Zum 179. Todestag Georg Büchners am 19. Februar 2016 gesellt sich in diesem Jahr unüberhörbar der einhunderste DADA-Geburtstag – zwei Ereignisse am gleichen Ort.

131009_PKBuechnerAusstellung_PBrunner_Sterbezimmer_032

Die „Rekonstruktion” von Georg Büchners Sterbezimmer in der Darmstädter Ausstellung von 2013

 

„1916 wurde an einem Februarabend an der Spiegelgasse 1 in Zürich das Cabaret Voltaire aus der Taufe gehoben. Ein Urschrei, der bis heute nachhallt, begleitete den Akt: „Dada, Dada, Dada!”. Tristan Tzara, Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Sophie Taeuber und Richard Huelsenbeck röhrten, girrten, schnalzten „Dada”. Sie tanzten, sangen und stampften „Dada”.

Das Cabaret Voltaire wurde zum Melting Pot für Nationalitäten, Kunstgattungen und Stile. Dada war ultramodern, provokativ, erfinderisch und hob die Trennung von Leben und Kunst auf. Zu Beginn der zwanziger Jahre war Dada bereits ein weltumspannendes Netzwerk.

Mit ihrem „Mouvement international” und ihren „Weltkongressen” besetzten und durchschweiften die Protagonisten die Metropolen der Welt, um aus dem Globus eine Filiale des Dadaismus zu machen. Dada wurde zur Urbewegung der Avantgarde, ohne die Surrealismus, Pop Art, Fluxus, Mail Art oder Punk nicht denkbar gewesen wären und die bis in unsere Gegenwart hinein Künstler, Autoren, Designer elektrisiert.

Dada steht für den radikalen Versuch, bestehende Vorstellungen und Werte ad absurdum zu führen – eine Strategie, die noch immer aktuell ist.

Die eigentliche dadaistische „Chronique Zurichoise” endet im Juni 1919. Dank einer der weltweit grössten Dada-Sammlungen im Kunsthaus Zürich und dem 2004 wiedereröffneten Cabaret Voltaire ist Zürich bis heute der dadaistische Nabel der Welt geblieben.

(dada Zürich 100 2016)

Zuerich, Spiegelgasse 12

Zürich, Spiegelgasse 12 (rechts, mit Erker), Georg Büchners letzter Wohnort, und Spiegelgase 14, links daneben, Lenins Wohnort 1916/17

Verbindet Büchner und DADA mehr als nur der Zufall der örtlichen Nähe? Macht es Sinn, den Unzeitgemäßen darauf zu prüfen, ob ihn bewegt hätte, wie die Nachbarn Texte und Haltungen auf den Kopf stellten, um sie besser zu verstehen?

Für Oskar Pastior war das keine Frage.

„lockvögel übers moor gerollt
ich tarne mich diebisch indem ich versinke
ein schopf gras lugt edel im nervenkostüm
wenn der ball auftaucht hat woyzeck in der
spartanischen suppe wieder mal angst vor
dieser jugend: wie weit noch bis zur rune

vom frühtau zum abendgestell glotzen wir kome-
ten in die gegend oder warzen uns ganglien –
meine warens wieder nicht auf dieser rollbahn

Es gibt nur noch Interjektionen: Darum danke ich den Wörtlichnehmern quer durch die Jahrhunderte, und so dünn auf dem Globus gesät, unter ihnen irgendwo ja auch dem Georg Büchner; danke Oulipo, den Oulipoten, ob sies wissen oder nicht, und den Büchermachern unter ihnen sowieso.”

(Aus Oskar Pastiors Dankesrede für den Büchnerpreis 2006.)

Peter Brunner

 

von Peter Brunner