Neues aus Buechnerland

Peter Brunners Buechnerblog

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Georg Büchner und Anna Seghers

Im November 2012 konnte ich zusammen mit dem Vorsitzenden der Anna Seghers-Gesellschaft, Hans-Willi Ohl, eine „Büchner-Marginalie” veröffentlichen: Anna Seghers hat sich möglicherweise 1947 bei der sowjetischen Administration für die Freilassung eines Urgroßneffen von Georg Büchner eingesetzt, jedenfalls durch Korrespondenz mit Anton Büchner von der Büchnerschen Nachfahrenschaft erfahren. Inzwischen hat Ohl über Büchner im Werk Anna Seghers geforscht und trägt seine Ergebnisse nun bei einer Benefizveranstaltung im Büchnerhaus vor, zu der ich mit der Veröffentlichung seiner Pressemitteilung hier gerne einlade:

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Hans-Willi Ohl spürt der „literarischen Wahlverwandtschaft” der beiden Dichter nach –
Benefizvortrag am Freitag, 20. März am Büchnerhaus

 

Hans Willi Ohl ist seit Jahren als Sänger der Folkband „Le Cairde“ in der Region unterwegs und mit den jährlichen Konzerten am Büchnerhaus auch ein treuer Sponsor der Goddelauer Kultureinrichtung. Jetzt kommt der im „Hauptleben“ als Studienleiter des Abendgymnasiums Darmstadt tätige Pädagoge mit einem interessanten Vortrag an das Büchnerhaus: Am Freitag, 20. März um 19:00 Uhr geht es in der Kunstgalerie (Weidstraße 9, Riedstadt-Goddelau) um die literarischen Verbindungen zwischen Georg Büchner und Anna Seghers.

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Anna Seghers, 1966 (Bundesarchiv-Bild 183-F0114-0204-003) – retouched by Carschten

 

Die in Mainz geborene Schriftstellerin Anna Seghers („Das siebte Kreuz“) hat immer den Einfluss der Schriften ihres südhessischen Landsmanns Georg Büchner auf ihr eigenes Werk betont. Ihre frühen Erzählungen aus den Jahren 1925 bis 1932 sind im vergangenen Jahr im Rahmen der Werkausgabe im Berliner Aufbau-Verlag neu erschienen. Bei der Lektüre ist Hans-Willi Ohl, Vorsitzender der Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz, aufgefallen, dass es verblüffende Parallelen zwischen Büchner und Seghers gibt. In seinem Vortrag wird er mit Hilfe von Beispielen die thematischen und sprachlichen Berührungspunkte vorstellen, die bisher in dieser Form noch nicht dargestellt wurden. Anna Seghers (1900 – 1983) erhielt im Jahre 1947 den Georg-Büchner-Preis.

 

Der Eintrittspreis beträgt sieben Euro und kommt in voller Höhe dem Büchnerhaus zugute. Kartenreservierungen nimmt das Kulturbüro unter der Telefonnummer 06158 930841/2, per Fax: 930843 oder per E-Mailkultur@riedstadt.de entgegen.

 

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von Peter Brunner

Was bleibt

Eine qualifizierte Kritik zur vergangenen „Büchner-Biennale”, dem öffentlichen Begehen von Georg Büchners 175. Todestag und anschließend seines 200. Geburtstages in den Jahren 2012/13,  liegt bisher nicht vor. Mein Versuch, die eine oder den anderen „Büchnerianer” anlässlich des Endes der Jubiläumsausstellung zu Georg Büchner in Darmstadt zu einer schriftlichen Äusserung zu bewegen, ist leider gescheitert: einige haben die Ausstellung gar nicht erst besucht. Hier eine repräsentative Auswahl aus den Antwortschreiben:

  • „Daß weniger als 25.000 Leute … das Drumherum sehen wollten, deutlich weniger als 1987, erfüllt mich mit großer Schadenfreude”;
  • „ … haben Sie aber bitte Verständnis, dass ich mich da nicht äußern möchte”
  •  „Bitte haben Sie Verständnis für meine Situation. Ich bin einfach zu weit vom Schuss, um einen Kommentar abgeben zu können”;
  • „Über die Ausstellung selbst kann ich mich nicht äußern, weil ich sie nicht gesehen habe. Ich versprach mir davon nichts. Was ich darüber erfuhr, hat mich fassungslos gemacht (Wundschwamm-Tapete).”

Nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung ist wenig, zu wenig, geblieben:

  •  Vom Katalog zur großen Ausstellung, den ein wohlmeinender Rezensent ganz zu Recht „pompös” genannt hat, wird hinter (noch) vorgehaltener Hand baldige Verramschung angekündigt, ein Schicksal, das den vorbildlichen und unerreichten Katalog zur Büchner-Ausstellung 1987 erst nach über 25 Jahren getroffen hat (wobei bemerkt werden soll, dass dies neben der Qualität des Bandes auch der vorbildlichen Autoren- und Titelpflege beim Verlag Stroemfeld zu verdanken ist). Der größte Batzen Geld wurde für die aberwitzige Nutzung eines ungeeigneten Ausstellungsraumes verballert, während die besser geeigneten Ausstellungsräume der Mathildenhöhe angeblich nicht genutzt werden konnten, weil sie eines Tages saniert werden sollen;
  • Das Goddelauer Büchnerhaus sitzt unverändert auf einem Schuldenberg, der durch die uninspirierte neue „Aufenthaltshalle” an Stelle der historischen Scheune größer statt kleiner geworden ist;
  • Die Büchnerbühne, die mit der Dramatisierung von Edschmids Büchner-Roman, Büchners Lenz und nicht zuletzt dem sensationellen multinationalen Danton-Projekt ein Highlight nach dem anderen  präsentierte, muss noch immer unter prekärsten wirtschaftlichen Umständen arbeiten;
  • Die Forschungsstelle Georg Büchner wird „höchstwahrscheinlich nach Würzburg umziehen” (B. Dedner);
  • Die Villa Büchner, für die es weder zu einer Dauerausstellung noch zu einer Präsentation in der „Biennale” gekommen ist, steht leer, ihre Zukunft liegt in den Händen hoffnungs- und inspirationsloser Kommunalpolitiker.

Es bleibt mit ein Rätsel, wieso die Kulturpolitik von Land und Kommunen bereit war, dem Andenken des wohl größten Dichters Hessens (dies ist Büchner um so sicherer, wenn wir den Geheimrat den Thüringern überlassen …) ein paar Millionen zum Event-Verballern zu genehmigen, aber keinerlei Anstalten zur sonst doch so gerne bemühten Nachhaltigkeit gemacht hat.

Um so erfreulicher war es kürzlich für mich, als mir Mahdi Ehsaei eine Mail schickte:

„ … vielleicht interessiert Sie diese audible Internetseite von einem meiner Projekte beim Büchner200 Festival: …¨
Mahdi Ehsaei hatte sich mit zwei Projekten an den Installtionen des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Darmstadt im Umfeld des Hauptbahnhofes beteiligt.
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M. Ehsaeis Installation von Büchnerzitaten im Beet vor dem Darmstädter Hauptbahnhof. Sommer 2013

Das große Blumenbeet hat er mit kleinen Schildern voller Büchnerzitate versehen, die auf den ersten Blick wie botanische Erläuterungen wirkten.

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M. Ehsaeis Installation von Büchnerzitaten im Beet vor dem Darmstädter Hauptbahnhof. Sommer 2013

 

Und im „Königreich Popo”, dem kleinen Gartenidyll (das übrigens auch noch in die obige Auflistung versäumter Nachhaltigkeit gehört…), hat er „sprechende Betonwürfel” mit Dosentelefonen aufgestellt, die auf Knopfdruck zufällige Zitate aus Büchners Werk widergaben.

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„Bluespapa” Reiner Lenz im Juni 2013 an einer von Ehsaeis Hörstationen

Auf seiner Homepage hat er beide Projekte vorgestellt und erläutert, hier die „Listening Station” und hier die Quote Signs.

Seit kurzem hat er eine Website eingerichtet, die analog zu seinen „Stations” auf Knopfdruck ein kleines Stück Büchner liefern. Mindestens einmal täglich sollten Sie in Zukunft dort vorbeisurfen und Büchner „tanken” – es gibt keine bessere Möglichkeit, die Behauptung zu überprüfen, dass sich fast jeder Satz Georg Büchners zum Zitat eignet.

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Screenshot von Ehsaeis Zitate-Website

Ich wünsche Mahdie Ehsaei viel Erfolg bei seinen Arbeiten und seiner audible-Site ein nachhaltiges, langes Leben!

SPeterBrunner

von Peter Brunner

Georg Büchners Grab restauriert

Das „Präsidialdepartement” der Stadt Zürich hat mitgeteilt, dass die Restaurierungsarbeiten an Georg Büchners Grab abgeschlossen sind. Schön, dass das noch vor seinem Todestag am 19. 2. fertig geworden ist. Offenbar ist der oft zitierte Fehler, dass dort Darmstadt als Geburtsort steht, nicht korrigiert worden (dazu müsste ja die inzwischen historische Inschrift geändert werden); vielleicht kann die Gemeinde Riedstadt, deren Ortsteil der korrekte Geburtsort Goddelau heute ist, ja eines Tages erreichen, dass eine Info-Tafel nebenbei die richtigen Daten nennt. Immerhin wird wohl auch in diesem Jahr ein Kranz der Gemeinde aufs Grab gelegt werden.

Bilder vom alten Zustand, im April 2001 noch mit der inzwischen vom Sturm gefällten Linde:

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Georg Büchners Grabstein auf dem „Rigiblick” in Zürich mit der falschen Angabe zum Geburtsort „Darmstadt” (statt richtig „Goddelau”)

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Die Linde über Georg Büchners Grab auf dem Rigiblick über Zürich im April 2001

 

 

 

Hier die Pressemeldung:

Präsidialdepartement

17. Februar 2015

Grab- und Denkmal Georg Büchners nach 140 Jahren restauriert
Das 140 Jahre alte Grab- und Denkmal Georg Büchners an der Germaniastrasse in Zürich-Oberstrass ist fertig restauriert. Mit der Restaurierung ist sichergestellt, dass das Grab- und Denkmal auch in den kommenden Jahrzehnten in würdigem Zustand erhalten bleibt.Georg Büchner, Dramatiker, Revolutionär und Dozent an der Universität Zürich, starb am 19. Februar 1837 in Zürich an Typhus und wurde zwei Tage später im alten Friedhof Krautgarten, an der heutigen Krautgartengasse, beerdigt. Bei der Aufhebung des Friedhofs im Jahr 1875 wurden seine Gebeine auf Wunsch der Gesellschaft deutscher Studierender in Zürich zum Grab- und Denkmal auf dem Germaniahügel in Zürich-Oberstrass überführt, das seither an das Leben und Werk Georg Büchners erinnert.

Der 200. Geburtstag Georg Büchners im Jahr 2013 wurde in Zürich mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen gefeiert. Zudem wurde am Büchner-Grab eine neue Linde gepflanzt. Bei den entsprechenden Vorbereitungen zeigte sich, dass auch das Grab- und Denkmal restaurierungsbedüftig war. Die daraufhin eingeleitete Restaurierung umfasste Büchners Felsengrabmal sowie die gusseiserne Grabeinfriedung. Die kunstvollen Eisenarbeiten, die das Grabmal umschliessen, mussten aus ihrem Sandsteinfundament herausgelöst, zerlegt und in der Werkstatt entrostet und neu verzinkt werden. Gleichzeitig wurden die beschädigten Sandsteinsockel geflickt und die Inschriftenplatte demontiert und gereinigt. Abschliessend wurden die entfernten Stücke wieder an ihre ursprüngliche Position gebracht. Durch die Restaurierung ist sichergestellt, dass das Grab- und Denkmal nach 140 Jahren auch für die nächsten Jahrzehnte in würdigem Zustand erhalten bleibt.

Für den Unterhalt und die Pflege von Denkmälern und Kunst im öffentlichen Raum (KiöR) ist die Arbeitsgruppe Bewirtschaftung mit Vertreterinnen aus der Geschäftsstelle KiöR des Tiefbauamts und der Gartendenkmalpflege von GrünStadt Zürich zuständig. Die Restaurierungsarbeiten wurden im vorliegenden Fall von Grün Stadt Zürich begleitet und finanziert und fachlich von der städtischen Denkmalpflege mitbetreut. Die Arbeiten kosteten rund 13 000 Franken. Das Grab- und Denkmal Georg Büchners ist nach Abschluss der Restaurierungsarbeiten wieder in die Obhut des Bestattungs- und Friedhofsamts übergegangen.

SPeterBrunner

von Peter Brunner

„Der Künstler und die Macht – vom Biß in die fütternde Hand“

 

„Büchners Aretino – Eine Fiktion“ am 21. 2. auf der BüchnerBühne

22. 2. Podiumsdiskussion mit dem Autor

 

Jan-Christoph Hauschildt hat über ein angeblich verschollenes Manuskript Georg Büchners geforscht und ein Theaterstück verfasst. Er geht der Frage nach, was Büchner an dem Renaissance-Dichter Pietro Aretino interessiert haben könnte. Hier wurde schon mit einigen Beiträgen über das Aretino-Gerücht berichtet.
Das Stück wurde am 17. Oktober 2014 auf der BüchnerBühne in Riedstadt-Leeheim uraufgeführt und erzielte bei Publikum und Kritik starke Beachtung. Nun kommt es am Samstag, 21. Februar um 19:30 Uhr zum vorläufig letzten Mal auf den Spielplan.

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Tizian: Aretino

Die Handlung führt ins Rom des Jahres 1522 und behandelt Aretinos Ringen um künstlerische Unabhängigkeit und geistige Freiheit in einer unfreien Welt. Der tägliche Kampf um die Grundbedürfnisse gebiert ein allgemeines Sündenbewusstsein. Die Menschen leben in Furcht und Schrecken vor den Strafen, die sie im Jenseits erwarten. Geschäftstüchtige Politiker und religiöse Fanatiker wissen dies in einträgliche Bahnen zu lenken, das Ablasswesen blüht. Die spitze Feder des Satirikers macht Aretino beim Volk und bis in die höchsten Kreise berühmt. Doch ein System, das davon lebt, den einzelnen in wirtschaftlicher, politischer und geistiger Abhängigkeit zu halten, kann dies nicht lange dulden.

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Hauschild und Suhr nach der Premiere

 

Der Autor wird sowohl an dem Theaterabend anwesend sein wie am darauffolgenden Sonntag, dem 22. Februar 2015, um 16 Uhr an gleicher Stelle zu einer Podiumsdiskussion:

 

 

 

 

 

Auf Einladung der Büchnerbühne und der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft findet am Sonntag, dem 22. Februar, 16 Uhr im Theater eine Publikumsdiskussion statt unter der Überschrift:

„Der Künstler und die Macht – vom Biß in die fütternde Hand“

Jan-Christoph Hauschild wird die Arbeit an seinem Text und seine Überlegungen, sich Büchners Schreiben und Denken anzunähern, erläutern.

Im Gespräch mit Theaterchef und Regisseur Christian Suhr und meiner Wenigkeit (dem Publizisten und Berater Peter Brunner, Autor des weblogs geschwisterbuechner.de und Mitglied im Vorstand der Luise Büchner-Gesellschaft), soll eine der Fragen im Mittelpunkt stehen, die das Drama thematisiert:

 

wie der Konflikt zwischen Fressen und Moral Künstler und Publikum trennt.

 

Eintrittskarten gibt es entweder direkt im Theaterbüro (montags bis mittwochs von 12:00 bis 15:00 Uhr) oder im Online-Ticketshop auf der Internetseite . Neben der Buchhandlung Bornhofen in Gernsheim (Magdalenenstraße 55) sind Karten auch bei der Musikschule Tolkien in Riedstadt (Bahnhofsallee 6), Groß-Gerau (Darmstädter Straße 62) oder Weiterstadt (Kreisstraße 99) erhältlich. Außerdem hält der Darmstadt-Shop im Luisencenter Vorverkaufskarten bereit. Theaterkarten kosten einheitlich 18 Euro, ermäßigt 15 Euro. Der Eintritt zur Diskussion kostet an der Abendkasse sieben, im Vorverkauf fünf Euro. Ermäßigungen erhalten Mitglieder des Theatervereins, Schüler, Studenten, Sozialleistungsempfänger und Schwerbehinderte.

Das Theatercafé öffnet bereits ab 18:30 Uhr am Samstag und um 15:00 Uhr am Sonntag.

von Peter Brunner

 

SPeterBrunner

Büchneriana im neuesten „Archiv für hessische Geschichte”

Soeben erschien

„Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde”

Neue Folge 72. Band 2014. Herausgegeben vom Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
in Verbindung mit dem Historischen Verein für Hessen.
Redaktion: J. Friedrich Battenberg. Darmstadt 2014. ISSN 0066-636x.

 

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Gleich mehrere Beiträge widmen sich verschiedenen Aspekten der Geschwister Büchner.

Thomas Lange, der frühere Archivpädagoge am Staatsarchiv, stellt in zwei Aufsätzen seine Forschung zu „Strategien populärwissenschaftlichen Schreibens bei Ludwig und Alexander Büchner” unter dem Titel Vom „Od” zu „Kraft und Stoff” (SS 215 – 232) und – als Ergebnis persönlicher Erfahrungen – „Georg Büchner in China – ein Nachtrag zum Büchnerjahr” (SS 295 – 306) vor.

Unter „Buchbesprechungen und Hinweise” findet sich die Besprechung zur Georg Büchner Werkausgabe (2013 bei Lambert-Schneider) vom Vorsitzenden der Büchner-Gesellschaft, Matthias Gröbel (S. 411), noch einmal Thomas Lange, hier über Cordelia Scharpfs Luise Büchner-Biographie „Luise Büchner – eine evolutionäre Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts” (ersch. 2013 bei Peter Lang, S. 433) und zum Katalog der Darmstädter Georg Büchner-Ausstellung (Mathildenhöhe/Hatje Cantz 2013) vom früheren Staatsarchivleiter Eckhart G. Franz (S. 435).

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AhG 72/2014. S. 1 des Inhaltsverzeichnisses

 

Mit dem Aufsatz über die Büchner-Brüder in Tübingen setzt Thomas Lange seine Berichte über Leben und Werk der Brüder, besonders Alexanders, mit einem Blick auf die Vorgeschichte von Ludwig Büchners Welterfolg „Kraft und Stoff” fort. Ludwig Büchner war nach dem Ende der „Tollen Jahre” 1848/49 zunächst in Darmstadt in der Praxis des Vaters, später auf einer Art Lehr- und Wanderreisen in Würzburg und Wien unterwegs gewesen. Alexander hatte als Jurist und „Doktor beider Rechte” im Großherzogtum Hessen seinen „Access”, das Recht auf Ausübung des juristischen Berufes, verloren, weil seine Teilnahme an konspirativen Treffen der deutschen Revolutionäre, 1851 in London, verraten worden war.  Er entschied sich für ein zweites Studium, die Literaturwissenschaft. 1852 ließ sich Ludwig Büchner in Tübingen nieder, wo er als Privatdozent Vorlesungen halten konnte. 1853/54 lebten die beiden Brüder dort zusammen. Lange konnte allerdings Alexanders Aufenthalt in den örtlichen Akten nicht nachweisen, Ludwigs eingetragene Wohnung bis Ende September 1854 war in der Klinik, danach bis zum erzwungenen Weggang 1855 in der Wilhelmstraße 960 (heute hat die Tübinger Wilhelmstraße kaum 160 Hausnummern, hier liegt möglicherweise ein Übertragungsfehler vor. Vllt. 96?)

Hier entstand nicht nur eine Vielzahl von Artikeln, die die beiden den neuen „zahlreichen Zeitschriften, die wegen der staatlichen Zensur unpolitisch sein mussten, aber dennoch populär sein und und zugleich durch Bildung und Belehrung den Fortschritt befördern wollten” (Lange)  anboten, sondern auch Ludwig Büchners erste Buchveröffentlichung nach seiner Dissertation, „Das Od” und ein bisher unveröffentlichter Text Alexander Büchners.

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Im Mai 2011 habe ich hier über „Das Od” geschrieben, und als die Luise Büchner-Gesellschaft 2013 die Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek besuchte, hat Thomas Lange auch auf Alexander Büchners unveröffentlichtes Manuskript des Theaterstücks „Odisch-Magnetisch. Original-Posse in drei Akten“ aufmerksam gemacht.  Die Duplizität der Beschäftigung der beiden mit dem gleichen Thema – Ludwigs aus naturwissenschaftlicher Sicht, Alexander literarisch-polemisch – schildert Dr. Lange als „Gedankenklärung” auf „ … dem Weg zu der gemeinsamen Überzeugung, dass die Naturwissenschaft die neue Leitwissenschaft geworden war“.

Lange weist überzeugend nach, dass Ludwigs Büchners Kraft und Stoff, das Alexander mit den Worten „Der Titel allein ist Gold wert und jeder Verleger nimmt und bezahlt Dir das Buch unbesehn” begrüßt haben will, seine „selbstbewusste und attackierende Richtung” (Lange, S. 227) dem Einfluss Alexanders verdankt.  „In dem pointierten, z.T. sogar bissig zugespitzten Stil von Kraft und Stoff meint man den mit ungeheurem Selbstbewusstsein und provozierend 1849 und 1851 vor Gericht aufgetretenen Juristen Alexander Büchner wieder zu erkennen“ (S. 228). Zweifelsfrei hat Alexander Büchner am Vorwort zur dritten Ausgabe von Kraft und Stoff mitgewirkt, wo sich beide „zum populärwissenschaftlichen Schreiben” bekennen. Nicht nur Ludwig Büchner war also ein „Popularisierer” (ich habe ihn gelegentlich mit Hoimar von Ditfurth, später vor jüngeren Zuhörern auch mit Rangar Yogeshwar, unseren modernen „Welterklärern”, verglichen), sondern auch sein Bruder Alexander, der 1854 von der Tübinger Universität mit der Ablehnung seines Wunsches nach Habilitation die Quittung erhielt: „Gelenkigkeit des Zeitungsschreibers” heißt es vernichtend über seine „Geschichte der englischen Poesie”.

Ludwig Büchners soziale Utopie, die Alexander 50 Jahre später altersmilde „sehr hypothetisches Endziel” genannt hat, steht ohne Zweifel  in der „familiären revolutionären Tradition”, ebenso wie Alexanders publizistische Tätigkeit, über die er 1856 schreibt: „Nicht minder dankenswerth erscheint es uns, neben dem Leib auch die Analogien und Unterschiede des Geistes, wie er sich in der Dichtung offenbart, dem Unterschiede der Völker und der Jahrhunderte nach, aufzudecken, und die reichlichen Resultate der literaturhistorischen Forschungen der letzten Jahrzehnte von diesem Gesichtspunkt aus zu einem gemeinschaftlichen Bilde zu concentrieren”.

Den Lesenden überlässt es Thomas Lange, dem das Spekulieren fern liegt, die Antwort auf die mit Georg Büchners Leben stets verknüpfte Frage, wohin der Darmstädter Feuerkopf sich als Züricher Universitätsprofessor mit Arbeit und Auffassungen entwickelt hätte. Ein politischer Popularisierer Georg Büchner (bei allem Wissen um die Problematik des Begriffes in diesem Zusammenhang) hätte im 19. Jahrhundert jedenfalls noch weit einflussreicher werden können als der naturwissenschaftliche Ludwig und der literaturwissenschaftliche Alexander.

 

Anfang der 80er Jahre war Thomas Lange Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in der VR China und hat dort die erste Magisterarbeit eines Chinesen zu Georg Büchner betreut. Sein Bericht „Georg Büchner in China” über die Arbeit seines Studenten Huang Xiaolang, verknüpft mit der Schilderung der Lebens- und Arbeitsumstände eines (west)deutschen Lektors angesichts der präsenten Erinnerung an die Kulturrevolution, bietet einen interessanten Aspekt der internationalen Büchner-Rezeption, die er selbst mit der Bemerkung relativiert, dass ihm „wissenschaftliche Literatur in chinesischer Sprache nicht zugänglich ist”. Dennoch ist der Blick hinter die immer noch berghohe Mauer, die uns aus politischen, kulturellen und sprachlichen Gründen von China trennt, interessant und aufschlussreich. Büchners Werk erschien zwischen 1981 und 1986 in China in Auflagen von 13.000 („Dantons Tod”) und 2.200 („die übrigen Werke”). Es ist keine genaue Kenntnis vom chinesischen Buchmarkt erforderlich, um zu erkennen, wie klein diese Zahlen sind. Lange zählt andere deutsche Autoren und deren Erscheinen im Chinesischen zwar auf, nennt dort aber keine Auflagenzahlen mehr. Nach Gründung der Volksrepublik erschien zunächst als Übersetzung aus dem Deutschen, neben wenigen Klassikern wie Lessing, Schiller und Heine, ausschließlich DDR-Literatur; erst nach Maos Tod und dem Ende der Kulturrevolution kamen auch aktuelle westdeutsche Autoren dazu. Max Frisch (1975), Günter Grass (1979) und Adolf Muschg (1980) bereisten die Volksrepublik. Auf der Bühne hat China offenbar bis heute keinen „Danton” gesehen („ .. und das wird sich nach der Niederschlagung des Volksaufstandes auf dem Tienanmen in Beijing am 4. Juni 1989 wohl auch so schnell nicht ändern.” – Lange); während anlässlich der „Büchner-Jubiläen” 2012 „geradezu ein Woyzeck-Jahr“ in China wurde. „Woyzeck”, schließt Lange, „ist offensichtlich das Stück Georg Büchners, das am besten in die gegenwärtige literarische Stimmung in China passt. … Die Rezeption der Werke Georg Büchners in China in den letzten 30 Jahren erfolgte parallel zur rasanten Modernisierung des Landes; die thematischen Schwerpunkte verschoben sich von der politischen Revolution auf die soziale Anklage”.

 

Matthias Gröbel lobt in seiner kurzen Rezension die neue Büchner Werkausgabe, „weil mit ihr erstmals das in der gerade abgeschlossenen großen Marburger Büchner Ausgabe (MBA) deren Essenz erstmals preiswert erhältlich ist” (sic). „Die Herausgeber gehören auch zum harten Kern der Mitarbeiter an der MBA.” Besonders lobt Gröbel die 15-seitige Einleitung, die „den neuesten Stand der Büchner-Forschung” biete. Es handelt sich dabei laut dem Rezensenten um die Erkenntnis, „dass Büchner mit seinem Werk ganz in der Tradition der auf Lessing zurückgehenden Mitleidspoetik steht.“  Offenbar weniger zufrieden ist Gröbel allerdings mit den Illustrationen des opulenten Bandes (der Verlag annonciert „Edle Jubiläumsausgabe mit exklusiven Illustrationen”) durch den Berliner Benjamin Kniebe, der hier Einblick in sein künstlerisches Schaffen bietet. Gröbel ist doppelt zuzustimmen, wenn er schließt: „Dem sollte irgendwann eine preiswerte Gesamtausgabe folgen. Sie müsste nicht unbedingt illustriert sein”. Sie müsste sich, das soll ergänzt werden, auch nicht auf die Erkenntnis des harten Kerns der Mitarbeiter an der MBA beschränken.

 

Als „zweifellos gründlichste und umfassendste Monographie über Luise Büchner” lobt Thomas Lange Cordelia Scharpfs endlich überarbeitet ins Deutsche übersetzte Arbeit über Luise Büchner. Scharpfs Dissertation war  2008 bei Peter Lang auf englisch erschienen; 2013 konnte der hier besprochene Band erscheinen. Eine sorgfältige Chronologie zu Luise Büchners Leben fehlte bisher ebenso wie die gründliche und vieles erstmals verzeichnende über 60-seitige Bibliographie der Veröffentlichungen von und übere Luise Büchner. Einleuchtend erscheint Lange Scharpfs Vorgehen, anhand der Veränderungen in den vier zu Luise Büchners Lebzeiten erschienenen Auflagen von „Die Frauen und ihr Beruf“ zu zeigen, wie sich „ … Luise Büchner gegenüber der ersten Auflage von 1855 doch weit der neuen Möglichkeiten und Zielen der seither gewachsenen und organisierten Frauenbewegung geöffnet” habe. Luise, so schließt Lange seine Zusammenfassung, „wollte nicht, wie der von ihr bewunderte Bruder Georg, das Gesellschaftssystem aus den Angeln heben. … Sie folgte einem Mittelweg … ihr eigener Weg, den sie unter ihren Voraussetzungen und Bedingungen beschritt”.  Auch hier verzichtet Thomas Lange, wie schon im oben besprochenen Bericht über Ludwig und Alexander Büchner, auf die Spekulation, ob und wie lange auch ein gereifter Georg Büchner das System hätte aus den Angeln heben wollen.

 

Gleich mit dem ersten Attribut gibt Eckhart Franz deutlicher als dann in seiner Besprechung seine Distanz zum Ausstellungskatalog der Georg Büchner-Ausstellung zu verstehen: „pompös” nennt er das Werk, das in der Tat auf den ersten Blick Eindruck schindend auf den Betrachter wirkt. Kein Kommentar zu diesem Band kann darauf verzichten, die gewählte „künstlerische” Gestaltung, den Band durchweg mit auf dem Kopf stehenden Illustrationen auszustatten, kritisch zu betrachten. Franz beschränkt sich auf die Bemerkung „ … es wäre zweifelsohne `benutzerfreundlicher´ gewesen, wenn man das eindrucksvolle Opus (sic – pb) in Text- und Bildband aufgespalten hätte.” Bei der Aufzählung der Textbeiträge im Band, die  „ … zu erheblichen Teilen vom Leiter der Georg Büchner-Forschungsstelle in Marburg Prof. Burkhard Dedner und seinen Mitarbeitern Tim Fischer und Anne Maximiliane Jäger-Gogol bestritten werden (die sich vielfach hinter  ihren nicht aufgelösten Initialen verstecken)” verzichtet Franz auf jede Wertung, die beigegebenen Originalzitate nennt er abschließend „ … vielfältige Anregungen also“.
Dem Archiv für hessische Geschichte hätte es gut angestanden, hier einen Rezensenten zu beauftragen, der dem Gegenstand gegenüber weniger befangen ist. Immerhin gehörte Professor Franz zu den Autoren des ersten Kataloges einer großen Büchnerausstellung, dem immer noch sowohl für die wissenschaftliche Leistung wie für die buchkünstlerische Ausstattung Massstäbe setzenden von 1987. Dass dessen Vorgabe 2012 nicht nur nicht erreicht, sondern weit verfehlt wurde, weiß Eckhart Franz wohl nur zu genau.

 

SPeterBrunner

von Peter Brunner

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