Neues aus Buechnerland

Peter Brunners Buechnerblog

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Villa Büchner ist Ziel im neu erschienenen Radwanderführer LiteRadTouren

Nach den erfolgreichen literarischen Kultur- und Freizeitführern Hessen (Süd/Mitte/Nord), herausgegeben vom Hessischen Rundfunk, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, dem ADAC und dem Hessischen Literaturrat (hier gibt es Informationen und Bezugsmöglichkeiten) erschien soeben der neue Führer LiteRadTouren – Radwandern im Literaturland Hessen. Hier der Pressetext:

„Der romantische Rheingau, das malerische Lahntal, der nordhessische Märchenwald – Hessens reizvolle Landschaften lassen sich bestens mit dem Fahrrad erkunden. Jetzt verbindet ein neuer Radreiseführer den Spaß am Radfahren mit kulturellem Genuss. Unter dem Stichwort „LiteRadTouren – Radwandern im Literaturland Hessen“ laden fünf 

Themenrouten zum Erkunden hessischer Regionen ein. Den literarischen Radreiseführer gibt hr2-kultur in Kooperation mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Hessen Agentur gemeinsam mit dem ADAC Hessen-Thüringen heraus. Er ist kostenlos bei den ADAC Geschäftsstellen & Reisebüros in Hessen und beim „Literaturland Hessen“-Büro von hr2-kultur, Telefon: (069) 155-4960, erhältlich. 

Die „LiteRadTouren“ führen zu Wirkungsstätten, Dichterhäusern und literarischen Schauplätzen und folgen den Lebenswegen berühmter Autoren. Stationen sind unter anderem das Brentanohaus in Oestrich-Winkel, das Büchnerhaus in Riedstadt-Goddelau, das Lottehaus in Wetzlar und die Brüder-Grimm-Städte Hanau, Steinau an der Straße und Kassel. 

Ob Genussradler oder sportlich unterwegs: Auf den gut beschilderten hessischen Radfernwegen und regionalen Routen ist für jeden etwas dabei. Ausführliche Streckenbeschreibungen, Karten und Höhenprofile erleichtern die Planung. 

Die „LiteRadTouren“ sind die Fortsetzung eines erfolgreichen Gemeinschaftsprojekts: Mit dem ADAC Hessen-Thüringen und in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst hat hr2-kultur bereits Kultur- und Freizeitführer für Nord-, Mittel- und Südhessen herausgegeben. 

Das „Literaturland Hessen“ wurde 2004 von hr2-kultur gemeinsam mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Hessischen Literaturrat e.V. mit dem Ziel gegründet, die Literaturgeschichte(n) des Bundeslandes erlebbar zu machen. 

Hier gibt es weitere Informationen.


Nach der Pressekonferenz im Goddelauer Büchnerhaus radelten die Journalisten von einem „literarischen Ort“ zum andern, teil bequem von Elektromotoren in den Fahrrädern unterstützt, zur Pfungstädter Villa Büchner. An dem neu restaurierten authentischen Ort der Büchners, für den zahlreiche Besuche aller Familienmitglieder dokumentiert sind, mündete eine Führung schließlich „zur Belohnung“ am ausgedehnten Strudlbuffet.

Alexander Büchner schrieb von der Villa als dem „petit chateau“ und lobte die Pfungstädter Sommerfrische, die er und sein Sohn häufig genossen. Alexander war schon 1849 Gast in Pfungstadt, lange bevor die Villa 1864 errichtet wurde. Er versteckte sich hier vor polizeilicher Verfolgung, bis er es am Pfingstmontag 1849 nicht mehr aushielt und sich ins Getümmel der sogenannten „Reichsverfassungskampagne“ begab, wo er prompt verhaftet wurde.

Bei strahlender Sonne und mit gut gelaunten Gästen entstand eine ferne Ahnung von den wunderbaren Familienfesten, die die Büchners hier gefeiert haben.

Angelika Bierbaum (hr) und Florian Balke (FAZ) mit Sabine Gündisch (Mitte)

vom Restaurant Strud´l Stub´n vor dem „Strud´l -Buffet“ 

Felicitas Hoppe erhält den Georg-Büchner-Preis 2012

Die Begründung der Jury:

„Mit dem Band Picknick der Friseure (1986) brach die Schriftstellerin Felicitas Hoppe in ihr vielstimmiges Werk auf. Seither hat sie in Romanen, Erzählungen und Essays die Welt der Abenteurer und der Hochstapler, der Entdecker und der Taugenichtse erkundet. In einer lakonischen und lyrischen, eigensinnigen und uneitlen Prosa hat sie ein erzählerisches Universum erfunden, in dem Grundfragen eines ‚postmodernen’ Daseins mit freier und befreiender Phantasie durchgespielt werden.

Das Reisebuch Pigafetta (1999), der pikareske Roman Paradiese, Übersee(2003), die Porträtgalerie Verbrecher und Versager (2004), die moderne Legende von der heiligen Johanna (2006), die Neuerzählung des Ritterromans von Iwein Löwenritter (2008) und jüngst die fiktive Biographie Hoppe (2012) unterlaufen virtuos die Grenzen von Wahrheit und Fiktion, Selbsterkenntnis und Rollenspiel. Felicitas Hoppe fragt nach Möglichkeiten der Ich-Werdung, nach den Wundern und Verstrickungen der Sehnsucht, und lässt unaufdringlich metaphysische Horizonte aufscheinen.

In einer Zeit, in der das Reden in eigener Sache die Literatur immer mehr dominiert, umkreist Felicitas Hoppes sensible und bei allem Sinn für Komik melancholische Erzählkunst das Geheimnis der Identität: „Denn auf welchen Namen wir wirklich getauft sind, wer kann das schon wissen.“

Bild, Biographie und Werkverzeichnis hier auf der website der Akademie. 

Zwei Schwestern und ein Todesfall – oder: Es ist nicht leicht, eine Darmstädterin zu sein

Zur Uraufführung von  „Luise & Mathilde”, Kammerspiel von Peter Schanz 

Samstag, 12. Mai 2012, Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele

Hier die Besprechungen von Johannes Breckner im DARMSTÄDTER ECHO und von Leopold Schuwerak im Hessischen Rundfunk

 

Der Theaterautor und Dramaturg Peter Schanz hat zur „Büchnerbiennale“, dem unermüdlichen Feiern von wahlweise Georg Büchners Geburtstag oder Todestag, ein Theaterstück geschrieben und inszeniert. Für die Dramaturgie ist Caroline Zacheiß verantwortlich. Es ist den beiden Schwestern des großen Dichters gewidmet. Die Premiere fand am Samstag im Kammerspiel des Darmstädter Staatstheaters statt, das den Charme eines Lofts mit dem Chaos eines Kulissenlagers verbindet und übernormgroße Zuschauer auf Folterstühlen quält. Folgerichtig hat Schauspieldirektor Martin Apelt auch kein Bühnenbild eingerichtet, sondern in der Mitte der Bühne eine Art Umzugsdepot aus Küche, Tisch und Bank aufstapeln lassen, das zu Beginn der Aufführung von den beiden Schwestern erst einmal zur Theaterkulisse auseinandergezogen und als Wohnungseinrichtung platziert wird.

 

Schauspieldirektor Martin Apelt bei der öffentlichen Probe vor dem zukünftigen Bühnenbild  

 

Margit Schulte-Tigges und Sonja Mustoff kommen als Frauen von heute auf die Bühne, und nach 90 Minuten werden sie die Verwandlung zu den zwei Büchnerschwestern vor dem Publikum rückgängig machen und sich zurück ins Heute begeben.

Zunächst verpuppen sich die beiden zu dem Duo, das Mitte des neunzehnten Jahrhunderts jahrzehntelang miteinander in Darmstadt lebte. Die schwesterliche Eintracht der äußerlich ganz verschiedenen Frauen zeigt sich schon beim gegenseitigen Ankleiden der zeitgemäßen schwarzen Kostüme voller Haken und Ösen, die ironische Distanz zur Rolle in der Bemerkung „jetzt könnte mal jemand den Reissverschluss erfinden“. Brav nimmt Mathilde ihren Part in der Küche an, während Luise sich mit Papier und Feder am Tisch niederlässt. Wie eine Imagination des toten Bruders Georg hat der Autor seinen Akteurinnen einen Spielmann erfunden, den sich Mathilde „von dem da oben“ wünscht. Finn Henrik Hanssen, der auf der Riedstädter Büchnerbühne in „Wenn es Rosen sind werden sie blühen“, der Adaption von Kasimir Edschmidts Büchner-Roman, gerade einen großartigen Ludwig Weidig spielt, gibt mit frischer Jugendlichkeit einen Cicisbeo mit der Gitarre. Die Tagträume der Schwestern darf er mit den geliebten Volksliedern untermalen. Nicht als Geschichtsstunde, als biographischer Essay faltet sich im Trialog das Leben der beiden Frauen auf. Schanz lässt Luise ihren Raum als bedeutender Frauenrechtlerin, ohne die Schwester Mathilde als Hausmütterchen zu denunzieren. Im Gegenteil ist der ältesten Büchnerschwester, von der außer ihrem Namenszug kaum ein Stück schriftlicher Hinterlassenschaft übrig geblieben ist, selten so sehr Recht geschehen wie hier auf der Darmstädter Bühne. Mathilde kennt und kommentiert Luises Werk und präsentiert sich glaubwürdig als die Hüterin der Familienschätze, die unglücklicherweise dem Darmstädter Feuersturm vom 11. September 1944 zum Opfer gefallen seien. Schanz hat seine Hausaufgaben gemacht – er zitiert damit eine sehr berechtigte Vermutung von Agnes Schmidt, der Vorsitzenden der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft. Darüber hinaus schafft er es, Luise Büchners Denken und Arbeit mit gut gewählten Zitaten anschaulich zu machen. Auch Anspielungen auf Darmstädter Lokalkolorit in Sprache und Erzählung gelingen zur hörbaren Freude des Auditoriums, das darin übereinstimmt, dass Pralinen keinesfalls in der Vorort-Provinz Griesheim gekauft werden dürfen. Die Rückverwandlung der beiden in Frauen von heute geht einher mit Dialogen, die uns ganz die Aktualität auch dieser Büchners vermitteln; sei es in der RAF-Hysterie der siebziger Jahre oder in der für Darmstadt noch immer denkwürdigen Frauenaktion gegen einen Sexshop.

 

Zum Ende der unterhaltsamen Aufführung findet das glücklicherweise lange nicht mehr im Theater erlebte Einbeziehen des Publikums, allerdings erfreulich unaufdringlich und durchaus der Stringenz des Stückes folgend, mittels Einladung zum Abendimbiss statt. Mathilde hat Fischsuppe für alle gekocht – aus Barben natürlich.

 

Mit reichlichem Beifall bedankte sich das Publikum bei dem glänzend aufgelegten Ensemble mit Autor und Schauspieldirektor.

 

Als erfrischender Kommentar zum gelegentlich überintellektualisierten Georg Büchner-Gedenken ist dieser schönen Aufführung als Denkmal der Büchnerschwestern und als Memento der noch lange nicht am Ziel angekommenen Frauenbewegung viel Erfolg und eine lange Spielzeit zu wünschen!  

Der Staat also sind alle; die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch welche das Wohl aller gesichert wird und die aus dem Wohl aller hervorgehen sollen.*

Es hat lange gedauert, bis wir vom Bundesfinanzministerium erfuhren, dass es 2013 eine Briefmarke zum Andenken an Georg Büchners 200 Todestag geben wird; offenbar erscheint am 10. Oktober 2013 auch eine 10 €-Gedenkmünze, wie wir den einschlägigen websites

 Muenzen.Eu

und

Muenzen-News.De  

entnehmen konnten.

DDR-Buechner 1963

Die 20-Pfennig-Briefmarke der DDR von 1963

Wir sind gespannt, ob man mutig genug ist, Alexis Mustons schöne Skizze zur Grundlage der Gestaltung zu nehmen!

Es entbehrt natürlich nicht einer gewissen Pikanterie, dass ausgerechnet so offenbar auf den Staat bezogene Stücke wie Briefmarken und Münzen Georg Büchner als Motiv tragen werden.

Es liegt an der Autorschaft, der Publizistik und den Veranstaltern, dafür zu sorgen, dass das als Anerkennung der revolutionären Qualität  von Georg Büchners Literatur und Politik wirkt und nicht als öffentliche Demonstration von erloschenen Wirkkraft und eingetretener Harmlosigkeit!

*aus dem Hessischen Landboten, hier im Zusammenhang:  

 Dies Geld ist der Blutzehnte, der vom Leib des Volkes genommen wird. An 700.000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern dafür. Im Namen des Staates wird es erpreßt, die Presser berufen sich auf die Regierung, und die Regierung sagt, das sei nötig, die Ordnung im Staat zu erhalten. Was ist denn nun das für gewaltiges Ding: der Staat? Wohnt eine Anzahl Menschen in einem Land und es sind Verordnungen oder Gesetze vorhanden, nach denen jeder sich richten muß, so sagt man, sie bilden einen Staat. Der Staat also sind alle; die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch welche das Wohl aller gesichert wird und die aus dem Wohl aller hervorgehen sollen. – Seht nun, was man in dem Großherzogtum aus dem Staat gemacht hat; seht, was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten! 700.000 Menschen bezahlen dafür 6 Millionen, d.h. sie werden zu Ackergäulen und Pflugstieren gemacht, damit sie in Ordnung leben. In Ordnung leben heißt hungern und geschunden werden.

„Christ und Bürger, deine Pflicht, heißt dich suchen Recht und Licht!“*

Im Rahmen der Bildungsarbeit hat das evangelische Dekanat Darmstadt-Land zu einer Exkursion auf den Spuren von Friedrich Ludwig Weidig nach Butzbach und Umgebung eingeladen.

 

Eine Stadtführung durch die schöne Fachwerkinnenstadt (mit den üblichen Problemen Sanierungsstau und Konflikt mit Eigentümerinteressen), eine Führung durch das außergewöhnlich gut ausgestattete Museum und schließlich noch die Besichtigung zweier Stätten außerhalb der Stadt waren auf dem Programm.

 

In Butzbach ist die Scheune verschwunden, in der Weidig das Manuskript und später die gedruckten Exemplare des Hessischen Landboten versteckte; die Kirche, sein Elternhaus, das Haus des Konrektors und auch die damalige Lateinschule sind erhalten.

Butzbach: rechts das Haus, in dem Weidig als Konrektor lebte, links die ehemalige Lateinschule, wo er unterrichtete 

 

Im Museum gibt es einen Gedächtnisraum an Weidig und die Zeit von 1800 – 1850; dabei Hinweise auf die Sammlung des Weidig-Forschungsarchives, besonders auch die dort untergebrachte bedeutende Sammlung Heil.

 

Am Stadtrand liegt der „Schrenzer“, die Gegend an der historischen „Schranke“, dem Limes, der dort verlief (das Kastell war größer als die Saalburg!). Dort errichtete Weidig den ersten hessischen Turnplatz, an den ausgerechnet die Nazis mit einem Gedenkstein erinnerten. Schon 1848 haben die Butzbacher dort einen „Weidig-Hain“ angepflanzt, dessen Bäume den Schriftzug seines Namens bildeten. Zwei der großen Eichen aus dieser Zeit stehen noch vor Ort. Auch eine großer Gedenkstein, den kurz nach Weidigs 175. Todestag noch der Gedenkkranz der Stadt schmückte, ist dort aufgestellt.

 Weidig Gedenkstein

 

 Der Weidig-Gedenkstein  und der historische Turnplatz auf dem „Schrenzer“ oberhalb von Butzbach

 

Schließlich führte die Fahrt noch nach Wölfersheim, wo der Ort des „Blutbads von Södel“, wo die enthemmten Truppen des Darmstädter Prinzen Emil am 1. Oktober 1830 eine wehrlose Bauerngruppe zusammenschossen, aufgesucht werden sollte. Leider gibt es vor Ort kaum Erinnerung an diese Schandtat, die Büchner und Weidig im „Hessischen Landboten“ erwähnen, und auch den Gedenkstein, den man aufsuchen wollte, gibt es nicht.

 

Der Dorfplatz von Södel, heute einem Stadtteil von Wölfersheim, Schauplatz des „Blutbades“ 

 

Allerdings hat eine örtliche Laienspielgruppe vor einiger Zeit am historischen Ort ein Theaterstück zu diesem wichtigen Teil der Ortsgeschichte aufgeführt.

 

* Aus Weidigs Predigt „Vom gemeinen Nutzen“, gehalten um 1819 in Butzbach.

Zit. nach „Weickhardt, Ludwig. Dr. Friedrich Ludwig Weidig. Das Lebensbild eines aufrechten deutschen Mannes“. Butzbach. luwei. 1969

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