Neues aus Buechnerland

Peter Brunners Buechnerblog

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„ … daß die literarisch-ästhetische Ausbildung … häufig nicht die richtigen Früchte trägt“

Luise Büchner hatte zum Thema Frauen und Ästhetik eine auf den ersten Blick überraschende Haltung. Sie wehrt sich nämlich – zu Recht – gegen die Abschiebung der Frauen auf das Spielfeld Kunst im Gegensatz zur Teilhabe am Erwerbsleben. Daher schreibt sie in einem Kommentar zur „Conferenz über das mittlere und höhere Mädchenschulwesen“ des preußischen Unterrichtsministeriums von 1873:

 

… Ich meine, dass das „Aesthetische“ bei der Mädchenschule wieder viel zu sehr in den Vordergrund gerückt ist. Wie es mir scheint, muß das Gefühl für das Schöne und das Gute ein Resultat des ganzen Unterrichts sein, es muß aber nicht besonders darauf hingearbeitet werden durch eine vorwiegende Pflege der Literatur, in einem Alter, wo das ernste Erlernen nützlicher Kenntnisse noch sehr am Platze ist.

Diese aesthetische Bildung vor der Zeit treibt Zweige ohne Saft und Kraft; wir machen z.B. bei den Damen-Lyzeen, welche doch die Schulbildung weiter führen und vertiefen sollen, allgemein die Erfahrung, dass sich die jüngeren Mädchen zu den Literaturvorlesungen drängen, dagegen an andern ebenso interessanten Fächern, wie Geschichte, Naturwissenschaft u. s. w., vorübergehen, weil ihnen zu deren Verständniß die gediegene Vorbildung fehlt, das Interesse dafür nicht richtig erweckt ist. Bemerken wir noch dabei, wie viel junge Damen es giebt, welche kaum rasch und gewandt etwas zu Papier zu bringen vermögen, und die später bei der Wahl ihrer Lectüre den schlechtesten Geschmack an den Tag legen, so muss man sich sagen, daß die literarisch-ästhetische Ausbildung, welche nach Ansicht vieler Pädagogen das ethisch entwickelnde Moment in der weiblichen Erziehung sein soll, häufig nicht die richtigen Früchte trägt.“

 Luise Büchner. Die Frau. Hinterlassene Aufsätze, Abhandlungen und Berichte zur Frauenfrage. Halle, Gesenius, 1878. S. 46 „Der höhere weibliche Unterricht… “

 

 

Dennoch und aus vielen guten Gründen zeigen die Luise-Büchner-Gesellschaft und das Darmstädter Kunstarchiv – übrigens ohne jede Spekulation über Provenienz, Datierung, Gegenstand und Authentizität – in den nächsten Monaten eine gemeinsame Ausstellung zum gemeinsamen Interesse:

 

„Der Weibliche Blick“ – Vergessene und verschollene Künstlerinnen in Darmstadt 1880 – 1930

Ist die Sicht der Frauen auf die Welt eine gänzlich andere als die ihrer männlichen Kollegen? Unsere Ausstellung spürt dem  „weiblichen Blick“ anhand von 35 spannenden KünstlerinnenLebensläufen nach. Alle beteiligten Künstlerinnen lebten und arbeiteten mehr oder weniger erfolgreich zwischen 1880 und 1930 in Darmstadt und der Region. Viele von ihnen wurden in Darmstadt geboren, andere zogen für eine kurze Zeit in die Stadt des Jugendstils, und wieder andere ließen sich erst in reiferen Jahren in Darmstadt nieder. Durchweg alle waren beseelt von dem Wunsch, Kunst zu schaffen, studierten in Paris oder anderswo, gründeten Malschulen und Künstlerinnenvereinigungen. Es forderte den Frauen in der damaligen Zeit eine besondere Entschlossenheit und Stehvermögen ab, sich neben ihren männlichen Kollegen zwischen Haushalt und Mutterrolle im Kunstmarkt zu behaupten. Die Qualität der „weiblichen Kunst“ ist der „männlichen“ ebenbürtig, ihr technisches Können souverän und ihre künstlerische Leistung überragend. Ihre Werke aber hängen nicht in den Ausstellungsräumen der Museen, sondern führen ein Schattendasein in den Depots und Archiven. Künstlerinnen sind zu Unrecht Verschollene und Vergessene der Kunstgeschichte. Es ist Zeit, sie nach rund hundert Jahren auszugraben, ihre Werke angemessenen zu würdigen und neu zu sehen mit dem „richtigen“ Blick.

Im Treppenhaus zeigen wir fotografische Blicke in die Ateliers der Künstlerinnen.

Zur Ausstellung, die von der Luise-Büchner-Gesellschaft gemeinsam mit dem Kunst Archiv Darmstadt veranstaltet wird, erscheint ein umfangreiches, reich bebildertes Katalogbuch. 

Hier findet sich der Flyer zu Ausstellung als pdf-Datei mit weiteren Informationen.

 

„Die Schwierigkeiten schuf der Widerstand einer männlich geprägten Welt von Kunstschaffenden und Kunstkritik gegen das aufkeimende Selbstbewusstsein der „unleidigen Zwitterwesen“ oder „Malweiber“, wie die Künstlerinnen in der Presse genannt wurden.“ schreibt Anette Krämer-Alig hier in ihrer Vorabbesprechung im Darmstädter Echo.

 

Besonders herzlich eingeladen wird zur

 

Eröffnung:
Sonntag, 23. Juni 2013, um 11 Uhr

im Darmstädter Literaturhaus, Kasinostraße 3

Es sprechen:
Oberbürgermeister Jochen Partsch, Agnes Schmidt und Claus K. Netuschil

Christiane Lüder spielt auf dem Akkordeon Musik um die Jahrhundertwende.

 

Der Korsar von Darmstadt erstmals öffentlich

Für Freitag lädt das Institut Mathildenhöhe zu einer öffentlichen Diskussion über die Authentizität des neu aufgefundenen Hoffmann-Bildes ein.

 

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EINLADUNG
ZUM ÖFFENTLICHEN ROUND-TABLE-GESPRÄCH
Sehr geehrte Damen und Herren,
Zum öffentlichen Round-Table-Gespräch
DER JUNGE MANN MIT NOTENBLATT
– EIN PORTRÄT VON GEORG BÜCHNER?
am Freitag, den 21. Juni 2013 um 19 Uhr
im Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe Darmstadt
Olbrichweg 13, 64287 Darmstadt
laden wir Sie herzlich ein.
Es erwarten Sie:
Dr. Ralf Beil | Direktor Institut Mathildenhöhe Darmstadt
Prof. Dr. Burghard Dedner | Leiter der Forschungsstelle Georg Büchner,
Philipps-Universität Marburg
Reinhard Pabst | Büchner-Experte und Literaturdetektiv, Bad Camberg
Dr. Mechthild Haas | Leiterin der Graphischen Sammlung,
Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Prof. em. Dr. Günter Oesterle | Institut für Germanistik, Justus-Liebig-Universität Gießen
Prof. Dr. Roland Borgards | Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturgeschichte,
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

 

Bis auf Frau Dr. Haas haben sich alle bereits öffentlich erklärt – Reinhard Pabst wird wohl alleine den Skeptizismus hochhalten müssen.

 

Dr. Jan-Christoph Hauschild kommt nicht zu der Präsentation. Er hat angeboten, sich anlässlich seines nächsten Darmstadt-Besuches um den 18. Juli, wenn er in der „Büchner-Box“ sein funkelnagelneues „Georg Büchners Frauen“  vorstellt, öffentlich zu äußern. Er schrieb in seiner Absage an Dr. Ralf Beil:

 

… viele Fragen lassen sich auch von zuhause aus klären. Zum Beispiel die Datierung. Die Datierung auf dem Korsarenbild sieht eher nach 1839 als nach 1833 aus. Wann zeigen Sie mir für beide Jahre Beispieldatierungen aus dem Hoffmann-Konvolut?
 
Ein paar weitere Porträts von Hoffmann zum Vergleich würden womöglich weiteren Aufschluß über seine handwerkliche Manier geben, so er denn eine hatte, die wiederum ggf. die Ähnlichkeit erklärte.
 
Erst danach würde ich in die Ähnlichkeitsdiskussion eintreten wollen, die meines Erachtens ebenfalls nicht für einen GB spricht. Die relevanten Unterschiede sind allzu deutlich. Auch für Biometrie gibt es übrigens greifbare Experten.
 
Und dann bliebe, falls sich das Ganze damit nicht bereits erledigt hat, immer noch die Frage, warum Hoffmann GB zweimal gezeichnet haben sollte, 1834 (so meine indiziengestützte Hypothese) den im Polenrock und 1839 bzw. 1833 den Korsaren.
 
Daß Büchner sich als jugendlicher Satyriatiker porträtieren ließ, würde ich mir noch gefallen lassen. Aber dann muß alles andere stimmen. Und diesen Eindruck habe ich, gelinde gesagt, nicht.

Korsar, von cursus – lat. Beutezug

Wiederholt und schon lange bevor die Verschrottungsdebatten begannen, habe ich hier über das Schicksal der Charlesville  / Georg Büchner im Hafen von Rostock berichtet.

 

(in diesen Berichten finden sich auch links zu weiteren Artikeln sowie zu den Aktivisten, die sich für den Verbleib des Schiffes einsetzten).

 

Piratenflagge

 

 
Der bisher letzte Weg des traditionsreichen Schiffes spottet allerdings jeder Beschreibung und übertrifft die Phantasie selbst derjenigen, die einige Erfahrung im Umgang der öffentlichen Hand mit Denkmälern verschiedenster Natur haben. Bei Nacht und Nebel und und völlig offenen denkmals- und offenbar auch naturschutzrechtlichen Vorschriften wurde das Schiff aus dem Rostocker Hafen, angeblich zur Verbringung nach Litauen, notdürftig seetüchtig gemacht, abgeschleppt. Es sank kurz darauf unter ungeklärten Umständen. Jetzt ist die ganze Geschichte hier noch einmal im SPIEGEL abgehandelt worden und da findet sich nun für aufmerksame Leser mit Büchner-Interessen ein ganz besonderer Leckerbissen. In den Kommentaren stellt nämlich hier ein gewisser dr. hp den Zusammenhang her, über den alle regelmäßigen Leser dieses Blogs längst nachgedacht haben: nämlich zu Georg Büchner als Korsar! Dieser dr.hp ist kein Geringerer als der verdiente Herausgeber der großen Georg-Büchner-Werkausgabe im Deutschen Klassikerverlag, Herr Dr. Henri Poschmann aus Weimar, der damit auch gleich seine Haltung zum aktuellen Bilderfund artikuliert.

„Natürlich er selbst, das Phantom des roten Korsaren, wer sonst, hat sich die „Georg Büchner“ gegriffen …“ schreibt Poschmann, den die eigentlich so aufmerksame Presse zur Frage der Identifizierung des neu aufgefundenen Büchner-Bildes ja längst hätte fragen können  – ebenso wie den dazu ebenfalls bisher öffentlich nicht vernommenen Büchner-Biographen Jan-Christoph Hauschild. Mal sehen, ob der sich ebenfalls freibeuterischer Methoden zur Veröffentlichung seiner Haltung bedienen  wird …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Goddelauer Büchner

Wie verschiedentlich angekündigt, habe ich auf Hinweis von Jan-Christoph Hauschild heute früh im Godderlauer Büchnerhaus durch das liebenswürdige Entgegenkommen von Rotraud Pöllmann auch den „Goddelauer Büchner“ scannen können.

 

Laut einem mit Schreibmaschine verfassten Text auf dem Rahmen stammt die Reproduktion ebenfalls aus der Hand von Georg Büchners Neffen Ernst Büchner und wurde auch 1913 angefertigt. In Goddelau ist dieses wertvolle „Original“ schon seit lange sicher verwahrt, gezeigt wird dort heute eine moderne Reproduktion der Reproduktion.

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Das Bild ist zwar deutlich besser erhalten als das aus dem Familienbesitz, zeigt aber – oval zugeschnitten – ganz offensichtlich den exakt gleichen Zustand.  Auch hiervon habe ich einen hochauflösenden Scan anfertigen können, den ich wie schon anlässlich des ersten Scans hier erwähnt auf Anfrage per E-Mail gerne zur Vertiefung der Erkenntnisse zur Verfügung stelle.

 

 

Schau mir in die Augen …

Auf allgemeinen Wunsch und obwohl ich gerne über die Pressekonferenz zu Büchner200 in Darmstadt berichten würde, habe ich mich hingesetzt und als Beitrag zur Diskussion um das neu aufgetauchte Bild noch einmal einen Vergleich mit vorhandenen Bildern gemacht. Auffallend regelmäßig haben mich nämlich Frauen, die offenbar eine andere Herangehensweise an Portraits gelernt haben als ich, auf die Augen der beiden jungen Männer aufmerksam gemacht.

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Georg, Mathilde, Alexander, der „Neue“, Wilhelm, Ludwig und Luise Büchner 

Hier jetzt mal die Augen aller Geschwister aus zu Lebzeiten entstandenen Portraits; in der Mitte die Augenpartie des neu entdeckten Bildes (erinnert das an „eins passt nicht in diese Reihe“?).

 

 

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