Peter Brunners Buechnerblog

Kategorie: Volksbildung (Seite 1 von 7)

„Am besten wär so’n autoritärer Herrscher, der ganz gut ist und ganz lieb und freundlich“

 

 

„Denkt an die Verfassung des Großherzogthums. – Nach den Artikeln derselben ist der Großherzog unverletzlich, heilig und unverantwortlich. Seine Würde ist erblich in seiner Familie, er hat das Recht Krieg zu führen und ausschließliche Verfügung über das Militär. Er beruft die Landstände, vertagt sie oder lößt sie auf. Die Stände dürfen keinen Gesetzes-Vorschlag machen, sondern sie müssen um das Gesetz bitten, und dem Gutdünken des Fürsten bleibt es unbedingt überlassen, es zu geben oder zu verweigern. Er bleibt im Besitz einer fast unumschränkten Gewalt, nur darf er keine neuen Gesetze machen und keine neuen Steuern ausschreiben ohne Zustimmung der Stände. Aber theils kehrt er sich nicht an diese Zustimmung, theils genügen ihm die alten Gesetze, die das Werk der Fürstengewalt sind, und er bedarf darum keiner neuen Gesetze. Eine solche Verfassung ist ein elend jämmerlich Ding. … “ (Georg Büchner, Der Hessische Landbote)

 

Die erste hessische Verfassung von 1820, von der Büchner so wenig hielt, ist nicht zuletzt „seine“ Verfassung, die „unsrer“ Büchners. Der Butzbacher Lehrer Fritz Weidig wird aktenkundig, weil er sie seinen Schülern zum Auswendiglernen aufgibt; sein „Leuchter und Beleuchter für Hessen“ kann trotz des Verfassungsverbotes von Zensur nur illegal erscheinen, ebenso – „natürlich“ – der Hessische Landbote. Wilhelm Schulz hat ihr immerhin bei der Anklage wegen illegaler Veröffentlichung seines „Frag- und Antwortbüchlein …“ einen Freispruch zu verdanken. Die Landboten-Verschwörer werden – trotz oder wegen der Verfassung – Opfer von Verfolgung, Haft, Folter und Exil: Büchner stirbt in Zürich, Weidig im Darmstädter Arresthaus.

Die gleiche Verfassung übersteht nach kurzer Liberalisierung die 48er-Revolution (während der Wilhelm Büchner und August Becker im sogenannten Revolutionslandtag sitzen) und auch die Deutsche Reichsgründung von 1871. Georgs Geschwister bleiben ihr ihr Leben lang untertan – bis auf Alexander, der nach dem Verlust der Anwaltszulassung wegen „Hochverrats“ eben dieser Verfassung schließlich nach Frankreich auswandert. Erst mit dem Niedergang der Monarchie 1918 und dem Inkrafttreten der demokratischen Verfassung des Volksstaates Hessen endet ihre Geltung. Sie begleitet damit Hessens Weg in die Moderne. Uns interessiert an diesem Gesetzeswerk, das durchaus nicht demokratisch entstand, ob, wie und warum es dennoch Fortschritt bedeutete. 

„Jeder Hesse ist vor dem Gesetz gleich“

und „Die Presse und der Buchhandel sind in dem Großherzogthume frey“ –

die Paragraphen formulieren Grundrechte, auf die Berufung im Gerichtsverfahren möglich war. 

Am Anfang unserer Überlegungen zur Bedeutung dieser „oktroyierten“ Verfassung stand ein Zitat. Liselotte Eder, R. W. Fassbinders Mutter, sagt im Episodenfilm „Deutschland im Herbst“

„Am besten wär so’n autoritärer Herrscher,
der ganz gut ist und ganz lieb und freundlich“

Wir fragen uns: 

Was bedeutet es für ein Staatswesen, wenn seine Verfassung nicht von der Gewalt des Volkes her kommt? „Nichts als leeres Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich herausgeklopft haben. … Eine solche Verfassung ist ein elend jämmerlich Ding“ schreibt Büchner im Hessischen Landboten. War sie nicht auch eine Verbesserung gegenüber der vorherigen, gesetzlosen Aristokratenwillkür? 

„Erscheint gemäß der Hessischen Verfassung ohne Zensur“ schreibt Friedrich Weidig über seine (illegale) Flugschrift, die in Wirklichkeit von der Staatsgewalt unerbittlich verfolgt wird, indem sie die „Karlsbader Beschlüsse“ der reaktionären Fürsten über die eigene Verfassung stellt. Hatte nicht alleine die Erwähnung von Zensurfreiheit eine verpflichtende Bedeutung, auf die sich Beschuldigte berufen konnten? 

Wären die ungebildeten Tagelöhner und Bauern denn überhaupt imstande gewesen, republikanisch-demokratisch zu agieren und sich selbst zu verwalten? 

Musste nicht vor der Wahl erst die Ermächtigung zur Wahl, Bildung, politisches Bewusstsein, geschaffen werden? 

„Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topf jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden.“ schreibt Büchner. Wohlstand für alle scheint allemal wichtiger als Büchners Gleichheitsträume. Was wäre von einem Volk von Illiteraten und Hungerleidern an Perspektive zu erwarten gewesen?

„Dem Fürsten sein dankbares Volk“ (Inschrift auf dem verwirklichten Denkmal, dem „Langen Ludwig“ in Darmstadt). Die Bilder zeigen Ausschnitte aus der Denkmal-Karikatur von Jaques Tilly

 

 

Zu diesen Fragen fanden wir aktuell überraschende, ja beängstigende Parallelen:

Was sind Wähler*innen bereit, für ein Huhn im Topf dranzugeben? Dass das Fressen vor der Moral kommt, weiß Bertolt Brecht, und Büchners Woyzeck sagt „Wer kein Geld hat. Da setz einmal einer seinsgleichen auf die Moral in die Welt[.] Man hat auch sein Fleisch und Blut.“

In Polen kauft sich die Regierung Stimmen mit Wahlgeschenken, in Ungarn ist die Pressefreiheit ernsthaft bedroht und die Kapriolen des gewesenen amerikanischen Präsidenten lassen an Büchners König Peter vom Königreich Popo denken. Weltweit lässt sich undemokratisches Regieren hemmungslos „demokratisch“ legitimieren. 

Die Volksrepublik China erscheint heute manchen in Westeuropa als Prototyp einer anderen Moderne. Was nach unserer Auffassung sorgsamer Abwägung und schwieriger Abstimmungsprozesse bedarf, wie große Bauvorhaben oder weitreichende politische Strategien, wird dort scheinbar mit einem Federstrich der autokratisch herrschenden Politbürokratie entschieden. Nicht zuletzt wegen der außergewöhnlichen wirtschaftlichen Dynamik, die scheinbar so ermöglicht wird, werden durchaus sympathisierende Stimmen dafür laut. Hat nicht die chinesische Parteiautokratie in den achtziger Jahren nach Mao Tse Tungs Tod jahrzehntelangen Bürgerkrieg und den Zerfall des riesigen Reiches in „warlordships“ verhindert? War das die gebrachten Opfer an Demokratie und Freiheit nicht wert? Wie einfach wäre doch bei uns die Stromtrassenplanung, der Autobahnbau oder die Veränderung der Reise- oder Ernährungsgewohnheiten unter solchermaßen vereinfachten „chinesischen“ Verhältnissen! Auch das entwicklungspolitische Engagement der VR China, insbesondere in Afrika, das sich nicht um demokratische Legitimation, geschweige denn Demokratiebildung, schert, wird durchaus als nachahmenswert oder vorbildlich beschrieben. 

Fassbinders Mutter bringt es auf den Punkt: ein „guter König“ wäre billiger und effektiver als unsere aktuellen Regierungsformen. 

Warum dennoch diskutieren statt durchregieren, warum dennoch Konsens statt Dominanz, warum dennoch Kompromiss statt Befehl?

In der Büchnerstadt werden wir uns dem stellen – nach, trotz, mit oder ohne Corona – , und wir wollen die gefundenen Antworten öffentlich machen. Wir wollen es nicht dabei belassen, auf dem Elfenbeinturm akademische Debatten zu führen, wir wollen Diskurs führen und weitergeben. Daher werden wir Forschende zur Materie als „Inputgebende“ und künstlerisch Gestaltende als „Output-Gebende“ einladen. Sie sollen sich mit uns auf diese Fragen akademisch und künstlerisch einlassen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, aktuelle Vermittlungsformen für ihren Befund finden und öffentlich präsentieren. 

 

Ganz gemäß Büchners Haltung: „ …der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt.“ 

Von Peter Brunner

200 Jahre Hessische Verfassung

Am 22. Dezember 1820, vor exakt 200 Jahren, wurde in Darmstadt, der Hauptstadt des Großherzogtums Hessen, die erste Verfassung des Landes verkündet. Wikipedia schildert hier gut und ausführlich die historischen Umstände, die dazu führten. Craig Weiser arbeitet an einer Promotion zum Thema und dokumentiert seine Recherchen im Blog „Verfassung Hessen-Darmstadt“.

Nach dem Tod des ersten Großherzogs, der sich als einziger der Darmstädter Fürsten ein vornehmes „e“ im Namen leistete – LudEwig“ -, formierte sich eine Bewegung zur Errichtung eines Denkmals zur Feier des Verfassungserlasses. Auch für die schließlich realisierte Variante gibt es einen guten wikipedia-Eintrag. Hier soll nur angemerkt werden, dass der dort als Mitentwerfer des „Langen Ludwig“ genannte Balthasar Harres später der Architekt von Wilhelm Büchners Villa in Pfungstadt wurde. 

Zunächst war allerdings ein anderes Denkmal geplant; im Darmstädter Stadtarchiv hat sich eine Zeichnung davon erhalten:

Der nicht verwirklichte Entwurf für ein Verfassungsdenkmal in Darmstadt.
Original im Stadtarchiv Darmstadt

Dass der „Lange Ludwig“ heute kaum als Verfassungsdenkmal wahrgenommen wird, ist schon bei der Errichtung beabsichtigt gewesen. Der nächste Großherzog, Ludwig II, lässt seinen Vater wie Napoleon auf der Pariser Place Vendome präsentieren, die Verfassung fast unsichtbar in der Hand und ohne dass auch nur eine einzige Inschrift auf sie hinweist. 

Als hätte er es geahnt, lässt Büchner seinen Danton sagen:

„Zwischen Thür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir Alle können uns noch die Finger dabey verbrennen.“

200 Jahre später wollten darauf aufmerksam machen, warum der lange Ludwig kein Verfassungsdenkmal ist, und haben eine Lösung gesucht, das nicht verwirklichte Denkmal doch noch zu realisieren. Christian Steinmetz ist der Gestalter unseres neuen corporate design, und dass er der Ur-Ur-Enkel Ludwig Büchners ist, hat uns sehr eng miteinander verbunden. 

Jaques Tilly mit Modell im BüchnerHaus

Durch seine Vermittlung lernten wir den Düsseldorfer “Großplastik-Gestalter“ Jaques Tilly kennen. Tilly hat sich unserer Überlegungen mit großem Engagement angenommen und seine außergewöhnliche Erfahrung bei Planung und Realisierung eingesetzt. Er konnte uns davon überzeugen, dass eine schlichte Rekonstruktion des verworfenen Entwurfes nicht wirken würde. Mit ihm zusammen haben wir stattdessen eine „3-D-Karikatur“ entworfen, in der Plan und Kritik zugleich erscheinen. Mit „Friede den Palästen“ machen wir deutlich, dass die Aristokratie das Bestehende sichern konnte, der scheinbar joviale Fürst macht es sich auf dem Rücken des zum Schweigen gebrachten und verarmten Volkes gemütlich. 

Das gelungene Modell konnten wir aus den Mitteln finanzieren, die uns das Land Hessen als Projektmittel für unsere Kooperation zur Verfügung gestellt hat.

Die BüchnerBühne hat ein wunderbares Programm entwickelt, das zusammen mit dem Wagen unser Motto „Büchner findet statt“ ins Land gebracht hätte.  Bis vor wenigen Tagen hofften wir noch, als „Lebenszeichen“ in der Corona-Krise wenigstens den Motivwagen in Darmstadt präsentieren zu können – die Freunde von der Centralstation und die Darmstädter Stadtverwaltung waren uns da sehr liebenswürdig behilflich. Auch das ist schließlich gescheitert. Der Wagen steht jetzt im Hof des BüchnerHauses und wartet mit uns auf bessere Zeiten. 

Jaques Tillys Realisierung der „Rekonstruktion“

Für BüchnerHaus und BüchnerBühne sollten die Umstände dieser Verfassung der Schwerpunkt der Aktivitäten 2020 sein; Stück für Stück sind unsere hochfliegenden Pläne in diesem Pandemie-Jahr auf dem Bauch gelandet. 

In Kürze mehr darüber, wie das Thema „oktroyierte Verfassung“ BüchnerBühne und BüchnerHaus 2021 beschäftigen werden.

Das Stadtarchiv Darmstadt hat einen zweiteiligen Beitrag zur Geschichte der Ludwigssäule veröffentlicht, und von Büchnerhaus und Büchnerbühne ist inzwischen ein erster Videobeitrag zum Thema online.

Von Peter Brunner

Eine Würdigung für Luise Büchner – kurz vor ihrem zweihundertsten Geburtstag

In Darmstadt wird Luise Büchners lebenslanger Einsatz für Mädchenbildung mit der Benennung einer neuen Bildungseinrichtung gewürdigt. Der künftige „Bildungscampus“ im Konversionsgebiet Lincolnsiedlung wird den Namen von Georg Büchners Schwester tragen.

Luise Büchner. Nachkolorierte Orioginalphotographie

Die Pressemeldung der Wissenschaftsstadt im Wortlaut: 

Magistrat beschließt Namen für Grundschule und Kita in der Lincoln-Siedlung:

„Bildungscampus Luise Büchner“ / OB Partsch: „Damit ehren wir das Leben und Wirken von Luise Büchner“

 


In seiner jüngsten Sitzung am Mittwoch, 1. April 2020, hat der Magistrat der Wissenschaftsstadt Darmstadt den Namen „Bildungscampus Luise Büchner“ für die Grundschule und die Kindertagesstätte in der Lincoln-Siedlung beschlossen.
„Durch die Benennung des Komplexes in der Lincoln-Siedlung mit dem Namen „Bildungscampus Luise Büchner“ ehren wir das Leben und Wirken von Luise Büchner und ihren Einsatz für die gleichwertige Bildung junger Menschen. Sie war eine der ersten Frauenrechtlerinnen Deutschlands und eine große Kämpferin ihrer Zeit. Ihr Name erhält mit dieser Benennung einen festen Platz in der Bildungslandschaft der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Der Bildungscampus in der Lincoln-Siedlung wird damit stets daran erinnern, jungen Menschen jede Chance auf Bildung zu ermöglichen – völlig unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft oder Religion“, sagte Oberbürgermeister Jochen Partsch.
Luise Büchner wurde am 12. Juni 1821 in Darmstadt geboren. In ihrem 1855 erschienen Werk „Die Frauen und ihr Beruf“ setzte sie sich für eine gleichwertige Ausbildung von Mädchen und Jungen und eine qualifizierte Berufsausbildung für Frauen ein. Für Mädchenschulen forderte sie die Einstellung von Lehrerinnen anstelle von Theologen.
Luise Büchner gründete 1867 gemeinsam mit Prinzessin Alice von Hessen und bei Rhein mehrere Frauenvereine, die weit über die Grenzen von Hessen-Darmstadt bekannt wurden. 1872 gründete sie eine Berufsfachschule für Mädchen, die heutige Alice-Eleonoren-Schule. Seit 1860 bot Luise Büchner in ihrer Wohnung Geschichtsvorlesungen für Mädchen und Frauen an. 1870 war sie Mitbegründerin einer Volkshochschule für Frauen, an der namhafte Wissenschaftler geistes- und naturwissenschaftliche Vorträge hielten.
Seit 1869 vertrat Luise Büchner die Alice-Frauenvereine auf überregionalen Konferenzen und berichtete in der Presse regelmäßig über ihre Arbeit. Auf die Initiative von Prinzessin Alice von Hessen und bei Rhein und Luise Büchner fand in Darmstadt 1872 die erste Generalversammlung der Frauenbildungs- und -erwerbsvereine statt. 1873 wurde Luise Büchner als erste Frau vom Preußischen Kultusministerium gebeten, ein Gutachten zu Unterrichts- und Erziehungsfragen in der Mädchenschulbildung vorzulegen.
Die Darmstädter Frauenrechtlerin starb am 28. November 1877 in ihrer Geburtsstadt. Sie hat ein Ehrengrab auf dem Alten Friedhof.
3. April 2020 / lea

Peter Brunner

von Peter Brunner

Die nächsten Veranstaltungen im Büchnerhaus

„Kleidung, Freiheit, Identität“ heißt die Überschrift zu Veranstaltungen des Zusammenschlusses „Geist der Freiheit“ in der Kulturregion Frankfurt[BP1] , bei dem das Büchnerhaus mitarbeitet.

Zum Thema spricht am

Donnerstag, dem 5. März 2020 um 19 Uhr in der Kunstgalerie am Büchnerhaus

Elsbeth Wallnöfer (Wien):

Elsbeth Wallnöfer
(c) privat

„Geziert mit rother Jakobiner-Mütze, Im Polen-Rock, schritt stolz er durch die Strassen“

Kleidung als Programm – von Georg Büchner bis Carola Rackete

Kleidung ist viel mehr als nur den klimatischen Gegebenheiten angepasste Körperbedeckung. Vom Hermelin des Herrschers bis zur Parka der „68er“, vom „Polenrock“ als Ausdruck der Sympathie mit den polnischen Aufständischen von 1833 bis zum „Pali-Tuch“ der rebellischen europäischen Jugend hat sie stets Haltung vermittelt. Elsbeth Wallnöfer begibt sich auf die Spuren unserer Kostümierung und bietet Orientierung im Kleiderschrank der Widerspenstigen.

Elsbeth Wallnöfer (Jahrgang 1963) ist Volkskundlerin und Philosophin. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Heimat und forscht zum Phänomen der Tracht. Daraus ergaben sich zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt erschien „Heimat – Ein Vorschlag zur Güte“ (Haymon-Verlag).

Karten gibt’s im Vorverkauf über unseren Partner Reservix

Und auch 2020 kommt der vorjährige Büchnerpreisträger ins Büchnerhaus –

Lukas Bärfuss liest

vorerst nicht

auf der BüchnerBühne in Riedstadt-Leeheim –

wegen der Virusprophylxe mussten wir alle Veranstaltungen und die Museumsöffnung bis vorerst zum 30. April einstellen.

Lukas Bärfuss
(c) Stefano di Marchi

Es ist zur guten Übung geworden, dass die Büchnerpreisträger*innen des Vorjahres auf Einladung der Büchnerstadt Riedstadt Georg Büchners Geburtshaus besuchen und dort eine Lesung abhalten.

2020 gibt es gleich zwei gute Gründe dafür, dass die Lesung nicht in der Kunstgalerie am Büchnerhaus, sondern auf der BüchnerBühne stattfindet: Haus und Bühne kooperieren künftig eng miteinander und koordinieren daher ihre Veranstaltungen systematisch. Daher wird Lukas Bärfuss am Nachmittag vor der Lesung das Büchnerhaus zu besuchen und die spätere Lesung dann in Leeheim zu halten. Darüber hinaus ist Lukas Bärfuss ein wichtiger Theaterautor, und wo sollte der auftreten, wenn nicht auf den Brettern, die die Welt bedeuten?

In seiner Rede zum Büchnerpreis hat Bärfuss Büchner an einem zentralen Punkt getroffen und abgeholt. Er sagte: „Und es ist diese Frage, die mich mit Georg Büchner verbindet. Was das denn sei, was in uns lügt, stiehlt, hurt und mordet, fragt der Revolutionär Georges Danton, …Aber nein, so weit sollten wir seither gekommen sein seit Büchner, dieses »das« in jener Frage, es ist nicht in uns, es ist zwischen uns, vor uns, es ist da, man kann es lesen, man kann es hören, es ist in den Beschlüssen, den Anordnungen, den Dienstvorschriften, den Funktionszusammenhängen, den Einreiseformalitäten, den Fahrplänen, den Beförderungsbestimmungen.“

Kaum eine Stelle in Büchners Werk drückt so sicher auch seine eigene Haltung aus und führt uns so nahe in seine Werkstatt: bevor Danton die Frage stellt, stellt sie Büchner selbst, seine Lebensfrage, im Brief an die Geliebte. Er zitiert sich selbst, wenn er Danton das fragen lässt, und die Frage hat weder den Dichter noch den Naturwissenschaftler je losgelassen.

Lukas Bärfuss, 1971 in Thun in der Schweiz geboren, ist Autor von 25 Stücken, drei Romanen und einigen Essays und Erzählungen. Der Büchner-Preis-Juror Ernst Osterkamp sagte über ihn: „Er ist jemand, der mit äußerster Sensibilität insbesondere die politischen Entwicklungen und das sind vor allen Dingen auch mediale Entwicklungen in seinem Heimatland, in der Schweiz, beobachtet und sie mit einer gewissen Fähigkeit zur stilistischen Rücksichtslosigkeit zu kommentieren in der Lage ist.“

Hier gibt’s (noch) Eintrittskarten


 [BP1]

Peter Brunner

von Peter Brunner

Büchner findet statt!

Nach all den Weihnachtswünschen und Rückblicken auf das vergangene Jahr hier stattdessen zum Jahresbeginn ein kleiner Ausblick von mir in Sachen Büchner – unvermeidlich beeinflusst vom Vergangenen.

Zum ersten Januar 2020 liegt ein gemeinsames Veranstaltungsprogramm von BüchnerHaus und BüchnerBühne vor – dieser scheinbar kleine Schritt für die Gestaltung ist in Wirklichkeit ein großer Schritt vorwärts zu intensiver Kooperation. Tatsächlich listet das Leporello auf, wann wo welche Veranstaltungen von uns angeboten werden, Kooperation im wörtlichen Sinn ist (noch) kaum wahrzunehmen. Immerhin ist „Die Welt so alt“ (am 23.2. und am 14.3. auf der BüchnerBühne) in Zusammenarbeit von Christian Suhr mit mir entstanden, und wenn es die Termine zulassen, werde ich da auch wieder die Texte zur Biographie Georg Büchners als Moderation sprechen wie zur Erstaufführung an Georg Büchners Geburtstag im Oktober.

Auf Einladung der Büchnerstadt Riedstadt liest der Büchnerpreisträger von 2019, Lukas Bärfuß, am Samstag, dem 21. März, aus seinem Werk. Wir haben ihn eingeladen, am Nachmittag das Büchnerhaus zu besichtigen und dabei unsere Vereinsmitglieder zu treffen, bevor wir dann gemeinsam zur BücherBühne fahren, wo die Lesung stattfinden wird. Das soll auch den Dramatiker Bärfuß würdigen – wo, wenn nicht auf der Bühne …

Ins Büchnerhaus kommt zum ersten Vortrag am 23. Januar 2020 der Frankfurter Germanistikprofessor Roland Borgards, der zugleich designierter Leiter der Forschungsstelle Georg Büchner und der neue Vorsitzende der Georg Büchner Gesellschaft ist. Er wird über einen seiner Forschungsschwerpukte sprechen: „Von Fledermäusen, Grasmücken und Nachtigallen. Büchners Bestiarium und die Tiere der Romantik“, und natürlich wird er vorher das BücherHaus besuchen. Wir setzen darauf, dass das die von Anfang an bestehende enge Verbindung der Büchnerstadt mit den beiden akademischen Einrichtungen weiter festigt und verstärkt.

Die Kunstgalerie am Büchnerhaus, unser Vortragsraum im ehemaligen Kuhstall des Anwesens, zeigt in den nächsten Monaten zwei ganz unterschiedliche Werke: ab dem 19. Januar Skizzen, Vorzeichnungen und Originale des Gießener Künstlers Andreas Eikenroth zu dessen Woyzeck-Comic, der ganz zu Recht mit besten Kritiken besprochen wurde und den er bei einer sehr schönen Veranstaltung am 14.11. präsentiert hat. Er hat mir kürzlich mitgeteilt, dass er an einem weiteren Büchner-Werk arbeitet; mit einigem Glück dürfen wir auf einen Lenz-Comic von ihm hoffen!

Zu Ende März hat dann unser Freund Mario Derra, der Graphiker, Typograph und Bewahrer der Lithographie, zugesagt, seine neuen Lithographien zu Leonce und Lena zusammen mit neuen Bronzearbeiten zu präsentieren. Das wird unter anderem für diejenigen spannend, denen die wunderbaren Holzschnitte von Leo Leonhardt zu Leonce und Lena noch präsent sind, die wir bis zum Winter gezeigt haben.

Das Büchnerhaus ist schon lange in enger Kooperation mit „Geist der Freiheit“ , dem Zusammenschluss von Orten unserer Demokratiegeschichte in der „Kulturregion Frankfurt“. Es war leicht, zum diesjährigen Thema „Kleidung“ einen Anknüpfungspunkt zu finden: weil es immerhin ein paar Hinweise über Georg Büchners gelegentlich provokante Kleidung gibt, und weil wir schon lange gut mit einer Forscherin bekannt sind, die zu diesem Thema arbeitet: Elsbeth Wallnöfer aus Wien hat vor einiger Zeit vor der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft über ihre Forschung zum „Dirndl“ gesprochen und kommt nun zum Thema „Kleidung als Programm“ am 5. März ins Büchnerhaus: „Geziert mit rother Jakobiner-Mütze im Polen-Rock, schritt stolz er durch die Strassen“ heißt ihr Vortrag, den sie so ankündigt: „Kleidung ist vielmehr als nur den klimatischen Gegebenheiten angepasste Körperbedeckung. Vom Hermelin des Herrschers bis zur Parka der „68er“, vom„Polenrock“ als Ausdruck der Sympathie mit den polnischen Aufständischen von 1833 bis zum „Pali-Tuch“ der rebellischen europäischen Jugend hat sie stets Haltung vermittelt.“ Wir warten gespannt auf den Vortrag (und hätten nichts dagegen, wenn an dem Abend unsere Gäste „programmatisch gekleidet“ kämen … ).

Elsbeth Wallnöfer wird auf unsere Vermittlung hin bereits am Vortag für die Volkshochschule ihr neuestes Buch „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“ vorstellen.

Für die kommenden Monate arbeiten wir intensiv an einer Veranstaltungsreihe zu einem Ereignis, das als Jubiläum bisher kaum Wellen schlug: 2020 jährt sich die Inkraftsetzung der ersten hessischen Verfassung zum zweihundertsten Male. Die Ambivalenz dieses Gesetzes wollen wir beleuchten. Es wurde einerseits vom Fürsten oktroyiert, bot aber andererseits so bemerkenswerte Garantien wie „Jeder Hesse ist vor dem Gesetz gleich“, es war sowohl die Verfassung, die Friedrich Weidig seinen Schülern zum Auswendiglernen aufgab, andererseits aber auch die, unter der er im Gefängnis ums Leben kam und die Büchner ins Exil zwang. Das wird überraschend aktuell, wenn Parallelen zu heutigen Volksbeglückern hergestellt werden. In China und in den USA, in Polen und in Ungarn stellt sich plötzlich wieder die Frage, ob nicht „ein guter König“ viel besser und effektiver Glück und Wohlstand fürs Volk schaffen kann als mühselige republikanische Anstrengungen um Konsens und Mehrheit. Wir wollen diese Frage Historiker*innen und Verfassungsrechtler*innen stellen und den Versuch unternehmen, ihre Erkenntnisse mit Schauspieler*innen, Autor*innen und bildenden Künstler*innen in künstlerische Ausdrucksformen zu vermitteln. Ganz getreu Georg Büchners Anspruch:
“  … der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen.“ (Brief an die Eltern vom 28. 7. 1835)

Peter Brunner

 

von Peter Brunner

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