Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Juni 2017

Die Gouda-Exkursion der Luise Büchner-Gesellschaft

Im Frühjahr war unter Anderem hier zur Sommerexkursion 2017 eingeladen worden, und am 14. 6. starteten 21 Teilnehmerinnen im komfortablen Bus, der planmäßig gegen 21 Uhr in Gouda eintraf.

Gouda erwies sich als ausnehmend hübsches, fast pittoreskes Städtchen, und die Lage des Hotels am Rand der Altstadt machte den Weg entlang von Grachten zum quirligen Marktplatz mit seinen Kneipen und Restaurants komfortabel kurz.

Gouda

Am nächsten Morgen trafen wir Paul Abels und besichtigten unter seiner fachkundigen Führung die Goudaer Hauptkirche Sint Jan, die im Wettbewerb der niederländischen Städte wegen des feuchten Baugrundes nicht die höchste des Landes werden konnte, dafür wurde sie aber die längste …

Bedeutend ist sie besonders wegen ihres wunderbaren, vollständig erhaltenen Fensterzyklus.

Sint Jan, Gouda. Jonas im Wal

Gouda, Sint Jan. Eingang zur ehemaligen Bibliothek

Nachmittags trafen wir Jan Gielkens, dessen kompetente und liebenswürdige Unterstützung bereits im Vorfeld ein Großteil des Programms angeregt und möglich gemacht hat. Gielkens ist Autor, Publizist, Übersetzer und Verleger, nebenbei betreibt er auch einen Buchversand. Auch den Kontakt zum Erasmus-Kenner Hans Trapman hat er hergestellt, der im Goudaer Museum eine großartige Einführung im Leben und Werk von Erasmus von Rotterdam gab. Beeindruckend schon deshalb, weil sein Vortrag vor der Bücherwand seiner eigenen „Handbibliothek“ mit hunderten von Titeln von und über Erasmus stattfand. Anhand der Einteilung der großen Werkausgabe erläuterte er Erasmus‘ universale Kenntnis und bedeutende Korrespondenz. (Zufällig fand ich gerade einen spannenden Beitrag zu Erasmus, der zwar mit unserer Reise nichts zu tun hat, aber sicher im Sinne von Hans Trapman auf den großen Humanisten – und sein Verhältnis zu Martin Luther – neugierig macht).

Hans Trapman, Jan Gielkens vor dem Erasmus-Portrait im Museum Gouda

Eigentlicher Anlass für Gouda als Reiseziel war ja Leben und Werk von Luise (und Georg) Büchners Verwandtschaft, besonders das dort sehr geschätzte Wirken von Wilhelm Büchner, dem Onkel der Geschwister Büchner (geb. in Reinheim 1780, gest. Gouda 1855).

Die Chirurgy Camer im Goudaer Museum

Büste für Wilhelm Büchner, „von seinen dankbaren Kindern und Freunden“

 

Unbek Künstler: Wilhelm Büchner. Museum Gouda

Büchner hat sich in Gouda mit Beiträgen zur Seuchenprävention und Stadthygiene bedeutende Verdienste erworben, wahrscheinlich ist es seiner Vorsorge zu verdanken, dass eine Cholera-Epidemie glimpflich verlief. Er hat tausende von Goudaer Kindern gegen die Pocken geimpft und das regelmäßige Spülen der Grachten veranlasst. Tatsächlich ist sein Andenken auch außerhalb des Museums präsent: unsere Stadtführerin, die erst beim Treffen von unseren besonderen Interessen erfuhr, beschrieb sich selbst als ehemalige Krankenschwester als glühende Verehrerin Wilhelm Büchners. Er hatte auch eine andere Büchnersche Eigenschaft, nämlich eine konsequente, gelegentlich starrsinnig wirkende Haltung in Fragen, die er für bedeutend hielt. So verließ er im Streit um seine Nachfolge den Goudaer Stadtrat.

Stadtführung in Gouda

Höhepunkt der Reise war der Besuch des Goudaer Büchnerhauses, tatsächlich an der Stelle des ehemaligen Wohnhauses von Wilhelm Büchner. Meine erfolgreiche Suche nach dem Haus habe ich hier im Blog ja ausführlich beschrieben. Durch die Vermittlung von Paul Abels wurden wir zu Vorträgen zur Familiengeschichte von ihm und Jan Gielkens sowie zur Enthüllung einer Erinnerungstafel eingeladen. Der großzügige, liebenswürdige und beeindruckend polyglotte Besitzer, Khalid Boutachekourt, hat uns mit überwältigender Gastfreundschaft als Freunde in seinem wunderschönen Haus begrüßt. Dies ist auch der Geburts- und Lebensort der beiden Pfungstädter Büchner-Frauen, Wilhelm Büchners Ehefrau Elisabeth Wilhelmine Friedrika Büchner (geb. in Gouda 1821, gest. in Pfungstadt 1908) und Mathilda Büchner (geb. 1852, allerdings in Amsterdam, gestorben ebenfalls 1908 in Darmstadt), verheiratet mit Wilhelms Sohn Ernst zwischen 1876 und 1884. Die Ehe wurde geschieden.

Alexander Büchner berichtet von den opulenten holländischen Frühstücken, die Elisabeth in Pfungstadt servierte, und auch wenn unser Hotelfrühstück eher mitteleuropäischer Standard war, zweifeln wir doch nicht daran, dass niederländische Gastfreundschaft überbordend sein kann.

Das Goudaer Büchnerhaus heute

Die neue Plakette am Büchnerhaus in Gouda. Foto von Paul Abels

Khalid Boutachekourt, der Eigentümer

Khalid Boutachekourt mit seiner Frau Linda Emmelkamp vor der neuen Plakette

Paul Abels, der in unmittelbarer Nähe des Büchnerhauses lebt, hatte die – offenbar sehr niederländische – Liebenswürdigkeit, uns in sein eigenes Wohnhaus einzuladen, wo wir vor Begeisterung für seine Bibliothek kaum wieder heraus zu bringen waren …

 

Gouda. Privatbibliothek von Paul Abels

Donnerstags besichtigten wir Rotterdam, die beeindruckend lebendige, dynamische Hafen- und Handelsstadt.

Markthalle Rotterdam

Niederländische Kolonialreminiszenz: ein paar Sambals in der Markthalle …

Erasmus von Rotterdam in Rotterdam

Rem Kohlhaas‘ Museum Rotterdam

Im Museum Boymans van Beuningen hatten wir eine sehr kompetente Führung zu den Hauptwerken dieses hervorragenden Kunstmuseums.

Jan van Eyck, Die drei Marien am Grab. Rotterdam, Museum Boymans van Beuningen

Zum Abend hatten wir auf Empfehlung von Jan Gielkens Britta Böhler eingeladen, die eigentlich ihr Buch über Thomas Manns Entscheidung vorstellen sollte, in dem es um die wenigen Tage geht, in denen Thomas Mann 1936 seinen berühmten Brief gegen den Nationalsozialismus schrieb. Widrige Umstände um den Versammlungsraum machten aber leider die nötige Intimität für eine Lesung unmöglich, und so bot sie souverän und als offensichtlich erfahrene Politikerin stattdessen eine höchst lebendige, anschauliche und illustrierende Einführung in Politik und Leben in den Niederlanden. Jan Gielkens moderierte und begleitete den Vortrag. Alle Beteiligten hoffen sehr, dass es gelingt, Britta Böhler jetzt auch zur Buchpräsentation nach Darmstadt und Jan Gielkens zu seinen Büchnerforschungen und Übersetzungen nach Goddelau einzuladen.

 

Britta Böhler

Samstags sahen wir mit Den Haag die dritte Variante einer niederländischen Stadt für uns, den Regierungssitz. Neben dem beschaulich-hübschen Gouda und dem brausend-schnellen Rotterdam hat mich Den Haag ein bisschen an Darmstadt erinnert, auch wenn es unvergleichlich mehr und besser erhaltene Bausubstanz gibt. Als Verwaltungszentrale hat es etwas von der Ruhe und Selbstsicherheit einer traditionsreichen Beamtenstadt.

Den Haag, Schloss

Und natürlich waren wir im Mauritshuis:

Mauritshuis, Den Haag: Vermeer mit Bewunderern

Für die Rückreise waren wir als Besuchergruppe in Haus Doorn, dem Exilort von Wilhelm II,  angemeldet, was die ausgewiesenen Republikanerinnen bereits im Vorfeld kritisch die Stirn runzeln ließ. Glücklicherweise war auch hier ein hochkompetenter Führer mit ausreichender Distanz zur Aristokratie eingesetzt, und wir waren uns einig darüber, dass die Niederlandes die Immobilie mit allem, was dazu gehörte, 1945 zu Recht als Reparation enteignet und in Staatsbesitz überführt haben. Allerdings darf die Überführung von 29 Waggons (!) mit „Privatbesitz“ des Ex-Kaisers unter der Ägide der Weimarer Republik durchaus kritisch gesehen werden.

Entgegen aller Überlegungen und „Theorien“ sogenannter „Reichsbürger“ ist der Kaiser übrigens nicht nur tot,

 

Doorn. Mausoleum Wilhelm II.

Haus Doorn. Sterbezimmer von Wilhelm II

er hat auch abgedankt

Abdankungsurkunde von Wilhelm II. Amerongen, 28.11.1918

 

Paul Abels hat in seinem Blog einen Bericht über unseren Besuch veröffentlicht, der findet sich hier.

Voraussichtlich wird die Luise Büchner-Gesellschaft auch 2018 eine Exkursion anbieten – Büchnerstätten gibt es noch zu Hauf, und wir waren gemeinsam bisher weder in Zürich noch in der Normandie …

 

von Peter Brunner

 

 

 

 

 

Peter Brunner

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Barbara Beuys erhält den Luise Büchner-Preis für Publizistik 2017

Bei der Jahreshauptversammlung der Luise Büchner-Gesellschaft e.V. in Darmstadt am 12. Juni 2017 (Luise Büchners 196. Geburtstag),
hat die Vorsitzende, Frau Agnes Schmidt, die diesjährige Trägerin des Luise Büchner-Preises für Publizistik, Frau Dr. Barbara Beuys, vorgestellt.

Die Begründung der Preisvergabe an Frau Dr. Barbara Beuys durch die Jury lautet:

Barbara Beuys setzt sich seit vielen Jahren mit den ungewöhnlichen Lebenswegen von Frauen auseinander.

Die in Köln geborene Autorin studierte in ihrer Heimatstadt Geschichte, Philosophie und Soziologie und schloss ihr Studium mit der Promotion zum Dr. phil. ab. Sie begann ihre journalistische Tätigkeit beim Kölner Stadtanzeiger und ab 1971 war sie mehrere Jahre Redakteurin beim Stern. Ihre umfangreiche Studie über die Geschichte der Familie in Deutschland, erschienen 1980, wurde zu einem großen Erfolg. Die Autorin rechnet  in diesem Buch mit dem Klischee der heilen Familie ab und wirft einen damals gänzlich ungewohnten Blick auf das Verhältnis der Geschlechter im Lauf der Geschichte. Das Buch gilt auch heute noch als Grundlagenwerk der Familiensoziologie und wird immer wieder neu herausgegeben. Nach einigen weiteren Büchern, u. a. über den Widerstand im Dritten Reich und die Geschichte der Juden in Europa, veröffentlicht Barbara Beuys regelmäßig Biografien  außergewöhnlicher Frauen wie z. B. die von Hildegard von Bingen oder der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Ihre Bücher über Sophie Scholl, Paula Modersohn-Becker oder ihre jüngsten Veröffentlichungen über die finnische Malerin Helene Schjerfbeck  und Maria Sibylla Merian gehören nicht nur zu den Glanzstücken biografischer Forschung, sondern sind auch so spannend geschrieben, dass sie stets ein breites Publikum erreichen.

Mit ihren fundierten historischen Arbeiten in journalistisch lebendiger Darstellung leistet Barbara Beuys einen wichtigen Beitrag zur Frauengeschichtsschreibung. Damit steht sie in der Tradition Luise Büchners, für die Schreiben und Reden über Geschichte ein wichtiger Teil ihrer publizistischen Arbeit war. Dies dient weiblicher Selbstvergewisserung ebenso wie dem Wissen darüber, dass Frauen einen unersetzlichen Anteil daran haben, Türen zum besseren Verständnis der Welt zu öffnen.

Der Luise-Büchner-Preis wird Frau Dr. Beuys am 26. November 2017 im Darmstädter Literaturhaus feierlich überreicht.

 

von Peter Brunner

Peter Brunner

Peter Brunner

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Eingeweiht: Das Denkmal für Luise Büchner

Pünktlich zum 150 Jubiläum der Gründung der Darmstädter Frauenvereine konnte die Luise Büchner-Gesellschaft das Denkmal für Luise Büchner übergeben.

Fast zwei Jahre lang haben Planung und Finanzierung gebraucht, und die Beteiligten sind einig, so bald kein weiteres Denkmal in Angriff zu nehmen. Allerdings haben mehere Rednerinnen bei der Einweihung einerseits darauf hingewiesen, dass weitere bedeutende Mitglieder der Familie, darunter zuallererst Georg Büchner, noch immer nicht angemessen gewürdigt werden, dass der schöne kleine Platz vor dem Darmstädter Pädagog noch weitere Denkmale vertragen könnte und, nicht zuletzt, dass das Verhältnis von Männer- zu Frauen-Denkmalen in Darmstadt noch immer ausgesprochen schlecht ist.

Warten wir’s also ab.

 

 

                                              

 

Barbara Dieckmann: Tonmodell und der gegossene Bronzekopf

 

 

Agnes Schmidt (links), Claus Netuschil (rechts) bei einem der vielen Termine mit Ruth Andres in der Steinmetz-Werkstatt

 

                                    

 

Letze Vorarbeiten – kein Zufall: Zwei Steinmetzmeisterinnen – Ruth Andres und Margit Busch. Nicht im Bild ist Judith Quartier, die die Schriften in den Stein schlug.

                             

Ansprachen und Enthüllung:  Agnes Schmidt, Luise Büchner-Gesellschaft, Edda Feess, Frauenbüro Darmstadt, Stadträtin Barbara Akdeniz, Oberbürgermeister Jochen Partsch und der Leiter der Alice-Eleonoren-Schule, Thomas Worringen

 

  

Musik und Text von der fabelhaften Büchnerbande – Thomas Heldmann, Jürgen Queißner, Reiner Lenz, Heiner Dieckmann und Petra Bassus

Hans Sarkowicz, hr2, mit Peter Brunner

                                

 

Ute M. schreibt mir, es sei gar nicht zu sehen,  wie viele Interessierte  gekommen waren. Sie  meint, achtzig waren es bestimmt. Sie hat Recht:

 

 

 

von Peter Brunner

Peter Brunner

Peter Brunner

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