Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Texte (Seite 10 von 17)

Zu Luise Büchners 191. Geburtstag am 12. Juni 2012

 

 

„ … Was können uns jene jungen Wesen nutzen, die aus der Schule heraus nicht eilig genug ins Leben treten können, ohne Ahnung eines höheren Berufes, eines ernsteren Strebens? Aus ihren Reihen wird nur selten die tüchtige Mutter, das ächte Weib hervorgehen. Trunken vom Glanze der Ball- und Gesellschftssäle, schweben sie, wie im Traume, durch ihre Jugend; aber wohl selten birgt sich unter dem flatternden Gewand das starke Herz, die hochbeschwingte Seele, deren die Frau doch so sehr, so nothwendig bedarf. Wie lieblich rauschen einige Jahre dahin, leichtbeschuht und voller Glanz; aber die Scene muß sich ändern, das wirkliche Leben klopft an die Pforten. Wie Viele wird es dann zum Kampfe bereit finden? Wie viele sind dann seinen gerechten Ansprüchen gewachsen? Ob die Ehe oder das Loos der Unverheirateten diese heiteren Gestalten erwartet, nur diejenige Frau kann ihren höheren Lebenszweck erfüllen, welcher die Erziehung die Mittel dazu an die Hand gegeben. Aber diejenige Erziehung kann weder Ernst noch Tüchtigkeit verleihen, der es selber daran fehlt, und wer den Lebensweg der meisten weiblichen Naturen verfolgt, wird finden, daß ihnen mit richtiger Bildung Alles gegeben wäre, während ihnen ohne dieselbe Alles genommen ist. O, ihr rosigen Kinder, euren Frohsinn und eure Heiterkeit möchten wir um keinen Preis der Welt euch rauben, ihr sollt Rosen in´s Haar flechten und das weiße Gewand tragen, aber darunter die Rüstung der Pallas Athene.“

 

Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig: Thomas. 5. Aufl. 1884, S. 9/10

Wirth und Sieben Pfeiffer Leben hoch!

Heute vor 180 Jahren wurde das Hambacher Fest begangen. Zu den Einzelheiten der Ereignisse in dieser Wiege unserer Demokratie hier nur der Hinweis auf den Wikipedia-Artikel; via Google fand ich gerade Hinweise auf immerhin an die 380 neue Ergebnisse aus den letzten 24 Stunden.

Die beiden großen Redner des Festes, Philipp Jakob Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, wurden festgenommen, aber im Juni 1833 bei einem spektakulären Prozeß freigesprochen. Über  Wirth habe ich hier schon einmal mit einem Ausstellungshinweis geschrieben.  Beide wurden danach übrigens in skandalöser Rechtsbeugung wegen Beamtenbeleidigung zu zwei Jahren Haft verurteilt.

In dem schönen Katalog zur Ausstellung aus Speyer (Kämpfer für Freiheit und Demokratie Johann Georg August Wirth / hrsg. von Armin Schlechter. – Neustadt an der Weinstraße, 2010. – (Stiftung zur Förderung der Pfälzischen Geschichtsforschung : Reihe B ; 12). – ISBN 978-3-942189-07-1. – S. 37-51, 2010. – ISBN 978-3-942189-07-1. 18 €) findet sich auf Seite 166 das folgende Blatt:

Karikatur Wirth Siebenpfeiffer

mit dem Kommentar:

… ein in zwei Varianten bezeugter, vorgeblicher Werbetext, der mit den Namen Wirth und Siebenpfeiffer spielt, … Das bekanntere Objekt, eine Lithographie, zeigt einen imaginären Wirtstisch zwischen Bäumen. Der vollständige, zweispaltige Text lautet:

Gast Wirth Weinschenk und Garküche zu den Sieben Eichen bey Eduard Pfeiffer. Die Gäste Leben hoch!

Die rechte Spalte allein ergibt den Text:

Wirth und Sieben Pfeiffer Leben hoch!

Eine Variante hierzu lässt sich in den Akten der Regierung der Rheinpfalz fassen. Eine Anzeige vom 21. September 1833 berichtete von dem Plan, ein ähnliches Wirtshausschild auf dem Dürkheimer Wurstmarkt aufzustellen. Die Fahndung nach dem Schild, dessen Inhalt als Skizze beigefügt wurde, verlief erfolglos. Trotz dem wurde der Wurstmarkt am 29. September 1833 von zehn Soldaten beaufsichtigt

.

 

 

„Heiliger Rock, bitt´ für uns!“´was zuletzt selbst den Pfaffen zu stark wurde

Der katholische Klerus hat es sich nicht nehmen lassen, erneut ein Stück Stoff zur Anbetung auszustellen. Der sogenannte „Heilige Rock“ (hier der Wikipedia-Eintrag dazu) ist wieder einmal Wallfahrtsziel in Trier.  

Luise Büchner hielt in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in Darmstadt Vorträge zur Deutschen Geschichte, die 1875 als Buch erschienen.  

Hier der Auszug über die Heilig-Rock-Wallfahrt von 1844 – wieder einmal ein Büchnertext, dem man sein Alter kaum zumuten will! Der erwähnte „junge, freilich abgesetzte Priester“ war Johannes Ronge und seine Schrift Anlass zur Gründung der Deutschkatholiken

 

 

 

 

 

(294) Mit Staunen, Sport und Verwunderung las man eines Tages in den Blättern, dass der hoch würdige Bischof Arnoldi von Trier befohlen habe, eine der wundertätigst den Reliquien der katholischen Kirche, den Heiligen Rock Christi am 18. August 1844 öffentlich auszustellen.

 

Katholische Professoren und Kapläne setzten ihre Feder in Bewegung, um den Rock zu beschreiben und dessen wundertätige Kräfte anzupreisen; seine merkwürdigste Eigenschaft war wohl ohne Zweifel diese, dass der ungenähte Rock, den Maria ihrem Sohne als er ein Kind war, gesponnen und gewebt, mit ihm gewachsen sein sollte. „Führwar“, so sagte Arnoldi´s Kaplan, „ein Kleinod, das man kaum ohne Andachtszähren anschauen kann!“

 

Im zwölften Jahrhunderte war der wundertätige Rock zum ersten Mal ausgestellt gewesen, dann lange nicht mehr, bis es 1512 auf Verlangen von Papst Leo X. geschah, demselben, der ja bekanntlich auf jede Weise Geld für den Bau seiner Peterskirche in Rom zusammen suchte und der durch seinen, zu gleichen Zwecke organisierten Ablasshandel in Deutschland, Luthern zuerst veranlasste; sich gegen Rom zu empören. Schon damals war mit der Ausstellung des Rockes und der Wallfahrt dahin ein vollständiger Ablass der Sünden verbunden, und dies zeigte sich als so ergiebig, dass er von da an noch öfter erschien, wenn sich die Kirche in Geldverlegenheit befand. Zum letzten Male war er 1810 ausgestellt gewesen. Die Franzosen hatten ihn weggeraubt und nach Augsburg gebracht. Auf Befehl Napoleons jedoch kehrte er nach Trier zurück und zeigte sich bei dieser Gelegenheit noch einmal öffentlich, bis man dann, zum Wohle des Jahrhunderts, im Jahre 1844 eine neue Komödie mit ihm veranstaltet. Es war so glücklich vorgearbeitet, dass schon in den ersten acht Tagen 150.000 Wallfahrer nach Trier kamen, um den Rock zu sehen. Mit Tagesgrauen bildeten die frommen Neugierigen eine lange Reihe vor der Kirche, durch die sich dann täglich 12 Stunden lang unausgesetzt ein Menschenstrom ergoss. Vor dem Glasschrein angelangt, der das Heilige Kleidungsstück barg, murmelte der Andächtige ein kurzes Gebet, ein bereitstehen der Priester nahm die Gegenstände,(296) die der Beter zur Weihung mitgebracht, – Rosenkranz, Ablasszettel, Amulette, Wachskerzen und so weiter ab und rieb sie einen Moment an dem Glas des Schreines, dann ging es an der anderen Seite zu der Kirche wieder hinaus. Vom 18. August bis 7. Oktober waren ungefähr 12 Millionen Menschen nach Trier gekommen, freilich nicht alle Gläubige, sondern auch viele darunter, welche das Schauspiel mit ansehen und sich darüber spottend oder entrüstet äußern wollten. – Vor der Kirche standen reihenweise Buden mit Ablasszettel, Rosenkranz, abscheuliche Abbildungen des Rockes und ähnlichen Gegenständen, die rasend verkauft wurden und eine ungeheuere Einnahme bildeten. Ja, man liest diese wertlosen Gegenständen massenhaft auf die oben beschriebene Weise weihen und verkaufte sie dann an solche, die nicht selbst kommen konnten; bis nach Paris hin wurde ein lebhafter Handel damit getrieben. An Opfergeld allein gingen außerdem nahe an 100.000 Taler ein, und als nun gar der Rock noch anfing alle möglichen Wunder zu verrichten, Lahme heilte, Blinde sehen und Stumme sprechend machte, da erreichte der Wahnsinn den höchsten Grad. Auf den Knien lagen die Leute und flehten: „Heiliger Rock, bitt´ für uns!“´was zuletzt selbst den Pfaffen zu stark wurde; sie erklärten in den öffentlichen Blättern, nicht der Rock, sondern der heilige Rochus sei damit gemeint gewesen. Aber nicht das geringe Volk allein, auch die vornehmsten beteiligten sich an der Tollheit, namentlich als es hieß, der Rock habe eine wunderbare Heilung an der jungen Gräfin Droste-Vischering, aus einer der ersten Adelsfamilien Westfalens vollbracht. Sie sei auf Krücken zu dem Rocke gekommen, nach inbrünstigem Gebiet aber mit heilen Füßen wieder davon gegangen und, wie es in einem Spottlieder aus jener Zeit hieß: „die Gräfin Droste-Vischering noch selbigen Tags zum Tanze ging!“ Vollständig genesen. Leider blieben der Armen, die im Momente (297) der höchsten Aufregung, vielleicht für ein paar Minuten ihre Kraft wieder gewonnen hatte, die Krücken nach wie vor.

 

Durch die gesamte Presse aber tönte jetzt ein Schrei der Entrüstung, der umso mehr gerechtfertigt erschien, als die Wallfahrten nach Trier eine grenzenlose Unsittlichkeit in ihrem Gefolge hatten. Gleichzeitig trat ein französischer Bischof auf, und erklärte, der Trierer Rock sei unecht, in Argenteuil müsse man den echten Rock Christi suchen; inzwischen hatten zwei junge Marburger Professoren, Sybel und Gildemeister, eine Broschüre verfasst, in die sie mit anklagender Sicherheit nachgewiesen, dass alles, was man in Trier ausgedacht, Schwindel und Betrug sei, in dem zwanzig solcher Röcke Christi existierten, die alle den gleichen Anspruch auf ihren göttlichen Ursprung üben. Dabei wurde sehr nachdrücklich hervorgehoben, welch großes Unrecht sei, den Rock, wenn er wirklich Wunder wirke, wieder einschließen zu wollen, dass man ein solches Heilmittel der Welt nicht mehr vorenthalten dürfe – Mit höchster Spannung wurde diese Schrift gelesen und verbreitet, und voll Widerwillen wendeten sich alle verständigen Katholiken von dem Treiben in Trier ab; es konnte darum nicht fehlen, dass ein wahrer Sturm des Enthusiasmus ausbrach, als nun aus deren Mitte die Stimme eines jungen, freilich abgesetzten Priesters ertönte, der durch einen offenen Brief an den Bischof Arnoldi von Trier, welcher am 1. Oktober 1844 in den sächsischen Vaterlandsblättern erschien, der allgemeinen Stimmung Ausdruck gab Man muss es selbst erlebt haben, welche Wirkung die schneidende Sprache dieses Schreibens hervorrief, welches den Bischof Arnoldi offen des wesentlichen Betruges angeklagte und alle Folgen eines solchen Schrittes in die finstersten Zeiten des Mittelalters, auf dessen Seele und Verantwortung legte. Mit späteren Worten wird ihm vorgehalten, wie er die Armut und Not des Volkes nicht achtend, ihn durch solche (298) Täuschung den letzten Heller abpresse, wie er die Sittlichkeit nach jeder Richtung hin untergrabe. „Schon ergreift“, so ruft der Schreiber aus, „schon ergreift der Geschichtsschreiber den Griffel und übergibt ihren Namen, Bischof Arnoldi, der Verachtung der Mit-und Nachwelt und bezeichnet sie als den Tetzel des 19. Jahrhunderts!“ Am Schlusse wendet sich das Schreiben an die Brüder des Verfassers und mahnt sie, zu zeigen, dass sie Christi Geist und nicht seinen Rock geerbt haben.

 

Luise Büchner:

Deutsche Geschichte von 1815-1870.

20 Vorträge, gehalten in dem Alice-Lyceum zu Darmstadt.

Leipzig, Theodor Thomas. 1875

Zwölfte Vorlesung. Ausstellung des Heiligen Rockes in Trier. S. 294 bis 298. 

Zum 8. März: Clara Zetkin „Für die Befreiung der Frau!”

Die Frauenbewegung konnte sich den Wirren, Spaltungen und Verirrungen der politischen Entwicklung im 19. Jahrhundert nicht entziehen.  Luise Büchners häufig als kleinbürgerlich und den alten Verhältnissen verhaftet kritisierte Herangehensweise, in enger Zusammenarbeit, fast Freundschaft mit einer regierenden Fürstin,  ist nicht nur fünfzig Jahre, sondern auch inhaltlich weit von den Ansichten und Forderungen der „proletarischen” Frauen entfernt.

Agnes Schmidt macht mich gerade darauf aufmerksam, dass sich Luise Büchner bereits 1869 vehement gegen die Absicht einiger führender Mitglieder der Arbeiterpartei  wandte, die auf dem Parteitag in Eisenach August 1869 für die Abschaffung oder Einschränkung der Frauenarbeit plädierten. (Zeitschrift des Allgemeinen Frauenvereins Neue Bahnen, Heft: 1869/21   S. 161-163: Luise Büchners Leitartikel: Der Arbeiterkongreß zu Eisenach und die Frauenfrage)  

Dennoch scheint es mir angemessen, zum Internationalen Tag der Frau einen Originaltext von Clara Zetkin (1857 – 1933) vorzustellen. Sie ist nicht nur die Begründerin der Tradition dieses internationalen Feiertages, sondern war auch als Abgeordnete der KPD die Alterspräsidentin des Deutschen Reichstages am 30. August 1932, wo sie mutig und hellsichtig vor der Gefahr des Nationalsozialismus warnte.

Clara Zetkin,  1897

Rede auf dem Internationalen Arbeiterkongreß zu Paris

(19. Juli 1889)


Bürgerin Zetkin, Abgeordnete der Arbeiterinnen von Berlin, ergreift unter lebhaftem Beifall das Wort über die Frage der Frauenarbeit. Sie erklärt, sie wolle keinen Bericht erstatten über die Lage der Arbeiterinnen, da diese die gleiche ist wie die der männlichen Arbeiter. Aber im Einverständnis mit ihren Auftraggeberinnen werde sie die Frage der Frauenarbeit vom prinzipiellen Standpunkt beleuchten. Da über diese Frage keine Klarheit herrsche, sei es durchaus notwendig, daß ein internationaler Arbeiterkongreß sich klipp und klar über diesen Gegenstand ausspreche, indem er die Prinzipienfrage behandelt.

Es ist – führt die Rednerin aus – nicht zu verwundern, daß die reaktionären Elemente eine reaktionäre Auffassung haben über die Frauenarbeit. Im höchsten Grade überraschend aber ist es, daß man auch im sozialistischen Lager einer irrtümlichen Auffassung begegnet, indem man die Abschaffung der Frauenarbeit verlangt. Die Frage der Frauenemanzipation, das heißt in letzter Instanz die Frage der Frauenarbeit, ist eine wirtschaftliche, und mit Recht erwartet man bei den Sozialisten ein höheres Verständnis für wirtschaftliche Fragen als das, welches sich in der eben angeführten Forderung kundgibt.

Die Sozialisten müssen wissen, daß bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung die Frauenarbeit eine Notwendigkeit ist; daß die natürliche Tendenz der Frauenarbeit entweder darauf hinausgeht, daß die Arbeitszeit, welche jedes Individuum der Gesellschaft widmen muß, vermindert wird oder daß die Reichtümer der Gesellschaft wachsen; daß es nicht die Frauenarbeit an sich ist, welche durch Konkurrenz mit den männlichen Arbeitskräften die Löhne herabdrückt, sondern die Ausbeutung der Frauenarbeit durch den Kapitalisten, der sich dieselbe aneignet.

Die Sozialisten müssen vor allem wissen, daß auf der ökonomischen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit die soziale Sklaverei oder Freiheit beruht.

Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, 1910  

Diejenigen, welche auf ihr Banner die Befreiung alles dessen, was Menschenantlitz trägt, geschrieben haben, dürfen nicht eine ganze Hälfte des Menschengeschlechtes durch wirtschaftliche Abhängigkeit zu politischer und sozialer Sklaverei verurteilen. Wie der Arbeiter vom Kapitalisten unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben, solange sie nicht wirtschaftlich unabhängig dasteht. Die unerläßliche Bedingung für diese ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die Arbeit. Will man die Frauen zu freien menschlichen Wesen, zu gleichberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft machen wie die Männer, nun, so braucht man die Frauenarbeit weder abzuschaffen noch zu beschränken, außer in gewissen, ganz vereinzelten Ausnahmefällen.

Die Arbeiterinnen, welche nach sozialer Gleichheit streben, erwarten für ihre Emanzipation nichts von der Frauenbewegung der Bourgeoisie, welche angeblich für die Frauenrechte kämpft. Dieses Gebäude ist auf Sand gebaut und hat keine reelle Grundlage. Die Arbeiterinnen sind durchaus davon überzeugt, daß die Frage der Frauenemanzipation keine isoliert für sich bestehende ist, sondern ein Teil der großen sozialen Frage. Sie gehen sich vollkommen klare Rechenschaft darüber, daß diese Frage in der heutigen Gesellschaft nun und nimmermehr gelost werden wird, sondern erst nach einer gründlichen Umgestaltung der Gesellschaft. Die Frauenemanzipationsfrage ist ein Kind der Neuzeit, und die Maschine hat dieselbe geboren.

Emanzipation der Frau heißt die vollständige Veränderung ihrer sozialen Stellung von Grund aus, eine Revolution ihrer Rolle im Wirtschaftsleben. Die alte Form der Produktion mit ihren unvollkommenen Arbeitsmitteln fesselte die Frau an die Familie und beschränkte ihren Wirkungskreis auf das Innere ihres Hauses. Im Schoß der Familie stellte die Frau eine außerordentlich produktive Arbeitskraft dar. Sie erzeugte fast alle Gebrauchsgegenstände der Familie. Beim Stande der Produktion und des Handels von ehedem wäre es sehr schwer, wenn nicht unmöglich gewesen, diese Artikel außerhalb der Familie zu produzieren. Solange diese älteren Produktionsverhältnisse in Kraft waren, solange war die Frau wirtschaftlich produktiv …

Die maschinelle Produktion hat die wirtschaftliche Tätigkeit der Frau in der Familie getötet. Die Großindustrie erzeugt alle Artikel billiger, schneller und massenhafter, als dies bei der Einzelindustrie möglich war, die nur mit den unvollkommenen Werkzeugen einer Zwergproduktion arbeitete. Die Frau mußte oft den Rohstoff, den sie im ldeinen einkaufte, teurer bezahlen als das fertige Produkt der maschinellen Großindustrie. Sie mußte außer dem Kaufpreis (des Rohstoffes) noch ihre Zeit und ihre Arbeit dreingeben. Infolgedessen wurde die produktive Tätigkeit innerhalb der Familie ein ökonomischer Unsinn, eine Vergeudung an Kraft und Zeit. Obgleich ja einzelnen Individuen die im Schoß der Familie produzierende Frau von Nutzen sein mag, bedeutet diese Art der Tätigkeit nichtsdestoweniger für die Gesellschaft einen Verlust.

Das ist der Grund, warum die gute Wirtschafterin aus der guten alten Zeit fast gänzlich verschwunden ist. Die Großindustrie hat die Warenerzeugung im Hause und für die Familie unnütz gemacht, sie hat der häuslichen Tätigkeit der Frau den Boden entzogen. Zugleich hat sie eben auch den Boden für die Tätigkeit der Frau in der Gesellschaft geschaffen. Die mechanische Produktion, welche der Muskelkraft und qualifizierten Arbeit entraten kann, machte es möglich, auf einem großen Arbeitsgebiete Frauen einzustellen. Die Frau trat in die Industrie ein mit dem Wunsche, die Einkünfte in der Familie zu vermehren. Die Frauenarbeit in der Industrie wurde mit der Entwicklung der modernen Industrie eine Notwendigkeit. Und mit jeder Verbesserung der Neuzeit ward Männerarbeit auf diese Weise überflüssig, Tausende von Arbeitern wurden aufs Pflaster geworfen, eine Reservearmee der Armen wurde geschaffen, und die Löhne sanken fortwährend immer tiefer.

Ehemals hatte der Verdienst des Mannes unter gleichzeitiger produktiver Tätigkeit der Frau im Hause ausgereicht, um die Existenz der Familie zu sichern; jetzt reicht er kaum hin, um den unverheirateten Arbeiter durchzubringen. Der verheiratete Arbeiter muß notwendigerweise mit auf die bezahlte Arbeit der Frau rechnen.

Durch diese Tatsache wurde die Frau von der ökonomischen Abhängigkeit vorn Manne befreit. Die in der Industrie tätige Frau, die unmöglicherweise ausschließlich in der Familie sein kann als ein bloßes wirtschaftliches Anhängsel des Mannes – sie lernte als ökonomische Kraft, die vom Manne unabhängig ist, sich selbst genügen. Wenn aber die Frau wirtschaftlich nicht mehr vom Manne abhängt, so gibt es keinen vernünftigen Grund für ihre soziale Abhängigkeit von ihm. Gleichwohl kommt diese wirtschaftliche Unabhängigkeit allerdings im Augenblick nicht der Frau selbst zugute, sondern dem Kapitalisten. Kraft seines Monopols der Produktionsmittel bemächtigte sich der Kapitalist des neuen ökonomischen Faktors und ließ ihn zu seinem ausschließlichen Vorteil in Tätigkeit treten. Die von ihrer ökonomischen Abhängigkeit dem Manne gegenüber befreite Frau ward der ökonomischen Herrschaft des Kapitalisten unterworfen; aus einer Sklavin des Mannes ward sie die des Arbeitgebers: Sie hatte nur den Herrn gewechselt. Immerhin gewann sie bei diesem Wechsel; sie ist nicht länger mehr dem Mann gegenüber wirtschaftlich minderwertig und ihm untergeordnet, sondern seinesgleichen. Der Kapitalist aber begnügt sich nicht damit, die Frau selbst auszubeuten, er macht sich dieselbe außerdem noch dadurch nutzbar, daß er die männlichen Arbeiter mit ihrer Hilfe noch gründlicher ausbeutet.

Die Frauenarbeit war von vornherein billiger als die männliche Arbeit. Der Lohn des Mannes war ursprünglich darauf berechnet, den Unterhalt einer ganzen Familie zu decken; der Lohn der Frau stellte von Anfang an nur die Kosten für den Unterhalt einer einzigen Person dar, und selbst diese nur zum Teil, weil man darauf rechnete, daß die Frau auch zu Hause weiterarbeitet außer ihrer Arbeit in der Fabrik. Ferner entsprachen die von der Frau im Hause mit primitiven Arbeitsinstrumenten hergestellten Produkte, verglichen mit den Produkten der Großindustrie, nur einem kleinen Quantum mittlerer gesellschaftlicher Arbeit. Man ward also darauf geführt, eine geringere Arbeitsfähigkeit bei der Frau zu folgern, und diese Erwägung ließ der Frau eine geringere Bezahlung zuteil werden für ihre Arbeitskraft. Zu diesen Gründen für billige Bezahlung kam noch der Umstand, daß im ganzen die Frau weniger Bedürfnisse hat als der Mann.

Was aber dem Kapitalisten die weibliche Arbeitskraft ganz besonders wertvoll machte, das war nicht nur der geringe Preis, sondern auch die größere Unterwürfigkeit der Frau. Der Kapitalist spekulierte auf diese beiden Momente: die Arbeiterin so schlecht wie möglich zu entlohnen und den Lohn der Männer durch diese Konkurrenz so stark wie möglich herabzudrücken. In gleicher Weise machte er sich die Kinderarbeit zunutze, um die Löhne der Frauen herabzudrücken; und die Arbeit der Maschinen, um die menschliche Arbeitskraft überhaupt herabzudrücken. Das kapitalistische System allein ist die Ursache, daß die Frauenarbeit die ihrer natürlichen Tendenz gerade entgegengesetzten Resultate hat; daß sie zu einer längeren Dauer des Arbeitstages führt, anstatt eine wesentliche Verkürzung zu bewirken; daß sie nicht gleichbedeutend ist mit einer Vermehrung der Reichtümer der Gesellschaft, das heißt mit einem größeren Wohlstand jedes einzelnen Mitgliedes der Gesellschaft, sondern nur mit einer Erhöhung des Profites einer Handvoll Kapitalisten und zugleich mit einer immer größeren Massenverarmung. Die unheilvollen Folgen der Frauenarbeit, die sich heute so schmerzlich bemerkbar machen, werden erst mit dem kapitalistischen Produktionssystem verschwinden.

Der Kapitalist muß, um der Konkurrenz nicht zu unterliegen, sich bemühen, die Differenz zwischen Einkaufs-(Herstellungs-)preis und Verkaufspreis seiner Waren so groß wie möglich zu machen; et sucht also so billig wie möglich zu produzieren und so teuer wie möglich zu verkaufen. Der Kapitalist hat folglich alles Interesse daran, den Arbeitstag ins Endlose zu verlängern und die Arbeiter mit so lächerlich geringfügigem Lohn abzuspeisen wie nur irgend möglich. Dieses Bestreben steht in geradem Gegensatz zu den Interessen der Arbeiterinnen, ebenso wie zu denen der männlichen Arbeiter. Es gibt also einen wirklichen Gegensatz zwischen den Interessen der Arbeitet und der Arbeiterinnen nicht; sehr wohl aber existiert ein unversöhnlicher Gegensatz zwischen den Interessen des Kapitals und denen der Arbeit.

Wirtschaftliche Gründe sprechen dagegen, das Verbot der Frauenarbeit zu fordern. Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist so, daß weder der Kapitalist noch der Mann auf die Frauenarbeit verzichten können. Der Kapitalist muß sie aufrechterhalten, um konkurrenzfähig zu bleiben, und der Mann muß auf sie rechnen, wenn er eine Familie gründen will. Wollten wir selbst den Fall setzen, daß die Frauenarbeit auf gesetzgeberischem Wege beseitigt werde, so würden dadurch die Löhne der Männer nicht verbessert werden. Der Kapitalist würde den Ausfall an billigen weiblichen Arbeitskräften sehr bald durch Verwendung vervollkommneter Maschinen in umfangreicherem Maße decken – und in kurzer Zeit würde alles wieder sein wie vorher.

Nach großen Arbeitseinstellungen, deren Ausgang für die Arbeitet günstig war, hat man gesehen, daß die Kapitalisten mit Hilfe vervollkommneter Maschinen die errungenen Erfolge der Arbeiter zunichte gemacht haben.

Wenn man Verbot oder Beschränkung der Frauenarbeit auf Grund der aus ihr erwachsenden Konkurrenz fordert, dann ist es ebenso logisch begründet, Abschaffung der Maschinen und Wiederherstellung des mittelalterlichen Zunftrechts zu fordern, welches die Zahl der in jedem Gewerbebetriebe zu beschäftigenden Arbeiter festsetzte.

Allein, abgesehen von den ökonomischen Gründen sind es vor allem prinzipielle Gründe, welche gegen ein Verbot der Frauenarbeit sprechen. Eben auf Grund der prinzipiellen Seite der Frage müssen die Frauen darauf bedacht sein, mit aller Kraft zu protestieren gegen jeden derartigen Versuch; sie müssen ihm den lebhaftesten und zugleich berechtigtsten Widerstand entgegensetzen, weil sie wissen, daß ihre soziale und politische Gleichstellung mit den Männern einzig und allein von ihrer ökonomischen Selbständigkeit abhängt, welche ihnen ihre Arbeit außerhalb der Familie in der Gesellschaft ermöglicht.

Vom Standpunkt des Prinzips aus protestieren wir Frauen nachdrücklichst gegen eine Beschränkung der Frauenarbeit. Da wir unsere Sache durchaus nicht von der Arbeitersache im allgemeinen trennen wollen, werden wir also keine besonderen Forderungen formulieren; wir verlangen keinen anderen Schutz als den, welchen die Arbeit im allgemeinen gegen das Kapital fordert.

Nur eine einzige Ausnahme lassen wir zugunsten schwangerer Frauen zu, deren Zustand besondere Schutzmaßregeln im Interesse der Frau selbst und der Nachkommenschaft erheischt. Wir erkennen gar keine besondere Frauenfrage an – wir erkennen keine besondere Arbeiterinnenfrage an! Wir erwarten unsere volle Emanzipation weder von der Zulassung der Frau zu dem, was man freie Gewerbe nennt, und von einem dem männlichen gleichen Unterricht – obgleich die Forderung dieser beiden Rechte nur natürlich und gerecht ist – noch von der Gewährung politischer Rechte. Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der keinen Kurs hat. Wenn die soziale Emanzipation von den politischen Rechten abhinge, würde in den Ländern mit allgemeinem Stimmrecht keine soziale Frage existieren. Die Emanzipation der Frau wie die des ganzen Menschengeschlechtes wird ausschließlich das Werk der Emanzipation der Arbeit vom Kapital sein. Nur in der sozialistischen Gesellschaft werden die Frauen wie die Arbeiter in den Vollbesitz ihrer Rechte gelangen.

 

 Clara Zetkin, 1930

In Erwägung dieser Tatsachen bleibt den Frauen, denen es mit dem Wunsche ihrer Befreiung ernst ist, nichts anderes übrig, als sich der sozialistischen Arbeiterpartei anzuschließen, der einzigen, welche die Emanzipation der Arbeiter anstrebt.

Ohne Beihilfe der Männer, ja, oft sogar gegen den Willen der Männer, sind die Frauen unter das sozialistische Banner getreten; man muß sogar zugestehen, daß sie in gewissen Fallen selbst gegen ihre eigene Absicht unwiderstehlich dahin getrieben worden sind, einfach durch eine klare Erfassung der ökonomischen Lage.

Aber sie stehen nun unter diesem Banner, und sie werden unter ihm bleiben! Sie werden unter ihm kämpfen für ihre Emanzipation, für ihre Anerkennung als gleichberechtigte Menschen.

Indern sie Hand in Hand gehen mit der sozialistischen Arbeiterpartei, sind sie bereit, an allen Mühen und Opfern des Kampfes teilzunehmen, aber sie sind auch fest entschlossen, mit gutem Fug und Recht nach dem Siege alle ihnen zukommenden Rechte zu fordern. In bezug auf Opfer und Pflichten sowohl wie auf Rechte wollen sie nicht mehr und nicht weniger sein als Waffengenossen, die unter gleichen Bedingungen in die Reihen der Kämpfer aufgenommen worden sind.

(Lebhafter Beifall, der sich wiederholt, nachdem Bürgerin Aveling diese Auseinandersetzung ins Englische und Französische übersetzt hat.)

 

Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889, Nürnberg 1890, S.80-85. 

 

Die rechtefreien Bilder fand ich dankenswerterweise bei wikipedia

Mein Büchner tot! Ihr habt mein Herz begraben!

Am 19. Februar 1837 stirbt Georg Büchner, noch nicht 24 Jahre alt, in Zürich in den Armen seiner Braut Minna Jaeglé.

Georg Herwegh hat ihm ein Gedicht gewidmet, dessen Verse:

Ein unvollendet Lied sinkt er ins Grab,
Der Verse schönsten nimmt er mit hinab.

sein heutiger Grabstein auf dem „Rigiblick“ oberhalb Zürichs trägt.

Zum Andenken an Georg Büchner von Georg Herwegh

Zum Andenken an Georg Büchner,
den Verfasser von »Dantons Tod«

Zürich, im Februar 1841

Die Guten sterben jung,
Und deren Herzen trocken, wie der Staub
Des Sommers, brennen bis zum letzten Stumpf.

1.

So hat ein Purpur wieder fallen müssen!
Hast eine Krone wiederum geraubt!
Du schonst die Schlangen zwischen deinen Füßen
Und trittst den jungen Adlern auf das Haupt!
Du läßt die Sterne von dem Himmel sinken
Und Flittergold an deinem Mantel blinken!
Sprich, Schicksal, sprich, was hast du diesen Tempel
So früh in Schutt und Asche hingelegt?
So rein und frisch war dieser Münze Stempel –
Was hast du heute sie schon umgeprägt?
O teurer, als im goldenen Pokale
Einst jene Perle der Kleopatra,
Lag eine Perle in dem Haupte da;
Der Mörder Tod schlich nächtlich sich ins Haus,
Der rohe Knecht zerbrach die zarte Schale
Und goß den hellen Geist als Opfer aus. –

Mein Büchner tot! Ihr habt mein Herz begraben!
Mein Büchner tot, als seine Hand schon offen,
Und als ein Volk schon harrete der Gaben,
Da wird der Fürst von jähem Schlag getroffen;
Der Jugend fehlt ein Führer in der Schlacht,
Um einen Frühling ist die Welt gebracht;
Die Glocke, die im Sturm so rein geklungen,
Ist, da sie Frieden läuten wollt‘, zersprungen.
Wer weint mit mir? – Nein, ihr begreift es nicht,
Wie zehnfach stets das Herz des Dichters bricht,
Wie blutend, gleich der Sonne, nur sich reißt
Von dieser Erde – stets ein Dichtergeist,
Wie immer, wo er von dem Leib sich löste;
Sein eigner Schmerz beim Scheiden war der größte.

Ein Zepter kann man ruhig fallen sehn,
Wenn einmal nur mit ihm die Hand gespielt,
Von einem Weibe kann man lächelnd gehn,
Wenn man’s nur einmal in den Armen hielt;
Der Todesstunde Qual sind jene Schemen,
Die wir mit uns in unsre Grube nehmen,
Die Geister, die am Sterbebette stehn,
Und uns um Leben und Gestaltung flehn,
Die schon die junge Morgenröte wittern,
Und ihrem Werden bang entgegenzittern,
Des Dichters Qual die ungeborne Welt,
Der Keim, der mit der reifen Garbe fällt.

Ich will euch an ein Dichterlager bringen.
Seht mit dem Tod ihn um die Zukunft ringen,
Seht seines Auges letzten Fieberstrahl,
Seht, wie es trunken in die Leere schaut
Und drein noch sterbend Paradiese baut!
Die Hand zuckt nach der Stirne noch einmal,
Das Herz pocht wilder an die schwachen Rippen,
Das Zauberwort schwebt auf den blassen Lippen –
Noch ein Geheimnis möcht‘ er uns entdecken,
Den letzten, größten Traum ins Dasein wecken. –
O Herr des Himmels, sei ihm jetzt nicht taub!
Noch eine Stunde gönn‘ ihm, o Geschick!
Verlösche uns nicht des Propheten Blick!
Umsonst – es bricht die müde Brust in Staub,
Und mit ihr wieder eine Freiheitsstütze,
Aufs stille Herz fällt die gelähmte Hand,
Daß sie im Tod noch vor der Welt es schütze!
Und die so reich vor seinem Geiste stand,
Er darf die Zukunft nicht zur Blüte treiben,
Und seine Träume müssen Träume bleiben;
Ein unvollendet Lied sinkt er ins Grab,
Der Verse schönsten nimmt er mit hinab.

Du flammst nun wieder, nach durchbrochner Schranke,
In Gottes Haupt ein leuchtender Gedanke;
Am kalten Herde sitzen wir allein,
Und weinen in die Asche still hinein.
O, mein Jahrhundert, sammle sie geschwind! –
Er war ein Held, und mehr: Er war dein Kind!
An deiner Brust hast du ihn aufgesäugt,
Dein Banner einzig hat er ja geschwenkt;
Vor dir allein hat er sein Knie gebeugt,
Vor dir, vor dir allein sein Schwert gesenkt;
Für dich und mit dir hat er kühn gestritten,
Für dich und mit dir hat er treu gelitten;
Um deinetwillen stieß sein Vaterland
Ihn aus, gleich wie der Mutterborn die Welle,
Daß sie am fremden, freudenlosen Strand
Mit allen Himmeln in der Brust zerschelle.
An fremdem, freudenlosem Strande, ja!
Denn wessen Herz stand hier dem seinen nah?
Wo scheu der Mensch den Fuß vom Boden hebt
Und Fels und Stein allein nach oben strebt?
Wo doppelt, doppelt schön der Äther blaut
Und doppelt tief der Mensch zur Erde schaut,
Wo stolze Adler ihre Heimat haben,
Und wo am Ruder sitzen doch die Raben.
Der Alpen Kind, wie ist dein Ruf verhallt!
Einst groß, wie sie, und jetzt, wie sie, nur kalt!

2.

Gleich Rosenhauch auf einer Jungfrau Wangen
Seh‘ ich den Abend im Gebirge prangen;
Im zarten Dufte glühen sie vor mir,
Die Gletscher, denen treu die Sonne hier
Ihr erstes und ihr letztes Lächeln zeigt,
Und aus den Flammen wie ein Phönix steigt
Der Mond mit silberstrahlendem Gefieder,
In jede Woge taucht sein Bildnis nieder,
Ob stumm sie ruht, ob leuchtend sie sich bricht,
Sie wird verklärt, und er vergißt sie nicht;
So mag der Geist der Welt in unser Denken,
In jede Blüte, jede Brust sich senken.
Dem Mond streut still mit schmeichelnder Gebärde
Goldwölkchen auf die Bahn des Abends Wehn –
Gleich Blumen, doch nicht Blumen dieser Erde,
Die welken müssen, ehe sie vergehn.
Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand
Sein letztes Gold das herbstlich gelbe Land,
Und meine Seele sieht in süßer Ruh‘
Der Perlen Träufeln von den Rudern zu,
Wie sie von Ringen hin zu Ringen tönen,
Ein fließendes Symbol der Ewigkeit,
Und endlich sich, von jeder Form befreit,
Gestaltlos mit dem Element versöhnen.
O Geist, der über diesen Wassern lebt,
Der hier aus diesen kühlen Gründen taut,
Der aus der Tiefe Himmel widerblaut,
Du Geist des Friedens, der mich jetzt umschwebt,
Der sich den Äther maßlos läßt entfalten,
Der Erde stillen Drang zum Lenz gestalten –
So liebend beut die Luft des Vogels Schwingen
Der Harfe Ton, um drin sich auszuklingen –
Was hast du uns um diesen Stern betrogen,
Und, eh‘ es tagen wollte, uns entzogen
Den Genius, der dir so rein verwandt,
Sich in dein All, wie Hauch in Hauch empfand,
Drein, wie in einer Blume Kelch sich senkte,
Und draus ein Herz, so gottesdurstig, tränkte?
Du hast ein Auge der Natur genommen,
Das ihr in ihre tiefste Seele sah,
Um einen Beter bist du selbst gekommen –
Um einen Beter? ei, so staunet, ja!
Um keinen Beter, ruhig, sicher, still, –
Die Flamme bebt, wenn sie nach oben will!
Um keinen Beter – nein, um keinen Wurm –
Es tobt das Meer und lobt den Herrn im Sturm!
Der Blumen schönste brauchet einen Dorn,
Ein edles Herz zu Schutz und Trutz den Zorn;
Manch heiß Gebet hüllt sich in einen Fluch,
Wie unsre Hoffnung in das Leichentuch.

3.

Was er geschaffen, ist ein Edelstein,
Drin blitzen Strahlen für die Ewigkeit;
Doch hätt‘ er uns ein Leitstern sollen sein
In dieser halben, irrgewordnen Zeit,
In dieser Zeit, so wetterschwül und bang,
Die noch im Ohr der Kindheit Glockenklang.
Und mit der Hand schon nach dem Schwerte zittert,
Zur Hälfte tot, zur Hälfte neugeboren,
Gleich einer Pflanze, die den Frühling wittert
Und ihre alten Blätter nicht verloren.
Er hätte – aber gönnt ihm seine Ruh‘!
Die Augen fielen einem Müden zu!
Doch hat er, funkelnd in Begeisterung,
Vom Himmelslichte trunken, sie geschlossen,
Der Dichtung Quelle hat sich voll und jung
Noch in den stillen Ozean ergossen.
Und eine Braut nahm ihn der andern ab;
Vor der verhaucht‘ er friedlich sanft sein Leben,
Die Freiheit trug den Jünger in das Grab,
Und legt sich bis zum jüngsten Tag daneben.
Auch nicht allein ist er dahingegangen,
Zwei Pfeiler unsrer Kirche stürzten ein;
Erst als den freisten Mann die Gruft empfangen,
Senkt man auch Büchner in den Totenschrein,
Büchner und Börne! – Deutsche Dioskuren,
Weh, daß der Lorbeer nicht auf deutschen Fluren
Für solch geweihte Häupter wachsen darf!
Der Wind im Norden weht noch rauh und scharf,
Der Lorbeer will im Treibhaus nur gedeihen,
Ein freier Mann holt sich ihn aus dem Freien!

O bleibe, Freund, bei deinem Danton liegen!
’s ist besser, als mit unsern Adlern fliegen. –
Der Frühling kommt, da will ich Blumen brechen
Auf deinem Grab und zu den Deutschen sprechen:
»Kein Held noch, noch kein Ziska oder Tell?
Und eure Trommel noch das alte Fell?«

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