Der Verfasser ist royalistischer Sympathien ähnlich unverdächtig wie die Familie, die Gegenstand dieses Blogs ist.
„ … der Mensch … heißt: unverletzlich, heilig, souverän, königliche Hoheit. Aber tretet zu dem Menschenkinde und blickt durch seinen Fürstenmantel. Es ißt, wenn es hungert, und schläft, wenn sein Auge dunkel wird. Sehet, es kroch so nackt und weich in die Welt wie ihr und wird so hart und steif hinausgetragen wie ihr…” (Der Hessische Landbote)
Dennoch konnte ich nicht vermeiden, die minütlich aktuellen Niederkunfts-Meldungen der britischen Battenberg-Nachfahren wahrzunehmen. Berufenere als ich haben geschildert, wie Alexander von Hessen und seine „unstandesgemäße“ Gattin von Hauke zu dem damals längst ausgestorbenen Titel derer von Battenberg kamen – hier die Details in wikipedia.
Anton Büchner (1887 – 1985) um 1910
Der schließlich hervorgebrachte Sprössling teilt allerdings ein Schicksal mit einem wesentlich unbekannteren Büchner-Nachfahren: Anton Büchner, Wilhelm Büchners Enkel, Georg Büchners Großneffe, der erste Biograph der Familie Büchner, war vom Büchner-Fieber so unheilbar befallen, dass sein 1920 geborener Sohn die Vornamen Georg Alexander Wilhelm Ludwig, also sämtliche Vornamen seiner Urgroßonkel, trug.
Georg Alexander Wilhelm Ludwig Büchner mit seiner Stiefmutter Maria, geb. Hoesch, 1948
Der jüngste Windsor-Battenberg heißt immerhin George Alexander Louis, und den fehlende Vornamen Wilhelm trägt sein Vater William – das klingt doch verdächtig nach republikanischen Sympathien im britischen Königshaus?!
Eine Zahl als Antwort auf die wichtigsten Fragen des Lebens ist ja keine wirklich prickelnde Neuigkeit. In der fast unendlichen Büchner-Biennale kommt das allerdings zum ersten Mal vor und soll erklärt werden.
Georg Büchners Frauen 19,90 € 272 Seiten ISBN 978-3-423-28018-1
21 Frauen findet Jan-Christoph Hauschild nach umfassender Recherche in Georg Büchners Leben und Werk – 1o reale und 10 erfundene. Eine elfte, Friederike Brion, war zwar eine reale Person, hat aber Georgs Leben nur noch als Legende gestreift. Die Sessenheimer Pfarrerstochter, die Goethe vorübergehend liebte und nach der sich Lenz verzehrte, und die damals aktuelle Begierde nach ihren Lebens- und Liebesumständen ist nach Hauschilds Ansicht verantwortlich für den einzigen Prosatext aus Büchners Hand, den Lenz.
Hauschild schreibt:
„Die Elsass-Episode im Leben des Dichters bot Büchner Stoff für eine faktengestützte Erzählung, die zugleich Fallstudie eines künstlerischen, psychischen und damit auch sozialen Grenzgängers sein sollte. Geplant war, den Bogen von Lenz‘ Ankunft in Straßburg 1771 und seiner Tätigkeit als Schriftführer bei der dortigen literarischen Gesellschaft bis zur Verbringung aus dem Elsaß im Februar 1778 zu spannen. Obgleich die Dreiecksgeschichte Goethe -Friederike – Lenz die Gefahr einer Schlüssel- oder Klatschnovelle barg, hätte die Beziehung zu Friederike Brion im Mittelpunkt gestanden.
Der Text blieb unvollendet; überliefert sind nur die Ausarbeitungen zum Schluss, die teilweise nicht über das Entwurfsstadium hinausgelangt sind.“ (S. 165)
Hauschild ist ein souveräner Kenner, der nicht nur hier mit klaren Worten Position bezieht. So wird die – zu Recht – als Pretiose im Schatzkästlein Deutscher Literatur gepriesene „Novelle” Lenz auf den Boden der Tatsachen gestellt.
Andere Veröffentlichungen der letzten Monate lassen vermuten, die wichtigste Frage zu Georg Büchners Leben und Werk sei die nach Anzahl und Frequenz seiner Geschlechtsverkehre. Hauschild weicht dem nicht aus. Im Vorwort nimmt er sich einige der Sexual-Phantasten vor, widerlegt sie knapp, aber deutlich, um zu schließen:
Auch die detailversessene biografische Forschung hat nur bestätigen können, was schon seit 1837 bekannt war: Dass sich nämlich Büchner im ersten Jahr seines Studiums in Straßburg „mit der Tochter des Pfarrers an St. Wilhelm, Johann Jakob Jaeglé, verlobte”, welche „durch Geist und Herz in jeder Beziehung seiner würdig war“. So steht es im Nachruf, den ihm sein Freund Wilhelm Schulz gewidmet hat. Wilhelmine Jaeglé also war die Frau an seiner Seite. Und dabei sollte, wer nicht selbst an einer sexuellen Obsession leidet, es belassen. Spannender und nutzbringender ist die Frage nach Georg Büchners Frauenbild, wie es uns in seinen Dichtungen entgegentritt. (S. 14)
Und diese Aufgabe wird gründlich angegangen. Jedes Kapitel widmet sich, mit einer Ausnahme bei den „Danton-Frauen” Adelaide und Rosalie, denen ein gemeinsames Kapitel gilt – jeweils einer Frau, ihrem Leben bzw. ihrer Rolle. Hauschilds rigoroses Programm, in Abgrenzug zu anderen Büchner-Biographen alleine die Fakten sprechen zu lassen, macht die Frauen-Skizzen allerdings manchmal bedauernswert knapp. Caroline Sartorius/Schulz beispielsweise, 1801 in Darmstadt geboren, Begleiterin und Pflegerin in Büchners letzten Stunden, mutige Befreierin ihres Mannes Wilhelm aus der Haft in Babenhausen und dessen tapfere Mitexilanten in Straßburg und Zürich, kommt – deshalb? – leider sehr kurz.
Seine Erkenntnisse über Minna Jaeglé, der zu Recht mit 60 Seiten das umfangreichste Kapitel gewidmet ist, trug Hauschild bereits im November in Darmstadt vor, ich habe hier darüber berichtet.
Hauschilds Vorwort endet:
„Wie sich aber Dichtung und Wirklichkeit zueinander verhalten, ist in diesem Umfang bisher noch nicht untersucht worden.“
Nach gerade einmal 255 Seiten und einem überschaubaren Anhang aus Literaturhinweisen lässt Hauschild selbst belesene Büchner-Kenner nicht ohne neue Erkenntnis und legt gleichzeitig ein Buch vor, dass sich von ganz neuer Perspektive aus durchaus auch als „EinsteigerInnenlektüre” eignet – ließe sich das doch über mehr Büchner-Bücher sagen!
Nachdem ich ja schon Berichte von Veranstaltungen hier veröffentlicht habe, jetzt endlich für diejenigen, die bisher noch nicht nach Darmstadt kommen konnten, wenigstens ein paar Bilder – ein Ausflug lohnt sich!
Ausführliche Informationen über Träger, Unterstützer, Intention und Programm ständig aktuell unter www.Buechner200.de
Der Darmstädter Bahnhof und sein Vorplatz stehen im Sommer 2013 ganz im Zeichen Georg Büchners.
Die Überschrift über dem Bahnhofs-Hauptportal
BüchnerBox
Die BüchnerBox ist eine Weiterentwicklung des 2012 unter Leitung von Prof. Kerstin Schultz (liquid architekten) vom Fachbereich Architektur für das Festival Cage100 entworfenen Performance-Hauses StageCage, das gerade den Art Directors Club Nachwuchswettbewerb in der Kategorie „Räumliche Inszenierung“ gewonnen hat. Waren im vergangenen Jahr Akustik und Musik maßgebend für das gestalterische Konzept, steht in diesem Jahr alles im Zeichen der Literatur: Raumhohe Bücherregale zieren die Wände, Textzitate Büchners strukturieren den Ort und laden zur Spurensuche, zum Stöbern und Lesen in Büchners Werk und in Kontextliteratur sowie zum Verweilen, Nachdenken, Diskutieren und Träumen ein.
Öffnungszeiten
Samstag, 29. Juni, bis Samstag, 31. August 2013
Montag bis Freitag zwischen 12 und 15 Uhr und zu Veranstaltungen
Die Box auf dem Darmstädter Bahnhofsvorplatz
Veranstaltungstrubel
Die Regalseite mit Werken der BüchnerpreisträgerInnen und einer Tauschbörse
Blick in die unbestuhlte Box (bei Veranstaltungen stehen ca. 60 Sitzplätze auf Holzbänken mit und ohne Rückenlehne zur Verfügung)
Die Box steckt voller wunderbarere Gestaltungsideen – von Sitzkissen mit Büchnerzitaten über eine Ausstellung „gebrauchter“ Büchner-Reclam-Texte, einer Hörstation als „Erbsentelefon“, der großen Marburger Werkausgabe mit Imaginationen der zahlreichen Werke, die Büchner zitierte, der Präsentation von typographischen und grafischen Werken, die in der Auseinandsersetzung mit Büchers Werk entstanden, über eine ganze Wand voller Werke der Büchnerpreisträger bis zu einer Büchertauschbörse bietet selbst die „unbespielte“ Box stundenlange Beschäftigung mit dem großen Autor und seinem Werk. Und selbst im Bücherregal ist noch ein typographisches Büchner-Rätsel versteckt!
Königreich Popo
Neben der BüchnerBox wird auch die Festival-Bar – das im vergangenen Jahr von der Centralstation entdeckte und liebevoll gehegte Kleinod mitten im Darmstädter Bahnhofsviertel – zu neuem Leben erweckt. Avancierte der Pavillon Cage&Cola damals in kürzester Zeit zum wahren Geheimtipp, macht sich in diesem Jahr das nach der Heimat des Prinzen Leonce aus dem Büchnerschen Lustspiel „Leonce und Lena“ benannte „Königreich Popo“ daran, ein ebenso attraktiver Ort für FeierabendKultur zu werden. Inspiriert durch die Texte und das Leben Georg Büchners in Zeiten des Um- und Aufbruchs entwickelten StudentInnen des Fachbereichs Gestaltung der Darmstädter Hochschule einen „wilden“ Garten. Die Bepflanzung gleicht einer Ansammlung von Büchner-Zitaten. Pflanzen- und Materialcollagen, entwickelt aus Naturbeschreibungen und Szenenangaben in Büchners Werken: „Stein und Moos“, „eine Gebirgslandschaft“, „ein Tanzboden“, „die Erbsen“, „ein Kornfeld“, „der wilde Wein“, „Rosenbusch und Feigenbaum“, „die Laternen“.
Öffnungszeiten
Samstag, 29. Juni, bis Samstag, 31. August 2013
Bei schönem Wetter: Montag bis Samstag ab 17 Uhr und zu Veranstaltungen in der BüchnerBox.
Der Eingang zum Königreich Popo
Eine Installation zum „Sich-auf-den Kopf-schauen“
Abendstimmung in Poponien
Im großen Beet vor dem Bahnhof stecken keine botanischen Pflanzenbeschreibungen, sondern ausgewählte Büchner-Zitate.
Nach ihrem Vortrag in der Büchnerbox. über den ich unten berichtete, hat mir Frau Martin gerade mitgeteilt, wo und wie ihr Aufsatz über die Lieder in Georg Büchners Werk erscheinen wird (und, um das dritte „W“ zu ergänzen, wann: „voraussichtlich September/Oktober 2013″) :
Ariane Martin / Bodo Morawe
Dichter der Immanenz
Vier Studien zu Georg Büchner Bielefeld, Aisthesis, 2013,
ISBN 978-3-89528-950-7,
ca. 190 Seiten, kart. EUR 28,00
Inhalt:
Vorwort
Ariane Martin
„Unzucht mit den Würmern“. Sexualität und Tod bei Georg Büchner
Bodo Morawe
„Die Revolution ist eine und dieselbe“. Geschichtsschreibung der Gegenwart und hybride Poetik in Danton’s Tod
Ariane Martin
Geschlecht, Gewalt, soziale Frage. Die Volkslieder in Büchners Dramen
Bodo Morawe
Philosophische Autopsie. Büchners Spinoza
Personenregister
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir das in Darmstadt vorstellen könnten.
In der zweiten Szene von Büchners Danton heißt es:
Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.
EINIGE STIMMEN. Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!
ZWEITER BÜRGER. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne!
Eine Laterne wird heruntergelassen.
JUNGER MENSCH. Ach, meine Herren!
ZWEITER BÜRGER. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!
EINIGE singen.
Die da liegen in der Erden,
Von de Würm gefresse werden;
Besser hangen in der Luft,
Als verfaulen in der Gruft!
JUNGER MENSCH. Erbarmen!
DRITTER BÜRGER. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! ’s ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns losschneiden. – An die Laterne!
JUNGER MENSCH. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.
DIE UMSTEHENDEN. Bravo! Bravo!
EINIGE STIMMEN. Laßt ihn laufen! Er entwischt.
Frau Prof. Dr. Ariane Martin aus Mainz war auf Einladung des Bessunger Buchladens in die Büchner-Box gekommen, um über Lieder in Büchners Werk anhand dieses Beispiels zu sprechen.
Das „Schinderhanneslied“ hat Georg Bücher wohl von August Becker gehört, und der soll es noch von Teilnehmern an dem berühmten Postraub in der Subach am 19. Mai 1822, Hans Jakob Geiz und seine Familie, gehört haben. Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorf haben die Geschichte in den wunderbaren Film „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ umgesetzt.
Frau Martin hat nicht nur anschaulich erläutert, welche Überlieferungsgeschichte dieses Lied hat, sondern auch gründlich gezeigt, wie Georg Büchner Lieder in seinem Werk einsetzt. Die „verschluckten Endungen“ bei „Würm“ und „gefresse“ sind gewollt; im Manuskript hat Büchner das zunächst hochdeutsch geschrieben und dann absichtlich verändert. Hier wird Dialekt gleichzeitig Soziolekt, also als Sprache einer Gesellschaftsschicht – es singt das Volk.
Dialekt im Werk Büchners weckt natürlich in Darmstadt den lokalpatriotischen Stolz auf „Schorsch“ Büchner. Höchstwahrscheinlich haben die Büchners zuhause „dialektal gefärbt“ gesprochen, aber die Dialektfetzen in Büchners Werk, einige davon auch typisch oberhessisch, lassen eine sicheren Schluss auf seine eigene Sprache, die jedenfalls am Gymnasium sicher „elaboriert“ hochdeutsch sein musste, nicht zu.
Frau Dr. Martin kündigte eine Veröffentlichung zu Liedern in Georg Büchners Werk an (die es verblüffenderweise wohl noch nicht gibt?) – wir sind gespannt!
Am 21. Juli spricht sie im Goddelauer Büchnerhaus:
„Büchners Goethe"
Ariane Martin ist Professorin für neuere deutsche Literaturgeschichte
an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit kulturwissenschaftlicher
Ausrichtung und Forschungsschwerpunkten vom Sturm und Drang bis zur klassischen Moderne.
Referentin: Prof. Dr. Ariane Martin
Um 18:00 Uhr, Kunstgalerie am Büchnerhaus
€ 7,00 zugunsten des Büchnerhauses
Info und Anmeldung unter: 06158 930 841 oder 842
oder E-Mail: kultur@riedstadt.de