Peter Brunners Buechnerblog

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Über Demokratie – am 9. November?!

Das zweite Büchner-Weidig Symposium

Steht die Demokratie zur Disposition?“

Bereits vor Monaten haben wir für zwei Symposien zur Demokratie Termine gewählt, die für die Erinnerung in Deutschland von großer Bedeutung sind: den 3. Oktober als den „neuen“ Tag der Deutschen Einheit, und den 9. November als den Tag zahlreicher Wendepunkte der deutschen Geschichte:

Am 9. November 1848 wurde der durch Immunität geschützte Abgeordnete Robert Blum in Wien widerrechtlich erschossen – seine letzten Worte waren: „Ich sterbe für die Freiheit, für die ich gekämpft. Möge das Vaterland meiner eingedenk sein.“ In den deutschen Ländern war die Empörung über seinen Tod groß, Forderungen nach Gerechtigkeit wurden laut.

Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann in Berlin die Deutsche Republik aus – damit ist der Tag der Beginn demokratischer Regierung in Deutschland

Am 9. November 1923 scheiterte am Widerstand der vereinten Demokraten der faschistische Hitler-Ludendorff-Putsch in München

am 9. November 1938 erlebten die Novemberpogrome ihren Höhepunkt – sie sind der Ausgangspunkt zum schließlich industriell betriebenen Völkermord, dem Holocaust

am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, das Initialmoment der schließlichen deutschen Einheit.

Es erschien uns angemessen, diesen Tag als Datum unsers zweiten Symposiums zu wählen – wann,wenn nicht an einem so bedeutenden Gedenktag, gäbe es Anlass, sich über Demokratie auszutauschen?

Seit dem 7. Oktober, an dem die Mörder der Hamas Israel überfielen, überlegen wir, ob das angemessen bleibt. Wir sind in ständigem Austausch mit unserem Referenten und Freund Gad Arnsberg, der in Tel Aviv, stündlich von Bomben bedroht, lebt.

Inzwischen denken wir, ja, das ist eine angemessene, uns vielleicht sogar gebotene Form der Auseinandersetzung, auch am 9. November. Unsere Symposien stehen nicht im gesellschaftlichen Niemandsland, sie sollen und wollen Einfluss nehmen und Entwicklung befördern. Und was wäre eine bessere Reaktion auf terroristische Bedrohung als die Vergewisserung über Gesellschaftsformen, deren ständiges Ziel die Überwindung von Terror und die Verteidigung freiheitlichen Lebens in jeder Beziehung ist?

Daher laden wir herzlich ein zum zweiten Büchner-Weidig-Symposium „Steht die Demokratie zur Disposition“ am 9. 11.2023 in der Büchnerstadt Riedstadt und am 10.11.2023 in der Weidigstadt Butzbach, jeweils von 16 – 19 Uhr

Die Vortragenden und ihre Themen:

Prof. Dr. Gad Arnsberg

Hochschullehrer für Geschichte und Leiter der Internationalen Abteilung am Beit Berl College (Israel), war im Sommersemester 1997 als Gastprofessor am Institut für Jüdische Studien (FB 3). Arnsberg, der an den Universitäten Frankfurt a.M. und Tel Aviv Volkswirtschaft, Geschichte und Politik studiert hat, promovierte 1986 in Tel Aviv.

Ein Gespenst ging um in Europa – das Gespenst der Revolution

Was war neu an der Idee der Amerikanischen und Französischen Revolution? Warum war sie so wirkmächtig? Im Napoleonischen Gewand und unter dessen Ägide, als „Revolution von oben“, nahm sie auch in Deutschland Gestalt an, um alsbald der Reaktion anheimzufallen. So beflügelte sie die Idee der „Revolution von unten“. Eine Spirale von Repression und emanzipatorischer Gegenwehr kennzeichneten den langen Weg bis 1848. Wie nahm sich diese Gegenwehr aus? Wer waren ihre Träger, darunter Büchner und Weidig? Was erstrebten sie?





Dr. Antje Schrupp



Geboren 1964 in Weilburg, studierte Politikwissenschaft, ev. Theologie und Philosophie in Frankfurt am Main, Volontariat beim Ev. Pressedienst, arbeitet als Redakteurin, Publizistin und Referentin. Ihre Schwerpunktthemen sind weibliche politische Ideengeschichte, Geschichte des Sozialismus sowie religiöse Weltanschauungen. 2002 erschien ihr Buch „Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull“ (Ulrike Helmer Verlag), die erste deutsche Biografie der ersten US-amerikanischen Präsidentschaftskandidatin und feministischen Aktivistin (gekürzte Neuauflage 2016 unter dem Titel „Vote for Victoria“). Ihr 2015 gemeinsam mit der Zeichnerin Patu veröffentlichter Comic „Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext“ (Unrast Verlag) wurde in viele Sprachen übersetzt. Neueste Publikationen: „Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik“, Ulrike Helmer Verlag 2019, und „Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung“, Unrast Verlag 2022. 

Demokratie verkörpern: Intersektionaler Aktivismus am Beispiel von Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull
(1838-1927)

Intersektionalität“ ist zwar ein vergleichsweise neuer Begriff, aber kein neues Phänomen. Als die Feministin, Wunderheilerin, Sozialistin und Wall-Street-Brokerin Victoria Woodhull im Jahr 1872 für die US-Präsidentschaft kandidierte, machte sie die Verwobenheit unterschiedlicher Diskriminierungsformen zu ihrer politischen Praxis. Schwarze Abolitionisten und Sexarbeiterinnen, Frauenrechtlerinnen und Gewerkschaftsfunktionäre, Fabrikarbeiterinnen und bürgerliche Reformer unterstützten ihre Kampagne. Kann sie heute ein Vorbild für inklusiven demokratischen Aktivismus sein? 

Dr. Gerd Koenen

Geboren 1944 in Marburg/Lahn; 1964/65 Studium generale am Leibniz-Kolleg in Tübingen; 1966-1972 Studium der Geschichte und Politikwissenschaften in Tübingen und Frankfurt; Arbeit als Lektor, Journalist und Autor historischer Sachbücher; 1992-1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Lew Kopelew am „Wuppertaler Projekt“ zur Erforschung der deutsch-russischen Fremdenbilder; 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte in Tübingen, Prof. Dietrich Beyrau; Dissertation zum Thema „Rom oder Moskau? Deutschland, der Westen und die Revolutionierung Russlands; 2007 „Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung“ (zusammen mit Mikhail Ryklin) für das Buch „Der Russland-Komplex“

Demokratie: Die schlimmste Form von Regierung ­
mit Ausnahme aller anderen“

Bemerkungen über die enorme Schwierigkeit, die allein schon der Gedanke, geschweige die Praxis einer demokratischen Willensbildung, Beschlussfassung und Administration bedeuten. Schwierig, fast „undenkbar“, war Demokratie bis vor ganz kurzem noch, und auch heute ist sie es für einen Großteil der Welt. Und da, wo es sie als Regierungsform gibt, ist sie für jede Art von Missbrauch und Korruption offen. Und heute, wo alle reden und keiner zuhört, und alle ihr eigenes Medium sind, das umso besser ferngesteuert und gelenkt werden kann, ist sie selbst in den demokratischsten Ländern eine Form der Politik, die jederzeit hart am Abgrund siedelt – außer, wenn sie von außer herausgefordert wird: dann kann sie auch ihre Stärken ausspielen und ihre Zähne zeigen.

Veranstaltungsorte sind am 9. 11. die Kunstgalerie am Büchnerhaus, Weidstraße 9, in Riedstadt und am 10.11. das Museum Butzbach, Beginn beide Male um 16 Uhr. Eintritt frei.

Die Beiträge werden eingeleitet von historischen oder literarischen Texten, die die Vortragenden ausgewählt haben.

Nach den Vorträgen steht ausreichend Zeit zur Aussprache und zum Ausblick zur Verfügung.

Was war, was wird

Liebe Freundinnen und Freunde,

das Jahresende ist ein guter Anlass für Rück- und Ausblick. 

 

Immerhin scheint sich der Besuch wieder dem Vor-Corona-Niveau zu nähern, wir hoffen, dass wir 2023 wenigstens wieder die Zahlen von 2019 schaffen.

Im Museum haben wir ein bisschen umgeräumt – das ist durch die große Enge natürlich immer nur ein Hin- und Her-Schieben.

Erfolgreich sind die „Bauzaunausstellungen“ im Hof, die ich für „Mehr als Medizin“ mit Biographien von dichtenden Ärzten, zusammengestellt von der CBT-Gruppe (Centrum für Blutgerinnungsstörungen und Transfusionsmedizin), entwickelt habe. Mittlerweile haben wir auch „Literatur im Land“ der AG literarischer Gedenkstätten und zuletzt „Auf dem Weg zur modernen Demokratie“ des Mainzer Instituts für Geschichtliche Landeskunde im Hof präsentiert. 2023 soll – direkt daran anschließend – „Die Geschwister Büchner und ihre Freunde 1848/49“ folgen, ausserdem eine Präsentation zur 25jährigen Geschichte des Museums Büchnerhaus. 

Die Ausstellung „Literatur im Lande“ unter der Büchnerscheune

Nach dem Tod des bedeutenden Büchnerforschers Henri Poschmann, aus dessen Hand u.a. die hervorragende Büchner-Werkausgabe im Klassiker-Verlag stammt, haben wir auf Vermittlung von Reinhard Pabst in einer Holterdipolter-Aktion seine Hinterlassenschaft an Akten und Büchern aus Weimar nach Riedstadt geschafft, wo sie nun in einem privaten Keller, ähnlich wie schon der Büchner-Vorlass von Martin Selge, auf bessere Zeiten und Aufarbeitung wartet. Wir bemühen uns zur Zeit um eine angemessene, bleibende Erinnerung an diesen wichtigen Forscher, für dessen Andenken der Suhrkamp-Verlag noch nicht einmal eine Zeitungsanzeige geschaltet hat. 

Ein Wissenschaftlerleben, versandfertig verpackt …



Immerhin können wir wohl 2023 an die Digitalisierung und Neuaufstellung unserer eigenen Bibliothek gehen, nachdem ein Förderantrag beim hessischen Museumsverband Erfolg hatte und wohl auch schon eine besonders kompetente Person hierfür gewonnen werden konnte. Wir hoffen, dass auf die Dauer die Literaturbestände bei uns, bei der Forschungsstelle in Marburg/Frankfurt und bei der Darmstädter Luise Büchner-Gesellschaft online recherchiert werden können. 

Der aktuell zugängliche Teil der Handbibliothek des Büchnerhauses in Georg Büchners Geburtszimmer

Bei einer Bestandsaufnahme des Veranstaltungsprogramms haben wir entschieden, künftig möglichst regelmäßig einmal im Monat einen Abend in der Kunstgalerie anzubieten. Mit dem Titel „Casino“ erinnern wir an Büchners Brief aus Zürich, wo er der geliebten Minna berichtet: „Jeden Abend sitz’ ich eine oder zwei Stunden im Casino; Du kennst meine Vorliebe für schöne Säle, Lichter und Menschen um mich.“ Wir wollen versuchen, das Programm von der Beliebigkeit „irgendwas mit Kultur“ zu einer auf unsere Themen bezogene Reihe zu entwickeln. 

Notieren Sie gerne: stets am dritten Donnerstag im Monat, 19 Uhr. 

Die Kunstgalerie am Büchnerhaus – der historische Kuhstall


2023 hoffen wir, begleitend und kommentierend zu den bevorstehenden 175sten Jubiläen der Revolution und der Paulskirchenversammlung von 1848, mit „Demokratie kommt bei Büchner nicht vor“ Referent*innen zu gewinnen, die mit uns über die Bedeutung von Demokratie für Freiheit und Gleichheit diskutieren. Damit wollen wir auch der Bedeutung des Bücherhauses als einem Ort der Demokratiegeschichte entsprechen.  

Im März (16.3.) wollen Christian Suhr und ich vorstellen, wen wir für die Veranstaltungsreihe mit welchen Themen und Fragen gewonnen haben. 

Im Februar wird an diesem Tag (16.2.) die Büchnerpreisträgerin von 2021, Emine Sevgi Özdamar im Museum „ihren Bruder Georg Büchner“ besuchen und auf der Bühne in Leeheim lesen.

Emine Sevgi Özdamar nahm in Darmstadt den Büchnerpreis 2022 entgegen

Das dritte Büchnerland-Festival, das wir, gefördert vom Land Hessen, 2023 vom 14. – 23. Juli veranstalten werden, wird für Sie alle hoffentlich spätestens wieder ein guter Grund sein, uns zu besuchen. Wir haben ja neben dem – zur Zeit wenigstens mit Ausnahmegenehmigung bespielbaren – wunderbaren Hof am Büchnerhaus auch den tollen Kirchplatz in Leeheim als Veranstaltungsort, und unsere Pläne werden Sie hoffentlich mehr als einmal in dieser Zeit zu uns führen! Warten Sie gespannt auf das Programm, das wir spätestens im März vorlegen wollen. 

Christian Suhr als Valerio bei der Leonce und Lena-Premiere beim Büchnerlandfestival 2022

Der rührige Kanzler der Universität Darmstadt, Manfred Efinger, hat Ende 2021 die sanierten Reste der Darmstädter Gefängnismauer vorstellen können, hinter der Friedrich Weidig 1837 ums Leben kam. Der restaurierte Gefängnisgang hat zahlreiche, gerade auch politische, Gefangenen gesehen, auch Büchners Freund August Becker wurde auf diesem Pflaster in die Zelle geführt. Für Februar 2023 wurden wir eingeladen, die Präsentation von Portraitbüsten Büchners und Weidigs an diesem Ort mit einer „theatralischen Intervention“ zu begleiten. 

Die Plakette der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit

Die Erinnerung an den Hospitalarzt Ludwig Amelung, dessen Werk möglicherweise Georg Büchner auf den Fall Woyzeck aufmerksam gemacht hat, werden wir 2023 weiter betreiben. Über „Crowdfunding“ ist es uns gelungen, die Sanierungskosten für sein Grab auf dem wunderbaren historischen Hospitalfriedhof aufzubringen. Er wurde am 28. Mai 1798, nächstes Jahr vor genau 225 Jahren, in Bickenbach geboren. Bis dahin sollten wir zur Präsentation des neu gestalteten Grabes einladen können. 

Rechts Amelung Grab im aktuellen Zustand

Zum wiederholten Male habe ich die Georg Büchner Gesellschaft eingeladen, ihre Jahrestagung bei uns abzuhalten – das in Aussicht genommene Thema „Büchners Bühne“ klingt ja schon wie für uns geplant. Und die Büchnerstadt, das kann nicht oft genug betont werden, ist mit der S-Bahn in kaum 40 Minuten aus Frankfurt zu erreichen!

Die Zusammenarbeit mit der Weidigstadt Butzbach wollen wir 2023 intensivieren und mit flashmobs und theatralischen Interventionen in Hessen für Haus und Bühne werben.

Pläne und künftige Struktur der BüchnerBühne als „Nach-Corona-Neustart“ stellen wir am 5. Februar um 16 Uhr auf der Bühne in Leeheim vor.

Sie sehen: es wird nicht langweilig in der Büchnerstadt! Unterstützen Sie uns – mit einer Mitgliedschaft, mit Besuchen in Museum und Theater, mit Weiterempfehlung und, nicht zuletzt, Kritik und Anregungen – bleiben Sie uns verbunden!

von Peter Brunner

Junges Literaturland im BüchnerHaus

Das erfolgreiche Programm Junges Literaturland des Hessischen Rundfunks war auch 2022 im BüchnerHaus – begleitet von dem wunderbaren Dalibor Markovich war die 7G der hiesigen Martin Niemöller-Schule mit ihrer Lehrerin Nina Drexler bei uns, um Anregungen und Eindrücke für ein Hörfunkprojekt zu sammeln.

(c) Foto: privat

Entstanden sind „wütende Kurzgeschichten“ und ein Gedicht über Pommes – hier beim hr im Internet.

Wir freuen uns jedes Jahr, wenn wir das Projekt unterstützen können und schätzen die Medienarbeit beim Literaturland Hessen sehr – da wird unersetzliche Arbeit für Lese- und Hörkompetenz gemacht.

von Peter Brunner
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