Neues aus Buechnerland

Peter Brunners Buechnerblog

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Schauspiel Frankfurt: Büchners Danton als unaufführbar aufgeführt

Ausverkauft sind die Karten für die heutige, letzte Vorstellung des „Danton” im Schauspiel Frankfurt – und ich bin sehr froh, dass ich am 9. 7.wenigstens in der vorletzten Vorstellung noch drin gewesen bin.
Es gab ein ganze Reihe hochkarätiger Besprechungen. u.a.:

Die Damen haben deutlich unterschiedliche Perspektiven – Judith von Sternburg erwähnt zum Beispiel die Musik von Ari Benjamin Meyers überhaupt nicht, die dagegen Christine Dössel (zu Recht) so charakterisiert: „Musikalisch angetrieben, suggestiv untermalt und gefühlsbombastisch verstärkt wird der theatrale Dauerlauf von zwei Cellisten links und zwei Gitarristen rechts am Rand. Dazu gibt es auf der hinteren Walze drei dunkel gewandete Sänger, die genauso vorwärts marschieren wie die Schauspieler, während sie in höchsten Tenortönen summen, singen oder Ha-Ha-Ha-Choräle anstimmen.Den Soundteppich hat der amerikanische Komponist Ari Benjamin Meyers gewoben, der in der Kunstszene gerade sehr gefragt ist, weil er mit Raum, Dauer, Wiederholungen experimentiert und Musik als performatives Medium begreift. Seine Dauermusikschleifen erinnern an die minimalistischen Kompositionen von Philip Glass und Michael Nyman. Sie wiegen einen in Trance, hypnotisieren, elektrisieren, und sie sind auch penetrant.”

 

Ich habe noch nie zuvor eine Inszenierung von Ulrich Rasche gesehen, der für chorische Aufführungen bekannt ist. Dem Danton hat er eine Form gegeben, die mich sehr an ein Gespräch mit dem Büchner-Biografen Jan-Christoph Hauschild erinnert hat. Hauschild nannte Büchners Dramen „eigentlich nicht aufführbar” und begründete das mit der geringen Erfahrung, die der jugendliche Dichter mit der Umsetzung von Geschriebenem auf die Bühne hatte.
Rasche hat das – ob aus diesen oder aus anderen Überlegungen heraus – großartig interpretiert. Die ganze Aufführung ist eine einzige Deklamation, und noch nie wurde mir so klar vor Augen geführt, wie der junge, verfolgte und verzweifelte Revolutionär Büchner im Darmstädter Elternhaus jeden seiner Sätze als Aufschrei formulierte. Ein großer Teil des Werkes ist ja Satz für Satz als Zitat zu verwenden; einerseits, weil Büchner selbst ständig zitiert, aber andererseits eben auch wegen der ungeheuer ausdrucksstarken Aussagen, die da jedes Wort mitbringt. Vergegenwärtigt man sich, dass Büchner ganz sicher eine Vielzahl von Stücken selbst gelesen, wohl auch mit verteilten Rollen gelesen, aber eben nicht auf der Bühne aufgeführt gesehen hat, so macht diese Aufführung einen Zugang zum Stück möglich, den eine szenische Inszenierung niemals bieten könnte.
Schon vor Jahren schrieb ich über Christian Wirmer ’s “Lenz”: „Da steht ein Mann und spricht, e r z ä h l t , und wir hören einen altbekannten Text plötzlich wie zum ersten Mal. …- Büchners Lenz ist wirklich zum Erzählen geschrieben (neben dem Landboten ist es ja auch sein einziger Prosatext), und das führt Christian Wirmer unpathetisch vor. Es gibt ja in der Büchner-Familie die belegte Tradition des Erzählens, Luise Büchner schildert das im Dichter, Georg spielt gerne mit erzählenden Figuren, Luise Büchner selbst hat ihre Märchen zuerst Ludwig Büchners Kindern vorgelesen. Vielleicht müssen wir uns ab jetzt den Lenz als eine (wörtlich) E r z ä h l u n g Georg Büchners denken, als einen Text, von einem Dramatiker als Sprechtext geschrieben. Der Verdienst, diesen wichtigen Gedanken angeregt zu haben, gehört Christian Wirmer.”
Peter Brunner

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Wenn wem der Sinn nach Marburg steht

Die Georg-Büchner-Gesellschaft e.V. ruft zum Einreichen von Beiträgen für die Jahrestagung im Oktober auf:

Sezierung_Barbe

Schnappschuss aus dem Video von der Sezierung einer Barbe bei der Darmstädter Büchner-Ausstellung 2014

cfp*: „Wenn einem die Natur kommt“ – Vorstellungen von menschlicher Natur in Büchners Werken

Bitte um Vortragsvorschläge für die Jahrestagung am 28. und 29.10.2016 in Marburg

 

„Seit Platos Phaidon, in weiten Teilen der christlichen Tradition und dann dezidiert seit Descartes‘ Meditationes besteht der Mensch aus einem materiellen, vergänglichen, unfreien Körper einerseits, einer immateriellen, unvergänglichen, freien Seele andererseits. Woyzeck nimmt den Körper im Harndrang als die ihn überwältigende Natur wahr; dem Doctor zufolge ist der Mensch Herr dieser Natur, denn „in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit“.Das Folgende sei verstanden als eine hiervon ausgehende, aber nach vielen Seiten hin offene Liste thematischer Anregungen.

1. Wie nehmen die Personen in Büchners Werk ihren Körper und dessen Funktionen wahr? Eine Liste solcher Wahrnehmungen dürfte außergewöhnlich umfangreich ausfallen. Wie verhalten sich die lustvollen Wahrnehmungen zu den schmerzhaften? Welche Schlüsse lassen sich daraus in Hinblick auf Büchners Menschenbild ziehen?

2. Welche Modelle des Körper-Geist-Verhältnisses lassen sich in den Texten nachweisen? Welches Schema bildet die Grundlage für die eben zitierte Rede des Doctors von der Verklärung „der Individualität zur Freiheit“? In welchen Denktraditionen bewegt sich der „Atheist“ Danton, wenn er an seiner Vernichtung zweifelnd sagt: „Der verfluchte Satz: etwas kann nicht zu nichts werden! und ich bin etwas“.

3. Wie äußert sich der angehende Philosophiedozent, der vergleichende Anatom und Oken-Schüler Büchner zu diesen Fragen?

4. Im körperlichen Schmerz des Hungers sieht Büchner die treibende Kraft der Revolution. Gibt es für Büchner noch weitere – materielle oder geistige – revolutionäre Antriebskräfte? Gibt August Becker Büchner korrekt wieder mit dem Satz, Metternich habe den revolutionären Geist der österreichischen Bauern im „Fett“, also in ausreichender Nahrung, „erstickt“?

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Auch Vorschläge, die mit diesem Themenkomplex nur lose in Verbindung stehen, sind willkommen (Hervorhebung von mir – pb).  Bitte schicken Sie uns baldmöglichst, spätestens jedoch bis zum 10. September eine Skizze von etwa einer Seite und einige bio-bibliographische Angaben zu Ihrer Person. Je Vortrag ist eine Redezeit von ca. 30 Minuten vorgesehen.”

Die zugehörige E-Mailadresse findet sich versteckt hier auf der Marburger Uni-Site (ganz unten)

*call for papers” – Aufruf zur Einreichung von Thesenpapieren

 

Peter Brunner

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Ausgezeichnet: Luise F. Pusch

Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft e.V. hat am Rande ihrer Hauptversammlung am 27. Juni 2017 traditionsgemäß die Trägerin des diesjährigen Luise Büchner-Preises für Publizistik bekannt gegeben und die Begründung der Jury veröffentlicht.

„Auf ihrer Sitzung am 8. April 2016 hat die Jury des Luise Büchner-Preises für Publizistik Frau Prof. Dr. Luise F. Pusch zur Preisträgerin des Jahres 2016 gewählt. Der Preis wird am 27. November 2016 im Darmstädter Literaturhaus übergeben.

LFP Sept. 2013

Luise F. Pusch (Foto: privat)

Luise Pusch studierte AnglistikLatinistik und Allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg. 1972 promovierte sie mit einer Dissertation über Die Substantivierung von Verben mit Satzkomplementen im Englischen und im Deutschen. 1978 habilitierte sie sich für das Fach Sprachwissenschaft an der Universität Konstanz. Pusch engagiert sich seit den 1970er Jahren für eine geschlechtergerechte Sprache. 1984 veröffentlichte sie die Textsammlung Das Deutsche als Männersprache. Diagnose und Therapievorschläge.

Neben ihrer sprachwissenschaftlichen Arbeit gründete sie 1982 eine Datenbank, die heute über 30.000 Biographien von Frauen nachweist, von denen an die zehntausend online zugänglich sind. Seit 2001 trägt der Verein FemBio Frauen-Biographieforschung e.V. das Projekt. Als Publizistin schreibt sie in Büchern, Zeitschriften und ihrem Blog Laut und Luise Kommentare und Glossen zu aktuellen Ereignissen. 

Als Wissenschaftlerin hat sie der Frauenbewegung mit der feministischen Linguistik grundlegende Erkenntnisse und unersetzliche Anregungen gegeben. Als Hüterin und Vermehrerin des Schatzes weiblicher Biografien ist sie zu einer Institution weiblichen Selbstverständnisses geworden. Als Publizistin trägt sie zu einer Welt bei, in der Vernunft und Gleichberechtigung die Grundlage menschlichen Zusammenlebens werden sollen. Damit steht sie in der Tradition Luise Büchners, für die die weltbewegende Kraft von historischer Kompetenz und kritischer Publizistik Werkzeug des Fortschritts war.” 

Zur Feier der Verleihung des Preises, den vor ihr Bascha Mika, Julia Voss, Lisa Ortgies und Barbara Sichtermann erhielten, versendet die Luise Büchner-Gesellschaft persönliche Einladungen an Mitglieder und Freundinnen. Die Laudatio hält die Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Eva Rieger. 

von Peter Brunner

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„Auch hoffe ich daß Du Schmetterlinge einsammlen wirst”*

Das Zitat im Titel stammt aus Wilhelm Büchners Brief vom 13.11.1831 an den Bruder Georg in Straßburg. Ich nehme es als Metapher für eine Möglichkeit, die ich gefunden habe, um dies und das für Sie aufzuspießen.

Ich suche schon lange nach einer Form, mit der die zahlreichen kleinen „Büchner”-Nachrichten und Informationen, die mir über den Tag begegnen oder auf die ich hingewiesen werde, den Leserinnen hier zugänglich gemacht werden können.

Es steht ja außer Frage, dass nicht alles, was zum Stichwort „Büchner” in den Weiten des Web vagabundiert, einer ausführlicheren Kommentierung bedarf (oder sie verdient). Das wäre ohnehin schon aus Zeitgründen schon längst nicht mehr zu leisten, ganz abgesehen von der inhaltlichen Kompetenz, die dazu erforderlich wäre. Andererseits möchte ich immer wieder die eine oder andere Nachricht über eine Inszenierung, einen Aufsatz, eine Neuerscheinung, eine Website, eine neue Recherchemöglichkeit usw. usf.  nicht im weißen Rauschen untergehen lassen.

Daher gibt es seit wenigen Tagen eine Pinnwand „Büchners” bei Pinterest,

Pinterest_Screenshot_Buechners

 

die von nun an solche „Büchner-Marginalien”, meist unkommentiert, verzeichnet, wie sie mir unterkommen. Durch einen Klick kommen Sie auf die jeweilige Website, die mir „Pin”-wert erschien. Das kann durchaus auch ein „Memo” für mich sein, darauf – z.B. hier – noch einmal ausführlicher zurückzukommen. Bitte nehmen auch Sie das gerne zum Anlass, zu „Pins”, die Sie dort finden, nachzufragen oder mir Hinweise auf  „Pin”-wertes zu geben.

Eine Erläuterung, was Pinterest ist und wie die Nutzung funktioniert, finden Sie hier.

Wie immer freue ich mich über Ihre Kommentare dazu, besonders gerne natürlich über Ihre eigenen Erfahrungen mit Pinterest im allgemeinen oder mit „meiner” neuen Pinnwand.

Peter Brunner

von Peter Brunner

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Maitrank

Vom Essen und Trinken bei den Büchners war hier ja schon öfter die Rede – wie in so vielen anderen Angelegenheiten gibt es leider auch dazu kaum authentische Berichte. Grundsätzlich ist aber über Ernährung der bürgerlichen Bevölkerung im 19. Jahrhundert schon aus den zunehmend verbreiteten Kochbüchern vieles zu entnehmen; das 1839 erstmals erschienene „Supp‘, Gemüs‘ und Fleisch: ein Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen, oder leicht verständliche Anweisung für Hausfrauen und Mädchen, wie man alle Arten Speisen und Backwerk wohlfeil und gut zubereiten kann; …“ (hier die 18. Auflage von 1872 als Digitalisat bei der sächsischen Landesbibliothek) darf schon deshalb als gute Quelle genommen werden, weil es im Darmstädter Verlag von Gustav Georg Lange erschien.

Geselligkeit wurde sicher in allen Büchnerschen Häusern gepflegt, und da wird wohl auch Punsch und Bowle gereicht worden sein. Gerade eine Maibowle kann ich mir auch auf den Tischen der Eugenia, der Straßburger Studentenverbindung, die Georg Büchner als ständigen Gast aufnahm, gut vorstellen.

Zu Pfingsten und als Anregung für ein Mitbringsel vom Maispaziergang hier das Rezept für „Maiwein“

Kochbuch_SuppGemuesUnFleisch_Maiwein

„Mai-Wein

Man nimmt im Frühling aus dem Walde ein Hand voll Waldmeister, legt ihn in eine Schüssel und übergießt ihn mit einer Bouteille Wein. Man kann hierzu ganz leichten Tischwein nehmen, oder auch nur zwei Theile Wein und ein Theil Wasser. So läßt man ihn etwa zwei Stunden lang zugedeckt stehen, alsdann durch ein reines leinenes Tuch laufen, versüßt ihn hierauf nach Gutdünken noch mit Zucker und es gibt dann ein sehr wohlschmeckendes Getränk.- Apfelwein schmeckt hierzu sehr gut.”

Schon öfter habe ich aus Charlotte Böttchers „Kraft und Stoff oder Deutsches Universal-Kochbuch umfassend die ganze Praxis der Küche sowohl für die feinste Tafel, wie den einfachsten bürgerlichen Hausstand in den sorgfältigsten Unterweisungen und mehreren Tausend ausgeprüften Recepten” (mein Exp. ist die 6. Auflage von 1882)  zitiert, weil das witzigerweise (und wohl durchaus nicht zufällig!) den Titel des damals am weitesten verbreiteten Sachbuches, eben Ludwig Büchners „Kraft und Stoff”, trug. Die Hamburger Bürgerschaft liebte es offenbar ein wenig elaborierter:

 

Kochbuch_KraftUndStoff_Maibowle

 

„Maitrank

Eine Handvoll frischer Waldmeister, 8 Spitzen weiße Taubnessel, 10 Herzchen Walderdbeerkraut, 8 Spitzen schwarzes Johannisbeerkraut, 10 grüne Blättchen wilde Hagebuttenrose, 8 Spitzen Citronenmelisse, 10 Veilchen, 10 Himmelsschlüssel, 2 Apfelsinen samt ihrer Schale in Scheiben geschnitten, 3/4 kgr. Zucker, 6 Flaschen Mosel- oder Rheinwein, dies alles in einer Terrine mehrere Stunden bedeckt ziehen lassen und dann genossen.”

Ob auf die Darmstädter oder die Hamburger Art: es möge zur Vertiefung gewonnener Erkenntnisse beitragen, und falls Sie die norddeutsche Variante ausprobieren wollen, bedenken Sie bitte: weil  „ … ihr Bestand so schwach ist, darf die Wiesen-Schlüsselblume in der freien Natur nicht gepflückt oder ausgegraben werden.” (aus der Erläuterung der Loki Schmidt Stiftung über die Ausrufung der Wiesen-Schlüsselblume zur Blume des Jahres 2016). Und neuere Erkenntnisse über das Cumarin im Waldmeister machen es ratsam, höchstens drei bis fünf Gramm frisches Kraut je Liter Bowle (wikipedia zu Maibowle) zu verwenden und diese nach 30 Minuten Ziehzeit zu entfernen.

 

von Peter Brunner

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