Peter Brunners Buechnerblog

Schlagwort: Rezension

„Er sieht so drein, wie er meistens dreinsieht und auch mit Vornamen heißt: Ernst.“

 

Ella Thiess verwickelt die Familie Büchner in einen historischen Kriminalfall

Georg Büchners Vater Ernst begegnet uns bei jeder Lebensschilderung des bedeutenden Sohnes. Je nach Haltung der/des Biograph*in werden dabei je bestimmte Züge als prägend beschrieben. Das kann die strikte Nüchternheit sein, der bedingungslose Realismus, der unterstellte Atheismus und die abweisende Strenge, denen meist zugleich jeweils die dagegen als positiv geschilderten Haltungen der liebevollen, weichen, religiösen Mutter Caroline gegenübergestellt werden.

So schreibt Dieter Zissler[1]: „Wenn man den biographischen Überlieferungen durch Karl Emil Franzos folgt und hört, die Mutter Georgs sei musisch, großzügig und einfühlsam gewesen, habe die Selbständigkeit und Urteilsfähigkeit ihrer Kinder gefördert; der Vater dagegen naturwissenschaftlich-exakt, illiberal-streng und auf das zielstrebige und praxisbezogene Fortkommen seiner Kinder bedacht, dann denkt man unwillkürlich an Goethes ‚Vom Vater die Statur, des Lebens ernstes Führen, vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren‘.“ (S. 143) und weiter „Wie bedenklich realistisch der Vater seine Kinder erzog, zeigt auch die Tatsache, daß er mit Georgs damals gerade zwölf Jahre altem Bruder Ludwig, dem späteren Autor von „Kraft und Stoff“, der — so die Vorstellung des Vaters — ja einmal Arzt werden sollte, zu einer öffentlichen Hinrichtung gegangen ist.“ (S. 144)

Ernst Büchner war mit seinem damals 12-jährigen Sohn Augenzeuge der Hinrichtung des angeblichen Mörders Jacob Trumpfheller am 16. Oktober 1836 „auf der Bessunger Viehweide“ „in Gegenwart vieler tausende von Zuschauern“ (Großherzoglich-Hessische Zeitung, Juli-Dec. 1836,. S. 1584). Ähnlich wie seine „kalten und empathielosen“ Berichte über „medizinische Phänomene“ wird ihm auch dieser Besuch regelmäßig als Zeichen von erschreckender, scheinbar unmenschlicher Nüchternheit angelastet. Tatsächlich war die Erkenntnis von der Widerwärtigkeit der Todesstrafe und insbesondere ihrer öffentlichen Ausführung nicht besonders verbreitet, wir kennen ja ganz ähnliche Berichte auch von der Hinrichtung des Leipziger Soldaten Woyzeck 1824 in Leipzig. Immerhin gehören diese beiden Tötungen zu den jeweils letzten vor Ort, die in solcher Öffentlichkeit stattfanden[2].

Dass Ernst Büchner ein außergewöhnlich langmütiger, offenbar liebender und zugeneigter Familienvater war, der für buchstäblich jedes seiner Kinder um Zukunft und Auskommen bangen musste, weil alle sechs durchaus nicht regelkonform erwachsen werden wollten, wird dabei ebenso übersehen wie seine politische Sympathie für die griechische Befreiungsbewegung und seine Napoleonverehrung in Zeiten des um sich greifenden Nationalismus. Bis heute kaum gewürdigt wird auch, dass er jahrelang Mieter im Haus des Darmstädter Republikaners Ernst Emil Hoffmann war, einem der führenden Darmstädter Oppositionellen.

Elke Achtner-Theiss hat unter ihrem Pseudonym Ella Theiss einen Roman aus dem Darmstadt des 19. Jahrhunderts geschrieben, in dem die     Familie des Obermedizinalrats Büchner eine wichtige Rolle spielt. Ihr flott lesbarer Text stellt sich dem Anspruch, Geschichte zu erzählen, ohne sie zu verfälschen und darf mit Fug und Recht ein „historischer Roman“ genannt werden. Wer die Literatur über Georg Büchners Leben und Werk kennt, wird an diesem Punkt allerdings kurz den Atem anhalten: wo und mit welchem Recht wird wohl diesmal „imaginiert“ und mehr die Haltung der Schreibenden als des Beschriebenen berichtet? Wir können beruhigen: Ella Theiss meistert die Aufgabe souverän.

Detailreich und tadellos erzählt sie, wie Anna, das von ihr erfundene Dienstmädchen der Büchners, einen wichtigen Abschnitt im Leben der Darmstädter Geniefamilie miterlebt. Neben Georg mit einem Packen seines Landboten-Flugblatts haben auch die „Rokoko-Großmutter“ und die Geschwister ihren Auftritt, wobei die Vorliebe der Autorin, ganz passend zum bevorstehenden 200. Geburtstag, unzweifelhaft der kleinen Luise gilt. Anna steht zwischen zwei Männern – dem Taugenichts Rodrich und dem angehenden Journalisten Oscar Weiß, der sich weigert, Spitzeldienste zu leisten und darüber seinen Beruf verlieren wird. Sie alle sind verwickelt in den Fall des Jacob Trumpfheller, den Theiss zum Anlass ihrer Geschichte nennt und mit historischen Zitaten schildert und belegt: „Er wurde für den Mord an dem Waldförster Philipp Lust verurteilt, der am 17. Dezember 1833 verschwand und zwei Tage später tot aufgefunden wurde. Trumpfheller wurde als Täter überführt, nachdem bei ihm blutbefleckte Handschuhe gefunden worden waren und sich das Alibi, das ihm seine Mutter und seine Geliebte gegeben hatten, durch die widersprüchliche Aussagen aller Beteiligten als haltlos erwies. Im darauf folgenden Jahr, das Trumpfheller in Haft verbrachte, legte er ein Geständnis ab. Lust hatte ihn mit einer illegal geschlagenen Buche im Wald erwischt. Um einer Strafe zu entgehen, begann Trumpfheller einen Kampf, der mit dem Tod des Opfers Philipp Lust endete. Im April 1836 fiel das Urteil des Großherzoglichen Hofgerichts, das am 16. Oktober 1836 öffentlich durch den Scharfrichter Rettich aus Ettlingen vollstreckt wurde.“ (Rebekka Friedrich im Blog des Stadtarchiv Darmstadt)

Indem Theiss den Holzdieb Trumpfheller – wohl zu Recht – als fälschlich beschuldigt und seine Hinrichtung als Justizmord schildert, entwickelt sie um die handelnden Figuren einen stimmigen historischen Kriminalroman, der treffendes Zeit- und Lokalkolorit bietet und mit gekonnt geführtem Spannungsbogen zu überzeugen weiß. Wer einen Eindruck vom Darmstadt der 1830er Jahre gewinnen will, ohne sich gleich in Geschichtsstudien zu vertiefen, ist mit diesem Buch gut bedient – es steht als „True Crime-Roman“ für sich und kann gleichzeitig einen hervorragenden Einstieg in weitere Lektüre bieten.

In einem informativen und offenen Nachwort (disclaimer: der Autor dieses wird dort über Gebühr freundlich behandelt) schildert sie ihre Methode, Realität und Fiktion zu verweben, mit sympathischer Offenheit.

 

Ella Theiss: Darmstädter Nachtgesänge,

Historischer Roman, Edition Oberkassel 2021
Covergestaltung: Tilla Theiss
Paperback: 13 €, ISBN 978-3958132320, E-Book: 8,99 €

 

[1] „Von ‚Danton’s Tod‘ bis zum Nervensystem der Barben Naturforscher: Georg Büchner (1813-1837). Berichte der Naturforschenden Gesellschaft Freiburg i.Br., 79, Freiburg 1991 (

[2] Ella Theiss hat dazu übrigens ein bezeichnendes Zitat von Ludwig Büchner gefunden (Vorort zu Fried,H.: Tagebuch eines zum Tode Verurteilten. Berlin 1898): „Ich halte die Todesstrafe für einen Barbarismus früherer Zeiten…“

 

Dieser Text ist gekürzt am 30. April im Darmstädter Echo erschienen

Von Peter Brunner

Der größte Dichter? Als Hurenbock ist er uns wohlbekannt!

Georg Büchner hat wahrscheinlich kein Drama über den Renaissance-Dichter Pietro Aretino geschrieben.

Hier war das gelegentlich Thema, Büchner-Biographien kommen selten ohne den Hinweis auf das angeblich verlorene Stück aus. Jan-Christoph Hauschild hat über Georg Büchner promoviert, wichtige Beiträge zur ersten großen Georg-Büchner-Ausstellung 1986 in Darmstadt geleistet, die bis heute verbindliche Büchner-Biographie geschrieben (bis heute hier lieferbar!)  und mit zahlreichen Forschungen und Publikationen bedeutende Erkenntnisse zu Leben und Werk des Dichters beigetragen.

An Georg Büchners 201. Geburtstag, dem 17. Oktober 2014, brachte die Goddelauer Büchner-Bühne erstmals sein Drama „Aretino – eine Fiktion” auf die Bretter.

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Spannung vor Beginn: Regisseur Suhr, Autor Hauschild und Verleger Guido Huller

Worum geht es?

Pietro Aretino (1492 – 1556) hat ein wahres Renaissance-Leben geführt, aus dem sich Hauschild – durchaus in Büchnerscher Manier – ungeniert bedient, ohne allzu große Rücksicht auf historisch Verbürgtes zu nehmen. Es ist auch nicht sein Ziel, die Lebensstationen des göttlichen Aretiners eins zu eins auf die Bühne zu bringen. Hauschild hat sich mehr vorgenommen.

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Das Ensemble: Melanie Suhr, Tanja Marcotte, Finn Hanssen, Walter Ullrich, Oliver Kai Mueller, Verena Specht-Ro, Ursula Stampfli und Alexander M. Valerius. (Foto Büchnerbühne )

Um reale Personen und verbürgte Ereignisse schreibt er eine Parabel über Intellektuelle und Macht, Korruption und Korrumpierbarkeit und über Not und Überfluß. Dieser Aretino, Liebling des gerade verstorbenen Papstes Leo, fällt beim neuen Papst Hadrian, den man in Rom seiner holländischen Herkunft wegen „den Deutschen” nannte, in Ungnade. Kein Wunder, denn der Neue hat das vatikanische Personal geschrumpft, mit nicht mehr als vier Bediensteten ist er eingetroffen, und sein Kardinal Enkevoirt versichert ihm, dass selbst größte Dichtung zu verwerfen ist, wenn sie den Prinzipien der heiligen Kirche spottet. (Die Parallele zu aktuellen vatikanischen Ereignissen ist frappierend, aber Zufall oder prophetischer Gabe zu verdanken.) Die vatikanische Kamarilla schmiedet eine Intrige: wer Schmutz schreibt, ist auch für den realen Schmutz verantwortlich. Die Pest ist über die Stadt gekommen, weil in ihren Mauern gesündigt wurde, und der Protagonist der Sünde ist ihr Dichter, der sterben soll. Aretino flieht in den sicheren Schutz der Herzogin von Mantua, Isabella d’Este, die sich an ihrem Hof mit dem Großen schmücken möchte. Kein Zufall ist die Anspielung Hauschilds auf den amerikanischen Atomwissenschaftler Edward Teller in Person Leonardo da Vincis in Aretinos Bericht vom päpstlichen Hof. Der habe einen Sprengstoff erfunden, der Menschen tötet und Häuser unverletzt lässt, und da darf Neutronenbombe assoziiert werden. Ursula Stampfli als Marchesa hat unverkennbar alles genossen, was das Leben einer Renaissancefürstin bieten kann, aber ihre Unzufriedenheit wäre nur durch die Gewissheit auf bedeutenden Nachruhm einzudämmen. Aretino wird in Mantua weder an den Fleischtöpfen des Hofes noch  unter dem gemeinen Volk heimisch: „Vor euch steht Messer Pietro Aretino. Der größte Dichter unsres Landes ist er.  – Als solchen kennen wir ihn leider nicht, Als Hurenbock ist er uns wohlbekannt.”  Er macht sich auf den Weg zurück nach Rom, wo ihn, kaum angekommen, die Häscher des Papstes meucheln.

Dass die Goddelauer Bühne mit bescheidener Ausstattung spielt, ist nicht nur der künstlerischen Ausrichtung geschuldet, aber diesem Stück ist das schlichte Bühnenbild und der von den Akteuren bediente Szenenvorhang mehr als zuträglich. Das großartige Ensemble lässt Drehbühne, Hängekulissen und Bühnenmöblierung keinen Augenblick vermissen. Die Entscheidung, den früheren Dorfpfarrer Walter Ullrich als Papst auf die Bühne zu bringen, ist ebenso folgerichtig wie Oliver Kai Mueller und Alexander M. Valerius erst wunderbare Aretino-Freunde und später großartige Mordgesellen abgeben. Ullrichs unleugnbar  südhessische Aussprache macht ihn im Lauf des Stückes immer glaubwürdiger, er personifiziert damit das zögerliche Abwägen zwischen Kunst und Sünde, das ihm Melanie Suhr als Kardinal schneidend verwehrt. Finn Hansen gibt einen Aretino, der büchnersche Melancholie zeigt und bei aller Lobpreisung der körperlichen Befriedigung stets auf der Suche nach der Einheit von Haltung und Leben, vom Richtigen im Falschen, zu sein scheint. Und wo Hauschild den Anschlag am Ende in aller Stille begehen lässt, hat sich Suhr für einen wilden Tanz aller Akteure zur Tarantella Napolitana (übrigens auch der Titelmelodie von Coppolas „Der Pate“… ) entschlossen, bei dem der Sterbende erst wahrgenommen wird, als die Bühne wieder frei ist.

Jan-Christoph Hauschild ist ein Drama gelungen, das mit büchnerschen Methoden einen büchnerschen Stoff auf die Bühne bringt, und der Büchnerbühne ist eine Inszenierung gelungen, die dem mehr als gerecht wird.

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Verdienter Beifall nach der Uraufführung am 17.10. – Ensemble mit Autor Hauschild und Regisseur Suhr (beide hinter Blumen).

Weitere Aufführungen der Büchner-Bühne: 31.10., 8.11., 23.11.

 

 

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von Peter Brunner