Der Herausgeber von „WIR- Das Magazin im Gerauer Land” (Groß-Gerau ist die Kreisstadt, in deren Bereich Goddelau als Stadtteil von Riedstadt in Südhessen liegt), W. Christian Schmitt, hat mir angeboten, eine regelmäßige Kolumne in seiner Zeitung zu veröffentlichen, und das habe ich gerne angenommen.
Die Redaktion hat das mit einem Interview eingeleitet:
- Herr Brunner, seit Februar sind Sie der erste hauptamtliche Leiter des Büchnerhauses, der Gedenkstätte im Geburtshaus des berühmten Dichters. Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgaben und Herausforderungen in dieser Tätigkeit?
Ich habe die Aufgabe mit großem Vergnügen, vor allem aber auch mit großer Hochachtung vor der bisher geleisteten ehrenamtlichen Arbeit, übernommen. Selbstverständlich stehen wie bisher die BesucherInnen des Museums im Mittelpunkt der Tätigkeit. Mit der Stadt und dem Förderverein diskutieren wir zusätzliche Präsentations- und Kommunikationsformen sowie eine Erweiterung des Netzwerks. Auch da muss kein Rad neu erfunden werden: in der Arbeitsgruppe „Geist der Freiheit“ bei der Kulturregion Rhein-Main ist das Büchnerhaus eingebunden – ich habe gerade an einem Treffen teilgenommen, bei dem „MeinungsFreiheit“ als ein Schwerpunkt der Aktivitäten 2017/18 festgelegt wurde -, und mit vielen Institutionen, Personen und Orten im „Büchnerland“ gibt es schon gute Kommunikation. Das wollen wir zum gegenseitigem Nutzen intensivieren.
- Sie folgen im Amt Rotraud Pöllmann, die diese Aufgabe ehrenamtlich versehen hat. Was wird sich unter dem hauptamtlichen Leiter Peter Brunner verändern? Gibt es bereits geplante Projekte/Neuerungen, von denen Sie unseren Lesern berichten können?
Selbstverständlich ist und bleibt das Museum auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen. Das ist nicht nur aus arbeitsökonomischen Gründen so, sondern auch deshalb, weil es bürgerschaftliches Engagement war, das das Haus in seiner heutigen Form überhaupt zustande kommen ließ, und weil dies ein wichtiger Aspekt dabei ist, das Haus als Goddelau-Riedstädter Haus zu verorten. Neuerungen im Sinne von „Alles anders machen“ strebe ich nicht an – wozu auch. Dafür gibt es keinen Grund. Wir werden sicher ein bisschen aktiver mit elektronischer Kommunikation umgehen, es wird eine eigene Website entstehen und unsere Erreichbarkeit haben wir bereits mit der Mailadresse Buechnerhaus@Riedstadt.de verbessert. Für das Veranstaltungsprogramm des Büchnerhauses in der Galerie diskutieren wir für das kommende Jahr einen thematischen Rahmen, der Interessierten vielleicht Anlass bieten kann, regelmäßig in die Weidstraße zu kommen.
- Zum Gegenstand Ihrer Arbeit: Wie viel Aktualität messen Sie dem literarischen Werk Georg Büchners bei, und was können wir Ihrer Meinung nach in Zeiten (Un-)Sozialer Medien, von Fake News und rechter Hetze von Georg Büchner und aus seinem Werk lernen?
Büchners Aktualität ist ja zunächst einmal eine des Autors und seines literarischen Werkes; die ungebrochene Aktualität der Dramen und ihre packende Wortmacht zeigt sich ja in den unzähligen Inszenierungen auf der ganzen Welt. Die Bedeutung von Georg Büchners Werk in der Literatur spiegelt sich auch in den Dankesreden der Büchnerpreisträger, die fast alle die außergewöhnliche Kraft der Texte und ihre Wirkung auch auf sie persönlich betonen. Dass es die Schwachen, Verfolgten und Elenden sind, auf die Büchner unseren Blick richtet, macht ihn außerdem weit über die Literatur hinaus bedeutend und vorbildlich. Was neue Medien und ihren Missbrauch angeht, habe ich allerdings an einem keinen Zweifel: er hätte einen Twitter-Account – hashtag #Gerechtigkeit!
Nachdem das nun zum ersten Mal erchienen ist, hier auch im Geschwisterblog
die April-Kolumne „WIR im Büchnerland”
Zu Beginn meiner neuen Tätigkeit als Leiter des Riedstädter Museums Büchnerhaus bin ich gefragt worden, ob und warum sich denn Georg Büchner heute als Vorbild eigne.
Sein Wissen, seine Weltanschauung, sein Schreibstil, sein Lebensplan, seine politische Sympathie – alles spiegelt wider, in welchem Umbruch und welcher Zerrissenheit er lebte. Während seiner kurze Lebenszeit zwischen 1814 und 1837 wurde Europa auf den Kopf gestellt – und es ist der Kopf und das, was darin ist, was ihn unablässig beschäftigt. „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?“ schreibt er seiner Geliebten. Als Wissenschaftler folgt er dieser Frage mit dem Skalpell, als Autor mit der Feder.
Was aus Büchner geworden wäre, wäre er älter geworden, wissen wir nicht. Als er, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, stirbt, hinterlässt er ein kleines, unfertiges Werk.
Es gelingt nicht, ihn oder auch nur seine Texte mit einer einzigen, abschließenden Überschrift versehen abzuhaken: zuverlässig findet sich stets ein Zitat, ein Verhalten oder ein Zeugnis seiner Freunde oder Familie, das dem gerade gefundenen Urteil widerspricht.
Als Student in Gießen schreibt er im Februar 1834 an seine Eltern: „ … Ich verachte Niemanden, am wenigsten wegen seines Verstandes oder seiner Bildung, weil es in Niemands Gewalt liegt, kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu werden, – weil wir durch gleiche Umstände wohl Alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen. … Die Lächerlichkeit des Herablassens werdet Ihr mir doch wohl nicht zutrauen. Ich hoffe noch immer, daß ich leidenden, gedrückten Gestalten mehr mitleidige Blicke zugeworfen, als kalten, vornehmen Herzen bittere Worte gesagt habe“. Hier nennt er das Moment, das ihn stets bewegt – es ist Sympathie im Wortsinn, es ist „Mit-Leiden“ mit den Schwachen, was ihn nicht loslässt. Das findet sich im Aufruf zur Revolte des „Landboten“, in den Gesprächen des Volks auf den Straßen von Paris im „Danton“, in der beißenden Kritik an der Aristokratie in „Leonce und Lena“, in der verstummenden Anteilnahme am Leben des verwirrten „Lenz“ und in der Benennung der Verantwortlichen hinter Woyzecks verzweifeltem Mord.
Unrecht benennen und sich für Gerechtigkeit einsetzen: das ist es, was Georg Büchner bis heute als Vorbild auszeichnet.
von Peter Brunner
;
Schreibe einen Kommentar