Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Büchner (Seite 35 von 45)

„ … daß die literarisch-ästhetische Ausbildung … häufig nicht die richtigen Früchte trägt“

Luise Büchner hatte zum Thema Frauen und Ästhetik eine auf den ersten Blick überraschende Haltung. Sie wehrt sich nämlich – zu Recht – gegen die Abschiebung der Frauen auf das Spielfeld Kunst im Gegensatz zur Teilhabe am Erwerbsleben. Daher schreibt sie in einem Kommentar zur „Conferenz über das mittlere und höhere Mädchenschulwesen“ des preußischen Unterrichtsministeriums von 1873:

 

… Ich meine, dass das „Aesthetische“ bei der Mädchenschule wieder viel zu sehr in den Vordergrund gerückt ist. Wie es mir scheint, muß das Gefühl für das Schöne und das Gute ein Resultat des ganzen Unterrichts sein, es muß aber nicht besonders darauf hingearbeitet werden durch eine vorwiegende Pflege der Literatur, in einem Alter, wo das ernste Erlernen nützlicher Kenntnisse noch sehr am Platze ist.

Diese aesthetische Bildung vor der Zeit treibt Zweige ohne Saft und Kraft; wir machen z.B. bei den Damen-Lyzeen, welche doch die Schulbildung weiter führen und vertiefen sollen, allgemein die Erfahrung, dass sich die jüngeren Mädchen zu den Literaturvorlesungen drängen, dagegen an andern ebenso interessanten Fächern, wie Geschichte, Naturwissenschaft u. s. w., vorübergehen, weil ihnen zu deren Verständniß die gediegene Vorbildung fehlt, das Interesse dafür nicht richtig erweckt ist. Bemerken wir noch dabei, wie viel junge Damen es giebt, welche kaum rasch und gewandt etwas zu Papier zu bringen vermögen, und die später bei der Wahl ihrer Lectüre den schlechtesten Geschmack an den Tag legen, so muss man sich sagen, daß die literarisch-ästhetische Ausbildung, welche nach Ansicht vieler Pädagogen das ethisch entwickelnde Moment in der weiblichen Erziehung sein soll, häufig nicht die richtigen Früchte trägt.“

 Luise Büchner. Die Frau. Hinterlassene Aufsätze, Abhandlungen und Berichte zur Frauenfrage. Halle, Gesenius, 1878. S. 46 „Der höhere weibliche Unterricht… “

 

 

Dennoch und aus vielen guten Gründen zeigen die Luise-Büchner-Gesellschaft und das Darmstädter Kunstarchiv – übrigens ohne jede Spekulation über Provenienz, Datierung, Gegenstand und Authentizität – in den nächsten Monaten eine gemeinsame Ausstellung zum gemeinsamen Interesse:

 

„Der Weibliche Blick“ – Vergessene und verschollene Künstlerinnen in Darmstadt 1880 – 1930

Ist die Sicht der Frauen auf die Welt eine gänzlich andere als die ihrer männlichen Kollegen? Unsere Ausstellung spürt dem  „weiblichen Blick“ anhand von 35 spannenden KünstlerinnenLebensläufen nach. Alle beteiligten Künstlerinnen lebten und arbeiteten mehr oder weniger erfolgreich zwischen 1880 und 1930 in Darmstadt und der Region. Viele von ihnen wurden in Darmstadt geboren, andere zogen für eine kurze Zeit in die Stadt des Jugendstils, und wieder andere ließen sich erst in reiferen Jahren in Darmstadt nieder. Durchweg alle waren beseelt von dem Wunsch, Kunst zu schaffen, studierten in Paris oder anderswo, gründeten Malschulen und Künstlerinnenvereinigungen. Es forderte den Frauen in der damaligen Zeit eine besondere Entschlossenheit und Stehvermögen ab, sich neben ihren männlichen Kollegen zwischen Haushalt und Mutterrolle im Kunstmarkt zu behaupten. Die Qualität der „weiblichen Kunst“ ist der „männlichen“ ebenbürtig, ihr technisches Können souverän und ihre künstlerische Leistung überragend. Ihre Werke aber hängen nicht in den Ausstellungsräumen der Museen, sondern führen ein Schattendasein in den Depots und Archiven. Künstlerinnen sind zu Unrecht Verschollene und Vergessene der Kunstgeschichte. Es ist Zeit, sie nach rund hundert Jahren auszugraben, ihre Werke angemessenen zu würdigen und neu zu sehen mit dem „richtigen“ Blick.

Im Treppenhaus zeigen wir fotografische Blicke in die Ateliers der Künstlerinnen.

Zur Ausstellung, die von der Luise-Büchner-Gesellschaft gemeinsam mit dem Kunst Archiv Darmstadt veranstaltet wird, erscheint ein umfangreiches, reich bebildertes Katalogbuch. 

Hier findet sich der Flyer zu Ausstellung als pdf-Datei mit weiteren Informationen.

 

„Die Schwierigkeiten schuf der Widerstand einer männlich geprägten Welt von Kunstschaffenden und Kunstkritik gegen das aufkeimende Selbstbewusstsein der „unleidigen Zwitterwesen“ oder „Malweiber“, wie die Künstlerinnen in der Presse genannt wurden.“ schreibt Anette Krämer-Alig hier in ihrer Vorabbesprechung im Darmstädter Echo.

 

Besonders herzlich eingeladen wird zur

 

Eröffnung:
Sonntag, 23. Juni 2013, um 11 Uhr

im Darmstädter Literaturhaus, Kasinostraße 3

Es sprechen:
Oberbürgermeister Jochen Partsch, Agnes Schmidt und Claus K. Netuschil

Christiane Lüder spielt auf dem Akkordeon Musik um die Jahrhundertwende.

 

Gewogen und viel leicht gefunden

Die Aufregung um das möglicherweise neue Bild von Georg Büchner reißt nicht ab.

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Teils öffentlich (R. Pabst in der FAZ, Hermann Kurzke im Gelnhäuser Tageblatt, leider online nicht verfügbar), teils im Briefwechsel (J.-C. Hauschild, Henri Poschmann), haben mittlerweile vier sehr unterschiedliche Forscher Zweifel an der Zuordnung geäußert.

Unter den polemischen Bezeichnungen für den Abgebildeten, die mich amüsiert haben, war „Zampano“ (als Anspielung auf die zitierte Oper) natürlich einer Steilvorlage folgend; Henri Poschmanns „Das Phantom, das aus der Oper kam“ lohnt alleine schon fast die ganze Auseinandersetzung!

Abgesehen von der persönlichen Einschätzung Georg Büchners, zu der aus vielerlei Gründen eine Inszenierung als Pirat mit Liebesbrief einfach nicht passen will, wird als Begründung von Zweifel oder Ablehnung genannt:

– es gibt keinen Beleg dafür, dass der Maler August Hoffmann und Georg Büchner 1833 zur gleichen Zeit in Darmstadt waren;

– das Bild ist signiert und datiert, aber nicht betitelt. Es kann einen beliebigen anderen jungen Mann darstellen.

– die insbesonderen von den Professoren Oesterle und Borgards postulierte Ähnlichkeit, bis hin zu der technischen Überblendung der beiden Bilder, hat objektiv keine Beweiskraft. Dies um so weniger, als Georgs Bruder Wilhelm ihm unbestritten sehr ähnlich sah.

– das überlieferte Bild von Georg Büchner, das August Hoffmann malte und das 1944 in Darmstadt verbrannte, ist nur in mäßigen Kopien bekannt. Die am weitesten verbreitete  ist eine Reprografie aus den 30er Jahren. R. Pabst erinnert: „Das Gesicht Büchners wirkt darauf „breit und leichenhaft aufgeschwemmt, weil es die Struktur seiner dem Betrachter zugewendeten Hälfte verloren hat“ (so Thomas Michael Mayer bereits 1987)“. Das mache es kaum möglich, von der Kopie auf ein anderes Original zu schließen.

Ich möchte den Argumenten noch hinzufügen:

– Georg Büchners Werk wimmelt von Textübernahmen. Nicht nur der „Lenz“, auch alle anderen Werke strotzen vor genial konstruierten Zitaten. Und ausgerechnet einen Operntext, den er so schätzte, dass er damit seine Liebste grüßen wollte (das ist Professoer Oesterles Theorie für den merkwürdigen Operntext, den der vorgebliche Georg auf dem neuen Bild in Händen hält), hätte er nirgendwo sonst erwähnt haben sollen?  Wenn ein Mädchen mir gefällt, Da hilft kein Widerstreben, Die mein Herz sich hat erwählt, Die muß sich mir ergeben“ – warum ist das nicht zum Beispiel das Auftrittsmotiv des Tambourmajors im Woyzeck geworden?

– kaum zu erklären scheint mir auch, warum das Bild im Besitz des Malers geblieben sein sollte. Wenn es als Liebesgabe für Minna gedacht war – warum erhielt sie es nicht? Selbst wenn tatsächlich die einsetzende Verfolgung der Landboten-Aktivisten eine Übergabe nicht mehr möglich machte – hätte Hoffmann nicht jahrelange Gelegenheit gehabt, es Minna als „trauernder Witwe“ oder den ebenso trauernden Eltern oder Geschwistern anzubieten?

 

Ich hatte am Wochenende die Gelegenheit, zwei Bilder, die sich bis heute im Familienbesitz von Nachfahren der Familie befinden,  gründlich anzusehen und neue Scans anzufertigen:

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– das Portrait Wilhelm Büchners „im Paletot“, ein farbiges Aquarell, gezeichnet „L. Becker 1838″

und

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– eine Fotografie des unbestrittenen Georg-Büchner-Portraits von August Hoffmann, gefertigt 1913 von Wilhelm Büchners Sohn Ernst. 

Während das Aquarell bestens erhalten ist, hat die Fotografie unter Lichteinfluß leider sehr gelitten. Wer sich also für seine Liebsten verewigen lassen will, wähle ein echtes Malerportrait – das hat deutlich besser Bestand als ein Foto!

Beide Bilder stelle ich hier gerne zur Beflügelung der Diskussion zur Verfügung. Allen, die damit arbeiten wollen, biete ich gerne in direktem Kontakt Scan-Aufnahmen im Tiff-Format, digitalisiert mit 300 dpi, ca 25 MB pro Bild, zur weiteren Recherche an – E-Mail genügt.

 

Brüderlichkeit

Die Debatten in meinem Mailpostfach über das aufgetauchte Georg-Büchner-Bild schlagen immer noch Wellen. Wir bleiben gespannt auf die Mitteilungen, die morgen bei der Pressekonferenz gemacht werden. Ich werde berichten.

Mit einer Frage habe ich mich besonders gerne beschäftigt: Reinhard Pabst, der wunderbarer Weise offenbar auch schon das Lied identifiziert hat, das das Notenblatt zeigt,  fragt, ob nicht vielleicht Wilhelm Büchner, der jüngere Bruder, auf dem neuen Bild gezeigt wird.

 

Ich habe hier schon darüber geschrieben, dass das schöne Bild von Becker, das ich für mich gerne „Wilhelm im Paletot“ nenne, große Ähnlichkeit mit seinem Bruder aufweist; oft hält man es für ein Jugendbildnis Georgs. Vielleicht wird die Frage, wen der Maler (August Hoffmann?)  tatsächlich abbildete (nachdem die Frage der historischen Authentizität geklärt ist) offen bleiben müssen. Allerdings könnten die Attribute auf dem Bild, das erwähnte Notenblatt und das merkwürdige Band, das der Abgebildete trägt, zur Identifizierung beitragen.

 

Hier jedenfalls mal zwei unumstrittene Bilder als Rahmen für das neue:

 

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Sensation im Büchner-Jahr: neues Büchner-Bild aufgetaucht?

Mit einiger Geheimhaltung hat das Institut Mathildenhöhe, deren Leiter Ralf Beil die bevorstehende Büchner-Ausstellung in Darmstadt kuratiert, für Montag, den 27.5., zu einer Pressekonferenz eingeladen, bei der ein „Professor Dr. X“ und „Georg Büchner in effigie“ dem staunenden Publikum Bedeutendes mitteilen werden:

 

zur Pressekonferenz
GEORG BÜCHNER
EIN JAHRHUNDERTFUND
am Montag, den 27. Mai 2013 um 11 Uhr
im Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe Darmstadt
Olbrichweg 13, 64287 Darmstadt

laden wir Sie herzlich ein.
Es erwarten Sie:
Dr. Ralf Beil | Direktor Institut Mathildenhöhe Darmstadt
Prof. Dr. X | Büchner-Forscher
Georg Büchner | in effigie
Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung und auf Ihr Kommen.
Mit besten Grüßen
Daniel Grinsted M. A.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut Mathildenhöhe Darmstadt

 

Nach einigem Rumoren in meinem E-Mail-Fach, bei dem wir nebenbei auch einem dilettantischen Fälscher auf die Spur kamen, hat nun offenbar der Gießener Anzeiger vorab den Schleier gelüftet:

„ … passend im Büchnerjahr: ein Porträt von Georg Büchner aus Gießener Privatbesitz.“

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Lautet die zusammen mit diesem Bild online hier verkündete Nachricht mit Hinweis auf einen Artikel des renommierten Prof. Dr. Oesterle in der heutigen Ausgabe.

„Sensationell“ wäre noch ein zurückhaltendes Attribut für den Fall, dass hier in der Tat ein weiteres Portrait Georg Büchners aufgetaucht sein sollte. 

 

Wir warten gespannt auf weitere Informationen!

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