Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Rezension (Seite 5 von 5)

Stumpfer Spass

„Ich hab schon einmal gesagt, dass mich die vielen Darmstadt-Krimis eigentlich anöden und ich nicht verstehen kann, warum man scheinbar nur dann einen Roman über Darmstadt veröffentlichen kann, wenn man gleich am Anfang irgendwen abmurkst. … Jetzt ist aber mit „Scharfes Glas“ von Werner Münchow ein Darmstadt-Krimi erschienen, der zumindest auf den ersten Blick besser und interessanter erscheint. Das Echo schreibt hier darüber.“

So macht sich am 7.12. Jörg Heléne in seinem Blog Gedanken und fragt am Ende: „falls es irgendwer kauft bzw. gelesen hat, kann er/sie ja mal bescheid geben.“

Nach diesem nachdrücklichen Hinweis blieb mir ja gar nichts anderes mehr übrig, und während der Feiertage hab ich ´s dann gelesen. Ich bin kein besonders kenntnisreicher Krimileser, auch die gelobten historischen Kriminalromane von Marek Krajewski aus dem Breslau der zwanziger und dreißiger Jahre habe ich (noch) nicht gelesen. Krajewski, dessen Authentizität immer wieder gelobt wird, schreibt über eine Zeit, aus der noch Augenzeugen leben – und vor zwanzig Jahren konnte der 1966 in Wrocław geborene Autor sicher so viel von der Geschichte seiner Heimatstadt erfahren wie beispielsweise der Autor dieser Zeilen von seiner 1922 geborenen Mutter über das Darmstadt der dreißiger und vierziger Jahre. Münchow schreibt über Darmstadt 1833 – trotzdem war das meine erste Assoziation und zugleich Befürchtung: 1833 ist halt ein bisschen länger her…

Als wir in Pfungstadt begannen, „Eine Stadt schreibt ein Buch“ auf die Beine zu stellen, aus dem dann ja unser Krimi „Kirschen rot – Spargel tot“ entstand, hieß der erste Hinweis im workshop, den uns Heiner Boehncke als „Coach“ der Aktion gab: „versucht Euch nicht an historischen Stoffen – der Recherche-Aufwand wird Euch überrollen!“

So gewarnt habe ich weiter gelesen, als ein Kommissar aus Berlin als Ratgeber nach Darmstadt kommt (Münchow kommentiert das in den Anmerkungen als möglich, weil es ja verwandt­schaft­liche Beziehungen zwischen Preußen und Hessen-Darmstadt gab), auch, dass die Darmstädter Polizei zu dumm war, einen Tatort nachts mit mehr als einer Kerze zu beleuchten und dass der Kommissar im höchsten Biedermeier einer ihm bis dahin völlig unbekannten Schauspielerin überraschend nahe kommt, ja sie mehrfach alleine in deren Wohnung besucht, habe ich beim Lesen als nicht unmöglich akzeptiert.

In Wikipedia habe ich mich dann darüber informiert, dass das Cello bis etwa 1850 ohne „Stachel“ (so heißt der Spieß, auf dem das Instrument steht) „wie die Gambe mit den Beinen gehalten wurde“ (bei Münchow spielt dieser offenbar ultramoderne Stachel eine wichtige Rolle…). Dass in Darm­städt­er Gasthäusern vor der schrecklichen Reblauskatastrophe (1874 erstmals in Deutsch­land..) harmlosen Ausländern Apfelwein angeboten wurde, ist allerdings kaum zu glauben. Stattdessen hätte der Autor zum Beispiel den von Goethe so geliebten „Elfer“ unterbringen können, von dem sicher noch ein paar Flaschen in Darmstadt lagen. Einen Georg Büchner schließlich, der in der Bibliothek ausgerechnet einen preußischen Kommissar antimonarchisch agitiert, während dieser ihn später vor drohender Verfolgung warnt – den will ich mir weder vorstellen noch über ihn lesen.

Ja, dieser Krimi aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in Darmstadt hat wunderbare Motive, Merck und Büchner Vater und Sohn sind großartige Figuren (und für einen neuen Versuch wüsste ich kaum, welche/r Büchner weniger als die/der andere …), das Niebergall´sche Lokalkolorit lässt durchaus (Theater-)Bilder vor dem inneren Augen erstehen, „Glasharfe“ und „Strychnin“ sind schöne, ordentlich recherchierte Details, die Großherzöge hatten wirklich unterschiedliche Ambitionen, was das Geld ausgeben anging, – aber riechen, schmecken, klingen tut die Welt dieses Krimis leider nicht.

Heiner Boehncke hat recht: schon ein einziger historischer Patzer kann den ganzen Spaß verderben, und leider ist es bei Münchow nicht bei einem geblieben…

 

Werner Münchow: Scharfes Glas. Ein Krimi mit Datterich.
Frankfurt. Societäts-Verlag. 2010. EAN 978-3797312303.
215 S. 14,80 €

Auch Wilhelm Büchner hieß Ludwig

In den letzten Monaten sind zwei Publikationen erschienen, die sich mit Wilhelm Büchners Zeit vor 1845, dem Beginn seiner Arbeit in Pfungstadt, beschäftigen.


 Wilhelm Buechner als Student

 

Wilhelm Büchner als Student

Aus Familienbesitz. Repro: Peter Brunner  

 

 Ludwig Fertig hat im 42. Band der „Geschichtsblätter Kreis Bergstraße“ (2009, SS. 70 – 80) über den „Bildungsgang des Zwingenberger Apothekerlehrlings Wilhelm Büchner“ geschrieben, und der Mainzer Manfred Penning schreibt in „Mainz – Vierteljahresheft für Kultur, Politik, Wirtschaft, Geschichte“ (Heft 1/2010, SS. 33 – 42) über „Schellack in Mainz“.

 Fertig stellt zunächst andere Größen vor, die sich „mit den studia humaniora schwer taten und die man nicht zu einem Handwerker geben wollte“: Theodor Fontane gehört zu ihnen und Justus Liebig, der am „Pädagog“ in Darmstadt ebenso scheiterte wie Wilhelm Büchner (Liebig war allerdings nicht nur ein schlechter Schüler, sondern hatte auch noch ein illegales Feuerwerk abgebrannt). Sein Vater, selbst Drogist und Farbenhändler, förderte dann seine Ausbildung zum Apotheker in Heppenheim, wo er aber wieder keinen Abschluss erwerben konnte, weil ein privates Experiment mit „Knallsilber“ das Apothekengebäude in Mitleidenschaft zog und seine Lehrzeit beendete. Bekanntlich kam er dann durch die besondere Gunst des Großherzogs, der auf ihn aufmerksam geworden war, zum Chemiestudium, zunächst in Bonn.

 Von Wilhelm Büchner, der sechzehnjährig das Pädagog verließ, wissen wir aus einem schönen Brief an den Bruder Georg, dass er, nachdem er die Schule verließ, an Vorlesungen teilnahm, die eine Gruppe von Darmstädter Wissenschaftlern auf dem Hofgut Kranichstein abhielt. Fertig verweist zu Recht auf diese bemerkenswerte Einrichtung „nicht institutionalisierter Weiterbildung“, die später eine der Grundlagen für die „höhere Gewerbeschule“ war, wo dann auch der Bruder Ludwig Büchner 1842 zwischen Schule und Universität seine berufliche und wissenschaftliche Orientierung fand. Wilhelm war offenbar auf der Suche nach dem richtigen Weg – „morgens gehe ich noch in die Apotheke“ schreibt er im erwähnten Brief. Wilhelms Enkel Anton und der Verfasser haben in ihren Arbeiten über Wilhelm diese Tätigkeit in einer Darmstädter Apotheke zu Unrecht eine „Lehre“ genannt – der vielleicht passendere Ausdruck „Praktikum“ verbietet sich allerdings für das Jahr 1831. Unbestritten ist Wilhelms Ausbildung bei dem bedeutenden Pharmazeuten Winckler in der Zwingenberger Hofapotheke am Marktplatz (dem heutigen Café „Schoko und Wein“), die er im November 1834 abschloss. Bis auf den Besuch des Bruders Georg zusammen mit dem Hugenottenforscher Alexis Muston, die im Oktober 1833 auf einer Odenwaldwanderung vorbeikommen, haben wir keine Berichte über Wilhelms Leben in der Lehre. 1835 ist er dann in der Butzbacher Apotheke Georg Seyfrieds angestellt, bis er sich im Wintersemester 1836/37 in Heidelberg zum Studium der Pharmazie immatrikuliert, 1837 kann er schließlich nach einem Briefwechsel seines Vaters mit Justus Liebig bei diesem in Gießen sein Studium fortsetzen. Am 23. März 1838 bescheinigt Liebig dann, Wilhelm habe sich „… stets durch unausgesetzten Fleiß und regen Eifer ausgezeichnet“.

 Ludwig Fertig hat im Koblenzer Bundesarchiv Unterlagen gefunden, die seinen Aufsatz zu einer kleinen Sensation machen: dort liegt der Nachlass des Gießener Universitätskanzlers von Linde, und darin ein Steckbrief für einen „Louis Büchner“: „.. sechs Fuß fünf Zoll groß, blond mit blauen Augen, großer Nase und `gewöhnlichem´ Mund, guten Zähnen, frischen Lippen und frischer Gesichtsfarbe, mit spitzem Kinn und länglichem Gesichtsumriss, von kleiner Statur, mit Schnurr- und Knebelbart“. Ohne Zweifel ist dieser „Louis“ unser Wilhelm, der ja wie seine beiden Brüder Ludwig und Alexander auch auf den fürstlichen Darmstädter Vornamen getauft war. Das schöne Bild des jugendlichen Wilhelm in der Pelerine, das bis heute bei seiner Familie aufbewahrt wird und uns erst seit kurzem in Farbe bekannt wurde, zeigt ihn ja (bis auf den „Knebelbart“…) genau so.

 Und dann findet Fertig in der Gießener „Zusammenstellung der … erkannten Strafen“ von 1838 auch noch eine immerhin sechstägige Karzerstrafe für diesen „Louis“, der dann auch noch am 23. März für „thätliche Beleidigung eines Polizeisoldaten“ mit dem „Consilium abeundi“, dem Universitätsverweis, für ein ganzes Jahr bestraft wurde. Zu Recht fragt sich der Autor, ob dies das unfreiwillige Ende einer Forscherkarriere war, die uns bisher doch als strikt auf das Leben eines Unternehmers und Politikers ausgerichtet schien. Immerhin findet sich noch in der Liebig-Biographie Adolph Kohuts von 1904 im illustren Kreis der bedeutenden Liebig-Schüler (unter ihnen Fresenius, Kekulé, Erlenmeyer, Pettenkofer, Muspratt und Sokoloff) auch unser Wilhelm Büchner. Wilhelm Büchner hat sich jedenfalls nach seiner Gießener Zeit – und jetzt müssen wir sagen: vielleicht notgedrungen – zunächst in der Waschküche des elterlichen Hauses in der Darmstädter Grafenstraße als Fabrikant für „gebleichten Schellack“ niedergelassen.

 Auf die folgende Lebenszeit Büchners als Darmstädter Unternehmer wirft der zweite hier besprochene Aufsatz ein neues Licht, und auch hier finden sich wieder überraschende Anknüpfungspunkte. Das erste gefährliche Experiment Justus Liebigs nämlich, von dem wir wissen, war der Eingriff in die Schellack-Bereitung seines Vaters: Liebig öffnete eine verschlossene „Blase“, in der der Lack über Spiritus erhitzt wurde, und „.. sprühend fliegt die heiße Masse aufwärts und auseinander, Haare, Kleider sind vom Schellack überzogen, zum Glück fängt der Spiritus nirgends Feuer, und der Knabe kommt mit einigen Brandwunden davon, während er unrettbar verloren gewesen wäre, wenn der Schellack sich entzündet hätte“.

 Ausführlich erläutert Penning dieses natürliche Harz („… das harzartige Sekret des winzigen parasitischen Insekts Kerria Lacca, das auf verschiedenen Bäumen und Sträuchern in Indien … heimisch ist“) und seine Verwendung als Lack. Durch die in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte Technik, ihm durch Bleichen die gelbliche bis orangerote Farbe auszutreiben, wurden zahlreiche neue Verwendungen möglich. Wilhelms unternehmerische Tätigkeit beginnt ja nun gerade mit dem Verkauf von „gebleichtem Schellack“, den die kleine Firma Büchner und Wilkens in Darmstadt „wohl als der erste Produzent … in Deutschland“ anbot, und offenbar war er damit so erfolgreich, dass er 1842 auf der ersten Allgemeinen Deutschen Industrieausstellung des Gewerbevereins für das Großherzogtum Hessen im Mainzer „Deutschhaus“ ausstellte.

 Dort traf er auf den Mainzer Carl Ludwig Marx, der seit 1834 in einer kleine Fabrik im Römerthal bei Zahlbach (einer früher selbständigen Gemeinde zwischen Mainz und Bretzenheim) Lacke produzierte. Marx gehörte zur Ausstellungskommission. Leider hat Manfred Penning nicht im einzelnen ausgeführt, welche Kontakte zwischen Marx und Büchner „zu einer technischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Bleichens von Schellack…“ führten, aber offenbar begann Marx „…mit den von Büchner übernommenen Kenntnissen“ um 1845 mit dem Bleichen von Schellack im industriellen Maßstab, während Büchner dies mit der Gründung der Pfungstädter Blaufabrik um gleichen Jahr beendete.

 Die später sehr bedeutende Lackproduktion in Mainz, die Penning ausführlich vorstellt, hatte also einen uns wohlbekannten Paten: Wilhelm Büchner.

 Mittlerweile hat Penning seine Arbeit um einen zweiten Teil zur Lackproduktion erweitert („Mainz“ 2/2010), ein dritter Teil mit Schwerpunkt auf Verwendung von Schellack für Schallplatten ist für den Herbst angekündigt.

 

 

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