Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Büchnerpreis

Antje Schrupp bekam den Luise Büchner-Preis für Publizistik

Die Jury begründete die Verleihung:

„Sich anvertrauen“ – Affidamento, die feministische Parole der italienischen Philosophinnengruppe Diotima, brachte die promovierte Politikwissenschaftlerin, Journalistin, Autorin und Übersetzerin Antje Schrupp zum Feminismus. Für sie ist nicht die Gleichheit von Frauen und Frausein entscheidend, sondern gerade ihre Verschiedenheit. Antje Schrupps Überzeugung „Dem eigenen Begehren folgen“ verlangt, das eigene Frausein in Auseinandersetzung mit anderen Frauen neu zu
bestimmen. So stehen die (authentischen) Beziehungen und Netzwerke von Frauen im Mittelpunkt ihrer Politik und ihrer Freiheit; der Parteienpolitik und dem Parlamentarismus obliegt hingegen die Aufgabe, die Voraussetzungen für freie Entscheidungen zu schaffen. Die Luise Büchner-Gesellschaft zeichnet mit dem Luise-Büchner-Preis 2025 eine engagierte Publizistin aus, die sich für das Begehren der Frauen einsetzt, historische Bezüge erläutert und zu aktuellen Themen klar Stellung bezieht. Antje Schrupp nimmt auf der Basis „der Liebe der Frauen zur Freiheit und zur Welt“ teil am öffentlichen Diskurs, ist produktiv mit Podcast, Blog und Postings, wissenschaftlichen Artikeln und Buchveröffentlichungen. Mit Luise Büchner verbindet sie die Offenheit gegenüber Veränderungen, die Bereitschaft,
Überkommenes in Frage zu stellen und Neues zu versuchen.“

Aus der Dankesrede:

“ …
als wir in den 80er-Jahren Politikwissenschaft studiert haben, haben wir Männerpolitikwissenschaft studiert plus Hannah Arendt. Hannah Arendt gab es damals schon, aber das war die einzige Frau, die vorkam. Und ich fand diese Frauenliteratur, diese Frauenbuchlinien, für mich war das eine Erleuchtung zu sehen, wow, es gibt so viele Frauen, die Bücher geschrieben haben, auf die ich mich beziehen kann, die manchmal auch völligen Quatsch erzählt haben.

Aber allein, dass es diese Auswahl gab, auf die ich mich beziehen konnte, hat mich elektrifiziert, aber meine männlichen Kommilitonen nicht. Und ich glaube, das liegt nicht daran, dass sie uninteressiert sind, sondern ich glaube, es liegt daran, dass sie nicht vermuten, dass Frauen etwas zu sagen haben, was sie nicht auch selber sagen können. Ich glaube, wenn sie sagen, es ist doch egal, ob ein Buch von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurde, dann glauben die das wirklich, es ist egal. … 

Und tatsächlich versuche ich die ganze Zeit zu vermitteln, dass es nicht egal ist, aber es ist nicht so leicht, wenn wir jetzt nicht zu so banalen Sachen kommen wollen, wie Frauen sind besser als Männer und so weiter, was ja alles nicht stimmt. Aber diese andere Qualität, die es hat, wenn man aus verschiedenen Perspektiven denkt, die müssten wir irgendwie in die Welt bringen, aber ehrlich gesagt, ich habe es auch keine Lust mehr, es den Männern hinterherzutragen. Das habe ich auch gelernt bei meinen Vorträgen. …“ 

Grußworte sprachen 

die Vorsitzende de Luise Büchner-Gesellschaft, Bettina Bergstadt (links)

“ … Wie die Zweier-WG, wie wir es heute sagen würden, der Büchner-Schwestern, ist die Luise-Büchner-Gesellschaft auch nach 15 Jahren ein Raum, ein kleiner, aber feiner Raum, in dem unterschiedliche Frauen aus ihren Büchern lesen, Vorträge halten, in dem wir alle ins Gespräch kommen, uns anvertrauen. In einer Zeit, in der es um die Frauen- und Menschenrechte noch nicht zum Besten steht. … „

der Darmstädter Oberbürgermeister Hanno Benz (Mitte)

“ … Sehr geehrte Frau Bergstedt, sehr geehrte Frau Förster, ich will Ihnen auch nochmal danken, dass Sie auch in diesem Jahr wieder die Verleihung des Preises ermöglicht haben, sich mit Ihrer Arbeit und Ihrem Engagement an Luise Büchner erinnern und das auch hier in die heutige Zeit übertragen und übersetzen. Und wir tun als Wissenschaftsstadt es gerne, Sie dabei zu unterstützen. Im gemeinsamen Kampf gegen Demokratiefeinde, autoritäre Strömungen und extremistische Positionen sind alle gesellschaftlichen Kräfte gefragt. Und ich kann Ihnen versichern, Sie haben hierbei auch die Wissenschaftsstadt Darmstadt an Ihrer Seite. …“ 

und die Vorsitzende des Lions Club Louise (!) Büchner, Darmstadt, Marie-Christine Förster (rechts)

“ …
Wenn wir heute Ihren Namen, Antje Schrupp, neben den von Luise Büchner stellen, dann ehren wir zwei Stimmen, die denselben Grundgedanken teilen. Freiheit ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Verantwortung. Für uns Lions ist dieses Verständnis von Verantwortung zentral. Es prägt unser gemeinschaftliches Wirken. Freiheit ist kein Zustand, sondern ein Weg. Ein Weg, der von Haltung, Mut und Menschlichkeit getragen wird. …“

Die  Laudatio hielt Dorothee Markert:

“ … Sie reist herum, obwohl die Bahn es ihr in letzter Zeit immer mehr erschwert, hält Vorträge, führt Diskussionen und meldet sich auf viele andere Weisen und an ganz unterschiedlichen Orten öffentlich zu Wort. Ich habe immer wieder Antjes Geduld und Ausdauer bewundert, mit der sie sich bemühte, anderen Menschen dieses andere feministische Denken, das Denken der Geschlechterdifferenz zu vermitteln. Und dabei lernte sie überall Menschen kennen, in ganz unterschiedlichen Kontexten. So entstanden an vielen Orten neue politische Freundschaften, die die Bereitschaft, sich für Neues zu öffnen, erleichterten. Und das galt natürlich für beide Seiten, denn auch Antjes Schrupp war und ist ja bereit, anderen zuzuhören und immer auch damit zu rechnen, dass diese sie mit einem Gedanken oder einer Position, die ihr zunächst fremd waren, überzeugen könnten. … Antje Schrupp schreibt dagegen am Ende ihres zuletzt erschienenen Buches unter allen Umständen frei, wir könnten aus dem Beispiel der drei Aktivistinnen, von denen das Buch handelt, auch Hoffnung schöpfen. Zitat, Gesetze und Institutionen, die sich geschlechtlicher und sexueller Freiheit verschrieben haben, können leicht wieder abgeschafft werden. Was sich aber nicht so leicht ändern lässt, ist das Bewusstsein über die Würde und die Freiheit von Frauen, das eine unermüdliche feministische Kulturarbeit im Wissen der Gesellschaft verankert hat. Diese tiefe Überzeugung lässt sich nicht mit einem autoritären Federstrich ausradieren. Sie lässt sich nicht ausmerzen, indem man ihr staatliche Finanzierung entzieht. Sie ist das, worauf sich die Freiheit der Frauen und letztlich die Freiheit aller Menschen gründet. …“ 

 

In Büchners Welt senden wir am Donnerstag, dem 27. November 2025, um 17 Uhr, den neuen podcast auf RadioDarmstadt – diesmal mit einem ausführlichen Bericht von der Preisverleihung. 
Kurz danach findet sich die Sendung als podcast hier und in allen gängigen podcast-Portalen. 

Verbindung der Kunst mit dem republikanischen Volksstaat

Im neuesten „Gelurt“, Odenwälder Jahrbuch , hat Ludwig Fertig einen Aufsatz zum ersten Büchnerpreisträger Adam Karillon veröffentlicht.

Es ist fast in Vergessenheit geraten, dass der Büchnerpreis bereits seit 1923 vergeben wird, nicht zuletzt, weil er nach dem Faschismus eine andere Form und Trägerschaft bekam. Bis vor einigen Jahren hat die heute federführende Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung auf jeden Hinweis darauf verzichtet, heute schreibt sie immerhin „Der Georg-Büchner-Preis wurde zum ersten Mal am 11. August 1923 verliehen. Er war vom damaligen Volksstaat Hessen gestiftet und in der Landeshauptstadt Darmstadt übergeben worden. Er wurde an Dichter, Künstler, Schauspieler und Sänger verliehen.“

Fertig schildert in „Politisierung der Erzählprosa“ die Geschichte der Einsetzung des Preises und des ersten Preisträgers als Kompromiss – war Karillon selbst zunächst sogar als Namensgeber des Preises vorgeschlagen, wurde er schließlich als eher konservativer Autor ein Preisträger, dem selbst der stramme Antisemit Ferdinand Werner, der für die Deutschnationalen im Hessischen Landtag saß, zustimmte.

Was die Familie Büchner angeht, so erwähnt Fertig, dass Ludwig Büchner einigen Anteil am literarische Erfolg Karillons hatte – er veröffentlichte 1897 eine Besprechung von Karillons Erstling „Eine moderne Kreuzfahrt“ und „verhalf ihm zum Durchbruch auf dem Literaturmarkt“ (Fertig).

Auch Anton Büchners Auftritt vor der ersten Aufführung des Woyzeck in Darmstadt am 24.9.1919 erwähnt er.

Ein dritter Büchnerverwandter, Sohn Ludwig Büchners und Cousin von Anton, hieß Georg wie sein bedeutender Onkel. Ihn erwähnt Fertig nicht, obwohl er zum Zeitpunkt der Einsetzung des Preises nicht nur „geschäftsführender Direktor“ in der Darmstädter Maschinenbaufabrik seines Schwiegervaters Schenk und „Vorsitzender des Verbandes der Metallindustriellen und des Bundes der Arbeitgeberverbände in Hessen und Hessen-Nassau. Auf Reichsebene war er Vorstandsmitglied des Gesamtverbandes Deutscher Metallindustrieller und des Deutschen Fördermittel- und Großwaagenverbandes“ war, sondern auch Abgeordneter der DDP im Hessischen Landtag, also der Partei, die den Antrag auf Einsetzung des Büchnerpreises stellte.

Grabstein Georg Büchners, seiner Frau und Tochter auf dem Grab seines Vaters Ludwig.
Die drei starben bei der Zerstörung Darmstadts

Die Rede im Landtag zur Einsetzung des Preises hielt am 8. August 1922 der DDP-Abgeordnete Julius Reiber. Er schloß „Die Bezeichnung des Preises als Georg-Büchner-Preis bedarf keiner weiteren Begründung“. Für Reiber ging es um „eine Verbindung der Kunst mit dem republikanischen Volksstaat“ .

Karillons Kunst und Bedeutung sind von den Zeiten überholt – dass ihn der Nazi Werner zum achtzigsten Geburtstag ehrte und Gratulationen einiger weiterer NS-Größen eingingen, stellt Fertig zu Recht in den Zusammenhang seiner geschwundenen literarischen Anerkennung: „Das Lesepublikum war andere Literatur als Heimatkunst gewohnt: … 1929 erschien z. B. Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und Döblins Berlin Alexanderplatz. Karillon war Geschichte“. Karillon starb 1938 in Wiesbaden.

Bedeutendere als er erhielten den hessischen Kulturpreis – so 1929 Carl Zuckmayer oder, nach der Befreiung noch einmal als Landespreis, 1947 Anna Seghers und 1950 Elisabeth Langgässer.

In Kürze wird die Bekanntgabe der diesjährigen Preisträgerin des Büchnerpreises erfolgen – die Verbindung der Kunst mit dem Republikanischen ist auch dem neuen Büchnerpreis nach 1950 mit einigen Verleihungen gelungen. Ich wünsche mir das auch für 2020.

Peter Brunner

von Peter Brunner