Eines der tiefsten Worte in der Deutschen Sprache ist „Familienbande” soll Karl Kraus gesagt haben, und wohin sollte dieses Zitat passen, wenn nicht gerade ins Geschwisterblog zu einem Thema aus Österreich.
Die Nerven der Fische FamilienLustSpiel à la Büchner von Josef Maria Krasanovsky und Alexander Mitterer Bühne und Regie: Josef Maria Krasanovsky
soll am 18. Mai in Klagenfurt uraufgeführt werden.
Im Text zur Inszenierung heißt es:
Nach der Koproduktion des Theater Kaendace (Graz) mit dem klagenfurter ensemble mit dem Titel „Wozzek oder das Leben liebt die Klinge“ im Jahr 2006, waren zwei Dinge klar: der Kosmos um Georg Büchner hat noch viel zu bieten und das soll wiederum in einer Koproduktion umgesetzt werden. „Die Nerven der Fische“ soll diesen vielschichtigen Kosmos theatral zeigen:
Der Titel des Stückes ist auch der Beginn des Titels von Georg Büchners Doktorarbeit an der Universität Straßburg, welche von den Sehnerven der Rheinbarbe handelt und aus einem naturwissenschaftlichen und einem philosophischen Teil besteht. Schließlich schnitt sich der 23jährige Georg Büchner mit dem Seziermesser und starb an dem darauffolgenden Wundfieber.
Die Familie Büchner ohne den inzwischen berühmtesten Vertreter Georg wird dargestellt:von tatsächlichen Biographien ausgehend, geht die Geschichte über in Fiktion und thematisiert den aktuellen Gesellschaftszustand. Dabei steht die Familie als Sinnbild der Gesellschaft und wird somit zum Reflektor unserer Zeit. Bislang gibt es kein einziges Stück über diese Familie, welche damals Themen aufbrach, die heute wieder sehr aktuell ist.
Das verschwundene Stück mit dem Titel „Pietro Aretino“ schürt Mutmaßungen: – Warum ist das Drama verschwunden? – Wovon handelte das Drama? Der Namensgeber des Dramas „Pietro Aretino“ war bekannt für seine deftig-frivolen Sonnete. Vor allem Georg Büchners Verlobte Wilhemine (Minna) Jaeglé wurde für das Verschwinden des Dramas verantwortlich gemacht.
Der Autor, Regisseur und Bühnenbildner Josef Maria Krasanovsky: „Es ist ein poetischer Abend mit großem Hang zur Ehrlichkeit. Und er ist lustig.“
Der Mit-Autor und Schauspieler Alexander Mitterer: „Das Wirken Georg Büchners auf seine damals so berühmte Familie soll dargestellt werden.“
Der künstlerische Leiter des klagenfurter ensemble Gerhard Lehner: „Hier findet zeitgenössisches Theater statt, welches auch als Experiment bezeichnet werden kann.“
Dem ist zunächst nichts hinzuzufügen – außer der Wusch nach gutem Gelingen!
Gerade schreibt mir die Produktionsleiterin, Tina Perisutti, auf meine Bitte um den Text oder gar einen Mitschnitt der Aufführung:
„Bezüglich Textbuch bzw. Filmmitschnitt sind wir leider abhängig von den uns zur Verfügung gestellten Mitteln, und die sind im Land Kärnten gerade so bestellt, dass wir unser Theater zumindest für die nächsten drei Monate schließen werden müssen.”
Die zweite unter den Büchner-Geschwistern ist Mathilde, geboren am 20. April 1815, also vor genau 200 Jahren. Anders als für ihren berühmten Bruder Georg sind für sie keine besonderen Feierlichkeiten oder Hommagen geplant. Kein Preis trägt ihren Namen, und sie wird nur noch erwähnt, wenn eigentlich die Rede von einem ihrer Geschwister ist.
Mathilde Büchner (20. 4. 1815 – 30. 8. 1888)
Dass sie Mitbegründerin des Darmstädter Hausfrauenbundes war, ist eine Erinnerung wert und wirft ein interessantes Licht auf die gesellschaftlichen Lebensumstände, unter denen sie lebte. Dass wir in verstreuten Archiven ihr Bild und einen Brief von ihr gefunden haben und dass sie Patin einer Nichte in Pfungstadt wurde, sind kleine Teile zu einem für immer Fragment bleibenden Puzzle. „Edel”, „aufopfernd” und „mit Felsencharakter” nennt sie der Bruder Alexander.
Leider gibt es für Mathilde Büchner heute noch nicht einmal einen Grabstein, obwohl der Ort ihrer Bestattung dokumentiert und gut gepflegt erhalten ist. Sie wurde nach ihrem Tod am 30. August 1888 auf dem Darmstädter Familiengrab der Büchners, neben ihren Eltern Caroline und Ernst und der 1877 verstorbenen Schwester Luise, begraben.
Das Familiengrab der Büchners mit dem Obelisk für Luise
Das Medaillon auf Luise Büchners Grabstein schuf die Künstlerin Luise Federn-Staudinger. Als das (nachträglich) dort angebracht wurde, drehte man den Stein, auf dessen heutiger Rückseite sich eine Aussparung für die dort ursprünglich aufgestellte Portraitbüste Luise Büchners befindet. Diese Büste befindet sich heute im Darmstädter Stadtarchiv.
Der Grabstein für den Vater Ernst Büchner
Der Grabstein für die Mutter Caroline, geb. Reuß
Später ließ Anton Büchner, der Enkel Wilhelm Büchners, noch seine Mutter Mary (geb. von Ferber) und seinen Vater Ernst, die 1925 in Darmstadt starben, dort bestatten.
Gedenkstein für Mary Büchner, geb. von Ferber, und ihren Mann Ernst Büchner, Wilhelm Büchners Sohn
Die Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft hat sich vorgenommen, zur Erinnerung für die Aufstellung eines Grabsteins für Mathilde Büchner zu sorgen. Nach Rücksprache mit Friedhofsamt, Denkmalsamt und Stadtarchiv in Darmstadt sowie der Steinmetzmeisterin Ruth Andres soll der Stein die gleiche Form und Größe haben wie die beiden, die für ihre Eltern gesetzt wurden.
Geplant ist die Setzung im Jahr ihres 200. Geburtstages, an ihrem 127. Todestag, dem 30. August. Ein solcher Stein wird etwa 2.000 Euro kosten. Aus Eigenmitteln hat der Vorstand bis zu 500 Euro freigegeben, weitere 500 Euro hat ein Nachfahre zugesagt.
Für Zuspenden ist das Konto DE94 5089 0000 0005 6730 11 der Luise Büchner-Gesellschaft e.V. eingerichtet; Überweisungen sind bitte mit dem Vermerk „Mathilde” zu versehen, steuerlich anrechnungsfähige Spendenquittungen können erteilt werden.
Aus naheliegenden Gründen habe ich grade mal über Günter Grass‘ Büchnerpreis 1965 (!) nachgelesen.
Sein Laudator Kasimir Edschmid sagte, angesichts dessen, was seit der Todesnachricht zu lesen und zu hören ist, mit erschreckender Aktualität:
„… ich gehöre zu den Bewunderern dessen, was die Meute Ihnen gemeinhin vorwirft – bis fast ins Detail, auch wenn ich diese Details der Harmonie des Ganzen oft nicht entsprechend finde. Ich verwechsele dabei nicht Ihre Popularität mit der Qualität des Geschriebenen. Das sind verschiedene Aspekte und haben nichts miteinander zu tun. Aber ich möchte betonen, daß ich die Angriffe auf Ihre Bücher zum Teil beschämend niedrig fixiert und die Gestalten Ihrer Feinde und deren Taktik erbärmlich finde. Andererseits distanziere ich mich gern von gewissen Hymnen, die Ihnen dargebracht werden und die ich für Automatenmusik halte.”
„Meine Damen und Herren! Anfangs versprach ich, Bilanz zu ziehen. Der Anlaß dieser Rede gab mir die Möglichkeit, mit Georg Büchner die deutsche Emigration zu ehren. Wenn unsere Jugend nicht lernt, sie als gewichtigen und oft besseren Teil unserer Geistesgeschichte zu werten, wenn, wie heute, abermals zu befürchten ist, daß uns der Geist und die Künste, zum wievielten Male, emigrieren, dann wird es an der Zeit sein, unsere Nachbarn zu warnen: Gebt acht, ihr Tschechen, Polen, Holländer und Franzosen: die Deutschen sind wieder zum Fürchten! – Soll so die Bilanz schließen? Es wollen noch einige Zahlen für sich sprechen. Doch wenn es in Georg Büchners »Hessischem Landboten« darum geht, den getretenen Bauern vorzurechnen, wie im Großherzogtum Hessen mit ihren Steuergulden umgegangen wird, wenn Büchner die über sechs Millionen Gulden den »Blutzehnten« nennt, »der vom Leib des Volkes genommen wird«, dann fällt es mir schwer, die bemessenen Erfolge meiner zwei Wahlreisen auf Heller und Pfennig abzurechnen. Wir konnten nur Akzente setzen und – alles in allem – das Selbstverständliche tun. Ich danke den Schriftstellern Siegfried Lenz, Paul Schallück, Max von der Grün und dem Komponisten Hans Werner Henze, die »selbstverständlich!« sagten, als ich sie bat, zur Wahl zu sprechen. Wenn also diese Rede einen Titel haben soll, dann mag sie heißen: Rede über das Selbstverständliche. Den Mund aufmachen – der Vernunft das Wort reden – die Verleumder beim Namen nennen. Wird es morgen schon selbstverständlich werden, das Selbstverständliche und seinen Sieg vorbereiten? Sieg! – Ausrufezeichen. Sieg? – Fragezeichen. Sieg: – Doppelpunkt.”
Die vollständigen Texte zum Büchnerpreis 1965 (und zu allen anderen Preisträgerinnen seit 1951!) finden sich auf der sehr schön neu gestalteten Site der Akademie für Sprache und Dichtung.