Peter Brunners Buechnerblog

Vom Bauerndorf zur Industriestadt – zwei tolle Projekttage mit SchülerInnen

Ich hatte diese Woche das große Vergnügen, zwei Projekttage der Pfungstädter Friedrich-Ebert-Schule zu begleiten. Angekündigt als Veranstaltung zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert hatten sich die beiden LehrerInnen mit mir auf folgenden Ablauf verabredet, den wir ganz gut einhalten konnten:

 

– Dienstag 8:15 Begrüßung, Einführung

8:30 – 9:30 Powerpoint zu den „Geschwistern Büchner“ unter besonderer Berücksichtigung des Pfungstädter Industriellen Wilhelm B.

9:30 Abfahrt nach Darmstadt, auf dem Alten Friedhof Besuch der Büchner-Gräber, anschließend kleiner Gang durch die Darmstädter Innenstadt mit historischen Ansichten zur Illustration der Veränderungen.

 

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ok, nach Begeisterungsschreien sieht das jetzt nicht aus …

Mi., 8:15 Begrüßung, erstes Resumé

8:30 – 9:30 Industrialisierung in Pfungstadt, Wilhelm Büchners Blaufabrik, Veränderungen zwischen 1820 und 1900 – der Weg Pfungstadts vom Bauerndorf zur Stadt

10:00 Besuch der Büchnerbühne in Riedstadt-Erfelden, dort Gespräch mit dem Leiter, anschließend im Theater Büchnertexte und Erläuterungen „warum Büchner?“

12:30 Rückfahrt, Abschlußbesprechung

 

F. Weidigs Grab auf dem Alten Friedhof in Darmstadt 

Dazu haben sich insgesamt 8 SchülerInnen angemeldet, 6 aus dem Gymnasial-, 2 aus dem Realschulzweig.

Wir hatten einen riesigen und von uns allen ziemlich unerwarteten Spaß miteinander. Im Vorfeld hatte ich mir ausbedungen, im Falle unerträglichen Verhaltens aus Pietät auf den Friedhofsbesuch zu verzichten. Stattdessen konnten wir die kaum wieder von da runter kriegen: weder als Begräbnis-, noch als Gedächtnisstätte noch als Park hatten die SchülerInnen bis dahin einen Friedhof wahrgenommen; wir fanden neben den Büchnergräbern auch das von Ludwig Weidig, der im Gefängnis totgequält wurde (und dessen Grabinschrift noch jahrzehntelang versteckt wurde), daneben weitere Darmstädter Prominente usw. usf. Auch auf dem Darmstädter Marktplatz setzte sich das große Interesse und die Neugierde fort: auf dem Grab von Ludwig Büchner sind mehrere seiner Nachfahren zusammen bestattet, die in der Darmstädte Brandnacht 1944 zusammen ums Leben kamen. Der völlig veränderte Marktplatz und mein Bericht darüber, dass alle „Büchnerstätten“ in Darmstadt verloren sind, hat alle sehr beeindruckt.

Am nächsten Tag war kaum möglich, zusammenzufassen, so schnell sollte es weitergehen. Ich habe dann wieder eine gute Stunde lang mit Bildern und vor Ort in Wilhelms Villa erzählt, wie er gelebt und gearbeitet hat, was Industrialisierung für den kleinen südhessischen Ort bedeutete (Pfungstadt hieß damals scherzhaft „das südhessische Manchester“ und verdoppelte seine Einwohnerzahl) und schließlich den Bogen zu seinem früh verstorbenen genialen Bruder Georg geschlagen (Wilhelm platzierte den Grabstein Georgs im Park seiner Villa).

Christian Suhr, der Impressario der Büchnerbühne, hat dann eindrucksvoll sein eigenes Leben als Schauspieler und den Weg von der Metropole (er war u.a. am Berliner Ensemble) in die Provinz geschildert. Die Unmittelbarkeit von Person und Institution hat uns alle gepackt; und die anschließend vorgetragenen Texte forderten höchste Aufmerksamkeit. (Die Saint Just-Rede aus Dantons Tod über die Notwendigkeit, das Morden fortzusetzen, fordert auch von kenntnisreichem Publikum einiges!).

Das Schlussgespräch hatte zwei Themen: begeisterte Zustimmung zur Veranstaltung und die Frage, ob und wie sich das vertiefen und fortsetzen ließe, und die Überlegung, ob und wie sich so was wie ein Ferienworkshop mit ähnlichem Inhalt veranstalten lässt. Tenor dazu: es wird im Vorfeld niemand glauben, wie spannend, anschaulich, lehrreich, abwechslungsreich und unterhaltsam der Umgang mit Geschichte ist. Rätselraten darüber, ob und wie sich das vorab vermitteln lässt. Vorschlag, eine Jahreseinheit „WPU“-Unterricht dazu anzubieten.

Mein Fazit: selbstverständlich sind junge Menschen höchst interessiert an den Umständen, die sie und ihre Umgebung geformt haben. Wahrscheinlich ist aber die Form, die ich als Amateur und Entertainer wählen konnte, nämlich assoziativ zu berichten, Exkurse zuzulassen und zu ermutigen, Abwegiges gemeinsam zu hinterfragen und aufzuklären, im lehrplangeknechteten Schulunterricht nicht möglich. Selbstverständlich waren das alles nur Anstösse zum Weiterlernen, keine abgeschlossenen Unterrichtseinheiten. Auch die Kür, mit „freiwilligen“ SchülerInnen zu arbeiten, ist natürlich ein Sonderfall. Allerdings ist unser Ansatz, auf diese Art Lokalgeschichte in den Schulunterricht „einzuspeisen“, eine Möglichkeit, Interesse zu wecken und Verständnis zu gewinnen, die sich wohl kaum überschätzen lässt.

 Ich hoffe sehr, dass  sich ein Weg findet, diese Schülerprojekttage hier bei uns zu einem Lernprojekt für alle Beteiligten zu machen.

2 Kommentare

  1. Chris Maschke

    Guten Tag, ein tolles Projekt haben Sie da auf die Beine gestellt. Ich nehme es mal als Ideenfindung für unseren nächsten Ausflug. Vielen Dank und viele Grüße C. Maschke

  2. Alexander Staab

    Aus der Sicht des begleitenden Lehrers kann ich nur sagen, es war ein Paradebeispiel für die zwei Projekttage der Friedrich-Ebert-Schule Pfungstadt unter dem Motto „Schule und Stadt“. Die Schülerinnen und Schüler waren ausgesprochen interessiert, motiviert und wollten auch nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung nicht gehen, sondern lieber noch in alten Dokumenten und Büchern der Büchners stöbern. Auch Tage später sprachen mich Eltern auf diese rundherum gelungene Veranstaltung an und waren voll des Lobes.
    Und wieder ein lokalgeschichtliches Mosaiksteinchen im Geschichtsbild unserer Schülerinnen und Schüler.

    Vielen Dank lieber Peter!

    Geschichte ist in Pfungstadt ein durchaus beliebtes Fach und die Leistungen und das Wissen unserer Schülerinnen und Schüler können sich sehen lassen!

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