Peter Brunners Buechnerblog

Schlagwort: Familie Büchner

„ …ich mit dir über dein ferneres Gedeihen der Zukunft beruhigt entgegen sehen darf”*

Für die Kreisvolkshochschule Gross-Gerau biete ich in den nächsten Monaten, beginnend am 5. Februar,  eine Reihe von Abendveranstatungen an, bei denen sich Interessierte in kommunikativer Runde mit Leben und Werk von Georg Büchner und seinen Geschwistern – der „fabelhaften Büchnerbande” … – vertraut machen können.

 

Im Büchnerhaus

„Gemeinsam an einem Tisch” heißt die Installation im ersten Raum des Goddelauer Büchnerhauses, wo sinnbildlich auf den ungewöhnlich engen Zusammenhalt der Büchner-Geschwister hingewiesen wird. Der oft als streng beschriebene Vater Ernst Büchner war in Wahrheit ein ungewöhnlich interessierter und seinen Kindern zugewandter Vater, von dem überliefert ist, dass er den täglichen Austausch mit ihnen suchte und forderte.

Mit jedem einzelen der Kinder hatte er Sorgen und Mühen, die andere schon bei einem Kind weit überfordert hätten: nach Georgs dramatischer Verwicklung in die Landbotenverschwörung, Flucht, Exil und frühem Tod scheiterte der nächste Sohn, Wilhelm, am Gymnasium und wurde später auch noch der Gießener Universität verwiesen. Die beiden Töchter Mathilde und Luise blieben, eine Katastrophe für einen bürgerlichen Vater des 19. Jahrhunderts, unverheiratet. Ob Luises Einsatz für Frauenrechte und Mädchenbildung, ihre Pubikationen und Vorträge ihn später dafür entschädigt haben, wissen wir nicht. Die jüngeren Söhne trieben 1848 Revolution in Gießen (der Vater erklärt öffentlich, entsprechende Gerüchte seien falsch und er werde Verleumder zum Duell fordern!), in die Auseinandersetzungen um das Ende der Paulskirchendemokratie an der Bergstraße machte Alexander 1849 mit der Schwester Mathilde einen „Pfingstausflug”, bei dem er verhaftet wird, Ludwig wurde für sein erstes Buch in Tübingen die Lehrerlaubnis entzogen, Alexander verlor als Verschwörer den „Access” als Jurist, er erhielt Berufsverbot. Ob und wie der Vater die spätere Prominenz seiner anstrengenden Kinder geschätzt hat, ob er stolz auf sie war – wir wissen es nicht. Häufig gedeutet und meist als Zeichen von kühler Distanz (miß)verstanden ist der einzige * Brief an eines seiner Kinder, den wir kennen: der vom 18.12.1836 an Georg in Zürich. 

Ein neues Licht auf Leben und Persönlichkeit der Mutter Caroline (geb. Reuss) wirft ein Fund, über den hier bei Gelegenheit (und natürlich bei den angekündigten Treffen) ausführlicher zu berichten sein wird: der Sohn ihres Cousins Johann Bechtold, Carl, hat ein bisher völlig unbekanntes, ausführliches Tagebuch hinterlassen, das eine Nachfahrin sorgfältig transkribiert und ediert hat. Carl war offenbar heilfroh, dass er, was wohl überlegt worden war, die von ihm als hypochondrisch beschriebene Verwandte an Ernst Büchner los wurde …

 

Die Galerie am Büchnerhaus, der frühere Kuhstall des Anwesens. Heute Veranstaltungsraum. Im ersten Stock Museums- und städtisches Kulturbüro.

 

Ohne Frage sind die Büchners im 19. Jahrhundert ebenso außergewöhnlich wie exemplarisch gewesen: außergewöhnlich als berühmte Geschwister, exemplarisch für die Themen, mit denen sie sich beschäftigten. Kommunismus, Sozialismus und Materialismus, Frauenrechte und Industrie, soziales Engagement und liberale Politik, Literatur und Geschichte, Kommunal-, Landes- und Staatspolitik haben sie betrieben und beeinflusst. Karl Gutzkow nennt sie „ … von demselben göttlichen Feuer ergriffen”. Bei den Treffen bietet sich daher neben der Bekanntschaft mit außergewöhnlichen Hessen und ihrer persönlichen Geschichte auch ein besonderer Blick auf die Geschichte von Land und Leuten im 19. Jahrhundert.

Die Treffen finden in der Galerie am Büchnerhaus statt und bieten neben Information und Austausch auf Wunsch stets auch den Besuch des Museums als Ergänzung. Die Volkshochschule bittet um Anmeldung, am einfachsten hier via Internet.

Im „Flyer” finden sich alle erforderlichen Informationen:

 

 

 

 

 

 

von Peter Brunner

 

Peter Brunner

Peter Brunner

Was Du in bits und bytes besitzt, kannst Du getrost auch morgen hören

Freundlicherweise hat der Hessische Rundfunk die Veranstaltung mit „Erben der Geschichte” (eine beeindruckte Besucherin), die ich für das Museum Büchnerhaus organisieren und moderieren durfte, aufgezeichnet, von meinen Hustern und Sprechfehlern weitestgehend befreit und letzte Woche ausgestrahlt.

Darüber hinaus steht die Sendung „Das aktuelle Kulturgespräch” der „Kulturszene Hessen” online zum Anhören bereit. Und wer das lieber auf dem eigenen Rechner speichern und jederzeit wieder hören möchte, kann die Datei dort (über den kleinen Abwärtspfeil rechts unter dem Bild) auch downloaden.

Wer also nachhören möchte, ob sich Rebellion oder absoluter Herrschaftsanspruch vererbt, ob Familienbande stärken oder belasten und ob hinter „Krieg den Pallästen” ein Ausrufe- oder doch eher ein Fragezeichen gehört, findet dort Anregungen zum Vertiefen gewonnener Erkenntnis.

 

Rainer von Hessen (links), Nachfahre von Ludwig II. von Hessen, der die Landboten-Verschwörer verfolgen ließ, mit Peter Soeder, Nachfahre von Georg Büchners Bruder Ludwig, der 1848 in Gießen „Revolution machte” und bis zu seinem Tod 1899 republikanisch dachte und schrieb.

 

 

ist friede in den hütten ist friede in den palästen amen

1982 hat das Franz Hodjak als „Variation auf ein Thema von Büchner” gedichtet, und dieser vielleicht knappstmögliche Kommentar zu Büchners Landbote, den ich zu Beginn des Gesprächs mit den Nachfahren der Landboten-Protagonisten zitierte, war, scheint mir, in der munteren und aufschlussreichen Runde konsensfähig.

 

Das „Panel” – vlnr: Ludwig Steinmetz, Manfred Büchner, Thomas Will, Magda Pillawa, Peter Brunner, Brita Flinner, Rainer von Hessen, Peter Soeder

 

Alle hatten nachgedacht und vorbereitet, ob und wie sie biographisch, politisch, gesellschaftlich auf besondere Weise mit den frühen hessischen Republikanern und/oder ihren Widersachern verbunden sind. Sei es, das Magda Pillawa kein Spur des Jähzorns bei sich findet, für den Ludwig Büchner bekannt war (es gibt da eine Geschichte von einem voller Wut aus dem Fenster geworfenen Schweinebraten …), sei es, dass Manfred Büchner über Wilhelm Büchners Neugier auf die Naturwissenschaften reflektierte. Beeindruckend, wie Rainer von Hessen schilderte, dass für ihn in der Auseinandersetzung mit den unsäglichen Verstrickungen seiner Vorfahren in die Verbrechen des Nationalsozialismus klar wurde, dass Herkunft und Geburt kein Privileg verschaffen darf und schon gar keine Garantie für überlegenes Verhalten verschaffen kann. Und berührend, wie Peter Soeder, Oberkirchenrat a.D.,  auf die Frage, wie er es mit der Religionskritik seines Urgroßvater Ludwig Büchner halte, diesen ganz direkt ansprach: „Hallo Urgroßvater …“.  Ganz zu Recht habe er sich von der Amtskirche und ihren Verstrickungen mit der Macht, den Palästen, abgewandt. Und sein Engagement für gerechtere Erbschaftsbesteuerung, Reform der Grundbesitzverhältnisse und Versicherungsschutz sei bis heute gerade für Christen vorbildlich.  Landrat Will, der als Repräsentant der  aktuellen Macht eingeladen war, fand deutliche Worte zur Ungleichheit. Es dürfe nicht sein, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufspreize. Glücklicherweise seien die Verhältnisse, gegen die sich die Landboten-Verschwörer empörten, überwunden, aber es bedürfe aktiven politischen Einflusses für Chancengleichheit, insbesondere in Bildungsfragen. Auch zur Meinungsfreiheit gab er ein klares Bekenntnis ab: nicht ihre Einschränkung, sondern ihr Schutz sei  gegen „Fake-News“ und Desinformation erforderlich, und auch hier spiele Bildung die zentrale Rolle. Brita Flinner hat mit ihren Erfahrungen aus Namibia, wo sie einen Teil ihres Lebens verbrachte, den wichtigen Hinweis darauf gemacht, dass die Hütten des 21. Jahrhunderts für uns im Ausland stehen und wie eng das Leben in unseren „Palästen” mit ihnen verbunden ist.

Schön, dass ich zum Schluss in das Exemplar von Edschmids Büchner-Roman „Wenn es Rosen sind … ” für Rainer von Hessen aufrichtig schreiben konnte: „Von Citoyen zu Citoyen“.

Und gut, dass sich das Büchnerhaus mit diesem „Familientreffen” wieder als „Ort der Freiheit” positionieren konnte.

Der Hessische Rundfunk hat das Gespräch aufgezeichnet
und wird es in  „Kulturszene Hessen”
am Samstag, dem 25. November, von 18:04 bis 19 Uhr auf HR 2 senden.

 

Mehr Fotos von der Veranstaltung hat Werner Höfler vom Vorstand des Vereins Büchnerhaus hier eingestellt. 

von Peter Brunner

 

 

 

 

 

 

Peter Brunner

Peter Brunner

„Zuweilen flüchtet die Freiheit in den unterhöhlten Palast, und aus der Hütte tritt der neue Zwingherr“*

 

Fast 200 Jahre nach dem Erscheinen des Hessischen Landboten 1834 unter seiner berühmten Parole „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ bietet das Motto des Denkmalstages 2017 Gelegenheit, über Macht und Pracht, also über Herrschaft und ihre Repräsentation, nachzudenken.

Ist es wirklich so einfach, dass die Paläste für Unterdrückung und Beharrung und die Mietwohnungen im Hinterhof für Freiheit und Aufbruch stehen?

Wolfgang Koeppen hat schon 1962 zu bedenken gegeben, dass es eine gefährliche Vereinfachung ist, Freiheit und Recht stets auf der Seite der Armen, Ausbeutung und Terror stets auf der der „Vornehmen“ zu verorten.

„Zuweilen flüchtet die Freiheit in den unterhöhlten Palast,
und aus der Hütte tritt der neue Zwingherr“
(W. Koeppen in seiner Büchnerpreisrede 1962)

 

Das Büchnerhaus hat persönliche und politische Nachfahren der Protagonisten von 1834 eingeladen.

Britta Flinner, Magda Pillawa, Peter Soeder und Ludwig Steinmetz sind Ur- bzw. Ur-Ur-Enkel Ludwig Büchners, Friedgard Wyporek und Manfred Büchner Ur-Ur-Enkel Wilhelm Büchners, alle sind Großnichten und -neffen Georg Büchners. Diese Verwandtschaft hat sie alle begleitet und geprägt.

Rainer Christoph Friedrich von Hessen ist ein Cousin des 2013 verstorbenen Moritz Landgraf von Hessen aus dem Hause Hessen-Kassel, der 1960 durch Adoption auch Erbe des Darmstädter Fürstenhauses wurde. Durch seine Mutter ist Rainer von Hessen zudem ein Nachkomme Großherzog Ludwigs II., unter dessen Regentschaft Georg Büchner seine revolutionäre Flugschrift „Der Hessische Landbote“ verfasste und verbreiten ließ.

Rainer von Hessen beim Besuch im Büchnerhaus mit einem Faksimile des Hessischen Landboten

Thomas Will, Landrat des Landkreises Groß-Gerau und Aufsichtsratsvorsitzender der „KulturRegion FrankfurtRheinMain“ vertritt die die politische Verantwortung, die „Macht“ von heute.

Wir wollen mit ihnen über ihre Erfahrungen sprechen:

–          Steckt in ihnen noch der alte Widerspruch zwischen Palast und Hütte?

–          Spielt in ihrem Leben die Herkunft eine Rolle – und war das Fluch oder Segen?

–          Auf welcher Seite hätten sie 1834 gestanden?

–          Ist der Kampf um die Meinungsfreiheit gewonnen?Braucht sie heute Verteidigung oder Beschränkung?

Tatsächlich waren schon die Aktivisten des Hessischen Landboten um Friedrich Weidig keine „arme Leut“. Die Gegnerschaft zu den „Reichen“ strichen sie Georg Büchner aus dem Manuskript und ersetzten das Wort durch „die Vornehmen“. Über die Gegnerschaft zur herrschenden Aristokratie bestand Einigkeit, nicht aber über Georg Büchners Vorstellungen von Gleichheit und Gerechtigkeit. Der Hessische Landbote gehört in das Programm der Kämpfe für Presse- und Meinungsfreiheit: das Treffen auf der Badenburg, wo der Druck beschlossen wurde, diente der Koordination des „Oberhessischen Pressvereins“.

Das Museum ist am Tag des offenen Denkmals 2017, Sonntag, dem 10. September 2017, ab 11 Uhr vormittags bei freiem Eintritt geöffnet.

Das Gespräch findet nach Schließung des Museums um 18 Uhr in der Galerie am Büchnerhaus statt.

Falls Sie teilnehmen möchten, melden Sie sich bitte
per E-Mail (buechnerhaus@riedstadt.de) oder telefonisch (06158/4621) an!

 

von Peter Brunner

Peter Brunner

Peter Brunner

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