entsprechenden Kontakt schließen ließen. Es müßte sich dabei um eine Zürcher Persönlichkeit handeln, die dem Kreis von Büchners hessischen Landsleuten so fern stand, daß man bei ihr keine Handschriften des Verstorbenen vermutete.

Dabei käme wie vielleicht kein anderer sonst der englische Schriftsteller Thomas Lovell Beddoes (1803-1849) in Frage. Den Schönleinschüler und -freund, der 1836/37 in der Nachbarschaft wohnte, verband vieles mit Büchner: die Herkunft aus einer Arztfamilie, das absolvierte Medizinstudium, die Spezialisierung auf Vergleichende Anatomie, ein gleichzeitiger Aufenthalt in Straßburg 1832/33, die Begeisterung für Tieck und Shakespeare, ein eminentes politisches Interesse und schließlich die schriftstellerischen Ambitionen (Versdrama »Death’s Jest-Book«, postum veröffentlicht 1850).

Daß Büchner Beddoes tatsächlich kennengelernt hat, ist jedoch nicht nachzuweisen, und so bleibt Büchners „Aretino“ weiterhin eine Legende von andauernder Faszination. (J.-C. Hauschild: Büchners »PIETRO ARETINO« – Eine Fiktion?, Begleittext zum Manuskript beim Drei Masken Verlag

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Aretino, Italiänischer Huren=Spiegel. dt. ca. 1655

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Aretino, Italiänischer Huren=Spiegel. dt. ca. 1655

 

J.-C. Hauschild hat bereits in den achtziger Jahren die Imagination dieses Stückes gewagt und ein Stück erfunden, wie es Georg Büchner vielleicht geschrieben hätte. Nach zwei szenischen Lesungen (am 29. Oktober 1983 im Marburger Schauspiel und am 28. Juni 1984 im Tübinger Zimmertheater) wird es nun an Georg Büchners 201. Geburtstag, am 17. Oktober 2014, in seiner Heimat durch die Büchnerbühne uraufgeführt.

Ich durfte Gast einer Probe der Büchnerbühne sein. Christian Suhr versteht das Zitat aus dem 10. Akt („Bei einem Spaziergang durch Mantua werden Pietro Aretino und Niccolo Zeuge einer Festnahme und machen Bekanntschaft mit einer Menschenmenge. Die neugierige Liebe des Künstlers zum einfachen Volk wird von diesem nicht erwidert.”) –

„Von Despoten wollt Ihr uns sprechen – Und wollt Eure eigenen Ketten nicht brechen!”

als Dreh- und Angelpunkt des Dramas; in dem Zitat erkennt er das Büchner’sche Hadern mit den Umständen seines Lebens.


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Probenszene

 

Er inszeniert vor einem „Brechtvorhang” als Tür zu zwei Szenerien rechts und links der Hauptbühne, der auch als Projektionsfläche dient, mit wie gewohnt zurückhaltendem Bühnenbild. Hauschilds sorgfältig in klassischem Versmaß verfasstes Stück bringt er fast 1:1 auf die Bühne; „ … sowohl aus Respekt vor dem Autor bei einer Uraufführung”, aber auch, weil die Geschichte des Aretiners, der aus Rom vor der Verfolgung des neuen Pabstes nach Mantua an den Hof der Isabella d’Este flieht, aber schließlich von dessen Schergen dort ermordet wird, „keiner Verbesserung durch die Regie bedarf” (Suhr).

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Probenszene

 

Eine ausführliche Besprechung der unbedingt sehenswerten Inszenierung und des Stückes folgt hier nach der Uraufführung.

 

Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft bietet ihren Mitgliedern und weiteren Interessentinnen Eintrittskarten und die Organisation von Fahrgemeinschaften für den 17. Oktober an:

 

Freitag, 17. Oktober
Theaterbesuch in Riedstadt/ Leeheim.
Georg Büchners  201. Geburtstag feiert die Leeheimer  Büchnerbühne mit der Uraufführung des Stückes Aretino – eine Fiktion von Büchnerbiograph Jan-Christoph Hauschild. Für unsere Mitglieder werden wir  30 Eintrittskarten reservieren lassen.  Bitte melden, wenn Sie mitkommen möchten. Die Karten kosten 15 Euro. Gern organisieren wir Fahrgemeinschaften. Uhrzeit  wird noch bekannt gegeben!
Anmeldung bis 30. September bei Frau Ilse Kuchemüller, Tel.: 06151/44400;
Email: ilse.kuchemueller@t-online.de

Der Vorverkauf des Theaters mit Informationen über weitere Aufführungstermine ist hier zu erreichen.

Wer das nicht mehr abwarten kann und/oder Einblick in die Arbeit des Ensembles nehmen möchte, kann am Sonntag, dem 28. September um 18 Uhr zur öffentlichen Probe ins Theater kommen.

 

Nachtrag: Inzwischen habe ich in meinem „Alltagsblog” SaubereSchweine berichtet, wie ich mich mit Literatur zum Thema versorgt habe

 

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von Peter Brunner

Das Museum der Büchners ist wieder da!

Das Hessische Landesmuseum in Darmstadt hat gestern nach jahrelanger Umbauzeit endlich wieder geöffnet.

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Und der wunderbare Bau mit seiner aussergewöhnlichen Präsentation als Universalmuseum bestätigt in jedem Raum, in jedem Ausstellungsstück die Nähe zum Kanon der Geschwister Büchner: die Welt verstehen, indem sie angeschaut wird.

Die Ursprünge des Museums, die großherzogliche Sammlung in Darmstadt, die seit 1820 öffentliches Museum war, hat Georg Büchner 1833 zusammen mit seinem französischen Freund Georges Muston besucht. Auf der seiner website hat das Museum die eigene Frühgeschichte so zusammengefasst:

 

Ende des 18. Jahrhunderts vererbte Landgräfin Karoline ihrem Sohn Ludwig X. (1753–1830, ab 1806 Großherzog Ludewig I.) ihre Sammlung von Naturalien und physikalischen Instrumenten, die den Grundstock für die naturwissenschaftlichen Sammlungen des heutigen HLMD bildete. Während seiner Regierungszeit (1790–1830) fügte Ludewig I. wichtige Bestände hinzu: Glasgemälde, altdeutsche Altäre, niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts, Kupferstiche und naturgeschichtliche Objekte wie den Nachlass Johann Heinrich Mercks, der viele Säugetierfossilien beinhaltet. 1802 erwarb Ludewig I. das gesamte druckgraphische Werk Albrecht Dürers und Rembrandts. 1805 vererbte ihm der Kölner Sammler Baron von Hüpsch seine hochbedeutende Kunst- und Naturaliensammlung, darunter Elfenbeinarbeiten und Gemälde des Mittelalters sowie wertvolle Mineralien und Fossilien. 52 Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts wurden im Jahr 1808 von dem Baseler Kaufmann Nikolaus Reber angekauft, etwas später kam die 81 Gemälde umfassende Sammlung des Grafen Truchseß von Waldburg hinzu sowie 1450 Handzeichnungen aller bedeutenden europäischen Schulen aus der Sammlung E. F. J. von Dalberg.

Im Jahr 1820 übergab Ludewig I. seine Kunst- und Naturaliensammlung in Form einer Stiftung in das Eigentum des Staates. Damit machte er die Sammlung, die seit dem 17. Jahrhundert von den Landgrafen Hessen-Darmstadts kontinuierlich aufgebaut worden war, der Öffentlichkeit zugänglich. … 1817 wurde die Sammlung vom alten Residenzschloss in das neue Schloss verlegt. …

 

Und noch heute sind sie da – der „Christus in Emmaus“ von Carl von Savoy, der Dinotherium-Kinnbacken und auch die protzigen Kirchenschätze.

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C. v. Savoy, Christis in Emmaus (Ausschnitt)

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Die Sammlung von Kirchenschätzen

 

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Die Funde aus den rheinhessischen „Dinotheriumssanden“

 

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Die Sammlung historischer Korkmodelle antiker Stätten

 

Susanne Lehmann hat in „Georg Büchners Schulzeit. Ausgewählte Schülerschriften und ihre Quellen”, ausführlich aufgezählt, dass Georg Büchner sicher bereits als Schüler in den Sammlungen war und wie viele der Stücke bis heute dort gezeigt werden.

 

Die wunderschön gestaltete naturkundliche Sammlung ist eine Darstellung der Evolution, wie sie sich Ludwig Büchner in kühnsten Träumen nicht erhofft hätte,

 

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Skelettparade

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Heckels „Stammbaum des Menschen“

 

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Ein kleiner Teil der Funde aus dem Messeler Urschiefer

 

Luise Büchner wäre über den Anschauuungsunterricht der bildenden Kunst von Rembrandt bis Beuys begeistert gewesen

 

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Andy Warhol: Joseph Beuys

 

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Kleiner Einblick in die Mittelalter-Sammlung

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Die Holländer

und Alexander kann ich mir sehr gut in van de Veldes Büro vorstellen:

 

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 H. van de Velde: Büro für die Chefredaktion der „Revue Blanche”

 

Kurz: Für künftige Darmstadt-Besucher, seien sie auf den Spuren der Geschwister Büchner oder „einfach nur so da”, ist jedenfalls der Besuch des Landesmuseums in Zukunft Pflicht!

 

 

Die Zerstörung Darmstadts 1944 forderte nicht nur Menschenopfer

Darmstadt bereitet sich auf die Erinnerung an die Zerstörung der Stadt am 11. September 1944 vor. Natürlich haben die Kriege auch Einfluss auf das Leben der Büchners und ihrer Nachfahren genommen; der entsetzliche Bombenangriff auf die Stadt kostete das Leben der Familie Georg Büchners (* 1862), Ludwig Büchners ältestem Sohn, mit dessen Ehefrau Marie geb. Schenk (*1873) und ihrer Tochter Viktoria (*1893).

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Grabstein von Ludwig Büchers Sohn und dessen Familie 
auf dem Darmstädter Alten Friedhof

 

Ludwig Büchners erstes Kind, die Tochter Mathilde (1860 – 1939), war mit Gustav Buss (1858 – 1934) verheiratet. Ihre Tochter Sophie war seit 1921 mit Karl Soeder verheiratet und hatte drei Kinder, Susanne (*1922), Friedrich (*1925) und Peter (*1929). Diese Familie lebte im Büchnerschen Haus in der Hoetgesstraße, in unmittelbarer Nähe zu St. Ludwig, der unübersehbaren katholischen Kirche mit ihrer runden Kuppel. Am Tag des Angriffs war Friedrich als Soldat im Krieg. Fast wunderbar ist, dass – mitten in Darmstadt – die ganze Familie überlebte. Peter Soeder hat mir erzählt, dass die Rettung der Familie ein Feuerlöschteich war, der vor der Kirche angelegt war, in den sie sich retten konnten und dort den schrecklichen Feuersturm überlebten.

Die große Schwester war in dem Moment, als die Familie das brennende Haus  verließ, an der Schwelle stehengeblieben und hatte wie in einer Eingebung versucht, wenigstens irgendeine Erinnerung zu retten. Sie entschied sich für das Bild Georg Büchners, das im Wohnzimmer an der Wand hing. (Zur Geschichte dieses Bildes habe ich hier bereits mehrfach geschrieben, zuletzt hier.) Sie lief zurück ins brennende Haus, griff nach dem gerahmten Bild und stürzte damit zurück auf die Straße. Der entsetzliche Feuersturm, von dem alle Überlebenden mit Grausen berichten, war so stark, dass das Bilderglas zerbrach und das Papier Feuer fing: sie sah das verkohlende Blatt vor ihren Augen verschwinden.

 

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Fotografie des verlorenen Bildes. Angefertigt von Ernst Büchner
anlässlich Georg Büchners 100. Geburtstag 1913

In den letzten Monaten haben wir häufig spekuliert und beklagt, wie immens der Verlust an Material zur Büchnergeschichte ist, den diese Nacht gekostet hat – bei den Büchners muss es eine Unmenge an Korrespondenz der Geschwister gegeben haben, vielleicht auch noch Material über Georg Büchner, sicher den Briefwechsel mit seiner Verlobten. Immerhin sind die überlieferten Manuskripte Georg Büchners über die Bergemann-Werkausgabe im Insel-Verlag und Anton Kippenbergs Überlassung ans Weimarer Archiv erhalten geblieben.

Es steht natürlich außer Frage, dass angesichts der tausenden von Toten die Klage um verlorenes Papier lächerlich wirkt und unverhältnismäßig scheint; dass Kriege als Kollateralschaden immer auch Erinnerungen zerstören, gehört zu ihrer entsetzlichen Routine.

 

Im Darmstädter Kunstarchiv im Literaturhaus eröffnet am 11. September eine Ausstellung:

 

„Das Feuer fraß die halbe Stadt …“
Bilder zur Darmstädter Brandnacht

Karl Deppert, Willi Hofferbert, Annelise Reichmann, Marcel Richter, Lothar Toller, Ernst Vogel u.a. und Fotos von der zerstörten Stadt

Do., 11. – Fr., 26. SeptemberLiteraturhaus, Kunst Archiv im 1. OG

Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, 10-13 Uhr, Do 10-18 Uhr

Ausstellungseröffnung: 11. September 2014, 17 Uhr
Zur Eröffnung spricht der Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt, Jochen Partsch

Stadtzerstörung vor 70 Jahren

Das Datum des 11. Septembers 1944 markiert den schlimmsten und nachhaltigsten Einschnitt in die Geschichte unserer Stadt! Am Ende des 2. Weltkrieges wurde Darmstadt zu fast 80 % zerstört, die Altstadt völlig ausradiert und 12.000 Menschen verloren bei dem vernichtenden Fliegerangriff ihr Leben. Aus eigenem Erleben der Brandnacht und inmitten der entstandenen Darmstädter Trümmerlandschaft malten Künstler ihre traumatischen Erlebnisse und bannten den Schrecken aufs Papier oder die Leinwand.

Im Zentrum der Ausstellung stehen, neben den Fotos der zerstörten Stadt, der siebenteilige Temperazyklus von Karl Deppert, das große Triptychon „11./12. September 1944“ von Ernst Vogel und die Darmstädter Ruinen-Landschaften von Annelise Reichmann.

Die Ausstellung ist eingebunden in eine Vielzahl von Veranstaltungen zum Gedenken an die Brandnacht vor 70 Jahren.

Eintritt frei

Kunst Archiv Darmstadt e.V.
Tel. 06151 / 291619
E-Mail: info@kunstarchivdarmstadt.de
Internet: www.kunstarchivdarmstadt.de

Die Ausstellung ist eine Kooperation des Kulturamtes der Stadt Darmstadt, des Stadtarchiv Darmstadt und des Kunst Archiv Darmstadt e.V.

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von Peter Brunner

Sommerfest zum Ferienende

Das Darmstädter Literaturhaus, in dem die Luise Büchner-Bibliothek untergebracht ist, in der die Luise Büchner-Gesellschaft arbeiten darf, lädt für Freitag, den 5. September,zum großen Sommer(abschluss…)fest nach Darmstadt ein.

Ausnahmsweise werden hier daher auch „Nicht-Büchnersche” Veranstaltungen beworben, allerdings nicht ohne den Hinweis auf die Lesung von Jutta Schütz, Mitglied im Vorstand der Gesellschaft und Herausgeberin der Zeitschrift Mathilde, die um 16:30 Uhr die Frauenrechtlerin Luise Büchner als Lyrikerin mit einer Lesung aus dem Gedichtband „Frauenherz“ vorstellt. 

 

Hier also der offizielle Einladungstext (und hier der link zum Veranstaltungsprogramm des Literaturhauses ).

 

Sommerfest
Fr., 5. September, 16 Uhr
Literaturhaus

Wir feiern das Ende des Sommers und läuten sogleich das Herbstprogramm des Literaturhauses ein.
Ab 16 Uhr stellen sich alle im Haus ansässigen Institutionen vor und bieten spannende Einblicke in ihre Arbeit. Lassen sie sich durch das Kunst Archiv führen, trinken sie bei italienischer Musik Prosecco beim Verein Società Dante Alighieri, lassen sie sich von der Deutsch-Indischen Gesellschaft bei Tee und Gebäck in die indische Märchenwelt versetzen oder hören sie Chopin und genießen sie die Ausstellung im Auditorium. Schauen sie sich Filme zur Darmstädter Kunst und italienischem Leben an und bedienen sie sich an diversen Büchertischen. Auch ein historisch-literarisches Darmstadt-Quiz mit dem Riwwelmaddhes und ein Mal- und Zeichenkurs für Kinder werden an diesem Tag in unserem großen vielschichtigen Haus angeboten. Aber auch ernsthafte Themen zum Ersten Weltkrieg und andere werden erörtert.
Durch den Tag führt Alex Dreppec, der auf über 200 Veröffentlichungen im deutschen und englischen Sprachraum zurückblicken kann. Er moderiert Science Slams und ist Mitbegründer des mittlerweile weit über Darmstädter Grenzen hinaus bekannten Krone-Slams.
Nach 20jähriger Zurückgezogenheit kehrt der legendäre Veranstalter und DJ der Darmstädter „Open-Your-Mind“- Partyreihe Matthew D zurück ins Rampenlicht und ins Literaturhaus. Freuen Sie sich auf einen Tanzabend im Auditorium.
In unserem großen 4stöckigen Haus stehen mehrere Büchertische und Bibliotheken zum Stöbern bereit. Vor dem Haus warten Liegestühle und ein Angebot an Hamburgern, Coleslaw, Muffins, Bratwürstchen und Getränken.
Veranstaltungen im Auditorium, Schauraum und Eingangsbereich:

 

 

  • Ab 16 Uhr Büchertauschbörse im Eingangsbereich und Ausstellung der „Darmstädter Tage der Fotografie“. Mit Fotografien von Isabel Kiesewetter zum Thema Konversion im Schauraum
  • 16 – 17 Uhr Società Dante Alighieri – Malen und Zeichnen für Kinder ab 6 Jahren
  • 16 – 17 Uhr Deutsch-Indische-Gesellschaft – Lesung indischer Märchen bei Tee und Gebäck
  • 17-17:45 Uhr Akademie 55plus – Historisch-literarisches Darmstadt-Quiz mit dem Riwwelmaddhes
  • 18 Uhr Offizielle Begrüßung durch Stadtverordnetenvorsteherin Doris Fröhlich
  • 18:15-18:45 Uhr Chopin-Gesellschaft – Der Weg in die Zukunft von Hartmut Stolzmann mit musikalischen Beiträgen von Sabine Simon am Piano
  • 19 – 19:45 Uhr Elisabeth-Langgässer-Gesellschaft – Karl-Heinz Müller liest zum Thema „Darmstadt zieht in den Krieg“ mit Texten zum Ersten Weltkrieg aus Darmstadt
  • 20 Uhr Alex Dreppec spricht über den Poetry- sowie den Science Slam und stellt seinen neuen Gedichtband vor
  • Ab 21 Uhr TANZ im Auditorium mit DJ Matthew D. – Das Auditorium im Literaturhaus wird zur Tanzfläche bis in die späten Stunden…

Veranstaltungen in den Vereinsräumen:

  • 16 – 18 Uhr Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in der Alexander-Haas-Bibliothek,
  • 2. Stock Chassidische Geschichten aus dem osteuropäischen Judentum, zu Gehör gebracht
  • von Siegmund Krieger. Klezmermusik vorgetragen von Schülern von Irith Gabriely. 3D
  • Computer Rekonstruktion der Darmstädter Synagoge in der Bleichstraße. Erinnerungen von
  • Asher Wasserteil Ehemalige Darmstädter Juden berichten über ihre Erlebnisse in der
  • NS-Zeit; DVD von Gropper-Film.
  • 16:00 Uhr Goethe Gesellschaft, 3. Stock, Raum der Textwerkstatt – Sitzung des Faust-Lesekreises
  • 16 – 18 Uhr Luise Büchner Bibliothek, 2. Stock – Offene Bibliothek – Willkommen zum Stöbern nach Literatur von und über Frauen
  • 16:30 Uhr Jutta Schütz stellt die Frauenrechtlerin Luise Büchner als Lyrikerin vor mit einer Lesung aus dem Gedichtband „Frauenherz“
  • 16:00 Uhr Kunst Archiv, 1. Stock – Willkommen im Kunst Archiv – Büchertisch, Musik, Getränke, Snacks
  • 16:30 Uhr Sammeln und Bewahren – Führung mit Klaus C. Netuschil durch das Kunst Archiv
  • 17:00 Uhr Musik
  • 17:30 Uhr Vergangenheit / Gegenwart / Zukunft – Führung mit Uschi Troeger und Monika Hein
  • 18:30 Uhr Inselstraße 42. Arno Schmidt und Eberhard Schlotter – Thomas Reinheimer erzählt von einer Freundschaft
  • 19:00 Uhr Musik
  • 19:30 Uhr „Was man die absolute Realität nennen könnte“ – Videoinstallation und drei kleine  Performances von Mila Burghardt
  • 20 + 21:30 Uhr Kunst in Bewegung – Filme zur Darmstädter Kunst von und über Darmstädter Künstler
  • 16 – 18 Uhr Socieà Dante Alighieri, 2. Stock – Espresso, Prosecco, neue Bücher und Filme, ital, Musik
  • 16 Uhr Deutsch-Bulgarische Gesellschaft, 4. Stock – Reiseland Bulgarien, bulg. Häppchen und Weine
  • 17:45-19 Uhr Institut für Praxis der Philosophie e.V IPPh, 3. Stock – Vorstellung des Instituts und Beispiele aus der Philosophie
  • 17 – 19 Uhr Deutsch-Ungarische Gesellschaft im 3. Stock – ungarische Literatur

Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei

 

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von Peter Brunner

„ … ein Mädchen zum Küssen – für jüngere Leute als mich.”

Am 31. August 1899 heiratete in Caen in der Normandie die 24-jährige Martha Bahlsen Alexander Büchner. Büchner war 72 Jahre alt und sich der Besonderheit des Altersunterschiedes durchaus bewusst. Die beiden führten, nach allem war wir wissen, eine glückliche Ehe und verlebten ein paar schöne Jahre zusammen. Sie reisten häufig, unter anderem für längere Zeit nach Nordafrika, und zogen schließlich in Marthas Geburtsstadt, nach Hannover, wo Alexander am 3. Juli 1904 starb. Das Grab, in dem auch die viele Jahre später, am 26. 2. 1949,  in Goslar gestorbene Martha lag, gibt es leider nicht mehr. Alexanders jüngerem Freund Elissen, dem dieser mit der Nachricht von der Hochzeit im Spaß angeboten hatte, er könne Martha ja nach seinem Tode heiraten, hat Martha deutlich zu verstehen gegeben, dass sie daran kein Interesse hatte. Sie hat nicht wieder geheiratet. Offenbar pflegten die Nachfahren in Darmstadt und Pfungstadt den Kontakt mit Martha, aus Pfungstadt ist überliefert, dass sie nie ohne Kisten mit Plätzchen  anreiste.

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Schlecht abfotografiertes Foto (mit kleinem Selbstportrait…)
des Bahlsen-Kiosks auf der Darmstädter Jugendstilausstellung von 1914 

 

In seinen hier schon öfter zitierten Memoiren hat Alexander Büchner mit dem Bericht über seine zweite Ehe ein besonders schönes Beispiel für seine große Fähigkeit zur feuilletonistischen Formulierung abgeliefert. Neben der Schilderung seiner Beziehung zu Martha findet sich hier übrigens auch wieder einer der häufigen Büchnertexte, in dem Geschwister liebevoll beschrieben werden.

 

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„ … ich bin zum Hädoniker geworden, das heißt ich gewann die Überzeugung, das diesseitige Leben sei sich Selbstzweck und bestehe aus einer ungleichen Mischung von Annehmlichkeiten und deren Gegenteil. Diese Mischung hängt von den persönlichen Anlagen und Verhältnissen eines jeden ab, und zwar erhält mit zunehmendem Alter das Unangenehme das Übergewicht. Von dem Augenblicke an, wo Letzteres eintritt, ist der Mensch bankerott und tut am besten die Bude selbst zuzumachen. So war die Lebensanschauungen im klassischen Altertum. Brutus stürzte sich in sein Schwert, um seinen Feinden nicht in die Hände zu fallen. Unsere grimmen germanischen Vorfahren, sobald sie fühlten, dass sie zu nichts mehr nütze seien, schnitten sich als bouches inutiles tödliche Runen in die Brust. In der christlichen Welt dagegen pflegt man diese Art von Bankerott mit dem hässlichen Namen des Selbstmordes zu bezeichnen und als schwere Sünde zu verbieten. Dennoch fängt dieselbe mehr und mehr an wieder in die Mode zu kommen und nicht als etwas ästhetisch Widerwärtiges angesehen zu werden. Unsere seitherige Bekanntschaft mit den Religionen des Orients und namentlich dem Buddhismus hat in gleicher Weise gewirkt, und so gelangte auch ich mit zunehmendem Alter zu der Überzeugung von dem schließlichen Sieg des Bösen über das Gute, des Ahriman über Ormuzd, desTyphon über Osiris, der Schwäche über die Kraft, des Hässlichen über das Schöne, des Doit über das Avoir, welcher mit dem Alter hereinbricht. Wenn ich mich umsehe, gewahre ich nur die Lücken, welche das Todesgeschick in die Reihen der Mitlebenden gerissen hat.

So sind zunächst meine Geschwister dahingegangenen, vor mir, dem jetzt 72-jährigen Nesthäkchen, erst der apolloartige Denker und Dichter Georg, dessen ich mich nur noch aus dem Dunkel meiner frühesten Kindheit erinnere; dann die intuitive Luise, mit dem idealschönen Gesicht, aber ihrem durch einen Unfall verkrümmten Körper; ferner der fidele, freizügige Wilhelm, der Krösus der Familie als Erfinder des künstlichen Ultramarins, der eines Tages unserer Mutter ein Stück blauen gebrannten Ton auf ihren Arbeitstisch legte mit den Worten: „Hier habe ich eine Million!“ Endlich die edle aufopfernde Mathilde, mit dem Felsencharakter, welche, wenn die Mutter bettlägerig war, an uns jüngeren und zumal an mir Mutterstelle vertrat, und schließlich der „Kraft und Stoff,“ (Ludwig – pb) fast mein Altersgenoss mit dem weichen Gemüt und dem spekulativen Kopf, der ideologische Materialist, in welchem christliche Menschenliebe und sprödeste Hinnahme der nacktesten Tatsachen so wunderlich zusammenflossen.

Nun komme ich selbst an die Reihe, und die schimmernde Salzflut hebt mir ihre durchsichtigen Wellen entgegen, indem sie zu sagen scheint „was tust du noch da oben auf dem Sand? Wie deine Geschwister, so sind auch deine teuersten Freunde verschwunden, der edle Franz Wirth, der redegewandte Rudolf Fendt, der spöttische Wilhelm Franck, der tiefsinnige Ästhetiker Leon Dumont, der fuchsrote August Becker vom jüngsten Tag, der unglückselige Karl Ohly, der wackere Dr. Wilhelm Zimmermann. Du hast lange genug gelebt, geliebt und genossen und fängst an, nur noch zu leiden. Deine erste Frau ist seit 20 Jahren tot, Dein Sohn mit 35 Jahren versorgt, Du selbst hast die Altersschmerzen von Kopf bis zu den Füßen bei dir im Hause; schlag´ den Schmerz ein Schnippchen und komm!“

Unter solchen Gedanken stand ich eines Morgens elf Uhr in der Sonne, Rue Bicoquet zu Caen vor meinem Hause und sah zu, wie der übliche Kohlenvorrat abgeladen wurde; und wie ich mich herumdrehe, steht vor mir, vom Sonnengold umflossen, ein schlankes Mädchen, im einfachen hellen Kattunkleidchen, ein Strohhütchen auf den goldbraunen Wellen des Haares über einer glatten Denkerstirn, Nixenaugen und einer geraden Nase über einem etwas breiten schwellenden Mund und fragt mich, in etwas mangelhaftem Französisch, ob ich der Professor so und so wäre. Es war keine idealschöne aber über alle Begriffe anmutige und anziehende Erscheinung.

„Leicht und frei wie aus dem Nichts gesprungen“, kräftig und zierlich zugleich, mit einem Wort, ein Mädchen zum Küssen – für jüngere Leute als mich.

„Der Professor, den Sie suchen, bin ich – leider,“ antwortete ich auf Deutsch; „womit kann ich Ihnen dienen?“

„Ich möchte gern gut Französisch lernen, und wie ich dies von einigen deutschen Damen höhre, kann man das an ihrer Fakultät.“

„Je nachdem man sich danach anstellt,“ versetzte ich, „und sie scheinen mir richtig dazu angelegt.“ Ein Wort gab das andere, und ich erklärte der Dame, dass ich schon mehreren anderen deutschen und englischen Studentinnen als onkelhafte Professor gedient und denselben zu vollgiltigen Diplomen verholfen habe.

Ich gewann das herzige Kind schnell sehr lieb, und da ich keck genug war zu denken, dass sie diese Gefühle im stande sei zu teilen, so heirateten wir uns bald darauf, da ich gerade in Ruhestand versetzt worden war. Wir zogen ans Meer, und ich kann immer noch ins Wasser springen, welches jeden Tag, bald morgens, bald abends mit der Flut seine Aufwartung macht und, bald sanft lispelnd, bald mit Donnerstimme fragt: „Ist´s immer noch nicht gefällig?“ Ich aber stehe mit Martha ruhig auf dem Balkon unserer Villa Bijou, drehe meine Zigarette und meinen Schnurrbart und versetzte: „Abwarten! Nirwana!“

Alexander Büchner: Das tolle Jahr. von einem, der nicht mehr toll ist. Giessen. Emil Roth. 1900. SS 373 – 375

 

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von Peter Brunner

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