Peter Brunners Buechnerblog

Autor: peter brunner (Seite 56 von 89)

Wie bestellt: Lenz? Reichlich im Angebot!

Es wird in den Sternen bleiben, ob die Verantwortlichen wirklich die Jahreszeit zum Anlass genommen haben, oder ob doch die allfälligen Büchnerjubiläen ihren Beitrag dazu geleistet haben: im Rhein-Main-Gebiet konnte ich in den letzten Wochen vier höchst unterschiedliche Interpretationen von Büchners Lenz sehen, zuletzt gestern Abend in Willy Pramls Theater in Frankfurt.

Christian Wirmer reist mit seinem (jetzt im Vergleich) fast spröden Vortrag des Textes, der mir erstmals die Augen darüber öffnete, wie sehr er sich wirklich zum Hören eignet,

 Christian Suhr hat in Erfelden „seinen“ Lenz so auf die Bühne gebracht, dass er von den hier erwähnten am ehesten zu einem Schauspiel wurde (er hat mir kürzlich gesagt, dass er die heutigen Aufführungen gegenüber der Premiere, die ich sehen konnte, verknappt hat und selbst als reifer empfindet),

das Darmstädter Staatstheater führt Wolfgang Riehms Kammeroper Lenz von 1979 auf, und eben

das Frankfurter Theater Willy Praml präsentiert Bücher.Lenz & Schubert.Schöne Müllerin  fast wie die Brücke zwischen Wirmer und Suhr – mehr Schauspiel als Wirmer, weniger Bühne als Suhr. 

Arbeitsstätte 

Praml stellt neben den „Lenz“ (Michael Weber)  eine „Tänzer“ genannte Figur (Andreas Bach), der stumm, aber in sprechenden Gesten Lenzens Widerpart gibt und so die Gespaltenheit der Figur repräsentiert. Vassily Dück (Akkordeon) und Gregor Praml (Bass+ Gesang) übernehmen den Schubert-Part der Vorstellung. Gregor Pramls wunderbare Stimme, die sich jeder Melodiosität standhaft verweigert, macht das zu einem wirklichen Erlebnis. So einleuchtend Willy Pramls Begründung für die Parallelität der Lebensdaten von Büchner, Schubert und Müller (dem Verfasser der vertonten Gedichte)  ist, so sehr bewegt mich dabei die Frage, ob Schuberts „Kunstlieder“ nicht auf scharfe Ablehnung des volksliedliebenden Büchner gestoßen wären.

Weber, Bach im ebenfalls von Michael Weber gestaltetem Bühnenbild 

Auch Michael Weber beherrscht und präsentiert den Text: wo bei Wirmer die erzählende Distanz des Büchnertextes eingehalten wird und wo Suhr dies durch freies Spiel und zusätzlichen Text erweitert, steht Willy Pramls Aufführung zwischen Vortrag und Spiel.  

Verdienter Beifall am 2.3.: Dück, G. Praml, Weber, Bach  (v.l.n.r.)
(Freundlicherweise hat mir Willy Praml ausnahmsweise das Aufnehmen erlaubt, vielen Dank dafür!)

Ich werde nun als „Büchnerblogger“ den Teufel tun und mich hier tiefschürfend über Interpretationsansätze und Zugänglichkeiten der Stücke zu äußern; schon, weil ich viel zu gerne hätte, dass möglichst viele Interessenten ebenfalls alle vier Stücke sehen. Mich hat die Oper wirklich herausgefordert, aber das will ich gerne meinem musikalischen Kretinismus anlasten. 

Soviel aber schon:  alle haben mir etwas Neues gegeben, und ich bedaure keine Minute. Und: ich habe mich sehr gefreut, als mir Willy Praml gestern erzählte, dass er plant, eine Aufführung von Christian Wirmer zu sehen.

Ich wünsche mir jetzt eine Einladung an alle Beteiligten zu einem öffentlichen Gespräch!  Gerade nachdem wir erste Berichte über gründlich misslungene Auseinandersetzungen mit Büchners Werk zur Kenntnis nehmen (und erleiden) mussten, könnte hier eine ganz neue und fruchtbare Perspektive auch für den künstlerischen Austausch eröffnet werden. 

… und zum Lohne gib dafür, Grab in freier Erde mir!

Heute vor 176 Jahren, am 22. Februar 1837, nur vier Tage nach Georg Büchners Tod in Zürich,  starb im Gefängnis in Darmstadt der Revolutionär, Demokrat, Turner und Pfarrer Friedrich Ludwig Weidig.

Verzweifelt und vom sadistischen Richter Georgi  unmenschlich gequält hinterließ er an der Wand seiner Zelle, mit eigenem Blut geschrieben, den Satz:

Da mir der Feind jede Vertheidigung versagt, so wähle ich einen schimpfl. Tod aus freien Stücken 

  

 Weidig war sicher einer der bedeutendsten hessischen Demokraten im frühen 19. Jahrhundert, sein Beitrag zur Verfassungsbewegung von 1820, im Vorfeld des Frankfurter Wachensturms und zur demokratisch-aufrührerischen Bewegung um den hessischen Landboten ist nicht hoch genug zu bewerten. Noch immer steht die Bewertung seiner Lebensleistung unter dem Vorwurf, er habe Büchners Landboten-Text „entstellt“ und „entschärft“. Wahr ist wohl, dass er den Text des unerfahrenen jungen Wilden Büchner verändert und ergänzt hat. Aber wahr ist auch, dass Weidig das mit der profunden Erfahrung eines jahrzehntelangen Agitators und Volksbildners tat, mit einer Erfahrung also, über die Georg Büchner nicht verfügen konnte. Der „Landbote“ als Gemeinschaftswerk der Revolutionäre des Gießen-Butzbacher Kreises wurde zum Meilenstein der hessischen, ja der deutschen Demokratie, als vorbildliches und wirkungsvolles Flugblatt gegen Willkür, Unterdrückung und Fürstenherrschaft.

Weidig wurde auf dem Darmstädter Friedhof begraben, ich habe heute früh zwei Rosen auf sein Grab gelegt.

Das Zitat auf dem Grabkreuz entstammt seinem Gedicht

 Vaterlandsliebe

Frühling 1831

 

Wann die Glut des Morgens funkelt

Wann mich still die Nacht umdunkelt,

Schlägt dir, Vaterland, mein Herz,

Denket dein mit Freud und Schmerz.

 

Wann des Frühlings Keime schwellen,

Schlägt mein Herz in raschern Wellen,

Fragt: wann wirst Du, Deutschland, blühn

Sind dir bald die Zweige grün?

 

Wann des Sommers Ähren schwellen,

Schlägt mein Herz in raschern Wellen,

Fragt: ob dir statt Eigensucht

Wachse des Gemeinwohls Frucht?

 

Wann im Herbst die Traube reifet,

Sehnsucht durch das Herz mir schweifet,

Ob der Freiheitswein wohl gährt,

Frag ich: ob er wohl sich klärt?

 

Wann die Winterflur erstarret,

Bang das Herz des Frühlings harret,

Frag ich: ob nach Eis und Schnee

Freiheits-Frühling dich umweh? –

 

Vaterland, dein sei mein Leben,

Dein mein Fürchten, Hoffen, Streben;

Und zum Lohne gib dafür

Grab in freier Erde mir!

 

 

Seine Heimatstadt, die Weidig-Stadt Butzbach, dort besonders der Museums- und Archivleiter Dr. Dieter Wolf, pflegen und betreuen seine Erinnerung.

Das Gedicht findet sich bei:

Friedrich Ludwig Weidig. Gesammelte Schriften. Darmstadt. Eduard Roether Verlag. Hrsgg. v. d. Gesellschaft Hessischer Literturfreunde. 1987 

Die fabelhafte Büchnerbande unterwegs

Am Mittwoch, einen Tag nach Georg Büchners 176. Todestag und der Buchvorstellung von Jan-Christoph Hauschild musste Darmstadt schon wieder eine Büchner-Veranstaltung verkraften – und es scheint allen Beteiligten gut bekommen zu sein.

Der Darmstädter Jgdhofkeller am 20.2. – voll bis auf den letzten Platz

Im ausverkauften Jagdhofkeller traten wir auf Einladung von Marianne und Klaus  und vom Bessunger Buchladen mit dem vollen Programm auf – auch diesmal wieder mit einer ortsspezifischen Zugabe, die nach 1,5 Stunden Programm und einer Pause vom gar nicht erschöpften Publikum dringend gewünscht worden war.

Die Bande in Aktion

(v.l.n.r.: Heiner Dieckmann, Peter Brunner, Petra Bassus, Reiner Lenz, Jürgen Queißner, Thomas Heldmann)

Diesmal trugen wir ein paar Frechheiten von Alexander Büchner über das verschlafene Darmstadt der 1840er Jahre vor.

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Die nächste Gelegenheit, uns zu sehen, ist voraussichtlich der 1. Mai – aktuelle Termine für Auftritte der fabelhaften Büchnerbande und Informationen dazu immer hier.

Mit herzlichen Dank für die schönen Fotos (©) an Frank Backes !  

Vielen Dank, Jan-Christoph Hauschild!

Am 19. 2. 2013, Georg Büchners 176. Todestag, konnte die Luise-Büchner-Gesellschaft die gerade erschienene Büchner-Biographie des Büchnerforschers Jan-Christoph Hauschild im überfüllten Literaturhaus Darmstadt vorstellen.

Der Autor Jan-Christoph Hauschild und sein Verleger Günter Berg

Leider war Dr. Hauschild „stimmlich indisponiert“, aber die gefundene Lösung  dieses Problems, für dessen baldige Behebung hier noch gute Besserung gewünscht werden soll, war mehr als ein Notbehelf. Christian Wirmer, der kongeniale Interpret von Büchners Lenz, hat sich bereit gefunden, den Vortrag des Textes zu übernehmen (hier seine Website mit weiteren Auftrittsterminen und neuen Projekten).

Zum Buch ist ja hier schon einiges Lobende gesagt worden, das sich mehr als bestätigte.

Hauschild schließt:

„Was macht das Büchnervirus mit uns? Wenn wir es wissen, wird es zu spät sein“ 

Für die Vielzahl derjenigen, die nicht dabei sein konnten, haben mir der Verlag Hoffmann & Campe, der Autor und der Interpret erlaubt,

hier den Vortrag des letzten Teils des Buches zum Hören zur Verfügung zu stellen

(zum Anhören Anklicken)

– vielen Dank dafür und den Hörern viel Vergnügen mit Hauschilds abschließenden Bemerkungen.

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