Die Dankrede Marcel Beyers zum Büchnerpreis von 2016 steht auf der website der Akademie für Sprache und Dichtung zur Verfügung.

Zum Einstieg nutzt Beyer, der Büchner und sein Umfeld offenbar gründlich studiert hat, den Bericht von Ernst Büchner über einen Fall von Tollwut, der ihm 1808 in Holland begegnet war und über den er 1826 berichtete: „Ein decidirter Fall von Wasserscheu als Folge des Bisses eines tollen Hundes, nebst beigefügtem Fall einer zweifelhaft gebliebenen Rabies ohne darauffolgende Wasserscheu“* (. Dass bei Dr. Büchner dabei aus dem holländischen Örtchen Honselersdijk**  in Büchners Erinnerung Hondshollerdyk wird, hält Beyer nicht für Zufall:

Ein Arzt erinnert sich an einen Hundevorfall im holländischen Hondshollerdyk. Eine krude, alle Vorstellungskraft sprengende Mischbildung aus Hund und Holunder und ausgehöhltem Deich, nach der man auf der Landkarte vergeblich suchen würde. Tatsächlich existiert sie, ein Schreib-, ein Hör-, ein Erinnerungsfehler, allein in Büchners Bericht.

Für Beyer gibt es einen direkten Weg von den Erfahrungen des Vaters zum Schreiben des Sohnes: den vielleicht ersten literarisch zu nennende Versuch des jungen Georg Büchner, die Verhohnepiepelung von Schillers in hohem Ton gedichteten „Graf Eberhard der Greiner“ in Darmstädter Gassenton (den auf meine Anregung hin der Walter Renneisen einst in Pfungstadt „uraufführte“***), nennt er – Pathologie.

Die Rede lohnt das gründliche Lesen, auch die Büchnerforschung mit ihren Disputen ist Beyer präsent:

Noch in den achtziger Jahren streiten sich Büchnerforscher, aus der sexuellen Revolution gestählt hervorgegangen, was da genau passiert sein soll, wenn Woyzeck erzählt, er habe einem Hund auf einen Hut geholfen. Mit stoischem Ernst zieht man Auskünfte über die maximale Größe zeitgenössischer Zylinderhüte heran. Am Ende lautet der bündigste Vorschlag: Selbst wenn im Manuskript ohne jeden Zweifel das Wort »Hut« zu entziffern sei, habe der Autor ohne jeden Zweifel das Wort »Hund« hinschreiben wollen. Woyzeck könne nur einem sehr kleinen Hund auf einen sehr großen Hund geholfen haben. … Vielleicht wird sich eines Tages ein in Ferkeldeutsch beschlagener Philologe über die gestrichenen Woyzecksätze beugen und im Manuskript statt einem »Hundele« doch noch ein »Hunderl« entdecken – die im Rotwelschen geläufige, liebevolle Bezeichnung für das weibliche Geschlecht.” 

In Marcel Beyer hat nicht nur der Büchnerpreis einen würdigen Träger, sondern auch der Büchner-Diskurs einen klugen Beiträger gefunden.

* in: Jahrb. der teutsch. Medic. und Chir. oder Rheinisch. Jahrb., 1826

** der link führt zum niederländischen Eintrag in wikipedia, einen deutschen Eintrag dazu gibt es nicht. Den Hinweis darauf verdanke ich Jan Gielkens 

*** den einzigen verbliebenen Belag dafür fand ich bei Henry Poschmanns „Mitteilungen“ vom September 2005

von Peter Brunner

Peter Brunner

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