Zum letzten Beitrag über die verramschte Büchner-Werkausgabe schreibt mir erfreulicherweise Dr. Herbert Wender und gesteht meinen Thesen zur Bedeutung derselben immerhin „einen gewissen Wahrheitsgehalt” … :

 

„ … bietet die Edition auch ihren Kritikerinnen einen bisher nicht anders verfügbaren Werkzugriff.”
Als einer der mitgemeinten Kritiker der Marburger Büchner-Ausgabe möchte ich das so nicht unkommentiert stehen lassen, denn es kommt doch sehr darauf an, was man unter „Werkzugriff” versteht, um dieser Aussage einen gewissen Wahrheitsgehalt zuzubilligen. In trivialer Weise richtig (Danke! pb) ist sie etwa, wenn als Alleinstellungsmerkmal gelten soll, daß auf den Stummeltext, auf eine gewisse divinatorische Auffassung von Büchners Werk den „Lenz”-Text – gewissermaßen als ‚Fassung letzter Hand‘- verkürzt, so nur in dieser Ausgabe ‚zugegriffen‘ werden kann. (Aber gerade darauf hätten die Kritikerinnen gern verzichtet!)

Richtig ist aber zweifellos auch, daß die jeweiligen Faksimile-Teile den wissenschaftlichen ‚Werkzugriff‘ über die handschriftliche Überlieferung beträchtlich erleichtern, und gerade deshalb erscheint es als Glücksfall, daß das Vermarktungsziel der hoch subventionierten Ausgabe bereits jetzt erreicht ist. Da das Copyright bei der Mainzer Akademie liegt und überdies das Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv bereits die Erlaubnis zur Web-Veröffentlichung der vom Archiv zur Verfügung gestellten Scans erteilt hat, darf man hoffen, daß das ebenfalls mit öffentlichen Mitteln geförderte Büchner-Portal diese Scans ‚zeitnah‘, wie es heißt, auch denjenigen zugänglich macht, die sich an der Ramsch-Aktion nicht beteiligen wollen.

Für eine ganze Reihe anderer Aspekte indessen, die im Wissenschaftsbetrieb mit dem Begriff ‚Werkzugriff‘ verbunden werden können, ist die zitierte Aussage schlicht falsch, weil mit Poschmanns Studienausgabe (Klassikerverlag, mittlerweile auch als Taschenbuch-Kassette) immer schon eine zuverlässige Alternative zur Verfügung stand.
Dr. Herbert Wender

Ich bin ganz einverstanden mit diesen Formulierungen und gestehe gerne, dass da bei mir der Bibliomane mit dem Kritiker durchgegangen ist. Und Poschmanns Editionsverdienste wollte ich nicht im Geringsten schmälern – spätestens, seitdem ich dieser 2005 das Büchnersche Schülergedicht auf Schillers Graf Eberhardt verdanke, ist sie mir unersetzlich geworden (Poschmann hat daran offenbar Gefallen gefunden, er zitiert unsere „Welturaufführung” jedenfalls hier auf seinen websites, die zu Text und Textkritik, leider nur bis ca. 2007, ohnehin eine wichtige Quelle sind).

Gleichzeitig werde ich an ein Interview erinnert, das Jan-Christoph Hauschild zum Erscheinen der „Danton-Bände” Radio Bremen gegeben hat (und das hier vollständige Wiedergabe verdient hätte). Dort sagte er u.a. :

 

Ein Luxusbegräbnis ist es. Der Versuch, sich mit diesem elfpfündigen Monument selbst als endgültige Definitionsmacht zu inthronisieren.

Frage: Was stört Sie denn so ungemein an dieser – ich bleibe dabei – opulenten Ausgabe.

Unter anderem die Opulenz. Mit der gleichen Emsigkeit Heine zu edieren, hieße aus den 23 Bänden der Düsseldorfer Heine-Ausgabe 75 zu machen.


Frage: Ich hatte bisweilen den Eindruck, daß man mit diesem Festungsbau – wie Sie sagen – einen Schlußstein setzen wollte.

Einen Schlußstein, der gleichzeitig ein Epitaph fremder Unwissenheit sein sollte. Haben Sie das auch bemerkt?

Frage: Sie meinen die Kritik an Forscherkollegen? Die ist in der Tat augenfällig. Über Dantons vierfachem Guillotinentod wölbt sich ja ein ganzer ein Stammbaum der Irrtümer und Fehldeutungen aus der Pionierzeit der Büchner-Philologie, den die Marburger bis in die feinsten Verästelungen verfolgen.

Wobei ernsthafte Philologen hier Seite an Seite stehen mit Feuilletonisten. Freilich wuchert der Stammbaum nicht überall, sondern nur dort, wo es ziemlich erscheint. Es ziemt zum Beispiel bis heute nicht, daran zu erinnern, daß die Marburger Entdeckung von Heine-Spuren in „Danton’s Tod“ nur eine Wiederentdeckung war, sie hatte zwei Vorgänger. Und lasen wir vor 20 Jahren noch, Büchners Briefe an die Familie seien eigentlich an die Mutter gerichtet, erscheint heute der Vater als der eigentliche Adressat. Doch nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, werden die eigenen Dummheiten unter den Teppich gekehrt. So wird verschleiert, daß Wissenschaft prinzipiell ein offener Erkenntnisprozeß ist, in dem die vergangenen Irrtümer unter Umständen nützlicher sind als die eigene Besserwisserei.

Es müssen also alle die, die schon kritisiert haben, wie spät mir dieses Begräbnis der Luxusklasse aufgefallen war, weil sie nichts mehr vom Leichenschmaus abbekamen (es sind nur noch ein paar Einzelbände zu haben …) nicht so arg trauern. Und wenn sie sie immer noch nicht haben, endlich die Poschmann-Ausgabe kaufen!

 

von Peter Brunner