Peter Brunners Buechnerblog

Monat: Juni 2015

„Haben wir dich, Spitzbuben, Hallunken, jetzt muß das Geld heraus!“

1825 erschien in Giessen eine kleine Schrift des Criminalgerichtssekretärs Carl Franz, in der dieser mit Auszügen aus den Gerichtsakten und in freier Erzählung Hergang, Aufklärung und Ende eines Raubes im ärmsten und rückständigsten Teil des Großherzogtums berichtet: eine Gruppe von Bauern überfiel am 19. Mai 1822 das sogenannte „Geldkärrnchen” und machte große Beute. Bis auf einen Beteiligten, der  – wohl nach Amerika – fliehen konnte, wurden alle verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt.

Sodann mit der drückendsten Armuth und Dürftigkeit kämpfend, nimmt er (der Wilddieb – pb), schon gewöhnt an Verbrechen und vertraut mit den Gefahren, die sie begleiten, zu den verzweifelten Mitteln, zu Diebstahl und Raub, seine Zuflucht, die ihn immer tiefer in den Pfuhl alles Verderbens ziehen und endlich an einen entsetzlichen Abgrund führen. (aus der Einleitung)

Das kleine Heft hat Karriere gemacht – hundert Jahre später, 1933, erschien ein Reprint in Marburg,  1971 machten es Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff zur Grundlage ihres Films „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“, 1978 wurde es, illustriert von Johannes Nawrath, zum ersten Titel des aufstrebenden Marburger Jonas Verlags, der den Text 1986, jetzt illustriert von Wilhelm M. Busch, ein erstes Mal und, gerade eben, als schlichte Textedition ein zweites Mal wieder auflegte.

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Carl Franz: Der Postraub in der Subach Begangen von acht Strassenräubern von denen fünf am siebenten October 1824 zu Giessen durch das Schwert vom Leben zum Tode gebracht worden sind. Marburg (Jonas) 2015. ISBN 978-3-89445-510-1. 64 S., Klappenbroschur. 8 €

Für den Herbst 2015 schließlich wurde der Text die Grundlage eines Freilicht-Musicals bei den diesjährigen Schlossfestspielen in Biedenkopf, dem kleinen Residenzstädtchen, das bei wikipedia unter wenig Anderem eine ausführliche Erwähnung des Kartoffelbratens verdient hat. Für das Musical, das am 21.8. vor bereits ausverkauftem „Haus” uraufgeführt werden soll,  schrieb Birgit Simmler das Libretto, die Musik ist von Paul Graham Brown ( „Eine Hetzjagd aus Verrat, Bestechung und Bedrohung bringt Liebe und Freundschaft ins Wanken. Wer gefasst wird, dem droht der Tod.” Quelle: website ).

Was soll das im Büchner-Blog?

Spätestens seit Trotta/Schlöndorffs Verfilmung ist klar, dass der schlichte Text des Gerichtssekretärs eine ganz hervorragende Schilderung der Verhältnisse unter den armen Bauern des hessischen „Hinterlandes“ bietet. Lebensverhältnisse, wie sie Friedrich Weidig und seinen Genossen tagtäglich  als das geplagte Leben der potentiellen Leser des Hessischen Landboten (und damit auch der Protagonisten des ersehnten Aufstandes) vor Augen standen. Der oben verlinkte wikipedia-Artikel erwähnt den Postraub leider ebensowenig wie den Mann, der später jahrelang Landtagsvertreter der Bauern in Darmstadt war: kein geringerer als der Büchner-Freund August Becker vertrat in der Hessen-Darmstädtischen Hauptstadt das Hinterland von 1849 bis zu seiner Auswanderung in die USA 1853 (12. – 14. Wahlperiode). Anders als Wilhelm Büchner, dessen Polit-Engagement mit der widerrechtlichen Auflösung des zweiten „Revolutions-Landtages“ von 1849 vorläufig endete, ist Becker auch für die beiden folgenden Landtage von „seinen” Bauern gewählt worden.

Hessisches_Hinterland_„Hessisches Hinterland“ von Ziegelbrenner - Eigenes Werk. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - httpscommons.wikimedia.orgwikiFileHessisches_Hinterland.png#me

„Hessisches-Hinterland“ von-Ziegelbrenner. Eigenes-Werk. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia-Commons httpscommons.wikimedia.org wikiFileHessisches_Hinterland.pngme

Wer also aus erster Hand wissen will, wie elend und unterdrückt die Hinterländer Bauern in den 1820er Jahren leben mussten, der schaffe sich dieses Büchlein an. Und besorge sich dann den Film. Und gehe schließlich, ausreichend vorbereitet, zu den Festspielen nach Biedenkopf.

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von Peter Brunner

Wer wollte noch Freiheitslieder singen, wo die Gegenwart nichts empfinden ließ als die hoffnungslose Erinnerung an eine große Enttäuschung

Die UN-Vollversammlung hat den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Dazu Informationen hier vom UNHCR und hier von der UNO-Flüchtlingshilfe.  Dieser Tag wird in vielen Ländern von Aktivitäten und Aktionen begleitet, um auf die besondere Situation und die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam zu machen.

Der „Neue Landbote”, die Internet-Zeitung für Rhein-Main und Mittelhessen, hat daran hier mit einer Zusammenstellung von Zitaten Georg Büchners erinnert.

Der löbliche und angemessene Hinweis ist an dieser Stelle noch um Informationen auf weitere Büchner-Flüchtlingsschicksale zu ergänzen.

Weniger dramatisch und nur kurzfristig war Alexander Büchners Flucht vor Verfolgung ins Versteck bei seinem Pfungstädter Bruder Wilhelm. Ich schrieb dazu 2009:

„Komischerweise hat noch nie jemand darauf hingewiesen, wie aberwitzig dieser „Ausflug” am  Pfingstmontag, dem 28. Mai 1849, tatsächlich war. Alexander hatte sich nämlich in Pfungstadt in den weitläufigen Örtlichkeiten der Blaufabrik vor Verfolgung versteckt, und ausgerechnet in den durchaus absehbaren Geplänkeln der Revolutions-Niederschlagung  „spazierenzugehen”, darf man schon waghalsig nennen. Das „Gefecht bei Heppenheim” zwischen den badischen Revolutionstruppen und den Soldaten der hessischen Konterrevolution fand nur zwei Tage später, am 30. Mai, statt. Alexander riskierte im wörtlichen Sinn sein Leben, und vielleicht sollten wir ihm zugestehen, dass er sich vom Stand der Bedrohung überzeugen wollte und den „Spaziergang” in Zukunft besser „Erkundung” nennen.”

Später blieb ihm nichts anderes übrig, als Deutschland zu verlassen. Nachdem ihm der „Access ”, die Zulassung als Anwalt vor Gericht, entzogen worden war, hat er ein weiteres Studium absolviert. Auch als Sprachwissenschaftler gelang es ihm aber nicht, in Deutschland (und auch nicht in der Schweiz) angestellt zu werden. Seine bescheidene Karriere in Frankreich zum Professor für Deutsch an der Universätät von Caen entsprach durchaus nicht dem, was in einem liberalen Deutschland aus ihm hätte werden können. Er selbst schreibt in seinem Lebensbericht „Das tolle Jahr“

„Nun waren meine Aussichten als deutscher Schriftsteller zwar recht gut, andererseits aber reizte mich die Gelegenheit, das Französische grundmäßig kennen zu lernen sowie Land und Leute in nächster Nähe zu studieren, so daß ich mich schnell entschloss, das Angebotene zu ergreifen.” (a.a.O., S. 212)

Dies ist nun in mehr als einer Beziehung ein Alexander’scher Euphemismus: tatsächlich stand er trotz zweier Studien, doppelter Promotion und nachdem er ein durchaus vorzeigbares Werk vorgelegt hatte („Geschichte der englischen Poesie“, Darmstadt 1855), dem er 1858 „Französische Literaturbilder” (Frankfurt a.M., Herrmmann’scher Vlg.) folgen ließ, vor dem beruflichen Nichts. Seine Auswanderung nach Frankreich darf sehr wohl als Exil verstanden werden.

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Viele Freunde der Büchners mussten Deutschland zwischen 1837 und 1860 verlassen: zum Beispiel der arme Minnigerode, als Bote mit Exemplaren des Hessischen Landboten in Gießen verhaftet und im Gefängnis fast verückt geworden, und nur entlassen wurde, weil seine Familie zusagte, dass er nach Amerika auswandern werde (wo er ein neues Leben als Prediger begann); oder August Becker, der treueste Freund Georg Büchners, der nach jahrelangem Gefängnisaufenthalt in die Schweiz gegangen war, von wo er zurück in die 48er Revolution kam und danach Landtagsabgeordneter wurde, bis ihm wegen angeblicher Gotteslästerung erneut Gefängnis drohte. Er könne nie wieder in ein deutsches Gefängnis gehen ohne zu sterben, soll er gesagt haben, bevor er 1853 in die USA floh. Oder Gustav Buß, der ebenfalls als 48er mit seiner Frau aus Karlsruhe in die USA floh und in den siebziger Jahren mit seinen Kindern zurück kam. Er hatte in Texas erleben müssen, dass die Südstaatler die Deutschen Exilanten mit Gewalt in die Armee pressen wollten und hatte sich dem, wie viele weitere Deutsche, widersetzt. Es kam zu Menschenjagden und Erschiessungen; Buss entkam nach Mexiko. In Darmstadt heiratete sein Sohn Karl („Don Carlos”) 1888 Ludwig Büchners Tochter Mathilde.

Luise Büchner schreibt über die Folgen der Niederlage von 1849:

„Strenge musste man sich hüten, das, was man dachte, nicht über die Lippen treten zu lassen, denn strafte das Gesetz schon jeden, den es erreichen durfte und konnte, mit voller Härte, so suchte man auch die bloße Gesinnung zu bestrafen, wo es im Bereiche der Möglichkeit lag. Diese Mißliebigen wurden dann zu keinem Amte mehr zugelassen, von den Staatsprüfungen zurückgewiesen, nicht befördert und sonst noch auf jede Weise bedrückt. So sahen sich auch noch in den folgenden Jahren viel strebsame, junge Männer genötigt, den Staatsdienst zu quittieren oder das Vaterland zu verlassen um ihre Kenntnisse um Auslande zu verwerten. Ein neuer Aufschwung der Literatur, welcher einigermaßen zu trösten vermocht hätte, war unter diesen Verhältnissen ebenso wenig zu erwarten: wer wollte noch Freiheitslieder singen und an die Herzen seiner Nation anpochen, wo die Gegenwart nichts empfinden ließ als die hoffnungslose Erinnerung an eine große Enttäuschung. Wo das Große nicht gedeihen konnte und nicht nehr ausgesprochen werden durfte, da kam das Kleine und Süßliche an die Reihe.” (Luise Büchner. Deutsche Geschichte, Lpzg. 1875, S. 570)

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Es ist bitter, das bis heute Menschen die schreckliche Erfahrung machen müssen zu fliehen. Und es ist unerträglich, das ausgerechnet in Deutschland, das so lange, so oft und so viele zu Flucht gezwungen hat, das Recht auf Asyl mit Worten und Taten in Frage gestellt wird.

SPeterBrunner

von Peter Brunner

Nicht still, als bis der Tod dich bricht!

Am 12. Juni 1821, vor 194 Jahren, wurde in Darmstadt, im Haus der Familie, Obere Baustraße, heute Elisabethenstraße, Luise Büchner geboren.

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Nach dem großen Erfolg ihrer Schrift „Die Frauen und ihr Beruf“ (hier ist die von ihr umfangreich überarbeitete und erweiterte Ausgabe  letzter Hand, die 4. von 1872, verlinkt) veröffentlichte sie zahlreiche Aufsätze und Erzählungen. 1862 erschien in Berlin ihr Gedichtband „Frauenherz“.

Luise Büchners bleibende Qualität liegt nicht in ihrer lyrisch-belletristischen Begabung, vieles davon ist heute nur noch als Reminiszenz an sie zu lesen. Bedeutend bleibt sie als Frauenrechtlerin. Aber immer wieder finden sich Texte, in denen  die persönliche Betroffenheit der Autorin unübersehbar ist. Dies gilt ganz besonders für Texte, die als guter Rat für das Leben einer Frau verfasst sind – so wie hier, wo wir buchstäblich das schwere Los einer mutigen, ledigen, konsequenten Frau des 19. Jahrhunderts nachlesen können:

 

 

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Guter Rath

Still mußt du werden, pochend Herz,
Still wie der Stern am Himmelszelt,
Wie er, mußt unberührt du steh’n
Vom nicht’gen Treiben dieser Welt.

Still mußt du werden wie der Fels,
An dem sich wild die Brandung bricht;
Ob auch ein Schifflein jach zerschellt
An seinem Fuß, er fühlt es nicht.

Still mußt du werden wie der Schwan,
Der lautlos schwimmt den See dahin,
Wie einsam er die Fluth zertheilt,
Mußt du des Lebens Kreise zieh’n.

So stolz mußt steh’n du, so allein,
Dann wirst du froh und glücklich sein.
Doch ach! du seufzest leise: nein,
Nicht froh, nicht glücklich werd‘ ich sein!

O, ich versteh‘ dich, glühend Herz,
Zu heiß liebst du das Leben noch,
Trotz seinen Schmerzen, seiner Qual,
Trotz seiner Noth liebst du es doch.

So schlag‘ in Menschenleid und Lust,
So dulde denn und klage nicht,
Sei einsam eher nicht und kalt,
Nicht still, als bis der Tod dich bricht!

 

SPeterBrunner

von Peter Brunner