Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Georg Büchner (Seite 38 von 48)

Zur Jubiläumsbiennale auf den Schrott

Ich habe kürzlich hier eher amüsiert über die „Georg Büchner“ im Rostocker Hafen, das Kartonmodell und die Übernachtungsmöglichkeiten dort hingewiesen. Hier der Wikipedia-Artikel dazu. 

Leider berichten verschieden Medien übereinstimmend, dass die Tage des Museumsschiffes gezählt sind, voraussichtlich wird es im Januar zur Verschrottung ins litauische Klaipeda geschleppt.

Urheber: Grand-Duc, Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:Grand-Duc

Hier Informationen des NDR, der Schweriner Volkszeitung und der Internet-Zeitung „Das ist Rostock“.

Interessanterweise nimmt kein Berichterstatter Bezug auf die Namensgebung des ursprünglich Charlesville genannten Schiffes; auch auf die Assoziation zu den hier gefeierten Jubiläen ist keiner gekommen – das mag daran liegen, dass an Marinethemen Interessierte nicht ganz klassisch Büchner-Leser sind. Uns an der Büchner-Biennale Beteiligten sollte das aber auch ein wichtiges Indiz dafür sein, dass mit der Website Buechner1213 und dem Versand von Programmheften noch nicht das Nonplusultra  der „Penetration“ erreicht ist.

NACHTRAG 7. Januar 2013:

Offenbar ist noch alles im Fluss – hier ein paar Meldungen dazu, dass das Schiff vielleicht doch noch in einem belgischen Hafen landet:

http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regiolinegeo/mecklenburgvorpommern/article112390026/Belgier-wollen-MS-Georg-Buechner-vor-dem-Abwracken-retten.html

http://www.svz.de/nachrichten/home/top-thema/artikel/rettungsversuch-in-letzter-sekunde.html

http://www.rostock-heute.de/ms-georg-buechner-schiff-verkauf-stadthafen-belgien/59240

Kehrseite: negativer Aspekt der Sache

Seit Jahren vagabundiert ein Bild durch die Welt, das einen blondgelockten Jüngling „mit Logenbijou“ zeigt und für Georg Büchner ausgegeben wird.

 

Offenbar war es aus unerfindlichen Gründen in Walter Killy Literaturlexikon abgedruckt worden und hat von da aus seinen Eroberungszug angetreten. Bereits im Januar 2012 ist auch die Frankfurter Rundschau in einem online leider nicht mehr verfügbaren Artikel auf diese Fälschung reingefallen und hat sie anderntags korrigiert.

Bei einem kürzlichen Treffen der Büchner-Initiativen zur Jubiläums-Biennale Büchner 12/13 hat der Leiter der Büchner-Forschungsstelle in Marburg, Professor Burghard Dedner, so darauf hingewiesen:

„ … weist darauf hin, dass es nur zwei zu Lebzeiten entstandene Porträts Büchners gibt: Die Bleistiftskizze von Alexis Muston, die Büchner bei einer Wanderung durch das „Felsenmeer“ im Odenwald zeigt (eine weitere Federzeichnung Mustons von Georg Büchner entstand vermutlich später aus der Erinnerung) und das Porträt Heinrich Adolf Valentin Hoffmanns. Es existiert in etlichen, aber immer schwarz-weißen Abwandlungen. Ein – farbiges – Bild, das außerdem als Büchner-Porträt kursiert, zeigt einen jungen Mann im grünen Wams mit dem Abzeichen eines niederländischen Freimaurer-Ordens. Hierbei handelt es sich NICHT um Georg Büchner: Das Bild ist in der Überlieferungsgeschichte nicht verzeichnet und tauchte erst nach dem zweiten Weltkrieg auf. An die Runde ergeht die Bitte, das „falsche“ Porträt in Publikationen, Programmhinweisen u.ä. nicht zu verwenden!

 

          

 

Das alles konnte nicht verhindern, dass die geschäftstüchtigen Verantwortlichen des BTN Versandhandels GmbH eine Medaille anbieten, bei der sich allen Kennern buchstäblich die Haare zu Berge stellen. Nicht genug damit, dass anlässlich 200. Geburtstages 2013 (ja, sie sind die Ersten!) das schreckliche Lockenkopfbild verwendet wurde, die Randprägung lautet „Einigkeit und Recht und Freiheit“ und auf der Rückseite sind unter den Schwingen eines Adlers die Wappen der aktuellen Bundesländer versemmelt versammelt.

 

                                                  

Den erläuternd beigegebenen Text stelle ich hier im Original und vollständig zur gefl. Kenntnisnahme:

                                          

 „Einigkeit und Recht und Freiheit“ hat bekanntlich August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 für sein „Lied der Deutschen“ gedichtet, da war Georg Büchner leider schon seit 4 Jahren tot. Es ist auch mehr als fraglich, ob er diese Parole getragen hätte – sie ihm auf diese Art und Weise unterzuschieben ist jedenfalls kaum anders denn als Blödsinn zu bezeichnen. Über Bundesadler und Landeswappen auf der Rückseite möchte ich den Mantel christlicher Nächstenliebe decken, statt sie zu kommentieren.

Wir haben also zu vermelden: es erschien eine Medaille, die Georg Büchners 200. Geburtstag zum Anlass nimmt, aber überhaupt nichts mit ihm und seinem Gedenken zu tun hat.  Mal seh‘ n, was da noch alles auf uns zu kommt … 

In Büchners Speisesaal speisen wie Büchners

„ … (Es) kann doch kein Zweifel darüber sein, dass Unmäßigkeit in Essen und Trinken sowie in den Lebensgenüssen überhaupt, zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine Hauptursache für Krankheit und Lebensverkürzung gebildet hat, und das umgekehrte Mäßigkeit im Genießen eines der ersten und wichtigsten Erfordernisse gesunden und langen Lebens bildet. Freilich wusste schon Hippokrates so gut wie wir, dass es ebenso nachteilig ist, wenn man in den entgegengesetzten Fehler verfällt und seinen Körper unnatürlichen Kasteiungen unterwirft. Denn er schließt Nummer fünf der ersten Abteilung seiner unsterblichen Aphorismen, nachdem er sich wegwerfend über allzu große Enthaltsamkeit geäußert, mit den Worten: „aus diesem Grunde kann eine allzu magere und ausgesuchte Diät gefährlichere Folgen haben, als eine etwas reichlichere.“ (Ludwig Büchner: Kaleidoskop. Skizzen und Aufsätze aus Natur und Menschenleben. 1901)

 

 

Ein Text, der sich gut als Motto für den schönen Abend geeignet hat, den die Luise-Büchner-Gesellschaft am Samstag in der Pfungstädter Villa Büchner veranstaltete.

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Die Tischgesellschaft in der Villa – rechts vorn Hans-Willi Ohl, der die Musik beitrug

 

 

Nach Recherchen von Ute-Meißner-Ohl hat das Team des Strud’l Stub’n in der Villa ein viergängiges Menü serviert, das exakt in dieser Form auch vor 150 Jahren bei einer Büchnerschen Familienfeier hätte auf den Tisch kommen können.

 

Es gab:

 

  1. Fischsuppe aus der Normandie

  2. Böflamott
    Pommes Duchesse
    Häuptersalat mit Radieschen

  3. Holländische Käsespezialitäten und Feigensenf

  4. Hessische Apfelweincreme

     

     

     

    Apfelweincreme – unmittelbar vor dem Ende des Menus mit letzter Kraft  fotografiert



 Die Fischsuppe war als Reminiszenz an Georgs Forschung über die Barben und an Alexanders langjährigen Aufenthalt in der Normandie gewählt worden, das Böflamot (eingedeutscht für Boeuf a la mode) ist ein geschmorter Rinderbraten, zu dem als Anklang an fürstlichen Speisen Pommes Duchesse, also Kartoffelplätzchen und ein Kopfsalat, der als Häuptersalat manche Gäste an die rollenden Köpfe der Revolutionen erinnern wollte, gereicht wurde. Der holländische Käse rief die Erinnerung an die vielen Büchner-Verbindungen in die Niederlande wach: Wilhelm Büchners Frau Elisabeth, seine Kusine aus Gouda, war berühmt für ihre „holländischen Frühstücke“, und dass gelegentlich ein Rad Goudaer Käse in Pfungstadt angeliefert wurde, können wir uns gut vorstellen. Schließlich bot das Dessert die nötige Bodenhaftung: der südhessische Apfelwein gab dem Nachtisch eine angenehme, fruchtige Säure.

 

Hans-Willi Ohl sang und spielte die schönen Lieder aus der Zeit, und es ist kein Zufall, dass seine Auswahl mit „Die Gedanken sind frei“, „In dem Turme saßen“ und dem „Bürgerlied“ aus dem gleichen Schatz schöpfte, der auch die „Büchner-Revue“ bereichert.

 

Hier erstmals im Blog eine kleine Audio-Datei:

Der Verfasser dieses Textes über Georg Büchner, die Barben und Fischsuppe:

 121124_tafeln_pb_georgbarben.mp3

 

 

Agnes Schmidt und Peter Brunner hatten eine bunte Mischung von Geschichten und Zitaten der Büchner-Geschwister zusammengestellt, die an dem Abend ganz präsent und gegenwärtig wurden: Georg Büchner, der die Reste der Barben, die er für seine Doktorarbeit in Straßburg sezierte, sicher aufgegessen hat; Alexander, der an der Kanalküste in Frankreich mit der Küche seiner neuen Heimat vertraut wurde; Luise Büchner, die über die Soldatenverpflegung im Lazarett schrieb (jedenfalls 1870 in Darmstadt war die offenbar reichlich und wohlschmeckend – gelegentlich spendete der Großherzog ein Reh), Elisabeth Büchner, die als Hausherrin der Villa stets für gefüllte Teller sorgte und nicht zuletzt Dr. Ludwig Büchner, dessen publizistische Tätigkeit immer wieder auf Fragen der Ernährung, des Nährstoffgehaltes von Nahrung, scharlatanische Ernährungsempfehlungen und die von ihm abgelehnte „Naturheilkunde“ zu sprechen kommt.

 

Der Grauburgunder und der St. Laurent von der Bergsträsser Winzergenossenschaft, die das Essen begleiteten, waren ebenfalls mit Sorgfalt ausgewählt und wurden auch Mitte des 19. Jahrhunderts getrunken – der Grauburgunder schon seit Anfang des 18. Jahrhunderts, der St. Laurent war ausgerechnet von einem Elsässer Vinologen namens Oberlin als eigene Sorte des Elsass beschrieben und kurz darauf in Deutschland angebaut worden. Im Darmstädter „Weinberg“ der Familie Büchner allerdings, der sich hinter dem Büchnerschen Haus in der Grafenstrasse befand, stand wahrscheinlich kein sortenreiner Wein – man pflanzte und kelterte meist sogenannten „gemischten Satz“ aus verschiedenen Sorten, die zusammen im Weinberg standen. Das hatte den Vorteil, dass Ausfälle einer Sorte nicht zum Totalverlust der Ernte führte.

 

Nach einer großen Tafel in bürgerlichen Gesellschaften war es früher üblich, dass man sich vom Speisesaal in den Salon begab, um am Kamin zu einem guten Cognac eine Zigarre zu rauchen. Auf diese gelebte Authentizität mussten die Gäste leider verzichten, natürlich herrscht in der Villa heute strengstes Rauchverbot. Glücklichweise musste aber auch der andere Teil bürgerlicher Realität nicht nacherlebt werden: Abräumen und Spülen hat diesmals das freundliche Restaurant-Personal übernommen. 

 

Nachtrag vom 26.11.: Frau Bergstedt hat es auch gefallen, schreibt sie heute im DARMSTÄDTER ECHO 

Jan-Christoph Hauschild entstaubt das Bild von Minna Jaeglé

Auf Einladung der Luise-Büchner-Gesellschaft war der Büchner-Biograph und -Forscher Jan-Christoph Hauschild am 8. November zu Besuch in Darmstadt und nutzte die Gelegenheit, mit mir zusammen die Gräber der Büchnerfamilie und das von Friedrich Ludwig Weidig zu besuchen. Trotz natürlich bisher schon zahlreicher Aufenthalte in der ehemaligen Residenz war er da noch nie gewesen, und wir hatten einen wunderbaren Nachmittag zusammen, bei dem uns der Gesprächsstoff nicht ausging.

Dr. Jan-Christoph Hauschild am Grab von Friedrich Weidig,
gestorben 4 Tage nach Georg Büchner, am 23. Februar 1837,
zu Tode gequält von den verbrecherischen Schergen des Darmstädter Großherzogs 

Der abendliche Vortrag „Nur Melancholie und Spinnweben? Über Georg Büchners Braut Wilhelmine Jaeglé“ bot eine kurzweilig präsentierte biographische Skizze der Frau, von der wir fast nichts wissen. Dabei gelang es dem Forscher, die zahlreichen Vorwürfe gegen die Jaeglé, sie sei bigott und einsam gewesen, außerdem die Zerstörerin wichtiger Werke Georg Büchners, zurechtzurücken. Die umfangreichen literarischen Phantasien über das erfüllte Sexualleben des jungen Paares (u.a. bei Edschmid und Hetmann) wollte er nicht unwidersprochen lassen: wie in so vielen anderen Details haben wir auch hier keinen Anlass, uns sicher zu sein. Die Tochter eines durchaus aufgeschlossenen und wohl auch lebenslustigen Pfarrers aus dem Elsaß hatte jedenfalls gute Gründe, ihre Ehrbarkeit zu schützen. Und dass sie 1850 so vollständig mit den Geschwistern ihres toten Geliebten brach, erläuterte Hauschild nachvollziehbar mit eben dieser Frage ihrer Integrität: mit der unerlaubten Veröffentlichung von Briefen, die Georg Büchner an sie geschrieben hatte, wurde sie als die Geliebte eines Staatsfeindes denunziert. Dies gefährdete ihre ohnehin nicht besonders stabile Existenz als Betreiberin eines privaten Kindergartens. Sie hat diesen Vertrauensbruch, den sie besonders Luise Büchner vorwarf, nicht verzeihen können. Als schließlich noch einmal über zwanzig Jahre später Karl Emil Franzos versuchte, sie zur Herausgabe unbekannter und unveröffentlichter Texte zu bewegen, um eine neue Werkausgabe zu veröffentlichen, reagierte sie schroff ablehnend. Vielleicht erst danach sind die von Caroline Schulz erwähnten Tagebuchaufzeichnungen Georg Büchners von ihr vernichtet worden. Hauschild deutete an, dass es Franzos an der nötigen Diplomatie, vielleicht auch an Hartnäckigkeit gefehlt habe, um die Elsässerin umzustimmen. Den schlimmsten Vorwurf schließlich, Minna Jaeglé habe ein unveröffentlichtes Drama ihres Geliebten über Aretino vernichtet, weil sie die sexuellen Anzüglichkeiten darin nicht ertragen könne, wies Hauschild überzeugend zurück. Das Drama hat es nicht gegeben. Es sei nach der Beschreibung der Todesumstände und der sorgfältigen Suche nach jedem Stückchen Papier, das Caroline Schulz und Minna Jaeglé gleich nach Georgs Tod in seiner kleinen Züricher Kammer angestellt hatten, gänzlich ausgeschlossen, das sie dort ein „ganzes Drama“ übersehen hätten; und dass, wie gelegentlich vermutet wird, Georg den Text aus den Händen gegeben habe, sei erst recht unwahrscheinlich – die Züricher Freunde sind bekannt und hätten den Text nicht verschwinden lassen. Einem gänzlich Fremden schließlich hätte Büchner sein letztes Werk gewiss nicht anvertraut.

Dr. Jan-Christoph Hauschild beim Vortrag
über Georg Büchners Verlobte Minna Jaeglé

Zu Recht wies Agnes Schmidt in ihrem Schlusswort darauf hin, wie unglücklich der Bruch besonders mit Luise Büchner gewesen sei, deren Lebenswerk doch gerade dem Auskommen von Frauen wie Minna Jaeglé gewidmet war. Das Leben der Jaeglé zeige, dass allein stehende Frauen unglaubliche Hürden überwinden und stärkste Beschränkungen ertragen mussten, um ihr bescheidenes Leben zu fristen.

Mit freundlichem Beifall dankte das zahlreich erschienene Publikum. Jan-Christoph Hauschild hat bereits einen neuen Termin in Darmstadt zugesagt: am 19. Februar 2013, Georg Büchners 176. Todestag, wird er im Darmstädter Literaturhaus für die Luise-Büchner-Gesellschaft sein neues Buch vorstellen.

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