Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Georg Büchner (Seite 16 von 48)

Pro captu lectoris habent sua fata libelli*

To whom it may concern:

 

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft trennt sich gerade zu Spottpreisen von den dort noch vorhandenen Reste von

Büchner, Georg: Sämtliche Werke und Schriften

Historisch-kritische Ausgabe mit Quellendokumentation und Kommentar (Marburger Ausgabe)

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Büchner, Georg Sämtliche Werke und Schriften Foto: wbg Darmstadt

 

Ob das als Reaktion auf die nicht verstummende Editionskritik zu verstehen ist, bleibt zunächst dahingestellt. Immerhin und jedenfalls  bietet die Edition auch ihren Kritikerinnen einen bisher nicht anders verfügbaren Werkzugriff.

Ich habe mir gerade das Paket aus den Bänden 4, 6, 7 und 9 (Übersetzungen, Woyzeck, Leonce und Lena und Philosophische Schriften) zum Mitgliedspreis von 60 € bestellt, Nicht-Mitglieder können das für immer noch gerade mal 80 € kriegen, und zwar unter dieser Web-Adresse.

Falls dies die eine oder andere Leserin motiviert, Mitglied der wb zu werden, bin ich gerne bereit, mich als Werber nennen zu lassen …

* zum vollständigen Zitat, seiner Herkunft und Bedeutung informiert wikipedia hier

PS: ich habe mein Autorenbild hier auf mehrfachen Wunsch guter Freundinnen geändert, denen das nicht freundlich genug erschien – das erscheint übrigens den E-Mailabonnentinnen nicht wegen meiner übergroßen Eitelkeit, sondern nur zum Zwecke der besseren Auffindbarkeit im Web. Besser? 

Peter Brunner

von Peter Brunner

Danke den Wörtlichnehmern

Zum 179. Todestag Georg Büchners am 19. Februar 2016 gesellt sich in diesem Jahr unüberhörbar der einhunderste DADA-Geburtstag – zwei Ereignisse am gleichen Ort.

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Die „Rekonstruktion” von Georg Büchners Sterbezimmer in der Darmstädter Ausstellung von 2013

 

„1916 wurde an einem Februarabend an der Spiegelgasse 1 in Zürich das Cabaret Voltaire aus der Taufe gehoben. Ein Urschrei, der bis heute nachhallt, begleitete den Akt: „Dada, Dada, Dada!”. Tristan Tzara, Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Sophie Taeuber und Richard Huelsenbeck röhrten, girrten, schnalzten „Dada”. Sie tanzten, sangen und stampften „Dada”.

Das Cabaret Voltaire wurde zum Melting Pot für Nationalitäten, Kunstgattungen und Stile. Dada war ultramodern, provokativ, erfinderisch und hob die Trennung von Leben und Kunst auf. Zu Beginn der zwanziger Jahre war Dada bereits ein weltumspannendes Netzwerk.

Mit ihrem „Mouvement international” und ihren „Weltkongressen” besetzten und durchschweiften die Protagonisten die Metropolen der Welt, um aus dem Globus eine Filiale des Dadaismus zu machen. Dada wurde zur Urbewegung der Avantgarde, ohne die Surrealismus, Pop Art, Fluxus, Mail Art oder Punk nicht denkbar gewesen wären und die bis in unsere Gegenwart hinein Künstler, Autoren, Designer elektrisiert.

Dada steht für den radikalen Versuch, bestehende Vorstellungen und Werte ad absurdum zu führen – eine Strategie, die noch immer aktuell ist.

Die eigentliche dadaistische „Chronique Zurichoise” endet im Juni 1919. Dank einer der weltweit grössten Dada-Sammlungen im Kunsthaus Zürich und dem 2004 wiedereröffneten Cabaret Voltaire ist Zürich bis heute der dadaistische Nabel der Welt geblieben.

(dada Zürich 100 2016)

Zuerich, Spiegelgasse 12

Zürich, Spiegelgasse 12 (rechts, mit Erker), Georg Büchners letzter Wohnort, und Spiegelgase 14, links daneben, Lenins Wohnort 1916/17

Verbindet Büchner und DADA mehr als nur der Zufall der örtlichen Nähe? Macht es Sinn, den Unzeitgemäßen darauf zu prüfen, ob ihn bewegt hätte, wie die Nachbarn Texte und Haltungen auf den Kopf stellten, um sie besser zu verstehen?

Für Oskar Pastior war das keine Frage.

„lockvögel übers moor gerollt
ich tarne mich diebisch indem ich versinke
ein schopf gras lugt edel im nervenkostüm
wenn der ball auftaucht hat woyzeck in der
spartanischen suppe wieder mal angst vor
dieser jugend: wie weit noch bis zur rune

vom frühtau zum abendgestell glotzen wir kome-
ten in die gegend oder warzen uns ganglien –
meine warens wieder nicht auf dieser rollbahn

Es gibt nur noch Interjektionen: Darum danke ich den Wörtlichnehmern quer durch die Jahrhunderte, und so dünn auf dem Globus gesät, unter ihnen irgendwo ja auch dem Georg Büchner; danke Oulipo, den Oulipoten, ob sies wissen oder nicht, und den Büchermachern unter ihnen sowieso.”

(Aus Oskar Pastiors Dankesrede für den Büchnerpreis 2006.)

Peter Brunner

 

von Peter Brunner

Die Briefe eines klugen Mannes enthalten immer den Charakter der Leute, an die er schreibt*

„Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen. Ich bete jeden Abend zum Hanf und zu d. Latern.

 

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Georg Büchner an August Stoeber. Dezember 1833. Ausschnitt

 

Die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen hat am Montag die drei Büchner-Briefe, die sie durch Recherche und Vermittlung von Reinhard Pabst seit 1993 erwerben konnte, als Dauerleihgabe an das Frankfurter Freie Deutsche Hochstift / Frankfurter Goethe-Museum als künftige Ausstattung des geplanten Romatik-Museums übergeben. In der Pressemitteilung heißt es „ … Mit dieser Übergabe möchte die Stiftung die sachgerechte Aufbewahrung der Autografen sicherstellen. Überdies erfolgt die kostbare Leihgabe mit Blick auf die Eröffnung des Deutschen Romantik-Museums 2018, in dem auch Georg Büchner eine Rolle spielen wird.”

Angesichts dessen, wie Büchner selbst den Begriff einsetzt, wird das keine leichte Übung – „Ich werde mich indessen in das Gras legen und meine Nase oben zwischen den Halmen herausblühen lassen und romantische Empfindungen beziehen, wenn die Bienen und Schmetterlinge sich darauf wiegen, wie auf einer Rose” sagt Valerio, Leonce „Aber der Heroismus fuselt abscheulich und bekommt das Lazarethfieber und kann ohne Lieutenants und Rekruten nicht bestehen. Pack dich mit deiner Alexanders- und Napoleonsromantik!”; und wenn Camille im Danton ätzt „Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!”, so ist auch das kein Bekenntnis des Autors, das sich zu seiner Einreihung unter die Romatiker des 19. Jahrhunderts eignet.

Im „Büchnerportal” findet sich der Beitrag Arnd Beises zum neuen Darmstädter Ausstellungskatalog unter dem Titel „Ein Revolutionär und ein Romantiker zugleich”, wo dieser trotz dieser Zitate mit einiger Berechtigung darauf hinweist: „Trotzdem war Georg Büchner den romantischen Literaturtraditionen in Deutschland und Frankreich in vielerlei Hinsicht verpflichtet, nicht zuletzt wegen der gemeinsamen Frontstellung gegen klassizistische Konzepte. In diesem Punkt konvergierte sein Interesse an Romantik sowie Sturm und Drang, deren gemeinsames Vorbild Shakespeare war.” 

Die drei Briefe an die Stoebers jedenfalls (vom 24. August 1832, dem 3. November 1832 und vom 9. Dezember 1833), die jetzt im Hochstift aufbewahrt werden, sind ein ausserordentlicher Beleg für Büchners Gabe, Freund zu sein und sich mitzuteilen. Ein Schatz, der, jedenfalls mangels des hier immer wieder beklagten angemessenen Gedenkens an Georg Büchner, bis dahin einen immerhin renommierten Platz gefunden hat.

 *Georg Christoph Lichtenberg

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von Peter Brunner

„Liebe Frooinde“, wie Datterich sagen würde, „en Momend emol“

Schon vor Jahrzehnten habe ich gelernt, dass es ein schwerer Fehler ist, Wünsche oder Forderungen so zu formulieren, dass sie mit anderen, ungerecht oder überhöht erscheinenden Leistungen verglichen werden. „Ich will tausend Euro mehr, weil mein Kollege die bekommt, obwohl er weniger arbeitet und eine kleinere Familie zu unterhalten hat“ mag zwar meine innerste Überzeugung sein, hat aber mit dem Gegenstand meiner Klage, der unangemessenen Bezahlung meiner eigenen Arbeit, nichts zu schaffen. Darüber hinaus macht mir dieses Argumentieren, wenn es bekannt wird, mindestens den benannten Kollegen für immer zum Gegner.

Gleiches gilt in der Politik: Forderungen pro Kultur kommen schlecht an, wenn sie als Forderungen contra Sport oder Straßenbau formuliert werden. Ganz abgesehen davon, dass Sport und Straßenbau wahrscheinlich sehr viel mehr Anhänger haben als das, was gemeinhin als Kultur verstanden wird, gilt hier das Gleiche wie im Arbeitsleben: wer in Darmstadt heute damit argumentieren würde, dass die geplanten Investitionen in das Fußballstadion mal mindestens die freie Theater- und Literaturszene für Jahrzehnte von Existenzangst und Überlebenskampf befreien könnte, hätte zwar Recht, aber kaum noch Freunde.

Dies vorausgeschickt kann ich es dennoch nicht vermeiden, über das Gedenken an Darmstadts Söhne Georg Büchner und Ernst Elias Niebergall zu schreiben. Beider wurde in den vergangenen Jahren aus chronologischen Gründen besonders gedacht: Georg Büchner wurde 1813, vor kürzlich 200 Jahren, geboren und starb vor ebenfalls kürzlichen 175 Jahren, 1837. Ernst Elias Niebergall wurde 1815, vor gerade jetzt 200 Jahren, geboren, sein Schauspiel „Der Datterich“ wurde 1915, vor 100 Jahren uraufgeführt.

Soeben hat man in Darmstadt ein weiteres Denkmal für Niebergall enthüllt. Professor Thomas Duttenhöfer hat eine lebensgroße Plastik geschaffen, die wohl eher Datterich als Niebergall darstellt – es ist Darmstädter Allgemeingut, dass Niebergall als einigermaßen verkrachte Existenz selbst durchaus zu Recht in seiner Figur erkannt wird. Im Deutschlandfunk hat Ludger Fittkau darüber berichtet „Darmstadt rehabilitiert verfolgten Verfasser“.

„Liebe Frooinde“, wie Datterich sagen würde, „en Momend emol“:

von mir aus kann für Niebergall, dem bereits mit dem „Niebergall-Brunnen“ von 1930 und einer Datterich-„Installation“, die heute kein Brunnen mehr ist, gedacht wird, noch ein viertes und ein fünftes Denkmal aufgestellt werden (schon ist eine Plakette an seiner ehemaligen Schule, dem „Pädagog“ geplant, neben Liebig, Lichtenberg und Büchner); da halte ich es wie mit dem Fußballstadion – Mehrheiten wollen bedient werden. Was allerdings seine Qualitäten angeht, rate ich zu Tucholskys „hamse’s nich ne Nummer kleiner?“, gerade, was den Vergleich mit dem „anderen“ Darmstädter angeht. Bei näherer Betrachtung stellt sich neben die Gemeinsamkeit des Heimatortes (bezüglich des Geburtsortes wollen wir mal nicht so pingelig sein) und des Schul- und später Studienortes eigentlich nur noch die sehr allgemeine Zugehörigkeit zur dichtenden Zunft. Georg Büchner ist seit Jahren international der weltweit meistgespielte deutsche Dramatiker, sein Werk ist von so außerordentlicher Qualität, dass ich selbst mir immer wieder und nur mit Mühe den unseligen Begriff „Genie“ verkneife (während er anderen leicht von der Hand geht). Niebergall ist der Dichter eines amüsant-tiefgründigen Lokaldramas, das durchaus zu Recht aus der endlosen Reihe von deutschen Mundartstücken hervorragt (wenn es auch nach meiner bescheidenen Ansicht die Stärke und Kraft von Zuckmayers „Fröhlichem Weinberg“ nicht erreicht). Seine weiteren Werke, die nun in einer „Historisch-kritischen Edition“ erscheinen sollen, erreichen die Qualität des „Datterich“ nicht. So sehr Georg Büchners Leben vom politischen Impetus erfüllt und bewegt war, so wenig wissen wir von Niebergalls politischer Haltung. Bekannt ist nur seine Verwicklung in die Auflösung des Burschencorps „Palatia“ in Gießen „wegen verschwörerischer Umtriebe“, was sein Examen verzögerte. Eine dokumentierte Äußerung zu seiner politischen Haltung von ihm selbst gibt es nicht.

Für Georg Büchner, und da irrt Fittkau, gibt es kein Denkmal in Darmstadt.

Die „Grande Disco“ von Arnaldo Pomodoro , die auf dem Büchnerplatz steht, hat der Künstler mit diesem Titel geschaffen; erst der damalige Darmstädter Oberbürgermeister hat einen Streit um ein Büchnerdenkmal damit beendet, dass er die Plastik sozusagen nachträglich verbüchnert hat. 1974 erklärte er zur Aufstellung : „Georg Büchner selbst braucht kein Denkmal, da seine Werke für sich sprechen, aber die Darmstädter Bürger bedürfen dieses Denkmals, um sich immer wieder an Büchner zu erinnern“. Immerhin schon 1955 hatte Wilhelm Loth Entwürfe vorgelegt, die alle nicht verwirklicht wurden.

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Wilhelm Loth (aus Uwe Haupenthal, Das plastische Menschenbild bei Wilhelm Loth, Darmstadt 1989)

Und auch Thomas Duttenhöfer, dem hier zuallerletzt ein Vorwurf aus der Gestaltung des gelungenen Datterich gemacht werden soll, hat schon vor langer Zeit einen wunderschönen „Büchner-Kopf“ modelliert. Einer seiner Besitzer, der kürzlich hochbetagt verstorbene Darmstädter Architekt Fritz Soeder, Ur-Großneffe Georg Büchners, hat ihn mir stolz gezeigt.

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Thomas Duttenhoefer: Georg Büchner

Der Autor Fritz Deppert hat 2013 in einer Erzählung die Büchner-Denkmallosigkeit Darmstadts zum Thema gemacht („Georg Büchner geht durch Darmstadt“. Justus-von -Liebig-Verlag. 2013. 9783873903333).

Seit kurzem gibt es die Initiative der regen Luise Büchner-Gesellschaft, wenigstens ihrer Namensgeberin, der bedeutenden Frauenrechtlerin, Publizistin, Historikerin und Autorin Luise Büchner, einer Schwester Georg Büchners, in Darmstadt öffentlich zu gedenken. Im übernächsten Jahr, 2017, zum 150. Jubiläum der Gründung der von ihr initiierten „Alice-Frauenvereine“ in Darmstadt, soll es aufgestellt werden. Die Finanzierung der vielleicht 20.000 Euro, die dafür voraussichtlich benötigt werden, kann der kleine Verein alleine nicht leisten. Stattdessen hat er, unterstützt von der Frauendezernentin und der Frauenbeauftragten der Stadt, Vereine, Initiativen, Gruppen, Schulen und andere Zusammenschlüsse aufgerufen, mit Benefiz-Aktionen ein „Crowd-Funding“ zu unterstützen. Dem ist aus vielen Gründen alles Gute zu wünschen: Natürlich verdient Luise Büchner die Würdigung eines Denkmals, unbedingt verdient Darmstadt endlich ein weiteres Denkmal für eine Frau (davon gibt es zu Unrecht viel zu wenige), die Schaffung und Errichtung eines Denkmals macht als Ausdruck einer tatsächlichen öffentlichen Bewegung besonders viel Sinn und – es könnte als Annäherung an die überfällige Würdigung weiterer Familienmitglieder wirken.

An Georg Büchner muss da noch gar nicht gedacht werden: der Bruder Ludwig war im 19. Jahrhundert ein weltberühmter Autor, Publizist und Politiker, der Bruder Wilhelm ein Erfinder, sozial höchst engagierter Unternehmer und ebenfalls aktiver Politiker, und auch der Bruder Alexander verdient in Darmstadt Erinnerung als Autor und Sprachwissenschaftler, der in Frankreich als Sprachlehrer unermüdlich für Freundschaft und Verständnis der beiden Völker untereinander gearbeitet hat. Der Schwester Mathilde schließlich konnte kürzlich immerhin der Grabstein gesetzt werden, der in der Vergangenheit vergessen wurde oder verloren ging. Ein Gruppendenkmal für die ganze Familie auf dem Ludwigsplatz, anstelle des von den Büchners nicht besonders geschätzten Bismarck, das hätte was.

Georg Büchners Gedenken überfordert dagegen wohl seine kleine Stadt: schon sein späterer Biograf Kasimir Edschmid schrieb ja von der darmhessischen Beschränktheit zwischen Süd- und Ostbahnhof und dem Horizont auf Höhe des innerstädtischen Badesees „Großer“ Woog. Dort mag sich Niebergall getrost aufgehoben fühlen. In Büchners Geburts„Stadt“ Riedstadt-Goddelau beraten die Kommunalpolitiker den Etat für das kleine Museum in seinem Geburtshaus mit der gleichen Verve wie den für das in gleicher Zuständigkeit liegende Leeheimer Heimatmuseum und lassen uns so ihren geistigen Horizont und die allgemeine öffentliche Bereitschaft ahnen, Büchner als den bedeutendsten hessischen, einen der größten deutschen, Dichter zu würdigen.

Nein, für das Gedenken an Georg Büchner braucht es mehr als heimatkundliches Engagement: sein Geburtshaus, die Forschung über sein Leben und Werk (die das Land Hessen gerade leichtfertig aus der Hand gibt), vielleicht auch eines Tages die Errichtung eines Denkmals sind Aufgaben, denen sich Literatur und Politik jenseits aller Grenzen verpflichtet sehen müssen, damit sie erfolgreich und wirksam sein können. Die „Büchner-Biennale”, die in den vergangenen Jubiläumsjahren Büchners gedenken und ihn in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses stellen sollte, hat jedenfalls eine, vielleicht ihre bedeutendste, Aufgabe verpasst: Fundamente zu setzen, auf denen öffentliches Gedenken und wissenschaftliche Forschung auf stabile Füße hätten kommen können.

Ein Vergleich mit dem anderen „größten Hessen“ liegt nahe: Mit Goethehaus, Freiem Deutschen Hochstift, Goethe-Gesellschaft(en), Goethe-Institut und Goethe-Schiller-Archiv (wo ironischerweise die meisten Büchner-Handschriften liegen), zu schweigen von den Goethe-Denkmalen in Stadt und Land ist dessen Gedenken mehr als Genüge getan.

Die mangelnde Lobby für Georg Büchner drückt seine Wirkung vielleicht stärker aus als jede Forschungsarbeit das könnte: da sind noch immer zu viele Widerhaken, mit denen sein Werk sich in der Wirklichkeit festkrallt. Noch immer wirken Büchnerzitate wie Guillotinemesser, wo Goetheworte nur noch als mildes Olympiertum aus vergangenen Zeiten klingen.

Es geht nicht darum, das nächste runde Jubiläum abzuwarten , um endlich Georg Büchner Anerkennung zu zollen. Stattdessen kann das nur geschehen, wenn diejenigen, die er bis heute berührt, denjenigen, die über die nötigen Mittel und Wege verfügen, unmissverständlich auf die Sprünge helfen: So lange ein hessischer Wissenschaftsminister öffentlich auftreten kann, ohne dass ihm die Versäumnisse um Büchnerforschung und Gedenken um die Ohren gehauen werden, so lange eine Landesregierung von Kulturförderung reden kann, ohne dass ihr die Lage von Büchners Forschungsstelle und von seinem Geburtshaus entgegengehalten wird, so lange ein Kunstwerk wie die freie Büchnerbühne in Riedstadt nur durch grenzenlose Selbstausbeutung der Künstler und unter prekärsten Umständen bestehen kann, so lange nicht Georg Büchner auf dem schönsten Denkmal Darmstadts steht – so lange kann Georg Büchners Anerkennung nicht als gesichert gelten. Jede Schauspielerin, jede Regisseurin, jede Autorin, jede Germanistin, jede Ärztin, jede Biologin und nicht zuletzt jede halbwegs republikanische Politikerin, die in ihrem Leben je erkannt hat, was Georg Büchner ihr zu bieten hat (und alle Männer in den genannten Tätigkeiten dürfen sich mit gemeint verstehen), ist aufgerufen, Georg Büchner ein Denkmal zu setzen. In Gedanken, Worten und Taten.

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von Peter Brunner

An Georg Büchners 202. Geburtstag ein Grabstein für seine Schwester

Auf dem Alten Friedhof in Darmstadt sind Georg Büchners Eltern und die Geschwister Mathilde, Luise und Ludwig begraben. Sein Leichnam blieb im Schweizer Exil, wo er 1837, noch nicht 24 Jahre alt, fern der Familie starb. Wahrscheinlich ist dort, auf dem Rigiblick in Zürich, auch heute wieder ein Gedenkkranz seiner Geburtsstadt Riedstadt-Goddelau niedergelegt worden, womit die Gemeinde an seinen Geburtstag erinnert.

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Die Vorsitzende der Luise Büchner-Gesellschaft, Agnes Schmidt, erläutert Lebensdaten von Mathilde Büchner

 

Am Grab seiner Eltern und seiner beiden Schwestern haben sich Mitglieder und Freundinnen der Luise Büchner-Gesellschaft versammelt, um dort endlich auch seiner 1888 verstorbenen Schwester Mathilde, der unbekanntesten der Büchner-Geschwister, einen Gedenkstein zu errichten. Die Gesellschaft hat im Frühjahr 2015, Mathilde Büchners 200. Geburtsjahr, zu Spenden aufgerufen, und konnte nun den von der Steinmetzmeisterin Ruth Andres aus Darmstadt gestalteten Stein übergeben.

 

Der neu gestaltete Grabstein

Der neu gestaltete Grabstein

Agnes Schmidt und Peter Brunner erinnerten für die Gesellschaft an Leben und Wirken der Darmstädter Familie. Agnes Schmidt rückte zum wiederholten Male die Rede vom Mathilde Büchner als der „stillen Hausfrau im Hintergrund” zurecht:  tatsächlich war sie wohl eine durchaus selbstbewusste und selbstbestimmte Bürgersfrau, die im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Schwester Luise ganz standesgemäß ein Dienstmädchen beschäftigte und als Mitbegründerin des Hausfrauenbundes sehr wohl öffentlich auftrat. Sehr wahrscheinlich hat sie eine umfangreiche Korrespondenz geführt, ein einzelner, zufällig erhaltener Brief lässt den Schluss zu, dass sie eine geübte und regelmäßige Schreiberin war.

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Mathilde Büchners Ur-Ur-Großnichten am Familiengrab

Peter Brunner stellte mit Hinweis auf das nahegelegene Familiengrab des Bruders Ludwig die Zusammenhänge der hier Bestatteten vor und schilderte den Lebensweg Ernst Büchners, Wilhelm Büchners Sohn, der 1925 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Mary, geb.  von Ferber, ebenfalls auf dem Familiengrab bestattet wurde. Nach der Schließung des väterlichen Betriebes in Pfungstadt 1892 war ihm zwar einige Anerkennung als Erfinder, u.a. des bis heute ständig benutzten „Büchner-Trichters” und als Fotograf zugekommen, wirtschaftlich erlitt er aber ständig Verluste. Aus den Erinnerungen seines Sohnes Anton, dem ersten Chronisten der Büchner-Familie, ist bekannt, dass Ernst Büchner verarmt und alleine in Darmstadt starb, was wohl erklärt, dass sich niemand die Mühe machte, für eine Überführung auf das Pfungstädter Grab seiner Eltern zu sorgen.

Durch die Spenden trägt jetzt das Grab, das Brunner das Grab von Caroline Büchner, der Familienmutter, die hier als erste bestattet wurde, nannte, endlich einen Hinweis auf alle hier erfolgten Bestattungen. Und mit der Platzierung von Mathilde Büchners Grabstein mittig, vor dem großen Obelisken für ihre berühmte Schwester Luise, kommt vielleicht mancher Spaziergängerin der Sinn danach, mehr über die bedeutenden Darmstädter Büchners zu erfahren.

SPeterBrunner
von Peter Brunner

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